Hinduistische Grabstätten

askan

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ich habe mal eine ganz banale Frage!

Die Hindu verbrennen ihre Toten oft auf den Gaths an Flüssen und werfen dann die Leichenasche ins Wasser.

Bedeutet dies, das es in der indischen Geschichte niemals Friedhöfe gab?

*ich meine die der Hindus, nichts das es gleich hier von Fotos des Taj Mahals wimmelt*
 
Diese Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Ich hab mal verschiedene religionswissenschaftliche Bücher zu Rate gezogen und eine eindeutige Antwort habe ich dennoch nicht erhalten. Aber vielleicht hilft das weiter, was ich gefunden habe...

Abbé Dubois, ein christlicher Kleriker, der Südindien Anfang des 19. Jahrhunderts bereist hat und später ein Standartwerk über die Sitten und Gebräuche der Inder schrieb [man spürt hier sehr deutlich die europäische Überheblichkeit und seinen absolutes christliches Weltanschauungsbild], hielt verschiedenste Riten zur Verbrennung und den damit verbundenen Ritualen fest. Er erwähnte in seinen Schriften, dass es verschiedene Gründe gäbe, eine Verbrennung aus bhramanischer Sichtweise zu verweigern. Es gäbe Menschen, die sogennanten kakrelaks, die durch ihr Aussehen so abschreckend sind, dass die Bevölkerung sie aus Reinheitsgründen meiden würde, wie sie es zum Beispiel mit der Kaste der Unberührbaren tun würden. Diese kakrelaks würden in den meisten Fällen an Hautkrankheiten leiden und kein Leichnam darf nach Ansicht der Bhramanen verbrannt werden, der an einer Hauterkrankung gelitten hat. Das gleiche gilt für Menschen, die an Albinismus leiden. Sie werden ebenfalls zu den kakrelaks dazugezählt und wie Leprakranke behandelt. Nach ihrem Tod werden sie auf Dunghaufen geworfen. Viele Hindus glaubten, dass wenn man diese Toten beerdigte, eine große Hungerkatastrophe oder eine Dürre ausbrechen würde, wenn man diese bestatten würde. Das spräche dafür, dass es sowas wie hinduistische Friedhöfe gegeben hätte oder gibt.
Ebenso eigenartig sei der Brauch, so Dubois, dass man in einigen Provinzen die gesammten Toten eines Jahres exhumieren würde und sie den Wildvögeln und Geiern zum Frase vorwerfen würde. Dies geschehe in Perioden langandauernder Hitzedürre. Auf gleicher Weise würde man aber Toten, die Opfer von Tigerangriffen, schwangeren Frauen und Leuten mit Wunden eine Bestattung verweigern.

Ich nehme an, dass sich in den verschiedensten Teilen Indiens unterschiedliche Riten und Vorstellungen zum Bestatten oder Verbrennen gebildet haben. Diese sind nicht nur von der Religionszugehörigkeit abhängig, sondern auch von den kulturellen Einflüssen und den Volkszugehörigkeiten. Die Bhramanen haben ganz klare Vorstellungen, was die Verbrennung/Bestattung angeht, die sich manchmal nicht ganz mit denen der Bevölkerung decken.
Was die Geschichte Indiens angeht, die nicht ausschließlich durch die Hindus geprägt wurde, kann man zwei Belege finden, die für eine Bestattung sprechen: Im Süden Indiens, in der Provinz Kerala, befindet sich der größte Teil der Christen Indiens, die ihre Toten bestatten. Den Moslems zum Beispiel ist es ja verboten, Leichen zu verbennen und müssen deshalb auf eine Erdbestattung zurückgreifen...

Ich glaube auch, dass das Taj Mahal eher moslemischen Ursprungs ist. Man bezeichnet es ja als Grabmal und nicht als Friedhof...

Quellen: Abbé Jean Antoine Dubois: Leben und Riten der Inder, Kastenwesen und Hinduglaube in Südindien um 1800; Thomas Kohl 1825.
 
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Brrrrr, in den Flüssen gegarte Leichenteile und auf den Misthaufen Lepratote. Ich will mir das gar bildlich vorstellen.

Aber die Tierbestattung (auch Himmelsbestattung genannt) kommt mir von Tibetern und Alt-Persern bekannt vor.
 
askan schrieb:
Brrrrr, in den Flüssen gegarte Leichenteile und auf den Misthaufen Lepratote. Ich will mir das gar bildlich vorstellen.

Aber die Tierbestattung (auch Himmelsbestattung genannt) kommt mir von Tibetern und Alt-Persern bekannt vor.

Die Himmelsbestattung kenne ich aus Tibet. Dort gab es ja keine Möglichkeit, die Toten über das ganze Jahr zu bestatten, weil die Erde zugefroren war oder zu steinig, um eine Kuhle auszuheben. Mit der Zeit bildete sich auch der Glaube heraus, dass man den wilden Tieren damit einen Gefallen tun würde, eine gute Tat, die das Karma positiv beeinflussen würde. Leider hat man übersehen, dass die Tiere gar keinen eigenen Antrieb mehr haben, sich selbst mit Nahrung zu versorgen. Eine Studie aus Tibet belegt, dass die Geier dort verhungern würden, wenn man sie nicht mehr durch die Himmelsbestattung "füttern" würde.
 
Die altgläubigen Perser sind davon überzeugt, das ein Leichnam zu unrein für die hl. Erde, das hl. Wasser und für das noch heiligere Feuer ist. Deshalb legten sie ihre Toten auf besonderen Plätzen und auf erhöhten Plattformen "Türme des Schweigens" für die Wildtiere aus.
Die kulturelle Grenze zwischen Perseien und Nordwestindien war fliessent und bei Bombay gibt es heute noch eine grössere Parsische Gemeinde.
 
Die fließenden Übergänge sind ja nicht nur zwischen Persien und Indien zu spüren, allgemein kann man sagen, dass sich die Riten und Bräuche der Bestattung entlang der unteren Seidenstraßen zu Land und zu Wasser verbreitet haben. Was Tibet angeht: Dort legt man die Toten ja nicht einfach so hin. Es gibt ein bestimmtes Verfahren, wie der Tote "bestattet" wird, also für die Tiere zubereitet wird. Du erwähntest ja, dass in Persien die Leichen auf die "Türme des Schweigens" gelegt werden und sie so den Tieren als Speise dienen. In Tibet werden die Toten in kleine Stückchen geschnitten, selbst die Knochen werden zu Mehl vermahlen, um den Tieren die Verdauung zu erleichtern. Dem "Mahl" wird Tsampa, geröstetes Gerstenmehl und verschiedene Kräuter und Gewürze zugegeben. Selbst Tshang, ein Bier aus Butter und Gerse, kann zugegeben werden. Der Himmelsbestatter heißt ragya-pa und hatte einen Stellenwert in der buddhistischen Gemeinschaft, der den Unberührbaren gleichkommt. Er musste vor den Toren der Stadt leben und die Söhne und Töchter durfen nur unter den ragya-pa-Familien heiraten, gleich unseren Scharfrichtern im Mittelalter.
 
Kann man irgendwie verstehen, wer will schon Umgang mit einem "Abdecker" der besonderen Art haben.

In Persien besorgten das die Priester, aber die hatten (und haben) auch keinen besonders schmeichelhaften Ruf.
Die Leichen blieben solange an den "Futterplätzen" bis nur noch die blanken Knochen übrig waren. Die Knochen wurden dann in Steinkisten in besonderen Gebäuden auf die Ewigkeit aufbewahrt.

Soweit ich weiß, hatten die Mongolen auch die Himmelsbestattung. Man legte die Toten einfach auf einen Hügel und überliess ihn dem natürlichen Weg allen Fleisches. Von Zeit zu Zeit schaute ein Angehöriger nach, wie weit es ist. Wurde der Leichnam schnell gefressen, dann hiess es er war ein guter Mensch, die Vögel trugen ihn schnell zum Himmel.

Das erinnert mich ein wenig an die Baumbestattung der Nordamerikaner.
 
Allgemein gesagt, verschiedene Völker, verschiedene Sitten, ähnliche Merkmale.

Was die Natives in Nordamerika angeht, weis ich nicht so viel, aber logischerweise wurden sie ja bei manchen Stämmen auf Pfahlbauten bestattet und somit waren auch sie Wind, Wetter und Getier ausgesetzt.
Die Mongolen zumindest wurden sehr stark durch den tibetischen Einfluss geprägt. Sie fühlten sich schon immer mehr zu Tibet als nach China hingezogen, wenn es darum ging, sich Kuturelles anzueignen, daher läßt sich auch die mongolische Form der Himmelsbestattung erklären, wobei ich glaube, dass die Mongolen einen noch stärkeren Bezug zu wilden Tieren haben, als die Tibeter.

Was ist denn eine Baumbestattung? Ich kenne nur das Thema Friedwälder...:confused:
 
Indien ist zu gross und zu vielfältig, um davon auszugehen, dass alle Hindus ihre Toten kremieren und an Wiedergeburt und Karma glauben. Wie in vielen anderen Bereichen des Hinduismus ist auch der Diskurs rund um den Tod von der dominanten brahmanischen Sicht geprägt.
...
Die Niedrigkastigen verbrennen ihre Toten nicht, sondern sie begraben sie.


http://publicrelations.unibe.ch/unipress/heft118/beitrag10.html
 
Sehr interessant und aufschlussreich.

Dieser private Ahnenkult schein weltweit immer sehr ähnlich zu sein.
 
Mercy schrieb:
Die Niedrigkastigen verbrennen ihre Toten nicht, sondern sie begraben sie.

Vielleicht hängt das mit den Kosten zusammen, die mit einer Verbrennung zusammenhängen. Der größte Teil der indischen Landbevölkerung lebt unter dem Existenzminimum und ist froh die paar Rupien zusammen zu bringen, um sich täglich zu ernähren. Eine Verbrennung und die Priester können sich warscheinlich die meisten gar nicht leisten.

Danke für Deinen Beitrag Mercy... Ich hatte immer gedacht, was das Klischee mal wieder voll bestätigt, dass sich alle Hindus verbrennen lassen und dann in den Flüssen verstreut werden...:S
 
Ich fand den Artikel schon sehr widersprüchlich. Schon allein die Einteilung in "Hoch- und Niedrigkastige" ist für eine Ethnologin reichlich unprofessionell, so als würde ein Ethnologe über Deutschland forschen und pauschal alle in "arm und reich" einteilen (nein, eigentlich noch viel schlimmer).

Die Verfasserin war in einem Dorf in TN, dessen Namen sie uns nicht verraten möchte und hat sich dort mit "vielen Niedrigkastigen" unterhalten, von deren "Kastenzughörigkeit" man nichts erfährt (wahrscheinlich Menschen, die unterhalb der vier Hauptkasten stehen, aber auch diese Avarnas unterteilen sich noch in viele Jatis, die wiederum Tradition und Ritus ihrer Mitglieder bestimmen).

Sehr seltsam auch die beiden Fotos: die trauernde Familie, die das Grab der Verstorbenen (der Größe nach zu urteilen ein Kind?) am Todestag "hergerichtet" hat mit dem kleinen Baldachin im Hintergrund. Dieser Baldachin ist auf dem zweiten Foto nochmal größer abgebildet, Unterschrift: "Normalerweise ist der Platz, wo die Verstorbenen begrabenliegen oder verbrannt werden (links unter diesem Baldachin) nicht besonders gekennzeichnet". Ja, was denn nun? Verbrennen oder begraben? Oder mal so mal anders? Wenn man in einem (noch dazu tropischen) Gebiet Menschen begräbt, sollte man den Platz vielleicht doch kennzeichnen, schon um versehentliche Exhumierungen zu vermeiden.

Schön dann auch der letzte Abschnitt, wo die arme "niedrigkastige" Familie "durch ein rauschendes Fest ihre Großzügigkeit und ihren Respekt für das verstorbene Familienmitglied zeigen kann". Wenn man Geld für eine Musikkapelle usw. hat, könnte man das auch in eine Verbrennung investieren. :pfeif:

Ich bezweifele nicht grundsätzlich, dass in Südindien bestimmte Gruppen ihre Verstorbenen nicht verbrennen, sondern beerdigen (obwohl die Verfasserin offenbar eine Beerdigung nicht selbst miterlebt hat und auch keine Angaben über das Ritual macht). Aber das Bemühen, möglichst viele (vermeintliche?) Indienklischees auf zwei Seiten zu wiederlegen macht den Text nicht gerade glaubwürdig. Und die Argumentation "mir haben viele Niedrigkastige dies und das erzählt" finde ich auch nicht unbedingt überzeugend. :motz:


OT: Eine kurze Einführung in das indische Kastensystem findet man hier:
http://www.bernhardpeter.de/Indien/Sonstige/seite416.htm
 
Meines Wissens ist das Kastensystem durch die Indische Verfassung 1950 offizell abgeschafft worden, was natürlich nicht heißt, dass man es aus dem kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung tilgen kann, nicht so in Nepal, wo das Kastensystem noch voll aktiv ausgelebt wird.

Zugegeben ist der Artikel, den Mercy abgegeben hat, nicht wissenschaftlich geschrieben und kann nach genauer Betrachtung von Livia nicht standhalten, aber ich glaube, dass der Autor/Verfasser des Artikels das auch nicht beabsichtigt hat. Er wollte warscheinlich lediglich einen kurzen Überblick über die Thematik in populär-wissenschaftlichem Genre geben...:grübel:
 
Eine Bekannte von mir hat mal bei einem Entwicklungshilfeprojekt in den Bundesstaat Orissa gearbeitet. Sie meinte bei der einfachen Dorfbevölkerung ist das Kastensystem noch absolut Allgemeingültig. Sie mussten bei der Arbeitsplanung sehr darauf achten welcher Arbeiter welcher Kasten anhörig war, und ums Himmels Willen keine Unberührbare mit anderen zusammen gleichzeitig arbeiten lassen, das gab nur Ärger.
 
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SRuehlow schrieb:
Meines Wissens ist das Kastensystem durch die Indische Verfassung 1950 offizell abgeschafft worden, was natürlich nicht heißt, dass man es aus dem kollektiven Gedächtnis der Bevölkerung tilgen kann, nicht so in Nepal, wo das Kastensystem noch voll aktiv ausgelebt wird.

Es ist offiziell abgeschafft, bestimmt aber immer noch die Tagespolitik. Besonders umstritten sind die Quotenregelungen. Die "Unberührbaren" sollen nach Regierungswillen ihrem Anteil an der indischen Bevölkerung entsprechend auch in Regierungsämtern, Beamtenpositionen, als Lehrpersonal an Universitäten usw. vertreten sein. Dagegen sträubt sich das Establishment natürlich - bis hin zum Streik, z.B. wenn die Zulassungen für Mediziner das angeblich überwundene Kastensystem berücksichtigen und ein entsprechender Anteil an Studienplätzen/Assistenz- und Chefarztpositionen an "Unberührbare" vergeben werden soll.

Er wollte warscheinlich lediglich einen kurzen Überblick über die Thematik in populär-wissenschaftlichem Genre geben...
So liest es sich jedenfalls. Allerdings erschien der Artikel in der Uni Press der Berner Universität, von einer Autorin, die über dieses Thema ihre Lizentiatsarbeit (entspricht das der deutschen Magisterarbeit?) geschrieben hat. Und die anderen, in demselben Heft veröffentlichten Artikel zum Thema "Sterben-Tod-Jenseits" sind ja durchaus gelungen.

Ohne jetzt noch mehr auf dem Artikel herumhacken zu wollen: Ich finde, dass er mehr Fragen aufwirft, als er beantwortet. Und die Schlussfolgerung, dass in Indien die "Niedrigkastigen" nicht verbrannt, sondern beerdigt werden, würde ich daraus auch nicht ziehen. Es ist eher so eine vages "Manchmal ja, manchmal nein" - ohne die dahinterstehenden Regeln wirklich zu benennen.

Hinduistische Friedhöfe bzw. eine hinduistische Friedhofskultur haben wir bis jetzt noch nicht gefunden. (Die Wiese mit dem einzelnen Grab würde ich noch nicht als Friedhof durchgehen lassen.)
 
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