Hinkmar von Reims und die Zweigewaltenlehre

OptimusPrinceps

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Hey ;)

Ich habe mich in letzter Zeit etwas genauer mit Hinkmar von Reims (806 - 882) beschäftigt und mit seiner Auffassung der Zweigewaltenlehre.
Letztendlich tut sich allerdings eine grundlegende Fragestellung bei mir auf und ich wollte mal fragen ob ihr da vllt. Antworten drauf habt oder sogar Sekundärliteratur, in der das Problem angesprochen wird, wisst.

Hinkmar von Reims stellt sich als Erzbischof in den Dienst der Kirche und versucht auch in vielen Schriften auf die Wichtigkeit und die Aufgaben der Kleriker hinzuweisen. Allerdings verweist er in den gleichen Schriften auch darauf, dass sich die geistliche Instanz immer strikt von der weltlichen Instanz fren halten soll und umgekehrt.
Wie ist dann zu erklären, dass Hinkmar selber als Bischof sich in den Dienst der weltlichen Oberhäupter stellt und in beratener Funktion einfluss auf die weltlichen Geschäfte des Reiches nimmt? Legitimiert er dies irgendwo?
Kann dieses Paradoxon allein damit erklärt werden das Hinkmar seine Vorstellung von einer gleichberechtigten weltlicher Einheit und kirchlicher Einigung als organisches Ganzes sieht und seine Bestrebungen darauf hinauslaufen dies herzustellen?
 
Grundsätzlich beschreibt die Zweigewaltentheorie (die nicht allein auf Hincmarus Remensis zurückgeht, er vertritt schlicht die zu seiner Zeit verbreitetste Lehrmeinung), die Stellung von geistlichen und weltlichen Herrschern. In der frühen Interpretation ging man von einem gleichberechtigten nebeneinander aus (ecce gladii duo), im Zeitverlauf verschob sich diese Gleichstellung aber hin zu einem Unterordnungsverhältnis der weltlichen unter die geistlichen Herrscher und genau an dieser Argumentation setzt auch Hincmarus Remensis an: die weltliche Gewalt wurde vom Papst verliehen, es besteht damit ein Unterordnungsverhältnis. Die geistlichen Herrscher dürfen damit Einfluss auf die weltliche Herrschaftsausübung nehmen, die weltlichen Herrscher aber nicht auf die geistliche Herrschaftsausübung. Schwierig bei der Einordnung von Hincmarus Remensis ist es allerdings, dass er in einem Zeitschnitt lebte, in dem die eindeutige Unterordnung noch nicht dergestalt fixiert war, wie in späteren Jahrhunderten bspw. durch das Dictatus Papae, sondern er mit seinen Schriften mehr oder weniger die Vorarbeit mit leistete.

Schau mal im LexMA nach den Aufsätzen zum Sakerdotium und zur Zwei-Schwerter-Lehre, dort bekommst du zur Ideengeschichte der Zweigewaltenlehre einen ganz guten Überblick.
 
Also erst mal vielen Dank für die schnelle Beantwortung. ;)

Es ist schon richtig das Hinkmar wohl auch meint das die geistige Gewalt über der weltlichen steht, aber so direkt spricht er dies nie an (oder doch, und wenn ja wo?). Ganz im Gegenteil ist Hinkmar ja dazu bemüht die alte Lehre bis zur perfektion auszuüben und betont deswegen immer wieder das weltliche und geistige Macht sich nicht in die Gebiete des jeweils anderen einmischen dürfen. Eine sehr naive Vorstellung eigentlich zu der Zeit, bedenkt man das sowohl die weltliche Macht (zumeist in Person des Königs) als auch die geisitige Macht (z.B. in Person Hinkmars) über ihre Sphären hinwegschaun und sehr wohl sich in die Angelegenheiten der anderen Seite mit einmischen.
Gerade deswegen find ich ist es ein Paradoxon das Hinkmar zwar dafür plädiert das dies nicht der Fall sein dürfe, aber im direkten Gegenzug dagegen verstößt.
Ein Erklärungsansatz wäre für mich, dass er dies nur macht um eben dieses perfekte Gleichgewicht zwischen den beiden Mächten wiederherzustellen.
Der einschneidende Konflikt zwischen der weltlichen und geistigen Macht erfolgt ja erst ca. 200 Jahre später im Investiturstreit zwischen Heinrich IV. und Gregor VII. - meinst du man kann schon bei Hinkmar eine Tendenz in diese Richtung erkennen, obwohl gerade dieser sich gegen einen solchen Verlauf gestemmt hätte?
 
Es ist schon richtig das Hinkmar wohl auch meint das die geistige Gewalt über der weltlichen steht, aber so direkt spricht er dies nie an (oder doch, und wenn ja wo?).
Nein da hast du recht, das tut er nicht, das steht mehr oder weniger zwischen den Zeilen, im wahrsten Sinne also die zu erschließende Intention des Autors ;)

Ganz im Gegenteil ist Hinkmar ja dazu bemüht die alte Lehre bis zur perfektion auszuüben und betont deswegen immer wieder das weltliche und geistige Macht sich nicht in die Gebiete des jeweils anderen einmischen dürfen.
Vor dem Hintergrund der Zeit hatte allerdings vielmehr die Kirche ein Problem damit, wenn sich weltliche Herrscher in kirchliche Belange einmischten, als es andersrum der Fall war. Ich denke, vor diesem Hintergrund lässt sich auch ganz gut die Vita von Hincmarus einordnen. Die Zweigewaltenlehre etablierte sich zu einer Zeit, als die Beschlüsse der Konzile noch durch weltliche Herrscher (meist den oströmischen Kaiser) Gesetzescharakter erhielten und sich die Päpste von weltlichen Herrschern im mindesten bestätigen ließen, manchmal sogar direkt "ernannt" wurden (bspw. Felix III. (IV.)). Die Kirche befand sich auf der Schwelle der Antike zum Mittelalter in einem deutlichen Abhängigkeitsverhältnis von weltlicher Herrschaft. Die Abnabelung aus diesem Abhängigkeitsverhältnis erfolgte nur nach und nach, weil wie so oft bei derartigen Abhängigkeiten, die eine Seite wollte, die andere nicht. Der erste Papst der sich nicht mehr durch einen weltlichen Herrscher bestätigen ließ war Zacharias, nachdem sein Vorgänger Gregor III. eine erste Umorientierung weg von Ostrom eingeleitet hatte. Dieser sehr deutliche Schritt (Gregor III. hatte auch Leo III. exkommuniziert) geschah erst gut 50 Jahre vor der Geburt von Hincmarus. Die Lösung aus der Abhängigkeit, die praktisch bereits stattfand, wurde theoretisch als (gottgewollte) Gleichstellung verargumentiert. Gleichzeitig fand eben auch besagte Umorientierung statt, man löste sich also nicht nur aus einer Abhängigkeit um sich gleichberechtigt nebeneinanderzustellen, man löste sich vielmehr aus einer Abhängigkeit und suchte sich jemand anderen, neben dem man gleichberechtigt stehen konnte. Aber gut, genug der Vorgeschichte, kommen wir zu Hincmarus :D Hincmarus war ein westfränkischer Adeliger der den Weg den kirchlichen Weg eingeschlagen hatte. Wir haben also eine Person, des seit wenigen Jahrzehnten nunmehr attraktiveren "Bündnispartners" der auch noch im eigenen Verein spielt. Er ging durch Vermittlung seines Abtes an den westfränkischen Hof (sic!), wurde von Karl dem Kahlen zum Erzbischof von Reims gemacht (sic!) und nutzte seine Stellung sowohl in politischer als auch in geistlicher Hinsicht um pro Westfranken sowie pro Kirche zu beeinflussen. In seinen kirchenrechtlichen Schriften tat er dies durch die Betonung der Gleichberechtigung, in der Praxis durch gezielte Einflussnahme um die beiden Seiten zusammenzuführen.
 
Ja, stimmt du has Recht. Hab mich jetzt auch weiter belesend dazu und wenn ichs beim ersten mal gründlicher gemacht hätte wäre es wohl nicht zu so nem Fehlschluss gekommen. Ist ja wirklich so das Hinkmar zwar sagt das sich die geistliche und die weltliche Sphäre von einander fern halten sollen und nicht gegenseitig sich einmischen sollen in die Geschäfte des jeweils anderen, aber er gesteht ja trotzdem der geistlichen Sphäre eine Überwachungsfunktion gegenüber der weltlich zu die eben auch auf den König zutrifft (muss mir beim ersten lesen iwie aus den Augen gerutscht sein...).
Damit wäre meine Frage beantwortet, danke noch mal! ;)
 
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