Irene schrieb:
Bei der Hexenverfolgung u. Ketzerverfolgung dürfte es ähnlich sein, die Bauern, die arme ungebildete Bevölkerung dürfte wahrscheinlich das auch nicht als Verbrechen erkannt haben, aber ich bezweifle, dass nicht viele der Gebildeten und kirchliche Würdenträger nicht wußten was sie tun. Das hieße den Intellekt der Altvorderen zu unterschätzen.
Die Verfolgung und Hinrichtung von Hexen wie von Ketzern wurde selbstverständlich auch von Gebildeten und kirchlichen Würdenträgern nicht als Verbrechen erkannt - ganz einfach deshalb, weil es für sie kein Verbrechen war! Das Vorgehen gegen solche Bedrohungen des Glaubens und damit der von ihnen ausgehenden Gefährdung der gesamten göttlichen Weltordnung war vielmehr eine Notwendigkeit, die verhinderte, dass die gesamte religiös fundierte kosmische Ordnung einen Zusammenbruch erfuhr. Auch für Gebildete und den Klerus war die Gefahr einer dem Teufel dienenden Hexenverschwörung real. An der Existenz von Hexen und der von ihnen ausgehenden Gefahr war nicht zu zweifeln, und bei ihrem Erfolg hätte nichts weniger als der Sieg des Teufels und die Verdammung der gesamten Christenheit gestanden. Diese Vorstellung einer verborgen wirkenden teuflischen Verschwörung bedurfte natürlich einer Entwicklung, die im frühen 15. Jhd. einsetzt, aber (nach Verbindung mit zahlreichen Elementen volkstümlichen Hexenglaubens) zur Zeit der schweren Verfolgungswellen ab 1580 Allgemeingut ist - auch und gerade in den gebildeten Schichten. Nicht die Verfolgung war das Verbrechen, sondern die Hexerei war das
crimen exceptum.
Irene schrieb:
Wenn die Kirche die gleiche Ansicht vertritt, wie hier aufgezeigt, warum hat sich dann die Kirche (der Link wurde hier freundlicherweise gepostet) dafür entschuldigt und warum wurde nach fast 500 Jahren Galileo Gallilei rehabilitiert? Nach der hier vertretenen Ansicht wäre das nicht nötig gewesen.
Auch wenn Tradition natürlich für die Kirche (und gerade für die katholische Kirche) eine enorm wichtige Rolle für das religiöse Selbstverständnis spielt, darf man doch nicht übersehen, dass auch die Kirche dem historischen Wandel unterliegt, die Kirche von heute sich also durchaus merklich von der Kirche vor vierhundert Jahren unterscheidet. Und das betrifft - bei aller Bedeutung zentraler gleich bleibender Glaubensgrundsätze - nicht nur die Kirche, sondern auch die Theologie. Ideen, wie sie in früheren Epochen von der Kirche als vereinbar mit dem Glauben propagiert wurden, wie etwa der Glaubenskrieg mit Feuer und Schwert, wie etwa eine simple Werkfrömmigkeit (Stichwort: Ablasshandel), wie etwa die Verbrennung von vermeintlichen Hexen und Ketzern haben sich im Laufe eines Entwicklungsprozesses als unpraktikabel, als problematisch oder gar als der eigentlichen Glaubensbotschaft entgegen stehend herausgestellt. Was damals als richtig galt, muss heute lange nicht mehr als richtig gelten. Und deshalb kann der Papst sich auch heute für Verfehlungen und Sünden der Kirche entschuldigen.
Die Entschuldigung selber (die übrigens weder Inquisition noch Hexenverfolgung explizit erwähnt) ist natürlich vor dem Hintergrund aktueller kritischer Debatten um die historische Rolle der Kirche zu sehen (bei der das fast schon monströs verzerrte Bild gerade von Inquisition und Hexenverfolgung nicht unbedeutend ist). Die Tradition, in der die Kirche steht und die ihr Selbstbewusstsein und Orientierung gibt, hat nach den Maßstäben der heutigen Zeit auch Schattenseiten und eine Entschuldigung hierfür entspricht der Bereitschaft der Kirche, ihr Erbe durchaus kritisch zu sehen. Die Kirche kann sich aber nicht für das Weltbild vergangener Epochen entschuldigen und so wollte die Entschuldigung sich wohl auch kaum verstanden wissen. Eher war die Entschuldigung ein Hinweis darauf, dass die Kirche von heute nicht mehr die Kirche des Mittelalters, der Gegenreformation oder des Kulturkampfes ist. Für weitere Interpretationen, wie furchtbar die Kirche früher gewütet hat und sich deshalb jetzt entschuldigen muss, gibt die Entschuldigung wenig her.
Irene schrieb:
Worüber reden wir dann überhaupt, wenn selbst die Entscheidung der Kirche zu dieser heißen Problematik noch angezweifelt werden soll? Meinst Du nicht auch, dass im Vatikan in den Archiven auch Unterlagen vorhanden sind, die sorgfältig geprüft wurden, bevor die Kirche diesen Schritt tat? Meine Sicht, und sicher nicht nur die meinige, dürfte mit der Sicht der heutigen Kirche also nicht soweit auseinander liegen. Es geht nicht um Bestrafung, es geht einfach nur darum einen Teil der Schuld zu akzeptieren.
Was heißt denn hier anzweifeln? Es geht einfach um einen unterschiedlichen Blick auf die Geschehnisse. Die päpstliche Entschuldigung spricht davon, dass "in manchen Zeiten der Geschichte" Christen Unrecht gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen verübt und zugelassen und damit Schuld auf sich geladen habe. Dafür bittet der Papst im Namen aller Gläubigen Gott um Vergebung und darum, dass sich so etwas nicht wiederhole. Ist natürlich alles schön und richtig, zeigt aber nur, wie sehr die Kirche in der heutigen Zeit die Vergangenheit sieht, und nicht, wie dieses kirchliche Handeln in der entsprechenden Epoche bewertet wurde. "Nur" weil der Past heute richtigerweise sagt, die Kirche hat bisweilen falsch gehandelt, heißt das nicht, dass die betroffenen Zeitgenossen ihr Handeln für falsch gehalten haben.
derLiterat schrieb:
Man muss bei diesem Thema doch klar trennen zwischen Hexenverfolgung, die eher im niederen menschlichen Bereich angesiedelt war, und der Inquisition, die sich gegen Abweichungen des definierten Glaubens, also gegen Wissenschaftler, wahrhaftige Kleriker und gegen lokale Besonderheiten des Glaubens richtete.
Hexenverfolgung war generell nicht im niederen menschlichen Bereich angesiedelt. Obrigkeit wie Untertanen ging es um die Bekämpfung einer vermeintlichen existentiellen Gefahr - wohl kaum etwas, das mit niederen Beweggründen umschrieben werden könnte. Das Beklemmende an Hexenverfolgungen, im Gegensatz zu den genannten Glaubensabweichungen, ist einfach die Tatsache, dass für uns heute ganz klar ist, dass Hexerei nicht existent ist und es demnach keine Schuldigen geben kann und Massen an Menschen dennoch dafür verurteilt wurden. Das war aber nicht für die Zeitgenossen klar und deren Vorgehen gegen Hexerei ist deshalb bei weitem nicht als niederer Beweggrund abzutun.
derLiterat schrieb:
Deshalb die Ausrottungsorgien der Inquisition in Spanien - diese richteten sich gegen den Glauben...
Das ist mal wieder eine der maßlosen Übertreibungen, die sich immer wieder im Umfeld der Themen Inquistion und Hexenverfolgung finden lassen... Du meinst also Ausrottungsorgien wie die, in denen zwischen 1540 und 1700 von der spanischen Inquisition von etwa 44000 Verdächtigen 826 hingerichtet worden sind (also knapp zwei Prozent)? (Zahlen nach Schwerhoff, Inquisition)