Die Frage ist nun warum tun sie das?
Die Argumentation ist ein wenig komplexer und hat sich auch verändert, seit dem Ende des NS-Systems.
Lieske beschreibt die Strategie am Beispiel des Umgangs der extremen Rechten mit der Gedenkstätte Sachsenhausen. Die Haltung zum Genozid im Rahmen des Holocaust ist dabei eingebettet in einen "Masternarrativ". Dieser orientiert sich an dem Leitbild der "Siegergeschichtsschreibung" und der damit verbundenen Vorstellung, dass im Zuge der "Reeducation" den Deutschen durch die Sieger ein "falsches", weil auf "Lügen" aufgebautes Geschichtsbild vermittelt worden ist. Das Ziel der Reeducation war, den Deutschen einen "Schuldkult" zu vermitteln, der politische gegen Deutschland instrumentalisiert werden kann.
Man erkennt, dass auch diese Sicht auf die Geschichte eng eingebunden ist, in die Ablehnung der Medienlandschaft und gezielt sich deren Sichten widersetzt. Auch durch die Setzung eigener Themenschwerpunkte (Framing) und durch ein "Wording", dass sich der "normalen Sprache" in den Medien entzieht.
In diesem Sinne wird - aus den oben richtig beschriebenen juristisch Gründen (vgl. #5, StGB §130) - der Holocaust nicht explizit geleugnet und auch die Gedenkstätten nicht abgelehnt. Vielmehr eignet sich die extreme Rechte die Gedenkstätten an, um an diesen Orten "Aufklärung" zu betreiben. Also im Kern einen "Gegen-Narrativ" durch ihre Öffentlichkeitsarbeit im Web und vor Ort durch "informative Besuche" zu leisten.
Diese Besuche vor Ort, die explizit als "objektiv" im Selbstverständnis kommuniziert werden und sich nicht in der Tradition des "Schuldkultes" fühlen und somit unbeeinflußt sind durch "Reeducation". Um nicht juristisch angreifbar zu werden, wird auf "Ungereimtheiten" hingewiesen, die Zweifel streuen sollen und in die - nicht explizit formulierte - Frage einmünden, ob denn die Gesamtdarstellung korrekt sein könne.
Diese Fahrten zu Gedenkstätten und die damit verbundene "Aufklärungsarbeit" ist ein Bestandteil der ideologischen Schulung und der Selbstversicherung, dass der eigene Gegen-Narrativ korrekt ist.
Also im Kern weiterhin eine Leugnung.
Allerdings, wie man an den "Identitären" erkennen kann, wie Ebner sie beschreibt, wird auch teilweise ein - scheinbar - klarer Strich zwischen der heutigen rassistischen Politik und der Vergangenheit gezogen. Wie am Beispiel vom österreichischen Aktivisten Martin Sellner erkennbar, der sich von seinem Mentor Gottfried Küssel, einem "notorischen Holocaustleugner" distanzierte.
Hinter Formulierungen wie "Ethnopluralismus" stehen dabei Vorstellungen, die auf eine komplette und vollständige "Repatriierung von allen "Ausländern" - auch der 2ten oder 3ten Generation - abzielen. Und man mag sich nicht die Eigendynamik derartigen Phantasien vorstellen, sollten diese Leute jemals politische Macht erhalten.
Ebner, Julia (2019): Radikalisierungsmaschinen. Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren. 1. Aufl. Frankfurt a.M: Suhrkamp
Lieske, Dagmar (2015): Konzentrationslager. Die Gedenkstätte Sachsenhausen - Ein Erinnerungsort der extremen Rechte. In: Martin Langebach und Michael Sturm (Hg.): Erinnerungsorte der extremen Rechten. Wiesbaden: Springer VS (Edition Rechtsextremismus), S. 287–303.