Wie kommst du jetzt auf Goldhagen?
Es geht darum, dass H. als Geisteskranker dargestellt wird. Das hat man früher gerne gemacht. H. war ein Geisteskranker, eine kleine Clique von Fanatikern ist ihm gefolgt und der Rest konnte eigentlich nichts dafür. Aber so funktioniert eben keine Diktatur. Wäre Hitler geisteskrank gewesen, hätte er nicht Millionen begeistert.
Das war doch Goldhagen's These: 'Hitler's willige Helfer'. Von wegen '
der Rest konnte eigentlich nichts dafür'. Diese Einstellung wird von Anderen als
white wash verpoent.
Sozialdarwinismus ist ein fest etablierter Begriff. Darwin kann nichts für die Pervertierung seiner Lehre, aber sie ist nun mal pervertiert worden.der Rest konnte eigentlich nichts dafür
Der Rassenantisemitismus ist genauso eine Facette des Sozialdarwinismus, wie dieErmordung und Zwangs-Sterilisierung von psychisch Kranken oder vermeintlich psychisch Kranken, Alkoholikern und Behinderten und die Maxime der Nazis "Leben ist Kampf". In der nationalsozialistischen Ideologie ist Kampf - ergo Krieg - letztlich unvermeidlich.
Lediglich eine Frage der abstrakten Begrifflichkeiten.
'sozial engineering' sehe ich treffender weil sich Darwin's Hauptthese um Anpaesslichkeit drehte: jeh mehr sich ein Lebewesen an seine Umwelt anpasst, desto groesser seine Ueberlebenschance ...und umgekehrt. Hatte Darwin ja u.A. anhand von Vogelschnaebeln demonstriert. Deine Beispiele von "Ermordung und Zwangs-Sterilisierung usw " haben nun wirklich nix mit 'Anpaesslichkeit' zu tun. Be that as it is...
Dresche ich auf ein totes Pferd ein? Zunächst einmal haben wir das Problem des Zeitzeugen an und für sich (Bonmot: "Der größte Feind des Zeitzeugen ist der Historiker.")
Erinnerungen sind formbar.
Ich habe selbst 20 Jahre geglaubt, ich wäre zum 40. Jahrestag der DDR (nicht deswegen) in Berlin gewesen und mit meinen Eltern in Friedrichsstraße nicht in die DDR gekommen. Irgendwann habe ich das mal nachrecherchiert und festgestellt, dass zwischen unserem Aufenthalt in Berlin und dem 40. Jahrestag der DDR knapp sechs Wochen lagen. Aber es war eben kurz vorm Mauerfall und da haben sich meine Erinnerungen aus Selbsterlebten mit Erinnerungen von im Fernsehen Gesehenen vermischt.
Selbst der ehrlichste Zeitzeuge ist unzuverlässig. Wie viel mehr Zeitzeugen, deren Rolle etwas unrühmlich ist? Zeitzeugen, die ein Interesse in der einen oder anderen Art haben, ihre Rolle in einem Sachverhalt anders darzustellen, als sie wirklich warr?
Ich bin mir all dessen wohlbewusst und widerspreche Dir garnicht. Yes memory is pliable; 'biegsam' und offen fuer Suggestionen. Very much so. Es ist aber nicht zwangslaeufig so. Z.B. kann ein Parfuem, Bilder, Musik, Duefte und Geschmaeker ganz ploetzlich alte Erinnerungen sofort aufwecken. Ganz allgemein: jeh emotioneller, jeh lebensbedrohender, desto tiefer der Eindruck und somit seine Erinnerung.
Du gibst ein Beispiel aus Deinem Leben, erlaube mir ein Beispiel aus meinem Leben: als ich ~5 oder so Jahre alt gewesen war; damals in Wolfenbuettel, also in der brit. Besatzungszone gelebt hatte, hatten mich zwei Soldaten auf Motorraeder gejagt/verfolgt und durch scharfes Kurvenziehengegen einen Zaun gepresst. Natuerlich hatte ich Todesangst gehabt. Kann mich sogar noch an deren Uniform und Beret erinnern. Heute weiss ich dass das zwei teenage Tommies gewesen sein mussten, die sich ihren unschuldigen Spass mit son'em luettem Jungen gemacht hatten. Doch noch 75 Jahre danach, spielt sich das Erlebnis wie ein Film in meinem Kopf ab. Dies,obwohl ich prompt alles um mich herum vergesse. Zum Glueck vergesse ich nicht, dass ich arg vergesslich bin, mankann sich ja Zettel aufschreiben ...die man auch wieder vergisst...
Doch zurueck zum eigentlichem Thema: wenn ein Schriftsteller eine|n Zeitzeug:in interviewed, dann weiss er doch selber wie evaporativ Gedaechtnisse sein koennen oder etwas vorgauckeln koennen. Doch kann ein Author Bestaetigtes aus anderer Perspektive nochmals erzaehlen lassen indem Vergessenes durch Bild und Ton und anderer Veroeffentlichungen wieder in die Erinnerung zurueckrufen werden. .....und durch wiederum anderen Quellen bestaetigen lassen.
Vergiss bitte nicht, ich schrieb doch, 'wenn verschiedene Leute an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten im Wesentlichen das Gleiche schreiben', wenn man also Behauptunge trianguliert, so kann man gut davon ausgehen dass man hier von guter
'verisimilitude' sprechen darf, das alpha und omega jedes Authors. Wenn sich Umstaende wie ein roter Faden durch Erzaehlungen ziehen, dann kann es nicht von jedem Erzaehler erfunden worden sein. Zum Beispiel hatte es im feuchtkaltem 'Fuehrerbunker' graesslich nach Toilettenabwasser gestunken. Vor allem im Fruehling. Was logisch sein muss, wenn das System kaputt, verstopft ist und niemand die Kanalisation reparieren kann.
Ist das System der Verifizierung von Angaben wasserdicht? Nein. Allein schon weil Vieles nicht verifiziert werden kann.
Doch aus albernem Prinzip die Glaubwuerdigkeit von vielfach bestaetigten Geschichtsvorgaengen anzuzweifeln, ist muessig, ergo
'it's moot to flog a dead horse'.
Ich habe etliche Buecher die sich nur auf Augenzeugenberichte stuetzen, ueber quotidian Leben von Fluechtlingen, Hausfrauen oder prominente Deutsche gleich nach dem Kriege usw. Um nur fuenf von Vielen zu nennen: Erika Steinbach
, 'Die Macht der Erinnerungen'; Florian Huber, 'Kind versprich mir dass du dich erschiesst'; Hauke Goos and Alexander Smoltczyk, 'Ein Sommer wie kein anderer'; Herbert Hupka, Letzte Tage in Schlesien'; Alison Owings, 'Frauen'. In jedem zieht sich irgendwie ein roter Faden der Gemeinsamkeit durch. Deswegen sehe ich dort keinen Grund an deren
verisimilitude zu zweifeln.
Ich glaube, du hast mich nicht verstanden. Es ging darum, dass H. nicht zur Schau gestellt werden wollte und sich deswegen verbrennen ließ. Du hast geschrieben, dass das mit der Verbrennung nicht so ganz wie gewünscht funktionierte und die Sowjets dennoch Überreste von H. sichern konnten. Ich wandte ein, dass ein paar Knochenreste - anders als der gefangene H. oder zumindest die intakte Leiche - eben nicht präsentabel sind.
Well, meine Weisheit stammt auch nur aus Buechern.
Vielleicht steht in Deinen Buechern etwas anderes. Doch das Buch 'THE BUNKER' darf ich empfehlen.
Ursi hat geschrieben, dass es völlig egal gewesen sei, was Himmler und Göring noch machten, der Krieg ging so aus, wie er ausging, an diesem Ende war schon lange nicht mehr zu rütteln.
So habe ich ihre Worte nicht aufgefasst. Die Behauptung selber stimmt natuerlich haargenau.
Daraufhin hast du gefragt, ob Ursi den D-Day vergessen habe. Diese Frage ergibt in diesem Kontext keinen Sinn. Die Deutschen hatten sich militärisch übernommen und die die verübten Verbrechen insbesondere im Osten waren zu heftig, als dass ein anderer Ausgang des Krieges möglich gewesen wäre. Von den Allierten hatte nach dem Sommer 1944 längst niemand mehr ein Interesse an einem, womöglich für (einzelne) Nazis noch gesichtswahrenden Separatfrieden.
Well, sicher, stimmt fast alles. Stimme Dir bedingt bei . Allerdings:
"Von den Allierten hatte nach dem Sommer 1944 längst niemand mehr ein Interesse an einem, womöglich für (einzelne) Nazis noch gesichtswahrenden Separatfrieden."
Du vergisst, dass die Gruendung am 1.Januar 1942 und somit 'Satzung' der UNITED NATIONS' (U.N.) [!!Nicht!! der UNITED NATIONS ORGANISATION (U.N.O.) weder
"gesichtswahrenden Separatfrieden" noch sonst irgendwelche separate Annaeherungen oder gar bilateralen Vereinbarungen mit DEU absolut verboten hatte.
Dieses Verbot war z.B. der Grund gewesen, warum diejenigen Deutschen, die in Dulles's OSS Buero in Bern, oder OSS in Konstantinopel vorsprachen, dort auf taube Ohren stiessen: Gen. Marshall hatte daran erinnert, jeglichen Kontakt welchen auch immer, mit Deutschen per U.N. Satzung strikt abzulehnen und zu vermeiden. (Auch
'fraternisation with the enemy' war verboten
. Doch das Laecheln und der Charm deutscher 'Frauleins' war fuer love starved Amerikaner staerker als jedes Verbot.
Ja, sollte man, Höhne nahm seine Gesprächspartner zu oft beim Wort.
Subjektiver Eindruck nehme ich an?