Hindenburg ernannte Hitler

Die Vermutung, dass Hindenburg senil gewesen sei, muss schon kurz nach der Machtergreifung aufgekommen sein. In einem politischen Witz aus dieser Zeit (für den es damals einige Jahre KZ gab) heißt es:
Zeitgenössische Vermutungen und erdachte Anekdötchen, Witze etc., ja das machte lange das Bild von historischen Persönlichkeiten in der Geschichtsbetrachtung aus.
:fs:
 
Man sollte hier wohl weniger auf Hindenburg selber, seine Berater oder seine möglichen geistigen Defizite abheben.
Das Kernthema war doch letztlich das grundsätzliche Strukturproblem jeder Demokratie: Ist es akzeptabel, wenn eine Mehrheit per demokratischer Abstimmung die Demokratie selber abschaffen will?
Und da gibt es keine wirklich schlüssige und logisch abschließende Antwort - die Methode im GG, einfach gewisse Prinzipien als unveränderbar festzuschreiben, ist vom Grundsatz her ja "undemokratisch".

Und bei der Ernennung Hitlers ging es ja trotz seiner bekannten Ansichten noch lange nicht um die Abschaffung der Demokratie - er hätte sich ja formal an die Verfassung und Gesetze der Weimarer Republik halten müssen.

Streng genommen hat Hindenburg die Verfassung schon ziemlich verbogen, um Hitler einige Zeit vermeiden zu können. Floxx78 hat das mit den Notverordnungen schon erwähnt, diesen Spielraum hat der Reichspräsident eigentlich bis zur Grenze ausgereizt. Wenn er das noch einige Jahre weiter getrieben hätte, wäre doch schon die Frage gewesen, was eigentlich sein Eid auf die Verfassung und die demokratischen Prinzipien wert sei.

Man kommt nicht drumrum: Die wesentliche Verantwortung liegt bei den vielen Millionen Deutschen, die antidemokratisch wählten. Und Wahlergebnisse muß ein demokratischer Präsident (was Hindenburg juristisch war - seine Gesinnung war es m. E. nicht) letztlich respektieren.
 
Man sollte hier wohl weniger auf Hindenburg selber, seine Berater oder seine möglichen geistigen Defizite abheben.
Das Kernthema war doch letztlich das grundsätzliche Strukturproblem jeder Demokratie: Ist es akzeptabel, wenn eine Mehrheit per demokratischer Abstimmung die Demokratie selber abschaffen will?

Die Weimarer Verfassung hatte in dieser Beziehung leider einige erheblich Konstruktionsfehler.

Und bei der Ernennung Hitlers ging es ja trotz seiner bekannten Ansichten noch lange nicht um die Abschaffung der Demokratie - er hätte sich ja formal an die Verfassung und Gesetze der Weimarer Republik halten müssen.

Hitler hatte ja schon öffentlich im Zuge des Ulmer Reichswehrprozesses von 1930 angekündigt, das er gedenkt die Macht legal zu ergreifen, um dann anschließend den Staat in einer Form zu gießen, die seinen Vorstellungen entspräche. Das hat ganz offenkundig niemand besonders aufgehorchen lassen.

Streng genommen hat Hindenburg die Verfassung schon ziemlich verbogen, um Hitler einige Zeit vermeiden zu können.

Mir fällt da der unselige und sogenannte "Preußenschlag" vom Juli 1932 ein, womit Hindenburg den Nazis die erste Schleuse zur Macht geöffnet hatte. Preußen war die stärkste Bastion gegen die Nazis. Dieses Vorgehen war wohl kaum mit der Weimarer Verfassung zu vereinbaren.

Man kommt nicht drumrum: Die wesentliche Verantwortung liegt bei den vielen Millionen Deutschen, die antidemokratisch wählten. Und Wahlergebnisse muß ein demokratischer Präsident (was Hindenburg juristisch war - seine Gesinnung war es m. E. nicht) letztlich respektieren.

Wichtig ist aber, das die Nazis nie die absolute Mehrheit erreicht haben; auch nicht bei der Wahl im März 1933, die wohl wirklich nicht als demokratisch bezeichnet werden kann.
 
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Wichtig ist aber, das die Nazis nie die absolute Mehrheit erreicht haben; auch nicht bei der Wahl im März 1933, die wohl wirklich nicht als demokratisch bezeichnet werden kann.


Der Einwand lautete, daß die Mehrheit antidemokratisch wählte, und das war zweifellos ein ganz entscheidender Punkt. Die wichtigsten antidemokratischen Parteien (NSDAP, DNVP, KPD) erreichten zusammengerechnet:

am 31. Juli 1932: 57,8%
am 6. Nov. 1932: 58,9%
am 5. März 1933: 64,2%

Im März 1933 erreichte zwar nicht die NSDAP, wohl aber die Koalition Hitlers eine satte Mehrheit.
 
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Der Einwand lautete, daß die Mehrheit antidemokratisch wählte, und das war zweifellos ein ganz entscheidender Punkt. Die wichtigsten antidemokratischen Parteien (NSDAP, DNVP, KPD) erreichten zusammengerechnet:

am 31. Juli 1932: 57,8%
am 6. Nov. 1932: 58,9%
am 5. März 1933: 64,2%

Im März 1933 erreichte zwar nicht die NSDAP, wohl aber die Koalition Hitlers eine satte Mehrheit.
So gesehen stimmt das natürlich, obwohl sich die Kommunisten und die Nazis am liebsten gegenseitig auf der Straße erschlugen. Gegen diese beiden Lager zusammengenommen waren die Demokraten 1932/33 in der Minderheit.
Aber wer waren "die Demokraten"? - ein Sammelsorium von x-verschiedenen Parteien, die, selbst, als sie noch Mehrheiten hatten, nichts auf die Reihe bekamen, weil sie selbst untereinander zerstritten waren. Angesichts der kurz aufeinander folgenden Wirschaftskriesen, die die Arbeitslosigkeit nach oben schnellen ließ, finde ich es sogar ein "kleines Wunder", daß die NSDAP nicht noch mehr Anhänger/Wähler fand, denn das Volk folgt immer dem, der eine schnelle Besserung der Verhältnisse verspricht - das ist sogar heute noch so. Auch ich habe in anderen Diskussionen schon mal argumentiert, daß man damals ja Hitlers "Mein Kampf" hätte lesen können, um vor diesem Mann gewarnt zu sein, nur denke ich, daß ein Arbeitloser damals womöglich nicht einmal das Geld hatte, um sich dieses Buch zu kaufen.
:grübel:
 
Hallo Hyokkose,

mein Hinweis lautete doch nur, das die NSDAP zu keiner Zeit, die absolute Mehrheit erreicht hat. R.A. seiner Ausführung habe ich lediglich etwas ergänzt, nicht für falsch erklärt.

Auch zusammen mit der DNVP reichte es nur bei der undemokratischen Wahl im März 1933 zu einer hauchdünnen absoluten Mehrheit dieser undemokratischen Parteien.

Die staatstragenden, natürlich kann man trefflich darüber diskutieren ,welche Partei eigentlich staatstragend war, Parteien, dazu zähle ich persönlich einmal die MSPD, USPD (später vereinigt als SPD), Zentrum, BVP und die DDP (, waren in Weimar eigentlich nie in der Mehrheit, wenn ma einmal von der Wahl am 1919 und dann noch einmal 1924 absieht.

19.01.1919 83,71%
06.06.1920 65,86%
04.05.1924 43,57%
07.12.1924 50,03%
20.05.1928 49,87%
14.09.1930 43,11%
31.07.1932 38,29%
06.11.1932 36,41%
05.03.1933 33,08%
 
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Hallo Hyokkose,

mein Hinweis lautete doch nur, das die NSDAP zu keiner Zeit, die absolute Mehrheit erreicht hat. R.A. seiner Ausführung habe ich lediglich etwas ergänzt, nicht für falsch erklärt.

Kein Problem, ich habe auch Deine Ausführungen nicht für "falsch" erklärt, sondern sehe lediglich einen Unterschied, was der eine oder andere für "wichtig" erachtet.


Auch zusammen mit der DNVP reichte es nur bei der undemokratischen Wahl im März 1933 zu einer hauchdünnen absoluten Mehrheit dieser undemokratischen Parteien.

Die Koalition hatte 16 Sitze mehr, als zu einer absoluten Mehrheit erforderlich gewesen wäre.
Nicht nur gemessen an der damaligen bunten Parteienlandschaft, sondern sogar nach heutigen Maßstäben ist das für eine Zweiparteienkoalition eine komfortable Mehrheit.


Die staatstragenden, natürlich kann man trefflich darüber diskutieren ,welche Partei eigentlich staatstragend war, Parteien,

Ja, darüber kann man diskutieren, und je nach Auffassung wird man ggf. zu anderen Zahlen kommen als denen, die Du aufgelistet hast.
 
So gesehen stimmt das natürlich, obwohl sich die Kommunisten und die Nazis am liebsten gegenseitig auf der Straße erschlugen. Gegen diese beiden Lager zusammengenommen waren die Demokraten 1932/33 in der Minderheit.

Und damit hatten sie als Demokraten die Legitimation verloren. Das muß man sich einmal klarmachen: Ein Demokrat, dessen Grundüberzeugung darauf basiert, daß die Mehrheit des Volks das Sagen hat, muß sich in dieser Situation eingestehen, daß die Mehrheit des Volks keine Demokratie mehr will.

Für die Grundüberzeugung eines Antidemokraten spielen Mehrheiten nicht die geringste Rolle, sie sind allenfalls Mittel zum Zweck.
Ein Adolf Hitler hat ja schon 1923 gewaltsam versucht, nach der Macht zu greifen, als die NSDAP noch eine jener vielen Kleinparteien war.


Auch ich habe in anderen Diskussionen schon mal argumentiert, daß man damals ja Hitlers "Mein Kampf" hätte lesen können, um vor diesem Mann gewarnt zu sein, nur denke ich, daß ein Arbeitloser damals womöglich nicht einmal das Geld hatte, um sich dieses Buch zu kaufen.
:grübel:
Daß das Buch "Mein Kampf" von einem wegen Hochverrats verurteilten Kriminellen im Knast geschrieben woreden war, konnte man auch wissen, ohne das Buch gekauft zu haben.

(Ja, ich weiß: die Justiz hatte gegenüber den Putschisten von 1923 äußerste Nachsicht walten lassen, anstatt ihnen die Zähne zu zeigen.)
 
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Hyokkose schrieb:
Die Koalition hatte 16 Sitze mehr, als zu einer absoluten Mehrheit erforderlich gewesen wäre.
Nicht nur gemessen an der damaligen bunten Parteienlandschaft, sondern sogar nach heutigen Maßstäben ist das für eine Zweiparteienkoalition eine komfortable Mehrheit.

Ops:rotwerd:, ich hätte mich sinnvollerweise nicht nur an den nackten Prozentzahlen orientieren sollen, sondern natürlich die überaus wichtige Anzahl der errungenen Mandate mit in meine Betrachtung einbeziehen müssen. :sorry:
 
Hitler hatte ja schon öffentlich im Zuge des Ulmer Reichswehrprozesses von 1930 angekündigt, das er gedenkt die Macht legal zu ergreifen, um dann anschließend den Staat in einer Form zu gießen, die seinen Vorstellungen entspräche. Das hat ganz offenkundig niemand besonders aufgehorchen lassen.
"Niemand" ist jetzt etwas übertrieben - es hat im Gegenteil viele Leute gegeben, die Hitlers Reden kritisch analysiert haben, seine Absichten erkannt und abgelehnt haben.
Und wie Du schon selber sagtest: Eine Mehrheit hat ihn eben nicht (direkt) gewählt.

Andererseits ist es ja nicht unüblich, daß Politiker (gerade so populistisch auftretende) auf Versammlungen groß das Maul aufreißen, riesige Veränderungen versprechen - um dann im Amt eben nur die kleinen Brötchen zu backen, die realistisch möglich sind.
Es gibt auch heute Wähler, die wählen Politiker, deren Forderungen sie für übertrieben und unrealistisch halten - mit Begründungen à la "so komplett wird es eh nicht umgesetzt, geht aber in die richtige Richtung" oder "Hauptsache der Laden wird mal aufgemischt".

Und es ist auch eine übliche und oft erfolgreiche Strategie des "Establishments", solche Maulhelden-Politiker ganz bewußt ins Amt zu lassen in der Erwartung, daß die dann angesichts der Beschränkungen ihrer Möglichkeiten gar nicht liefern können, was ihre Anhänger erwarten.

Das Amt des Reichskanzlers war ja nun eigentlich gar nicht so mächtig. Von seinen juristischen Kompetenzen her bot es keine Möglichkeit der Diktatur.
Da nun Hitler von den Wählerstimmen her eigentlich der legitime Kandidat war - da war es schon naheliegend, ihn dann auch machen zu lassen.

Das Problem war nur, daß "das Estasblishment" viel zu schwach, uneinig, führerlos und ziellos war, um Hitler anschließend wirklich auf die Grenzen seines Amtes festzunageln.
Hitler zu ernennen, um ihn dann als Verfassungsbrecher rauszuschmeißen, sobald er die Kompetenzen seines Amtes überschreitet - das wäre gut möglich gewesen.

Aber dazu fehlten bei Hindenburg und seinem Umfeld die Substanz und der Durchsetzungswille.
 
Hitler zu ernennen, um ihn dann als Verfassungsbrecher rauszuschmeißen, sobald er die Kompetenzen seines Amtes überschreitet - das wäre gut möglich gewesen.

So ähnlich mögen manche gedacht haben, und genau das war der fatale Fehler.

Ich halte ein solches Vorgehen angesichts der Rahmenumstände und der sofortigen Maßnahmen und Repressalien der Nationalsozialisten nach der Machtübernahme (die man allerdings nicht vorhergesehen hat) für illusorisch. Diese Gewaltwelle, noch dazu juristisch eingekleidet und administrativ begleitet, rollte über das Land hinweg. Das war ab dem 31.1.1933 keine Frage des Parlaments mehr, sondern höchstens von Reichswehr und Polizei.

Was sollen denn parlamentsgestützte/demokratische Überlegungen nützen, wenn zeitgleich Gewerkschafter und Politiker der Opposition gewaltsam entfernt werden? Diese Revolution unten darf nicht übersehen werden und brachte wohl selbst Hitler in Verlegenheit, bezgl. des "Abstoppens" mit der erreichten Gleichschaltung.

Es ist wirklich lohneswert, diese Gewaltwelle in den vielen Regionen - gleichzeitig - zu betrachten. Das Gesamtbild erschlägt einen geradezu, wobei die juristische Begleitung aus Berlin mit relativ schnell gezimmerten Gesetzen sehr interessant ist.
 
... und genau das war der fatale Fehler.
Von einem Fehler kann man ja eigentlich nur sprechen, wenn es eine bessere Option gibt, und man sich gegen diese entscheidet.

Ehrlich gesagt sehe ich keine solche Option. Die Verhältnisse waren einfach völlig verfahren und es gab am Ende nur noch die Auswahl zwischen lauter richtig miesen Varianten.

Ich halte ein solches Vorgehen angesichts der Rahmenumstände und der sofortigen Maßnahmen und Repressalien der Nationalsozialisten nach der Machtübernahme (die man allerdings nicht vorhergesehen hat) für illusorisch.
Genau diese Maßnahmen hätten aber durchaus eine juristische und politische Basis für eine Entlassung Hitlers als Reichskanzler hergegeben.
Und Reichswehr, Polizei und Behörden hätten da m. E. mitgezogen und wären ziemlich komplett einem Befehl, gegen die Nazis vorzugehen, gefolgt.

Aber der Reichspräsident war eben nicht in der Lage, so einen Befehl zu geben. Es fehlte ihm die Entschlossenheit, die Gesundheit, überhaupt jede Voraussetzung um einen konsequenten eigenständigen Kurs zu fahren.

Nicht die Ernennung zum Reichskanzler war das eigentliche Problem. Sondern die Tatsache, daß sich Hitler Putsch-artig mit seinen illegalen Gewaltmaßnahmen Macht verschaffte, die weit über die Kompetenzen des Amtes hinausging und eine Diktatur ermöglichte.
 
Silesia schrieb:
Diese Gewaltwelle, noch dazu juristisch eingekleidet und administrativ begleitet, rollte über das Land hinweg

Ein paar Etappen zur Errichtung des totatilären Systems:

Einschränkung der Versammlungs- und Pressefreiheit durch die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes. vom 4. Februar 1933.

22.0.2.1933 ordnet Innenminister Göring an, das SS, SS und Stahlhelmleute als Hilfspolizisten einzusetzen sind.

Am 8.02.1933 setzt die Verordnung zum Schutze vom Volke und Staat (kurz Reichstagsbrandverordnung) wesentlich Grundrechte wie beispielsweise Post- und Fernsprechgeheimnis, Meinungsfreiheit, Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit, Unverletzlichkeit von Eigentum und Wohnung außer Kraft.

Erlass vom 13.03.1933 über die Einrichtung des Reichsministeriums für Propaganda und Volksaufklärung.

Erlass vom 21.03.1933 zur Abwehr heimtückischer Anngriffe gegen die Regierung der nationalen Konzentration. Mit Hilfe dieses Gesetzes war es schon möglich, Menschen aufgrund mündlicher Kritik an der NSDAP zu verfolgen.

Verordnung der Reichsregierung vom 21.03.1933 über die Bildung von Sondergerichten, wie beispielsweise der berüchtigte Volksgerichtshof.

Der Völkische Beobachter meldet die Einrichtung des KZ Dachau.

Gesetz zur Behebung der Not vom Volk und Reich (Ermächtigungsgesetz) vom 24.03.1933 (Ausschaltung von Reichstag und Reichsrat). Dieses Gesetz wurde 1937, 1939 und 1943 jeweils in seiner Gültigkeitsdauer verlängert.

Einführung der Todesstrafe am 29.03.1933.

Erste Verordnung (05.04.1933) und Zweites Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich (07.04.1933).

02.05.1933 Zerschlagung der Gewerkschaften.

21.05.1933 Gesetz über die Einziehung kommunistischen Vermögens.

22.06.1933 Verbot der SPD

04.07.1933 Auflösung der BVP

05.07.1933 Auflösung des Zentrums

14.07.1933 Gesetz gegen die Neubildung von Parteien

14.07.1933 Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens
 
Zuletzt bearbeitet:
Von einem Fehler kann man ja eigentlich nur sprechen, wenn es eine bessere Option gibt, und man sich gegen diese entscheidet.

Genau diese Maßnahmen hätten aber durchaus eine juristische und politische Basis für eine Entlassung Hitlers als Reichskanzler hergegeben.
Und Reichswehr, Polizei und Behörden hätten da m. E. mitgezogen und wären ziemlich komplett einem Befehl, gegen die Nazis vorzugehen, gefolgt.

Sorry, "Fehleinschätzung" statt Fehler war auch gemeint.

Zu der Beurteilung der Maßnahmen - ohne in ein was-wäre-wenn abzugleiten - würde ich keine Maßstäbe mehr anlegen wollen, die politisch-parlamentarische Abläufe im Blick haben.

Hier waren tatsächlich keine üblichen politischen Reaktionszeiten vorhanden, es ging vielmehr um eine Revolution und eine Macht"erzwingung". Sie lief lediglich unter einem Kabinett Hitler als Tarnmäntelchen mit ein paar flankierenden Gesetzen zur Linientreue, weil die Exekutive in autoritären Traditionen verhaftetet war. (So etwa die Nebenkriegsschauplätze zu den "Reichsstatthaltern" Hitlers.) Bestimmend war der Terror unten, die Beseitigung des potentiellen Widerstandes in der Fläche des Reiches.
 
Aber der Reichspräsident war eben nicht in der Lage, so einen Befehl zu geben. Es fehlte ihm die Entschlossenheit, die Gesundheit, überhaupt jede Voraussetzung um einen konsequenten eigenständigen Kurs zu fahren.

Nicht die Ernennung zum Reichskanzler war das eigentliche Problem. Sondern die Tatsache, daß sich Hitler Putsch-artig mit seinen illegalen Gewaltmaßnahmen Macht verschaffte, die weit über die Kompetenzen des Amtes hinausging und eine Diktatur ermöglichte.

Die Behauptung, daß Hindenburg gesundheitlich nicht mehr in der Lage war, selbständige Entscheidungen zu treffen, läßt sich wohl nicht belegen. Ganz offensichtlich hat ihm aber der Wille gefehlt, Hitler in die Parade zu fahren. Im Gegenteil: Durch seine Unterschriften ebnete er Hitler den Weg in die Diktatur, etwa durch die beiden "Notverordnungen" nach dem Reichstagsbrand, durch die die Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden, Willkürakte und Terror somit legalisiert wurden.
Hochverrat und Brandstiftung wurden unter Todesstrafe gestellt - man male sich einmal den Vergleich mit 1923 aus, wenn nach dem Hitler-Ludendorff-Putsch eilends eine solche Notverordnung aus dem Hut gezaubert worden wäre...

documentArchiv.de - Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat [Reichstagsbrandverordnung] (28.02.1933)
documentArchiv.de - Verordnung des Reichspräsidenten gegen Verrat am Deutschen Volke und hochverräterische Umtriebe (28.02.1933)
 
Die Behauptung, daß Hindenburg gesundheitlich nicht mehr in der Lage war, selbständige Entscheidungen zu treffen, läßt sich wohl nicht belegen.
Da gebe ich Dir völlig recht.
Der Bezug auf die Gesundheit sollte nur besagen, daß Hindenburg nicht mehr die Vitalität und Energie hatte, um entschlossen aufzutreten und eine Konfrontation anzufangen und durchzuhalten.

Ein 20 Jahre jüngerer Hindenburg hätte wahrscheinlich anders gehandelt. Nicht aus demokratischer Überzeugung (da war er immer eher auf der Gegenseite), sondern einfach aus Abneigung gegen die Person Hitlers und der Weigerung, sich von so einer Prolo-Clique wie den Nazis die Butter vom Brot nehmen zu lassen.

Die "strategische Idee" der Leute (die ich oben bewußt vage mit "Establishment" umschrieben habe), die für eine Ernennung Hitlers waren, war ja die, diesen damit einzubinden, zu kontrollieren, seine Wahlerfolge durch Einbindung in die Institutionen zu neutralisieren.

Und diese Strategie ist nicht von vorneherein falsch oder absurd, sie hat oft genug in der Geschichte funktioniert.

Aber sie setzt natürlich voraus, daß man dem zu Kontrollierenden auch aktiv gegenüber tritt, ihm eine Überschreitung von Kompetenzen nicht durchgehen läßt und ihm immer mit echten Machtmitteln drohen kann (z. B. Amtsenthebung unter Unterstützung von Wehrmacht und Polizei).

Und diese Voraussetzung war in keiner Weise gegeben, in erster Linie eben durch die Defizite beim Staatspräsidenten, der für diese Strategie die Schlüsselposition war.
 
Ein 20 Jahre jüngerer Hindenburg hätte wahrscheinlich anders gehandelt. Nicht aus demokratischer Überzeugung (da war er immer eher auf der Gegenseite), sondern einfach aus Abneigung gegen die Person Hitlers und der Weigerung, sich von so einer Prolo-Clique wie den Nazis die Butter vom Brot nehmen zu lassen.

Die "strategische Idee" der Leute (die ich oben bewußt vage mit "Establishment" umschrieben habe), die für eine Ernennung Hitlers waren, war ja die, diesen damit einzubinden, zu kontrollieren, seine Wahlerfolge durch Einbindung in die Institutionen zu neutralisieren.

Und diese Strategie ist nicht von vorneherein falsch oder absurd, sie hat oft genug in der Geschichte funktioniert.

Aber sie setzt natürlich voraus, daß man dem zu Kontrollierenden auch aktiv gegenüber tritt, ihm eine Überschreitung von Kompetenzen nicht durchgehen läßt und ihm immer mit echten Machtmitteln drohen kann (z. B. Amtsenthebung unter Unterstützung von Wehrmacht und Polizei).

Und diese Voraussetzung war in keiner Weise gegeben, in erster Linie eben durch die Defizite beim Staatspräsidenten, der für diese Strategie die Schlüsselposition war.

Eine Strategie kann ja nicht funktionieren, wenn man genau das Gegenteil von dem tut, was diese Strategie erforden würde. Wer händigt denn einem Brandstifter einen Kanister Benzin aus und hofft, daß dadurch das Feuer vielleicht nicht ganz so heiß werden könnte?

Für dieses "Defizit" würde ich noch nicht einmal Hindenburg zum vorrangigen Sündenbock stempeln, das finden wir auch sonst beim "Establishment". Besonders eindrucksvoll zu studieren am Beispiel des Justizministers Gürtner (DNVP), der war fast 35 Jahre jünger als Hindenburg und ganz sicher noch nicht zu tattrig, um zielgerichtet zu handeln.

Franz Gürtner – Wikipedia
 
Für dieses "Defizit" würde ich noch nicht einmal Hindenburg zum vorrangigen Sündenbock stempeln, ...
Völlig richtig.
Mir ging es darum, daß der Reichspräsident die wesentliche Schlüsselstellung war, um irgendeine "Hitler-Eingrenzungs"-Strategie zu fahren.
Und wenn die nicht entsprechend agieren kann oder will, ist die ganze Idee auf Sand gebaut.

So ein bißchen habe ich das Gefühl, daß wir bis heute noch etwas der Göbbels-Propaganda aufsitzen.
Die groß inszenierte "Machtergreifung" mit allem Pomp, das suggeriert, daß die Amtsübernahme der zentrale Punkt gewesen sei.

Und dann sind auch (völlig übliche) Fragen wie hier eingangs logisch, wie es denn zu dieser Amtsübernahme kommen konnte.

Aber ohne zu übersehen, daß das natürlich schon eine wichtige Station war - die entscheidenden und kritikwürdigen Schritte in die Diktatur kamen danach!

Ein Fackelzug durchs Brandenburger Tor?
Hat keinem geschadet.
Wieder mal ein neuer Reichskanzler?
Na und ...

Aber die von Dir zitierten Reichsverordnungen, die markierten das Ende der Republik, den Beginn der Diktatur.

Und daß Hindenburg die unterschrieben hat, kann man ihm wirklich zum Vorwurf machen.
Daß er aber als Präsident demokratischen Grundlagen folgend die Wahlergebnisse berücksichtigt, wenn er den Reichskanzler vorschlägt - das ist dagegen kaum als Skandal zu werten.
 
Besonders eindrucksvoll zu studieren am Beispiel des Justizministers Gürtner (DNVP), der war fast 35 Jahre jünger als Hindenburg und ganz sicher noch nicht zu tattrig, um zielgerichtet zu handeln.

Da haben wir ja geradezu ein Musterbeispiel.

Gürtner war bekannt für seine konservativ-nationalistische Haltung, Befürworter einer Regierung der "Nationalen Konzentration". Gleichzeitig wohl von der Auffassung getragen, bei einer fünktionsfähigen Justiz (mit Polizeiapparat) würden sich die Auswüchse - die er mit dem Einstieg der NSDAP in die Regierung kommen sah - unter Kontrolle halten, so dass der Spuk nach einer Weile vorbei sei. Gürtner unterstützte bereits die weitgehenden Rechtsbeugungen der Präsidialregierungen Papen und Schleicher seit 1932 (erste Ernennungsvorschläge kamen übrigens schon 1931 von Cuno). Sodann war er mit Schleicher in der Idee einig, eine konservativ-nationale Regierung mit dem linken NSDAP-Flügel unter Strasser zu bilden, was sich nicht realisieren ließ.

Umgekehrt hatte Hitler einen nützlichen Idioten gefunden, als ein bürgerliches Aushängeschild des neuen Kabinetts, und mangels eigener Alternativen. ZB kam Freisler nicht in Betracht (laut Hitler fast ein "Bolschewik"), Frank würde den Justizapparat eher mißtrauisch stimmen, was vermieden werden sollte. Zur formalen Abdeckung der Revolution unten brauchte man einen mitarbeitenden Justizapparat, und den garantierte der Justizminister durch bereitwillige Zuarbeit. Gürtner überlebte dann sogar seine Proteste gegen die wilden KZs 1933 im Amt.

Lothar Gruchmann, Justiz im Dritten Reich 1933-1940,
Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner.
Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 28.

Aber die von Dir zitierten Reichsverordnungen, die markierten das Ende der Republik, den Beginn der Diktatur.
Ist das wirklich so, oder sind die von den Auswirkungen her nur die Verpackung für den eigentlichen Umsturz unten, der wie losgelassen lief. ME wird die Bedeutung der rechtlichen Aspekte als Wegsteine des Endes der Weimarer Republik ein wenig überschätzt.
 
Zuletzt bearbeitet:
... oder sind die von den Auswirkungen her nur die Verpackung für den eigentlichen Umsturz unten, der wie losgelassen lief. ME wird die Bedeutung der rechtlichen Aspekte als Wegsteine des Endes der Weimarer Republik ein wenig überschätzt.
Das ist gut möglich. Ich will die relative Bedeutung der diversen Faktoren nicht werten, dazu kenne ich mich nicht genug aus.

Mir ging es ja vor allem um die Gegenüberstellung der verschiedenen Hindenburg-Entscheidungen. Und da findet die zur Hitler-Ernennung viel mehr Beachtung, obwohl die Unterschrift unter die Erlasse wohl viel entscheidender waren.

Letztlich ist aber klar: Sowohl die Zustimmung zu den juristischen Maßnahmen wie das Zulassen der Gewalttätigkeiten "draußen im Lande" belegen das völlige Versagen der angedachten "Hitler-Eingrenzungs"-Strategie.

Gürtner ist da in der Tat ein gutes Beispiel. Seinen Versuch, die KZs mit persönlichem Protest zu verhindern, kann man als ehrenwert werten, ist aber letztlich Beleg für die völlig hilflose Naivität, mit der das "Establishment" gegenüber Hitler agierte.
 
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