Hildegard von Bingen (1098- 1179)

Ich möchte nun nicht die Frage aufwerfen, ob der Heilige Geist nicht gleichbedeutend mit der Weisheit Gottes ist, denn das führt wahrscheinlich - wieder einmal - zu persönlichen Glaubensbekenntnissen, die im Forum nichts verloren haben.

Richtig; Bekenntnisse jeglicher Art wollen wir hier nicht - was auch gut so ist.
Allerdings bedeutet pistis eben auch nicht Gott - das wäre theos -, sondern eben Glaube, Vertrauen, Überzeugung, Treue.

Deshalb lass`ich, das, was Du sagst auch so stehen, aber so ganz nebenbei: Man kann auch den leisesten Anflug von "Häresie" wunderbar in Visionen tarnen. (Meine Familie war im Übrigen einmal "der Häresie Luthers" verfallen - würde heute auch keiner mehr dazu sagen, oder?)

Mir ist zwar vollkommen schleierhaft, was das mit dem Thema zu tun hat, aber ich warte noch immer auf schlüssige Begründungen bzw. zumindest eine schlüssige Begründung, wo gnostische Lehren nicht nur in Häresien wie z.B. von Bogomilen und Katharern, sondern in offizielle theologische Lehren Eingang gefunden haben.
DENN: Möglich ist immer vieles, nur bleibt die Frage, was davon wirklich belegbar, beweisbar oder zumindest ableitbar ist - ansonsten ist und bleibt es nichts als reine Spekulation.

Zur Illustration ein kriminalistisches Beispiel...

Situation: Person A liegt mit schwerer Kopfverletzung am Boden, daneben steht Person B mit einem Hammer in der Hand, dessen Stiel gebrochen ist

Interpretation I: Person B hat Person A mit dem Hammer niedergeschlagen, wobei der Stiel brach

Interpretation II: Person A hat mit dem eigenen Kopf den Hammer von Person B beschädigt

Fazit: Um zu zeigen, daß Interpretation II gegenüber Interpretation I vorzuziehen ist - also daß zutrifft, daß der am Boden Liegende mit seinem Kopf einen fremden Hammer beschädigt hat -, braucht es an der Stelle eine sehr gute und v.a. äußerst schlüssige Begründung!
 
Siehst Du: genau das meinte ich mit dem Messen an modernen Maßstäben.
Du tust es nämlich auch weiterhin, wenn Du unterstellst, daß das "Emanzipatorische" nur gelten gelassen werden kann, wenn die für die damaligen Menschen unantastbare göttliche Weltordnung bzw. gottgewollte Ordnung als solche in Frage gestellt worden wäre. So etwas ist eben ahistorisch, denn für Menschen der damaligen Zeit gefährdete es das eigene Seelenheil, derartige Dinge in Frage zu stellen.

Ob es das Bestreben vieler adliger Frauen war, durch Eintritt in ein Kloster einer ungewollten Heirat zu entgehen, hat übrigens damit nichts zu tun - und auch nicht der Umstand, ob man sie deswegen für besessen hielt o. dgl. ...

Ich messe nicht mit modernen Maßstäben, sondern z. B. mit den Maßstäben von z. B. Tenxtwind, die u. a. sagte, dass vor Gott alle Menschen gleich seien (sehr modern, oder) und es deshalb in den Klöstern kein Ansehen der Person geben dürfe. Meisterin Tenxtwind war ebenso eine angesehene Persönlichkeit ihrer Zeit wie St. Hildegard, deshalb wurden auch ihre Antworten auf Tenxtwinds Briefe - wie man heute weiß - später geschönt oder durch Einschübe versehen. Nochmals zu den Hildegard`schen Ansichten: Sie beklagt den "ekelhaften Zustand" der Kirche (LDO 293). Der Klerus sei weibisch schwach, da er die Seelsorge vernachlässigt und sich Ausschweifungen hingibt. In dieser Epoche, da die "Gebildeten und Starken", also der männliche Klerus versagen, wird die "Ungebildete und Schwache", also eine Frau berufen, die Wahrheit zu künden. Als Prophetin durchbricht sie die Rolle, der sie als Frau unterworfen bleibt: "Rede du", so der göttliche Auftrag, "klein im Geiste, aber in deinem Innern belehrt durch meinen geheimnisvollen Hauch, wenn du auch um der Sünde Evas willen dem Manne untergeordnet bist" (Sci 150). Anders dagegen Vilemina und Mayfreda (vor 1300), die konsequent die Meinung vertraten, dass der Heilige Geist "wahrer Gott und Mensch" weiblich gewesen sei wie Christus wahrer Gott und wahrer Mensch männlichen Geschlechts gewesen sei. Gott inkarniert sich also ihrer Ansicht nach männlich und weiblich. Die Priesterin der Vilemina (oder Guillelma) Mayfreda wurde um 1300 in Mailand verbrannt, zusammen mit dem exhumierten Leichnam der Vilemina, die 1281 schon verstorben war.

Also, soweit zu meinem "Mittelalter-Verständnis".

Gruß Ri:winke:
 
Ich messe nicht mit modernen Maßstäben, sondern z. B. mit den Maßstäben von z. B. Tenxtwind, die u. a. sagte, dass vor Gott alle Menschen gleich seien (sehr modern, oder) und es deshalb in den Klöstern kein Ansehen der Person geben dürfe. Meisterin Tenxtwind war ebenso eine angesehene Persönlichkeit ihrer Zeit wie St. Hildegard, deshalb wurden auch ihre Antworten auf Tenxtwinds Briefe - wie man heute weiß - später geschönt oder durch Einschübe versehen. Nochmals zu den Hildegard`schen Ansichten: Sie beklagt den "ekelhaften Zustand" der Kirche (LDO 293). Der Klerus sei weibisch schwach, da er die Seelsorge vernachlässigt und sich Ausschweifungen hingibt. In dieser Epoche, da die "Gebildeten und Starken", also der männliche Klerus versagen, wird die "Ungebildete und Schwache", also eine Frau berufen, die Wahrheit zu künden. Als Prophetin durchbricht sie die Rolle, der sie als Frau unterworfen bleibt: "Rede du", so der göttliche Auftrag, "klein im Geiste, aber in deinem Innern belehrt durch meinen geheimnisvollen Hauch, wenn du auch um der Sünde Evas willen dem Manne untergeordnet bist" (Sci 150). Anders dagegen Vilemina und Mayfreda (vor 1300), die konsequent die Meinung vertraten, dass der Heilige Geist "wahrer Gott und Mensch" weiblich gewesen sei wie Christus wahrer Gott und wahrer Mensch männlichen Geschlechts gewesen sei. Gott inkarniert sich also ihrer Ansicht nach männlich und weiblich. Die Priesterin der Vilemina (oder Guillelma) Mayfreda wurde um 1300 in Mailand verbrannt, zusammen mit dem exhumierten Leichnam der Vilemina, die 1281 schon verstorben war.

1. Die eingangs genannte Äbtissin - und Kritikerin Hildegards - hieß Tenxwind; bei ihrem Streit ging es jedoch nicht um Rechte der Frauen o.ä., sondern darum, ob Adlige auch im Kloster Vorrang haben sollten oder eben auch Nichtadlige Zugang haben sollten etc. pp. Hierbei gilt es aber wiederum zu beachten, daß Tenxwind von der Bewegung um die pauperes christi geprägt war - im Gegensatz zu Hildegard, die einem edelfreien (also uradligen) Geschlecht entstammte.
2. Die Guglielmiten/Vilemiten waren nun wiederum Häretiker, und sie leugneten dementsprechend kirchliche Lehren und Sakramente (ob und inwieweit Berührungspunkte mit gnostischen Lehren bestehen, lasse ich an der Stelle einmal dahingestellt).
Anm.: Für Mitleser sei dazu auf den Überblick Guglielmiten – Wikipedia verwiesen...

Verstehe ich Dich dahingehend richtig, daß Du das Prädikat "feministisch" dementsprechend nur gelten läßt, wenn es mit häretischen Vorstellungen oder der pauperes christi Bewegung verbunden ist?
 
@ thimotheus:

Was die Gnosis betrifft, so hätte ich für die Übernahme aus deren bekanntlich noch in der Spätantike als Häresie verurteilten Lehren von amtskirchlichen Peronen im europäischen Hochmittelalter gern einen Beleg, einen Beweis oder zumindest eine sehr schlüssige Begründung.

Ich kann weder mit dem einen noch mit dem anderen dienen, aber ich meine irgendwie - und mutmaßlich im Zusammenhang etwa Meister Ekkarts - über eine Verbindung zwischen Gnosis und Mystik gelesen zu haben.
Aber immerhin hier heißt es: "Die Geschichte der Gnosis ab dem 7. Jahrhundert führt zu Bewegungen wie den Bogumilen, den Manichäern und den Katharern sowie zu herausragenden Persönlichkeiten wie Meister Eckhart und Jakob Böhme." (Botschafter der Gnosis 2 – Katharer, Mystiker, Rosenkreuzer | Lectorium Rosicrucianum | Rosenkreuzer) Allerdings würde ich nicht garantieren, daß es diese Beziehung demnach auch so geben muß. Der Link überzeugt mich persönlich noch nicht sehr!
 
Ich kann weder mit dem einen noch mit dem anderen dienen, aber ich meine irgendwie - und mutmaßlich im Zusammenhang etwa Meister Ekkarts - über eine Verbindung zwischen Gnosis und Mystik gelesen zu haben.
Aber immerhin hier heißt es: "Die Geschichte der Gnosis ab dem 7. Jahrhundert führt zu Bewegungen wie den Bogumilen, den Manichäern und den Katharern sowie zu herausragenden Persönlichkeiten wie Meister Eckhart und Jakob Böhme." (Botschafter der Gnosis 2 – Katharer, Mystiker, Rosenkreuzer | Lectorium Rosicrucianum | Rosenkreuzer) Allerdings würde ich nicht garantieren, daß es diese Beziehung demnach auch so geben muß. Der Link überzeugt mich persönlich noch nicht sehr!

Erst einmal zum Link bzw. der Seite selbst: da geht es mir ganz wie Dir; sie überzeugt mich nicht gerade. Außerdem hat sie weltanschauliche Schlagseite - vgl. dazu bspw. den Überblick Rosenkreuzer – Wikipedia

Dann zum grundsätzlichen Verständnis: ich bestreite ja überhaupt nicht die mystischen Elemente und Züge, welche man später in anderen - eben auch in christlichen - Mystiken wiederfindet. Die Frage ist aber, ob dies eben Elemente und Züge sind, die für die Mystik typisch sind und eben sowohl in der Gnosis bzw. dem Gnostizismus als auch bei späteren christlichen Mystikern wie Meister Eckhart auftauchen, oder ob es sich um das Fortbestehen gnostischer Lehren handelt. Erstgenanntes ist relativ unproblematisch, aber auch recht unspektakulär, Letztgenanntes wäre eben zu beweisen bzw. schlüssig aufzuzeigen.
Möglicherweise könnte diesbezüglich das in buechernachlese - Peter Koslowski (Hg.): Gnosis und Mystik in der Geschichte der Philosophie besprochene Buch einigermaßen aufschlußreich sein; allerdings kann ich dies nicht endgültig beurteilen, denn ich kenne dieses Sammelwerk von Peter Koslowski nicht...
 
Verstehe ich Dich dahingehend richtig, daß Du das Prädikat "feministisch" dementsprechend nur gelten läßt, wenn es mit häretischen Vorstellungen oder der pauperes christi Bewegung verbunden ist?

Schon wieder so ein Missverständnis: Ich versuche nur mit diesen Beispielen klar zu machen, dass es in der Geisteswelt des Mittelalters durchaus Menschen gab, die es gewagt haben - und dazu gehörte durchaus eine Riesenportion Mut - über ihren Tellerrand hinauszuschauen. Das tat Hildegard nicht! Ihre feiertäglichen Feste, die sie und ihre Nonnen mit wallenden Haaren, blumengeschmückt, begingen, waren Feste adeliger Töchter und entsprachen nicht der von Paulus geforderten Schlichtheit (also - mit den Augen ihrer Zeit gesehen - nicht bibelgerecht und da hat sie Tenxwind - sorry für die Verschreiberli - zu Recht getadelt). Sie hat sich eher mehr als Mann in einem weiblichen "schwachen" Körper gesehen (so hat sie es nicht ausgedrückt - aber es ist so zu interpretieren), deshalb sind die vermuteten frühen "feministischen" Anklänge durchaus nicht als solche zu werten.
Dann frage ich Dich, was sind "häretische" Vorstellungen, als Abkömmling lutherischer "Häretiker" bin ich es gewohnt, auch einmal die schmaleren Gemsenstiege des Geistes zu gehen.
Übrigens Tenxwinds Bruder war Richard von Springiersbach, sie war also durchaus adelig (wenn auch die Mutter Benigna aus einem Geschlecht unfreier Dienstmannen stammte, das in den Adel aufgegangen war) als Nichtadelige hätte sie es wohl kaum zur Meisterin des Marienklosters Andernach gebracht, sondern höchstens als Konverse für die adeligen Nonnen arbeiten dürfen.
Dann darf man nicht vergessen, dass Hildegard Benediktinerin war, eine entscheidende Benediktsregel lautet (Cap. 2) der Abt "mache im Kloster keinen Unterschied der Person, ob Sklave, oder freier Mann, in Christus sind wir alle eins" (n. Eph 6,8). Deshalb war Tenxwinds Tadel auch aus der Sicht der Benediktiner angebracht.
Weiterhin spielt es sehr wohl eine Rolle wie die Situation der Frauen allgemein damals war und dass sie ihr Heil oft in der Flucht in ein Kloster suchten, weil gerade in den Frauenklöstern mehr Freiheit für sie zu finden war und die Mitgift - für das eigene Seelenheil und dem der Familie an das Kloster gegeben - nicht von einem Ehemann sinnlos verschwendet wurde. Wenn man so will, sind allgemein in den Frauenklöstern der damaligen Zeit gewisse Ansätze eines frühen Feminismus zu finden, dies ist nicht Hildegard-spezifisch. Zur Unterstreichung das Gebet ewiger Dankbarkeit der Mystikerin und Kartäusernonne Margarete d'Oingt (+1310): "Süßer Herr, wenn du mir keine andere Gnade erwiesen hättest, als die, dass du nicht erlaubt hast, dass ich in der Knechtschaft und Unterwerfung durch einen Mann lebe, so hast du mir schon genug getan".
Hildegard selbst würde es sehr wahrscheinlich ablehnen, mit dem Begriff "Feminismus" überhaupt in Verbindung gebracht zu werden. Sie steht für das rechte Maß in allen Dingen - in der seelischen und leiblichen Verbindung (auch in der Sexualität) - und das ist immer gültig, insbesondere gerade auch in unserer Zeit. Sie war eine der fleißigsten Arbeiterinnen im "Weinberg des Herrn". Ihre Verdienste sind nicht genug zu schätzen, da braucht`s auch nicht im Ansatz den Versuch "einer feministischen Hagiographie".
Ich hoffe, lieber Timotheus, ich konnte halbwegs verständlich machen, was ich meine - und sei versichert, durch meine privaten Arbeiten bin ich oft zu sehr gezwungen in der Geisteswelt des Mittelalters zu leben, als dass ich Hildegard nur mit "modernen" Augen sehen könnte.

Herzl. Gruß Ri:serenade:
 
Weiterwirken der Gnosis

Nachdem sich dieser Thread in #16 gegabelt hat, hier meine Meinung zum Gnosis-Problem.

Die Frage ist aber, ob dies eben Elemente und Züge sind, die für die Mystik typisch sind und eben sowohl in der Gnosis bzw. dem Gnostizismus als auch bei späteren christlichen Mystikern wie Meister Eckhart auftauchen, oder ob es sich um das Fortbestehen gnostischer Lehren handelt. Erstgenanntes ist relativ unproblematisch, aber auch recht unspektakulär, Letztgenanntes wäre eben zu beweisen bzw. schlüssig aufzuzeigen.

Gnostische Lehren sind sicherlich nicht offen und für die Gläubigen erkennbar in den christlichen Glaubenskanon integriert worden. Neben vielen anderen hat Rudolph jedoch nachwiesen, dass es starke "subkutane" Einflüsse gibt; siehe seinen knappen Ausblick zu Metamorphose und Wirkungsgeschichte der Gnosis. [1]

Man kann übrigens auch mit Weiss [2] die Auffassung vertreten, dass umgekehrt eine "Integration des ur- und frühchristlichen Schrifttums in ein genuin gnostisches Rahmenkonzept" erfolgte. Aber das führt hier sicher zu weit.

Was die "Pistis Sophia" betrifft, so hat mein Namensvetter Carl 1905 die bis heute gültige deutsche Fassung herausgebracht. Für Laien wie mich ist das freilich eine etwas mühsame Lektüre.


[1] Die Gnosis: Wesen und Geschichte ... - Google Bücher
[2] Frühes Christentum und Gnosis: eine ... - Google Bücher
 
Schon wieder so ein Missverständnis...

Das macht nichts; es sind noch einige weitere dazugekommen :fs:

Ich versuche nur mit diesen Beispielen klar zu machen, dass es in der Geisteswelt des Mittelalters durchaus Menschen gab, die es gewagt haben - und dazu gehörte durchaus eine Riesenportion Mut - über ihren Tellerrand hinauszuschauen.

Niemand hat etwas Gegenteiliges behauptet: nur ist die Frage, ob und inwieweit dies mit expliziten Frauenrechten zu tun hat oder aber eben z.B. mit theologischen und/oder kirchenrechtlichen Fragen, mit Geburtsständen, mit pauperes christi vs. Amtskirche bzw. zu dieser konformen Sichtweisen etc. ...

Die nächste spannende Frage dazu wäre übrigens, von welchem "Tellerrand" wir dabei sprechen; zur Verdeutlichung einige andere Beispiele.
Wagte Hughues de Payens, der Begründer des Templerordens, den Blick über den eigenen Tellerrand? Ja, denn er wollte die moralische Elite der Ritter in einer neuen Bruderschaft vereinen, und ebenso geht auf ihn die Zusammenführung des ritterlichen mit dem mönchischen Ideal zurück. Nein, denn letztendlich ließ er jeden ritterbürtigen Adligen als Ordensneumitglied zu, und ebenso spiegelte sich die Dreiteilung der Stände nahezu 1:1 in den Ordensprofessionen wider: Ritter, Priester, dienende Brüder.
Wagte Raymond du Puy, der de jure erste, de facto zweite Meister des Johanniterordens, den Blick über den eigenen Tellerrand? Ja, denn unter ihm begann die Transformation des bestehenden Hospitalsordens durch die Ausweitung der Tätigkeit auf das Militärische. Nein, denn er stieß damit eine Entwicklung an, die eine Struktur analog der bei den Templern (vgl. oben) genannten Punkte verfestigte; es spiegelte sich die Dreiteilung der Stände nahezu 1:1 in den Ordensprofessionen wider: Ritter, Priester, dienende Brüder.

Das tat Hildegard nicht! Ihre feiertäglichen Feste, die sie und ihre Nonnen mit wallenden Haaren, blumengeschmückt, begingen, waren Feste adeliger Töchter und entsprachen nicht der von Paulus geforderten Schlichtheit (also - mit den Augen ihrer Zeit gesehen - nicht bibelgerecht und da hat sie Tenxwind - sorry für die Verschreiberli - zu Recht getadelt). Sie hat sich eher mehr als Mann in einem weiblichen "schwachen" Körper gesehen (so hat sie es nicht ausgedrückt - aber es ist so zu interpretieren)...

Und das zeigt was?
Daß sich nicht alle Menschen der damaligen Zeit incl. Kirchenleute an biblische insbes. neutestamentliche Aussagen hielten und daß es Leute gab, die dies zu Recht kritisierten?
Auch das hat nirgendwo jemand ernsthaft bestritten.

Es ist mir jedenfalls schleierhaft, wie daraus
... deshalb sind die vermuteten frühen "feministischen" Anklänge durchaus nicht als solche zu werten.
abzuleiten ist...

Dann frage ich Dich, was sind "häretische" Vorstellungen, als Abkömmling lutherischer "Häretiker" bin ich es gewohnt, auch einmal die schmaleren Gemsenstiege des Geistes zu gehen.

Wenn ich in mittelalterlichen Themen von "häretischen Vorstellungen", "Häretikern" und/oder "Häresien" spreche, dann hat das nichts mit meiner Meinung darüber zu tun o.ä., sondern es ist damit das gemeint, was die offizielle Lehrmeinung der Kirche - sofern wir dies für das Mittelalter so spezifizieren können - als "häretischen Vorstellungen", "Häretikern" und/oder "Häresien" betrachtete und bezeichnete (und was übrigens gemeinhin auch von Historikern dementsprechend klassifiziert wird).

Übrigens Tenxwinds Bruder war Richard von Springiersbach, sie war also durchaus adelig (wenn auch die Mutter Benigna aus einem Geschlecht unfreier Dienstmannen stammte, das in den Adel aufgegangen war) als Nichtadelige hätte sie es wohl kaum zur Meisterin des Marienklosters Andernach gebracht, sondern höchstens als Konverse für die adeligen Nonnen arbeiten dürfen.

Ich hatte die adlige Herkunft der Tenxwind nirgendwo bestritten, sondern darauf hingewiesen, daß sie mit der pauperes christi Bewegung aufgewachsen war. Und das ist dabei nun einmal keine Randbedingung, sondern essentiell wichtig und bedeutsam!

Dann darf man nicht vergessen, dass Hildegard Benediktinerin war, eine entscheidende Benediktsregel lautet (Cap. 2) der Abt "mache im Kloster keinen Unterschied der Person, ob Sklave, oder freier Mann, in Christus sind wir alle eins" (n. Eph 6,8). Deshalb war Tenxwinds Tadel auch aus der Sicht der Benediktiner angebracht.

Natürlich war die Kritik berechtigt - bestreitet auch wiederum niemand -, nur sind hinsichtlich der Benediktiner(innen) einerseits zeitliche Entwicklungen zu beachten (daß es immer wieder - insbesondere auch im 11. Jh. - innerkirchliche Reformbewegungen gab, hat seine Gründe), während da nun auch wieder nur ein Bezug zum Ständischen etc. gegeben ist und nichts mit expliziten Frauenrechten o. dgl. zu tun hat.

Weiterhin spielt es sehr wohl eine Rolle wie die Situation der Frauen allgemein damals war und dass sie ihr Heil oft in der Flucht in ein Kloster suchten, weil gerade in den Frauenklöstern mehr Freiheit für sie zu finden war und die Mitgift - für das eigene Seelenheil und dem der Familie an das Kloster gegeben - nicht von einem Ehemann sinnlos verschwendet wurde. Wenn man so will, sind allgemein in den Frauenklöstern der damaligen Zeit gewisse Ansätze eines frühen Feminismus zu finden, dies ist nicht Hildegard-spezifisch. Zur Unterstreichung das Gebet ewiger Dankbarkeit der Mystikerin und Kartäusernonne Margarete d'Oingt (+1310): "Süßer Herr, wenn du mir keine andere Gnade erwiesen hättest, als die, dass du nicht erlaubt hast, dass ich in der Knechtschaft und Unterwerfung durch einen Mann lebe, so hast du mir schon genug getan".

Wie die Stimmung um 1300 herum war, hilft uns nun zur Beurteilung einer Frau, die um 1100 herum lebte und wirkte, kaum weiter, aber daran ziehe ich mich jetzt nicht auf.
Was auch hier wieder einmal gilt: Dem unterstrichenen Satz kann ich bedenkenlos zustimmen, denn ich habe nirgendwo etwas Gegenteiliges behauptet. Und auch den anderen genannten Punkten und Aspekten hatte ich nirgendwo widersprochen...

Hildegard selbst würde es sehr wahrscheinlich ablehnen, mit dem Begriff "Feminismus" überhaupt in Verbindung gebracht zu werden. Sie steht für das rechte Maß in allen Dingen - in der seelischen und leiblichen Verbindung (auch in der Sexualität) - und das ist immer gültig, insbesondere gerade auch in unserer Zeit. Sie war eine der fleißigsten Arbeiterinnen im "Weinberg des Herrn". Ihre Verdienste sind nicht genug zu schätzen, da braucht`s auch nicht im Ansatz den Versuch "einer feministischen Hagiographie"...

... den ich weder unternommen habe noch unternehmen will - siehe meinen ersten Beitrag in diesem Thread. Mir erscheinen nur die Begründungen, weswegen Du diesen Ansatz ablehnst, eben nicht schlüssig genug.

Ich hoffe, lieber Timotheus, ich konnte halbwegs verständlich machen, was ich meine - und sei versichert, durch meine privaten Arbeiten bin ich oft zu sehr gezwungen in der Geisteswelt des Mittelalters zu leben, als dass ich Hildegard nur mit "modernen" Augen sehen könnte.

Interessant; ich bin jetzt seit etwa 10 Jahren in der Living History unterwegs - und verfolge dies in Verbindung mit akribischen Recherchen, soweit sie einem Hobbyhistoriker möglich sind - und bin mit jedem weiteren Rechercheschritt mehr und mehr zur Erkenntnis gelangt, daß wir heutzutage bestenfalls versuchen können, die Geisteswelt des Mittelalters zu verstehen, aber niemals zu wirklichem Verstehen dessen in der Lage sind - geschweige denn, daß wir in der Geisteswelt des Mittelalters leben könnten.
 
Nachdem sich dieser Thread in #16 gegabelt hat, hier meine Meinung zum Gnosis-Problem.

...

Gnostische Lehren sind sicherlich nicht offen und für die Gläubigen erkennbar in den christlichen Glaubenskanon integriert worden. Neben vielen anderen hat Rudolph jedoch nachwiesen, dass es starke "subkutane" Einflüsse gibt; siehe seinen knappen Ausblick zu Metamorphose und Wirkungsgeschichte der Gnosis. [1]

Man kann übrigens auch mit Weiss [2] die Auffassung vertreten, dass umgekehrt eine "Integration des ur- und frühchristlichen Schrifttums in ein genuin gnostisches Rahmenkonzept" erfolgte. Aber das führt hier sicher zu weit.

Was die "Pistis Sophia" betrifft, so hat mein Namensvetter Carl 1905 die bis heute gültige deutsche Fassung herausgebracht. Für Laien wie mich ist das freilich eine etwas mühsame Lektüre.


[1] Die Gnosis: Wesen und Geschichte ... - Google Bücher
[2] Frühes Christentum und Gnosis: eine ... - Google Bücher

Einflüsse - noch dazu "subkutan" - bestreite ich ja gar nicht: wenn man sich mit etwas auseinandersetzen muß, gibt es natürlich "unterschwellige" Einflüsse (auch wenn man sich feindlich auseinandergesetzt hat).
Das ist aber eine andere Kategorie bzw. Qualität als die Übernahme von Lehren, Übernahme aus anderen Lehren o. dgl. ...
 
Timotheus: "Wie die Stimmung um 1300 herum war, hilft uns nun zur Beurteilung einer Frau, die um 1100 herum lebte und wirkte, kaum weiter, aber daran ziehe ich mich jetzt nicht auf".

Das Frauenbild hatte sich meines Wissens in der Zeit zwischen 1100 und 1300 nicht geändert. Deshalb war es wohl auch unter den Frauen um 1300 die gleiche Stimmung wie die der Frauen um 1100.


Timotheus: "Mir erscheinen nur die Begründungen, weswegen Du diesen Ansatz ablehnst, eben nicht schlüssig genug".

Mir erscheint es schon schlüssig genug, diesen Ansatz abzulehnen, da Hildegard nur den "Jungfrauen" eine höhere Wertstellung gibt (ham wa ja teilweise heute noch), im Übrigen sieht sie den Mann höherwertig an als Frauen und strebt - wie schon erwähnt - eine Vervollkommnung des "männlichen" Teils ihrer Seele an und da geht sie vollkommen konform mit der damaligen Lehrmeinung und dem Frauenbild der Zeit - da kann ich beim besten Willen nicht diesen "obemelten" Ansatz erkennen.


Timotheus: "Interessant; ich bin jetzt seit etwa 10 Jahren in der Living History unterwegs - und verfolge dies in Verbindung mit akribischen Recherchen, soweit sie einem Hobbyhistoriker möglich sind - und bin mit jedem weiteren Rechercheschritt mehr und mehr zur Erkenntnis gelangt, daß wir heutzutage bestenfalls versuchen können, die Geisteswelt des Mittelalters zu verstehen, aber niemals zu wirklichem Verstehen dessen in der Lage sind - geschweige denn, daß wir in der Geisteswelt des Mittelalters leben könnten."

Möglicherweise bist Du da im Recht, aber getrost - je älter ich werde, um so mehr erkenne ich, dass sich zwar unsere Rechte in der Welt mehr oder weniger zum Positiven geändert haben, aber im Grunde die Menschen die Gleichen geblieben sind. Alle sog. Weisheiten sind nur Lippenbekenntnisse, in unseren Handlungen bleiben wir doch unverändert. Insofern sehe ich mich in einem gewissen Unverständnis für die Geisteshaltung der Moderne - mit ihrem Wirrwar - und uns im Heute, aufgrund unserer Handlungen, vom Prinzip des mittelalterlichen Denkens gar nicht sooo weit entfernt.

Aber vielen Dank und Gruß Ri :lupe:
 
Es ist sehr schade, daß Dein letzter Beitrag etwas schwer lesbar und zitierbar ist, aber ich denke, es wird trotzdem gehen...

@Stimmung um 1300 vs. Stimmung um 1100:
Ich sprach nicht vom Frauenbild - das übrigens durchaus um 1100 und um 1300 nicht so monolithisch gleichbleibend war wie gemeinhin angenommen, aber egal -, sondern von der Stimmung, welche die Menschen allgemein erfaßte, bewegte etc.
Als Hinweis: Um 1100 stehen wir noch mitten im Zeitalter der Reformpäpste und am Anfang der Kreuzzugsbegeisterung, um 1300 kriselt es bereits seit Jahren in der Amtskirche, so daß die päpstliche Autorität mehr und mehr absinkt (was im 1309 beginnenden Exil von Avignon (Babylonische Gefangenschaft der Kirche) gipfelt), und jene (traditionelle) Kreuzzugsbegeisterung, welche das 12. und 13. Jh. noch stark wie nachhaltig prägte, ist inzwischen nahezu vollständig abgeebbt.

@Ablehnung des Ansatzes bzw. der These:
Es ist ja schön und gut, daß Du Deine Begründung nochmals wiederholt hast, aber sie wurde dadurch für mich nicht schlüssiger - und darum ging es.
Davon abgesehen: lies mal nach bspw. auf Hildegard von Bingen - und bitte nicht nur die Zeilen wahrnehmen, die zu Deinen Aussagen passen, sondern den gesamten Text:
Hildegards Stellung in der Geschichte der Frauen schrieb:
Wie oben zitiert gelang es Hildegard , innerhalb einer patriarchalischen Gesellschaft eine neue Frauenrolle zu leben. Sie verband Spiritualität, moralische Autorität und öffentliches Handeln und wurde damit zum Vorbild für kommende Generationen. Sie leitete ihre Autorität von den Visionen ab, in denen Gott direkt zu ihr sprach. Letzteres ließ sie sich von den höchsten kirchlichen Würdenträgern bestätigen. Feministische Historikerinnen wie Gerda Lerner sehen hier eine Form der "Selbstautorisierung". Da es Frauen nicht möglich war, in den Klerikerstand aufgenommen zu werden, blieben ihr auch die Kathedralschulen verschlossen. Als Klosterfrau jedoch hatte sie Zugang zu Stätten der Bildung, die sie später weiterentwickelte.
Hildegard kannte die lateinische Fassung der Bibel, die Texte der Kirchenväter, die medizinischen Theorien des Claudius Galen. Sie schrieb und predigte lateinisch. Sie scheint die traditionelle Festlegung der geschlechtsspezifischen Rollen, wie sie von den Kirchenvätern gelehrt werden, grundsätzlich akzeptiert zu haben.
Allerdings wertete sie das theologische Frauenbild auf. Sie belegte Gott mit Attributen , die allgemein als weiblich galten. Die den Frauen zugeschriebene Schwäche wandelte sie in einen Vorteil um: Gott erwählt die Schwachen, um die Starken zu beschämen. Die größere Gottesfurcht der Frauen führt zur sapientia, der Weisheit.
In der Erschaffung Evas aus Adams Rippe lag für die Theologen der Grund für die Minderwertigkeit der Frau. Hildegard sah darin nichts Minderwertiges, sondern argumentierte, dass das Fleisch eines Menschen besseres Material zur Erschaffung eines Menschen sei als Lehm. Für sie war die Frau in gleichem Maße ein Ebenbild Gottes wie der Mann.( Genesis 1, 27). Sie wies die Alleinschuld Evas an der Vertreibung aus dem Paradies zurück und schloss sich damit Augustinus an, der betont , das beide Geschlechter gleichermaßen verantwortlich sind.
Für sie hatten beide Geschlechter gleichen Rang und waren auf einander angewiesen. Als Äbtissin nutzte und erweiterte sie den Freiraum, den das Klosterleben bot. Sie beschränkte sich nicht auf das Kloster, sondern griff mit Predigten, Briefen, Büchern und Reisen in das geistliche und politische Leben ein.
Man könnte sie nach heutigen Maßstäben als frühes Beispiel für eine "Frau in einer Führungsposition" bezeichnen...
Anm.: Hildegard trat selbst übrigens in ihrer Rolle als Äbtissin - anders als ihre Vorgängerinnen - bspw. auch mit dem Krummstab auf, der ansonsten eigentlich nur einem Kirchenmann aufwärts des Bischofs gebührte...

@Geisteshaltung:
Biologisch mögen wir die gleichen Menschen sein, und ich bin auch geneigt zuzugeben, daß wir nach wie vor sehr grausam sein können o. dgl., dennoch aber trennen selbst den katholischen Christen von heute (er steht ja immerhin vergleichsweise direkt in der religiösen Tradition) Welten vom mittelalterlichen Menschen. Warum das so ist? Nun; ein wichtiger Ansatzpunkt dazu ist, daß unsere Gedankenwelt recht nachhaltig vom (Neo-)Humanismus und von der Auklärung geprägt ist.
Nur einige Kurzbeispiele dazu...
1. Heutzutage folgt man gern einem Aufruf o.ä., um Geld für arme Menschen oder für Menschen auf einem anderen Erdteil zu spenden. Das wäre im europäischen Mittelalter niemandem in den Sinn gekommen!
2. Heutzutage diskutieren wir - von nationalistisch verbohrten u.ä. Extremisten einmal abgesehen - interkonfessionell, interreligiös und interkulturell. Im europäischen Mittelalter wußte jede(r), daß nur die christliche Religion die Wahrheit in sich hatte und alle anderen Ungläubige waren, welche die göttliche Weltordnung gefährden konnten.
3. Daran anknüpfend: Wenn der Unglaube bzw. die Ungläubigen die göttliche Weltordnung wirklich gefährdeten, so war es ein Werk des Glaubens, gegen sie zu kämpfen und sie sogar zu töten (man sollte natürlich grundsätzlich als Christ gar keinen Menschen töten, doch wenn gläubige Christen unter der Herrschaft Ungläubiger litten, so war es besser, ihnen zu helfen als dem tatenlos zuzusehen). So etwas heute zu verfolgen, stieße auf breite Kritik und würde erheblichen (pazifistischen wie übrigens auch kirchlichen) Gegenwind verursachen - und das zu Recht!
4. Ebenso finden wir es heute auch nicht in Ordnung, wenn Menschen von ihrem Grund und Land vertrieben werden u. dgl. Auch das sah der mittelalterliche Mensch ganz anders: Für das, was rechtens war, war nur wichtig, ob man seinen Gott auf seiner Seite hatte; und das Land, was einem Gott schenkte (indem er einen selbst z.B. den Kampf gewinnen und überleben ließ), gehörte einem zu Recht.
5. Daraus ist der wichtigste Punkt abzuleiten: der mittelalterliche Mensch kannte i.d.S. kein Unrechtsbewußtsein (Gründe siehe 2. bis 4.), Menschen der Neuzeit jedoch schon - und wir erst recht!
 
Ich verschließe mich nicht den Verdiensten von Hildegard, aber alles, was von ihr in vermeintlich "feministischer" Richtung gesagt wird, trifft auf eine Vielzahl von Äbtissinnen des 11./12. Jhdts zu. Eine große Äbtissin war Theophanu von Essen (+1058), eine Enkelin Kaiser Ottos II, die nicht nur ebenfalls die Äbtissin zweier Klöster war - mit viel Bautätigkeit - sondern auch nebenbei als Pröpstin eines anderen Klosters fungierte. Dann ein wirklich feministischer Zug in Fontrevault ("Doppelkloster") mit der Äbtissin Petronilla von Chemillé. Am 28.10.1115 gelang dort die völlige Unterordnung aller männlichen wie weiblichen "Religiosen", ebenso von Priestern wie von Laien, unter die Schwestern. Nicht nur meiner Erkenntnis nach konnten sich an der Zeitenwende des 1. Jahrtausends die Klosterfrauen "mehr erlauben" als die weltlichen Damen, wenn diese nicht gerade mit einer Seele von einem Ehemann gesegnet waren. In rechtlicher Hinsicht verschlechterte sich dann allmählich ab Mitte des 13. Jahrhunderts die Situation in den Frauenklöstern. Dass St. Hildegard ungestraft Kaiser und Papst schelten durfte, lag an ihren anerkannten Visionen - sie galt als die "Posaune Gottes" - die sie als besondere Fähigkeit auch einsetzte. Ich selbst habe nicht nur einige Biographien über St. Hildegard gelesen (jede mit einer anderen Ansicht über St. Hildegard), sondern auch eine Vielzahl ihrer Werke, besitze auch selbst eine alte Ausgabe von "De Physica" mit dem ganz speziellen Latein St. Hildegards, das ich als des Lateins Unkundige ganz gut verstehen kann. Ihre Ratschläge in Medizin sollte man befolgen (sie haben mir das Leben gerettet). Und wenn jemand bei ihr Ansätze einer Vorstufe oder eines frühen Feminismus sehen will, es sei im unbenommen, so hat jeder eben "seine" Hildegard. Aber ich kann mich einfach nicht dazu entschließen, in dieser Hinsicht eine Einzigartigkeit zu sehen. Da müsste man ein empirisches Studium aller Äbtissinnen dieser Zeit anstreben - eine Lebensaufgabe.

Zu dem fehlenden Unrechtsbewusstein des Mittelalters, Du meinst wohl die der Führungsschicht. Der Bauer wusste wohl, wann ihm Unrecht geschah. Der Adel nahm sich einfach alle Rechte, natürlich gab man auch den Armen (um des eigenen Seelenheils), oft hatte selbst der Klerus keine Macht über die Herrschaften. Während meiner privaten Forschungsarbeiten habe ich viele "Geschichtchen" gelesen, die einem heute erheitern mögen, aber sich, wenn man versucht, in die Situation hineinzudenken, wie eine dunkle Last darauf legt. Die heutigen Erkenntnisse und Gesetze haben wir nicht, weil die Menschen sich eines Besseren besonnen haben, sondern weil man es ihnen mit Gewalt beigebracht hat, beispielsweise in der Französischen Revolution als die Köpfe der herrschenden Arroganz unter der Guillotine rollten und dann natürlich die technische Revolution, dieser Fortschritt, der uns täglich immer wieder einholt, unser Segen, unser Fluch. Die heutigen Spendenmarathone sind auch Folge des weltumspannenden Mediennetzes, während im Mittelalter man oft nicht wusste, was im Nachbarort geschah.

Zum Abschluss ein mittelalterliches Gesetz, Hörige betreffend: "So ein Höriger stirbt, soll man das Besthaupt (beste Stück Vieh) aus dem Stalle holen. So er keins hat, soll man ihm das Bett unter dem Arse wegziehen".
Und noch eine Quelle: www.light-edition.net/fantasy/uebersicht/pdf/frauen

Noch einen schönen Abend
Ri:scheinheilig:
 
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Ich verschließe mich nicht den Verdiensten von Hildegard, aber alles, was von ihr in vermeintlich "feministischer" Richtung gesagt wird, trifft auf eine Vielzahl von Äbtissinnen des 11./12. Jhdts zu. Eine große Äbtissin war Theophanu von Essen (+1058), eine Enkelin Kaiser Ottos II, die nicht nur ebenfalls die Äbtissin zweier Klöster war - mit viel Bautätigkeit - sondern auch nebenbei als Pröpstin eines anderen Klosters fungierte. Dann ein wirklich feministischer Zug in Fontrevault ("Doppelkloster") mit der Äbtissin Petronilla von Chemillé. Am 28.10.1115 gelang dort die völlige Unterordnung aller männlichen wie weiblichen "Religiosen", ebenso von Priestern wie von Laien, unter die Schwestern. Nicht nur meiner Erkenntnis nach konnten sich an der Zeitenwende des 1. Jahrtausends die Klosterfrauen "mehr erlauben" als die weltlichen Damen, wenn diese nicht gerade mit einer Seele von einem Ehemann gesegnet waren. In rechtlicher Hinsicht verschlechterte sich dann allmählich ab Mitte des 13. Jahrhunderts die Situation in den Frauenklöstern. Dass St. Hildegard ungestraft Kaiser und Papst schelten durfte, lag an ihren anerkannten Visionen - sie galt als die "Posaune Gottes" - die sie als besondere Fähigkeit auch einsetzte. Ich selbst habe nicht nur einige Biographien über St. Hildegard gelesen (jede mit einer anderen Ansicht über St. Hildegard), sondern auch eine Vielzahl ihrer Werke, besitze auch selbst eine alte Ausgabe von "De Physica" mit dem ganz speziellen Latein St. Hildegards, das ich als des Lateins Unkundige ganz gut verstehen kann. Ihre Ratschläge in Medizin sollte man befolgen (sie haben mir das Leben gerettet). Und wenn jemand bei ihr Ansätze einer Vorstufe oder eines frühen Feminismus sehen will, es sei im unbenommen, so hat jeder eben "seine" Hildegard. Aber ich kann mich einfach nicht dazu entschließen, in dieser Hinsicht eine Einzigartigkeit zu sehen. Da müsste man ein empirisches Studium aller Äbtissinnen dieser Zeit anstreben - eine Lebensaufgabe.

Hatte ich irgendwo etwas Gegenteiliges behauptet?

Zu dem fehlenden Unrechtsbewusstein des Mittelalters, Du meinst wohl die der Führungsschicht. Der Bauer wusste wohl, wann ihm Unrecht geschah. Der Adel nahm sich einfach alle Rechte, natürlich gab man auch den Armen (um des eigenen Seelenheils), oft hatte selbst der Klerus keine Macht über die Herrschaften. Während meiner privaten Forschungsarbeiten habe ich viele "Geschichtchen" gelesen, die einem heute erheitern mögen, aber sich, wenn man versucht, in die Situation hineinzudenken, wie eine dunkle Last darauf legt. Die heutigen Erkenntnisse und Gesetze haben wir nicht, weil die Menschen sich eines Besseren besonnen haben, sondern weil man es ihnen mit Gewalt beigebracht hat, beispielsweise in der Französischen Revolution als die Köpfe der herrschenden Arroganz unter der Guillotine rollten und dann natürlich die technische Revolution, dieser Fortschritt, der uns täglich immer wieder einholt, unser Segen, unser Fluch. Die heutigen Spendenmarathone sind auch Folge des weltumspannenden Mediennetzes, während im Mittelalter man oft nicht wusste, was im Nachbarort geschah.

Auch ein Adliger wußte durchaus, wann ihm Unrecht geschah, aber das war damit auch überhaupt nicht gemeint gewesen.
Anm.: Wenn Du übrigens die Diskussion auf Basis der von mir im zitierten Teil Deines Beitrages durch Unterstreichung hervorgehobenen Textpassagen führen willst, können wir uns in der Tat jegliche weitere Diskussionen über historische Themengebiete schenken...

PS: Desweiteren würde ich es doch sehr begrüßen, wenn Du nicht fortwährend gegen Aussagen angehen würdest, welche ich so gar nicht getätigt habe. Vielen Dank.
 
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