Es ist tatsächlich schade, dass wir keine andere Korrespondenz dieser Art besitzen. Möglicherweise hat sich ein Domitian oder gar Caligula als ebenfalls umsichtiger Patriarch den Provinzbewohnern gegenüber gezeigt, und so mancher Princeps erschiene uns heute in anderem Licht!
Es wird davon ausgegangen, dass die meisten Antwortschreiben nicht von Trajan selbst, sondern von seinen Sekretären verfasst wurden, wenn auch der eine oder andere Ausdruck vom Kaiser selbst stammen könnte. Diese Sekretäre dienten oft mehreren Kaisern - wie Titinius Capito (Plinius V, 8), der schon unter Domitian und Nerva solch eine Vertrauensstellung inne hatte. Die Vermutung, dass Briefe Domitians ähnliche Floskeln und Redewendungen enthalten haben können wie die Nervas und Trajans, ist nicht ganz abwegig.
Plinius wurde in Zusammenhang mit Buch X schon einiges vorgeworfen: neben dem hier von T. Flaminius Angeführtem auch Ängstlichkeit, mangelnde Entschlossenheit.
Man kann es aber auch ein wenig anders betrachten.
Plinius war, wie aus den Briefen ersichtlich ist, nach Bithynien geschickt worden, um „aufzuräumen“. Dabei musste er sich sowohl an Richtlinien des Kaisers als auch an vor Ort bestehende Gesetze und Regelungen halten; Verfügungen früherer Kaiser, Senatsbeschlüsse, Beschlüsse von Prokonsuln, die zuvor die Provinz verwaltet hatten, Beschlüsse von Stadträten, Gesetzen, die in freien Städten galten… und in vielen Fragen war die Vorgehensweise Ermessenssache. Es galt, Missstände zu beseitigen und dennoch den Provinzbewohnern das Gefühl von Stabilität, Kontinuität und Rechtssicherheit zu vermitteln – eine der wesentlichen Grundsätze trajanischer Politik. Trajan hat die Provinz vorübergehend unter seine eigene Regie gestellt und war sich dessen bewusst, dass seine Entscheidungen Präzedenzfälle werden könnten, auf die sich spätere Provinzverwalter und nachfolgende Herrscher berufen. Daher die Sensibilität der Vorgehensweise, die sich sehr gut in der Korrespondenz zwischen Kaiser und Statthalter zeigt. Mal greift der Kaiser die Vorschläge des Plinius auf, mal drängt er ihn zu genauen Nachforschungen, ermutigt ihn zu eigenen Entscheidungen, verweist auf die vor Ort gültigen Regelungen; er entscheidet unbürokratisch, wo ihm bürokratische Entscheidungen zu hart erscheinen, und respektiert Verfügungen seiner Vorgänger. In einigen Fällen mildert er die Sichtweise seines Statthalters ab, ein andermal weist er ihn zurecht. Er unterstützt Anstrengungen der Provinzbewohner, möchte aber vermeiden, dass sie sich finanziell übernehmen. Das war die Vorgehensweise eines Monarchen, eines relativ besonnenen, gemäßigten zwar, der sich den Bürgern als wohlwollender Landesvater präsentierte und sich in seinem Auftreten dem Senat gegenüber oft zurücknahm, aber keinen Zweifel daran ließ, dass er in höchster Instanz dieses Reich lenkte.
Und dass Plinius bestrebt war, sich – auch mittels seiner sprachlichen und rhetorischen Fähigkeiten – beim Herrscher ins rechte Licht zu rücken, ist doch ganz verständlich und menschlich. Wer versucht denn das nicht bei seinem Chef.