Hochmittelalter - die "teuflische" Gabel

Dion

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Bei der Recherche zu meinem Roman, der immer noch nicht fertig ist, bin ich auf folgendes Zitat gestoßen (Chiara Frugoni: "Das Mittelalter auf der Nase"):

Der Klerus hielt die Gabel für ein Instrument verweichlichter Sitten und teuflischer Verderbtheit. Der hl. Petrus Damiani empfand nicht das geringste Mitleid mit der armen byzantinischen Prinzessin Theodora*, Gemahlin des Dogen Domenico Selvo, die mit der Gabel aß, sich miterlesenen Kostbarkeiten umgab und versuchte, die rauen Sitten des Abendlandes zu verfeinern: „Sie fasste die Speisen nicht mit den Händen an, sondern ließ sich das Essen von Eunuchen in kleinste Stücke schneiden. Diese führte sie dann mit Hilfe goldener, aus zwei Zinken bestehender Gabel zu Munde und kostete sie nur.“ Der grausame Tod der jungen Frau, die bei lebendigem Leib verweste („corpus eius computruit“), wird offenbar als gerechte Strafe Gottes für so eine Sünde betrachtet.
[…]
Die ersten Abbildungen von Gabeln fallen ungefähr in die Zeit der Strafpredigt des hl. Petrus Damiani.


Ich bin jetzt bei einem Abendessen auf einer mittelalterlichen Burg in Friaul, bei der auch ein Bischof anwesend ist bzw. sein muss. Aufgrund des oben Zitierten plane ich auch ein Streitgespräch über die Esssitten, obwohl meine Geschichte ca. 150 Jahren nach Damiani spielt – ich hoffe, da hat sich während dieser Zeit in Sachen Gabeln nicht viel getan, oder?

* Reindel spricht hier von Maria, die Nichte des Kaisers Basileios, die 1004 Johannes, Sohn und Mitregent des Dogen Pier Orseolo II., heiratete.
 
Bei der Recherche zu meinem Roman, der immer noch nicht fertig ist, bin ich auf folgendes Zitat gestoßen (Chiara Frugoni: "Das Mittelalter auf der Nase"):

Der Klerus hielt die Gabel für ein Instrument verweichlichter Sitten und teuflischer Verderbtheit. Der hl. Petrus Damiani empfand nicht das geringste Mitleid mit der armen byzantinischen Prinzessin Theodora*, Gemahlin des Dogen Domenico Selvo, die mit der Gabel aß, sich miterlesenen Kostbarkeiten umgab und versuchte, die rauen Sitten des Abendlandes zu verfeinern: „Sie fasste die Speisen nicht mit den Händen an, sondern ließ sich das Essen von Eunuchen in kleinste Stücke schneiden. Diese führte sie dann mit Hilfe goldener, aus zwei Zinken bestehender Gabel zu Munde und kostete sie nur.“ Der grausame Tod der jungen Frau, die bei lebendigem Leib verweste („corpus eius computruit“), wird offenbar als gerechte Strafe Gottes für so eine Sünde betrachtet.
[…]
Die ersten Abbildungen von Gabeln fallen ungefähr in die Zeit der Strafpredigt des hl. Petrus Damiani.


Ich bin jetzt bei einem Abendessen auf einer mittelalterlichen Burg in Friaul, bei der auch ein Bischof anwesend ist bzw. sein muss. Aufgrund des oben Zitierten plane ich auch ein Streitgespräch über die Esssitten, obwohl meine Geschichte ca. 150 Jahren nach Damiani spielt – ich hoffe, da hat sich während dieser Zeit in Sachen Gabeln nicht viel getan, oder?

* Reindel spricht hier von Maria, die Nichte des Kaisers Basileios, die 1004 Johannes, Sohn und Mitregent des Dogen Pier Orseolo II., heiratete.
Wende dich mal an das LWL-Landesmuseum in Münster. Die hatten vor ca. 25 Jahren mal eine Ausstellung zur Geschichte des Bestecks oder sogar nur speziell der Gabel. Vielleicht können die die noch nen alten Ausstellungskatalog schicken.
 
ich hoffe, da hat sich während dieser Zeit in Sachen Gabeln nicht viel getan, oder?


Ich interpretiere das so, dass die Hochmut die eigentliche Sünde war und nicht unbedingt die Gabel selbst. Sie hat sich damit von allen anderen abgesetzt. Sobald sich die Gabel durchsetzt, ist es also eigentlich keine Sünde mehr. Laut Wikipedia scheint sich die Gabel aber wohl erst später als 150 Jahre in Mitteleuropa verbreitet haben.

Essbesteck – Wikipedia

Interessant, dass die Gabel von Byzanz schon früh zu den Normannen gelangte. ("Die Heiden benutzen die Gabel" könnte man jemanden in den Mund legen.)

Was mir als erstes eingefallen ist, sind Teufelsdarstellungen. Da gibt es doch auch eine Gabel als Beiwerk. Vielleicht rührt das von der bei Wikipedia erwähnten Bibelstelle her: 1. Sam. 2, 13

In der Bibel (1. Sam. 2, 13) wird erwähnt, wie Priester bei der Opferhandlung gegen die Vorschriften verstießen und mit einer Gabel mit drei Zinken Opferfleisch aus dem Kessel holten.

EDIT: Soll ja auch keine wissenschaftliche Abhandlung werden. Der Bischof kann ja veraltete oder radikale Ansichten bezüglich Essbesteck haben :). Das muss ja nichtmals irgendwmo belegt sein. Er könnte auch der Überzeugung sein, dass Radischen die Zitzen des Satans und daher gefährlich seien.
 
(Chiara Frugoni: "Das Mittelalter auf der Nase"):

Der Klerus hielt die Gabel für ein Instrument verweichlichter Sitten und teuflischer Verderbtheit.
Sie schreibt weiter, dass ihr nur eine Abbildung einer Gabel aus dem 12 Jh. in einem Buch bekannt sei. Die Abbildung auf dem Pala d'Oro in San Marco wird doch auch dem 12. Jh. zugeschrieben?
VENEZIA. Basilica di San Marco, placchetta della Pala d’Oro, con Ultima Cena. – Museo Virtuale Ultima Cena
Wie erklären sich die beiden Gabeln auf dem Tisch beim letzten Abendmahl und was meinte der Klerus dazu?
Vielleicht Stoff für ein mittelalterliches Streitgespräch.
 
Gute Idee. :cool:

Dabei muss man wissen, dass Papst in Venedig nur selten gehört wurde. Venezianer machten immer, was sie wollten. Und sie waren östlich orientiert. Nicht nur des Handels wegen, sie importierten oder raubten auch die byzantinische Kunst bzw. beauftragten byzantinische Künstler.

Hier ein etwas besseres Foto des letzten Abendmahls aus Palla d'oro, auf dem man ganz deutlich die 2 Gabeln sehen kann:

pala-d-oro-ultima-cena.jpg
 
Wie erklären sich die beiden Gabeln auf dem Tisch beim letzten Abendmahl und was meinte der Klerus dazu?
Vielleicht Stoff für ein mittelalterliches Streitgespräch.
Vielleicht hilft dir diese Gabel (und die Beschreibung dazu) des Met. (Danke, Dion, für die bessere Aufnahme.)
Was der Klerus dazu meinte, weiß ich jetzt auch nicht. Wäre ja möglich, dass zweizackige Gabeln okay waren.:D

Zur Verwendung der Essgabel kann ich nur beitragen, dass im 18. Jh. an Buffetschränken in Stuben die Wasserbehälter verschwanden (ausgenommen in abgelegeneren Regionen, wie das Engadin), was in Zusammenhang mit der Verwendung der Gabel beim Essen stehen muss.(Serviergabel waren schon zuvor verbreitet, damit das Personal das Essen der Herrschaften, zumindest nicht vor deren Augen, begrapscht.) Was frühere Essensgewohnheiten angeht, ist auch die Darstellung von Servietten bei den Essenden beachtenswert, die ihre Hand auch mal am Tischtuch abwischten, was natürlich verpönt war(da erinnere ich mich nur vage an ein Anstandsbuch, vmtl. 16. Jh.) Besagte Wasserbehälter in Stuben gab es schon recht früh.(Gabriel Mälesskircher{aktiv zweite Hälfte 15. Jh.} fand sie bspw. interessant genug, um sie öfter abzubilden.)
 
Zuletzt bearbeitet:
Diesem Blog zufolge ist ist die "teuflische Gabel" zu den beliebten Mittelaltermärchen zu rechnen:

"Nahezu immer, wenn in populären Medien die Essgewohnheiten des Mittelalters thematisiert werden, dient dieses Beispiel dazu, gleichermaßen die vermeintlich rohen Tischsitten wie die naive Frömmigkeit und Kirchenhörigkeit zu illustrieren. Doch die These findet sich auch in zahlreichen Fachpublikationen zum Thema und hat es sogar ins renommierte Lexikon des Mittelalters geschafft. Die Geschichte vom Teufel, seiner Gabel und der Kirche ist zum Selbstläufer geworden, zum geschichtswissenschaftlichen Topos, der nicht länger hinterfragt, sondern nur mehr kolportiert wird.
Eines nämlich haben all diese Reiterationen, vom LexMA über bekannte Online-Lexika bis zur Kochsendung im Fernsehen, gemeinsam: Es fehlt ihnen an zeitgenössischen Quellen, um die so beliebte These zu belegen."
 
Was hat denn der Papst zur Gabel gesagt?
Innozenz III. sagte in seiner Schrift De miseria bumanae condicionis u.a.: Was gibt es Eitleres als den Tisch zu schmücken ... mit Gabeln und Salzfäßchen ...

Das bedeutet: Man hat Gabeln am Tisch gekannt, nur waren sie ein Import aus dem Konstantinopel, wo man - wie z.B. die Bäder - die römische Traditionen bewahrt bzw. weiter gepflegt hatte.

Nachzulesen hier: De contemptu mundi: sive, De Miseria humanae conditionis libri tres : Innocent, Johann Heinrich Achterfeldt : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive (Buchseite 115, Zeile 15)

Es fehlt ihnen an zeitgenössischen Quellen, um die so beliebte These zu belegen."
Ich habe schon ich in meinem Beitrag #109 teilweise Frugoni zitiert, die ihrerseits Petrus Damiani (einen der einflussreichsten Geistlichen des 11. Jahrhunderts) bzw. Reindel zitierte.

Das ist auch nachzulesen beim Kurt Reindel, Monumenta Germeniae Historica, Briefe der deutschen Kaiserzeit, Bd. 4, Nr. 66, S. 270, 9-11. In der Bayerischen Staatsbibliothek kann man das auch online lesen.
 
Ich bin auf einige Artikel gestoßen, die eigentlich immer nur Hildegard von BIngen, Damiani und Luther als Belege für eine Gabelfeindlichkeit nennen. Ich war mir nicht sicher, ob das als Hinweis auf eine allgemeine Haltung in der Frage reicht. Andererseits dürfte das sowieso ein Thema für Exoten gewesen sein, denn die meisten kamen mit der Essgabel gar nicht in Berührung.
 
Innozenz III. sagte in seiner Schrift De miseria bumanae condicionis u.a.: Was gibt es Eitleres als den Tisch zu schmücken ... mit Gabeln und Salzfäßchen ...

Das bedeutet:...

das bedeutet erstmal gar nichts, es sei denn, man kontextualisiert.

Dass das ,Elend des menschlichen Daseins' den Stoff liefert, aus dem Bestseller gemacht sind, dürfte schon im Mittelalter bekannt gewesen sein. Dennoch scheint es recht unwahrscheinlich, daß Lothar von Segni, der spätere Papst Innocenz III., als er im späten 12. Jahrhundert an der Kurie in Rom seinen Traktat De miseria humane conditionis verfaßte, mit dem spektakulären Erfolg seiner Schrift rechnete.

Was soll der dann Dein päpstlicher Bezug aussagen?

"Der Text bündelt das gesamte Arsenal der contemptus mundi'-Stereotypen zu einem - dem Thema fast unangemessenen - bunten Strauß, präsentiert das Elend in drei Büchern, unterhaltsam aufgelockert durch anschauliche und drastische von dessen Allgegenwart in den verschiedenen Lebensphasen, in allen sozia- len Schichten und in allen menschlichen Taten und Werken. Das zweite Buch „Vom elenden Fortgang des Lebens" (De progressa) ist eine Art Sünden- spiegel, der die Folgen menschlichen Begehrens nach Reichtum, Vergnügen und Ehrungen (opes, voluptates und honores) darlegt. Im dritten Buch schließlich „Vom elenden Ausgang" (De egressu) wird das Elend der Hölle und der Verdammnis beschrieben. Eintritt, Fortgang und Ausgang des menschlichen Lebens bilden eine Trinität des Elends, strukturiert in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, womit möglicherweise eine Analogie zum Augustinischen Gottesstaat gesucht wurde...

Vor allem hat man dem Verfasser übel genommen, daß er fast zwei Drittel seiner Schrift bei andern abgeschrieben hat. Achille Luchaire klagte über den „Ozean von Zitaten, der jede eigene Meinung des Verfassers überschwemme" und Walter Ullman befand das Werk für schlichtweg „unbedeutend und platt, voll von weinerlichen Sentimentalitäten und Gemeinplätzen und stammte es nicht vom späteren Innozenz III., wäre es zu Recht in Vergessenheit geraten"


Kehnel: Päpstliche Kurie und menschlicher Körper-Zur historischen Kontextualisierung der Schrift De miseria
humane conditionis des Lothar von Segni (1194)
 
Innozenz III. sagte in seiner Schrift De miseria bumanae condicionis u.a.: Was gibt es Eitleres als den Tisch zu schmücken ... mit Gabeln und Salzfäßchen ...

[...]

Nachzulesen hier: De contemptu mundi: sive, De Miseria humanae conditionis libri tres : Innocent, Johann Heinrich Achterfeldt : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive (Buchseite 115, Zeile 15)
Dann versuch doch mal, den Satz im Zusammenhang zu lesen - oder meinst Du im Ernst, "der Klerus" habe auch Becher, Schüsseln und Löffel für Teufelsgerät gehalten?
 
Auch hier geht es um goldenen Tand. Innozenz schließt das Kapitel mit:

Homo cum morietur, non accipiet haec omnia, neque simul cum eo descendet gloria eius.

Der Mensch, wenn er stirbt, nimmt dies alles nicht mit, sondern mit ihm vergeht seine Glorie.
 
Zur Ergänzung: eine weitere Darstellung mit Messer und Gabel als Essbesteck in einer Höhlenkirche in Göreme, Kappadokien. Die Kirche soll aus dem 11. Jh. stammen, d.h. aus dem Jahrhundert der Kirchenspaltung, als gegenseitig gebannt wurde. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass das Essen mit Gabel zwar nicht unbedingt als Blasphemie galt, aber im Vatikan als östlicher Ritus betrachtet wurde, falls überhaupt bekannt.
 
Andererseits dürfte das sowieso ein Thema für Exoten gewesen sein, denn die meisten kamen mit der Essgabel gar nicht in Berührung.
Ja, global betrachtet war das ein Thema für Exoten, aber in Venedig, Genua und Pisa, die allesamt enge Verbindungen zum byzantinischem Reich unterhielten, war das anders.

… und Walter Ullman befand das Werk für schlichtweg „unbedeutend und platt, voll von weinerlichen Sentimentalitäten und Gemeinplätzen und stammte es nicht vom späteren Innozenz III., wäre es zu Recht in Vergessenheit geraten"
Innozenz III. regierte 18 Jahre, das war eher selten in jener Zeit, jedenfalls regierte er länger als sein Vorgänger und sein Nachfolger zusammen, entsprechend mehr dürfte er seine Zeit geprägt haben.

Dann versuch doch mal, den Satz im Zusammenhang zu lesen - oder meinst Du im Ernst, "der Klerus" habe auch Becher, Schüsseln und Löffel für Teufelsgerät gehalten?
Klar hielt Damiani nicht nur die Gabel für völlig überflüssig, aber sein Hinweis auf den Tod der byzantinischen Prinzessin als gerechte Strafe für das essen mit der Gabel, zeugt schon deutlich, dass er die Gabel für ein Teufelszeug hielt. Siehe bitte dazu das Zitat in meinem ersten Beitrag in diesem Faden.

Auch hier geht es um goldenen Tand.
Klar geht es um goldenen Tand – wie eigentlich um alles, was das Leben angenehm macht.

Zur Ergänzung: eine weitere Darstellung mit Messer und Gabel als Essbesteck in einer Höhlenkirche in Göreme, Kappadokien. Die Kirche soll aus dem 11. Jh. stammen, d.h. aus dem Jahrhundert der Kirchenspaltung, als gegenseitig gebannt wurde. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass das Essen mit Gabel zwar nicht unbedingt als Blasphemie galt, aber im Vatikan als östlicher Ritus betrachtet wurde, falls überhaupt bekannt.
Dass die Gabel aus dem byzantinischen Reich kam, spielte bei deren Ablehnung durch einflussreiche Männer der lateinischen Kirche sicher eine Rolle.

Andererseits muss man sich fragen, warum die Gabel im Westteil des römischen Reiches offenbar in Vergessenheit geriet.
 
Andererseits muss man sich fragen, warum die Gabel im Westteil des römischen Reiches offenbar in Vergessenheit geriet.
Muss man eigentlich nicht, wenn die Römer nicht mit Gabeln aßen und die Verwendung der Essgabel aus dem Osten stammt. Ansonsten war die Gabel im Hochmittelalter ja bekannt, wie auf zahllosen Darstellungen ersichtlich.
 
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