Die schiere Menge der versuchten und vollendeten Selbsttötungen in Hitlers Umfeld ist tatsächlich ein interessantes historisches Faktum. Die Frage allerdings, ob der Suizid in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine weiterverbreitete Todesursache war als in den Zeiten davor oder danach, wage ich zu verneinen, ohne es belegen zu können. Darüber geben mit aller Wahrscheinlichkeit Statistiken und psychatrische Berichte Auskunft; vielleicht ist ein anderes Mitglied dieses Forums in der Lage, meine These in diesem Zusammenhang zu untermauern oder zu widerlegen.
Bedeutsamer ist m.E. die Überlegung, ob Selbsttötung damals gesellschaftlich anerkannt war. Auf eine eindeutige Aussage kann man die entsprechende Antwort nicht festlegen; deutlich ist jedoch, dass die Einstellung zum Suizid eine andere war als heute.
Ganz sicher nicht anerkannt und aus religiösen Gründen verboten war Selbsttötung aus Sicht der christlichen Kirchen; viele katholische Geistliche bspw. verweigerten Selbstmördern ein christliches Begräbnis. Der Einfluss der Kirchen auf die Gesellschaft war im fraglichen Zeitraum wesentlich höher als in unseren Tagen, insofern liegt es nahe, davon auszugehen, dass dem Thema Suizid insgesamt weniger Verständnis entgegengebracht wurde.
Der „ehrenvolle“ Tod jedoch, der eine Selbsttötung im Falle der Ausweglosigkeit dem Todestoß durch den Gegner oder Feind vorzog, war gerade in militärischen und adligen Kreisen nicht nur akzeptiert, sondern wurde teilweise gewährt und sogar bewusst eingefordert. Als Beispiel für letzteres im Zusammenhang dieses Pfades möge Friedrich Paulus, Kommandeur der 6. Armee dienen, den Hitler nach der Niederlage bei Stalingrad zum Generalfeldmarschall beförderte und gleichzeitig dessen Selbsttötung erwartete, da ein Feldmarschall nach den gängigen Vorstellungen nicht in die Gefangenschaft zu gehen habe. Wie aus den historischen Fakten bekannt ist, verweigerte Paulus diesen letzten „Befehl“ jedoch.
Der Suizid als „ehrenvoller“ Tod kommt jedenfalls für Generaloberst Ludwig Beck und Generalfeldmarschall Erwin Rommel in Betracht. Auf Rommel bezogen gebe ich aber Leo vollkommen Recht, der die Todesumstände oben bereits zusammengefasst hat. Eine Alternative hat man dem Offizier nicht gelassen, insofern ist es fraglich, ob in diesem Falle überhaupt von Selbstmord gesprochen werden kann.
Beck bat nach dem Scheitern des Attentats vom 20. Juli darum, ihm eine Pistole zu geben und ihn allein zu lassen. Generaloberst Fromm gewährte ihm diese militärische Bitte – da Beck aber noch lebte, nachdem er seinen Selbsttötungsversuch ausgeführt hatte, wurde er schließlich erschossen.
Den „ehrenvollen“ Tod als Offizier würden sicher auch Himmler und Göring für sich in Anspruch nehmen wollen. Bei beiden bleibt jedoch festzuhalten, dass sie aus Feigheit vor dem, was sie erwarten würde, den Selbstmord der Hinrichtung vorgezogen haben. Beide klammerten sich noch lange nach Untergang der NS-Herrschaft an ihr Leben, beide wählten schließlich als ultima ratio Gift. Göring schied mit den mehr als zynischen Worten „Erschießen hätte ich mich ohne weiteres lassen! Es ist aber nicht möglich, den Deutschen Reichsmarschall durch den Strang zu richten! Das kann ich um Deutschlands Willen nicht zulassen“ aus dem Leben und stahl sich somit aus seiner Verantwortung.
Man mag über die angesprochene Form des Suizides als „ehrenvollen“ Tod eines Soldaten denken, wie man will (ich selbst stehe dem Sachverhalt sehr kritisch gegenüber): Bei Himmler und Göring sehe ich diesen jedenfalls nicht gegeben.
Die Selbsttötung der Frauen um Hitler bleibt als Phänomen: Geli Raubal, die sich in Jugendjahren wegen ihres Onkels tötete; Eva Braun, die ihrem Geliebten in Untergang und Tod folgte; Unitiy Midford, diese „Bewunderin“ Hitlers aus England, die sich erschoss, als der Krieg ausbrach (sie lebte allerdings noch Jahre weiter). Depressionen bzw. depressive Phasen sagt die aktuelle Forschung ihnen jedenfalls allen nach. Mit Sicherheit war es Hitler selbst, der ein gutes Stück zum Suizid dieser Frauen beitrug. Joachim Fest beschreibt das mit dem Satz: „Die ihm am nächsten kamen, standen ihm nur weniger fern“. Vielleicht wurden sie am Subjekt ihrer Verehrung oder Liebe selbst krank.