Hunnenreich

Zananga

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Zur zeit Attilas herrschten die Hunnen unter anderem über die Alanen, Heculen, Ostgoten, Scythen, Westgoten, Gepiden, Skiren, Ruger, Langobarden und Thüringen. Aber hatte Attila auch tatsächlich kontrolle über die eroberte Gebiete? Kann man wirklich von ein Hunnenreich sprechen? Und wie verwaltete er sein Reich?
 
Literatur zu den Hunnen:

Altheim, Franz: Attila und die Hunnen, Baden-Baden 1951

de Boor, Helmut: Das Attilabild in Geschichte, Legende und Heroischer Dichtung, Darmstadt 1963

Homeyer, H.: Attila – Der Hunnenkönig von seinen Zeitgenossen dargestellt, Berlin 1951

Kiessling: Hunni, In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, 16. Halbband, Stuttgart 1913

Maenchen-Helfen, Otto J.: Die Welt der Hunnen, Wien, Köln, Graz 1978 (grundlegend)

Pohl, W.: Hunnen, In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Band 15, Berlin, New York 2000

Seeck, Otto: Attila, In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, 4. Halbband, Stuttgart 1896

Thompson, E. A.: The Huns, Oxford 1996

Wirth, Gerhard: Attila – Das Hunnenreich und Europa, Stuttgart, Berlin, Köln 1999
 
Zur zeit Attilas herrschten die Hunnen unter anderem über die Alanen, Heculen, Ostgoten, Scythen, Westgoten, Gepiden, Skiren, Ruger, Langobarden und Thüringen. Aber hatte Attila auch tatsächlich kontrolle über die eroberte Gebiete? Kann man wirklich von ein Hunnenreich sprechen? Und wie verwaltete er sein Reich?

Über einige der oben aufgezählten Völker herrschte Attila nicht und sie zählten auch nicht zum Machtbereich der Hunnen. So flüchteten die Westgoten vor ihnen 376 unter Fritigern über die Donau und mit Erlaubnis der Römer unter chaotischen Bedingungen ins Römische Reich, während die Ostgoten unter hunnische Herrschaft gerieten.

Die Langobarden siedelten bis Ende des 5. Jh. an der unteren Elbe, wo der Ort Bardowick und der Bardengau an sie erinnern, und zogen erst um 490 n. Chr. Richtung Süden nach Mähren und zu Beginn des 6. Jh. nach Pannonien. Unter hunnische Oberherrschaft gerieten sie in ihren Elbsitzen wahrscheinlich nicht, obwohl sich das nicht endgültig sagen lässt.

Wie das Reich Dschingis Khans, der unter seinem Banner nicht nur alle mongolischen, sondern auch die türkischen und tungusischen Nomaden Zentralasiens vereinigte, so umfasste das Reich Attilas, das einen hunnischen und vermutlich türkischen Kern hatte, alle sarmatischen, ostgotischen, gepidischen und andere Völker zwischen Ural und Rhein.

Sicher ist, dass bedeutende germanische Stämme wie die Ostgoten zur Zeit Attilas schon seit zwei Menschenaltern unter hunnischer Oberhoheit standen, sodass ihre Könige gegenüber Attila etwa im Verhältnis von Lehnsleuten lebten und kämpften.

In Siebenbürgen waren die Gepiden unter Attilas Herrschaft geraten, im NO des Karpatenbogens die über eine große Fläche verstreuten Rugier. Von den Thüringern ist sicher, dass sie Attila gehorchten. Dass die Hunnen mit der Unverhofftheit schneller Truppen wiederholt am Rhein auftauchten, wissen wir aus dem Schicksal der Burgunder.

Bei den Rheinfranken hatten die Brukterer enge hunnische Beziehungen, dazu kamen noch Heruler, Quaden und Markomannen, wie u.a. der langobardische Geschichtsschreiber Paulus Diaconus berichtet.

Angesichts der logistischen bzw. geografischen Verhältnisse ist davon auszugehen, dass das Hunnenreich Attilas einerseits nur lose gefügt war. Andererseits ist zu vermuten, dass sich kein germanischer Stamm gegen ihn auflehnte, da Attila eine echte Machtposition inne hatte, und den abhängigen Germanen bewusst war, dass die Hunnen mit großer Schnelligkeit überall zuschlagen konnten. Das Schicksal der Burgunder, das sich tief im Bewusstsein der Germanen einprägte, war ein warnendes Beispiel!

Bekannt ist, dass Könige, Fürsten und Gesandte der zwangsweise verbündeten Völker und Stämme oft wochen- und sogar monatelang am Hofe Attilas weilten und man kann vermuten, dass es dort zu "bilateralen Konsultationen" :D kam, wie man heute sagen würde. Manche, wie der Gepidenkönig Ardarich und der Ostgotenkönig Valamer, waren unter Attilas Beratern so einflussreich, dass ein enger Gedankenaustausch anzunehmen ist.

Dass Attila machtvoll über seine Vasallenvölker gebot, zeigt die Schlacht auf den Katalaunischen Feldern, wo Ostgoten, Gepiden, rechtsrheinische Franken, Heruler, Skiren und andere Völker mindestens die Hälfte des hunnischen Heeres stellten. Sie hätten die Gelegenheit nutzen können, auf römischer Seite gemeinsam mit ihren Stammesgenossen, den Westgoten, Burgundern und linksrheinischen Franken, zu kämpfen, was sie erstaunlicherweise nicht taten. Ob nun aus Gründen der Vasallentreue, der Angst vor den Hunnen oder weil die Eliten unter hunnischer Oberherrschaft reiche Beute heimbrachten, sei dahingestellt.
 
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Ups, das mit den Westgoten ist natürlich total Falsch und bei den Langobarden weiß man, wie bei den Sachsen, nicht ob sie den Hunnen angehörten.:autsch:
Aber wer führte eigentlich die Sarmaten und/oder Scythen? Denn Attila hat ja das Reich der Ostgoten, die über die Herculen und Sarmaten herrschten, zerstört. Dann tauchen die Ostgoten und Herculen, nach dem Fall des Hunnenreiches, beide in der Pannonische Ebene auf. Die beiden Stämme muss Attila also irgendwie deportiert haben, oder? Blieben die Sarmatische "Ureinwohner" in ihr Land oder wurden sie auch deportiert? Hat er das Gebiet der Ostgoten völlig Menschenleer hinterlassen?
 
Ups, das mit den Westgoten ist natürlich total Falsch und bei den Langobarden weiß man, wie bei den Sachsen, nicht ob sie den Hunnen angehörten.
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Aber wer führte eigentlich die Sarmaten und/oder Scythen? Denn Attila hat ja das Reich der Ostgoten, die über die Herculen und Sarmaten herrschten, zerstört. Dann tauchen die Ostgoten und Herculen, nach dem Fall des Hunnenreiches, beide in der Pannonische Ebene auf. Die beiden Stämme muss Attila also irgendwie deportiert haben, oder? Blieben die Sarmatische "Ureinwohner" in ihr Land oder wurden sie auch deportiert? Hat er das Gebiet der Ostgoten völlig Menschenleer hinterlassen?

Hmm, ich denke hier bist du zu sehr modernen Staatsbegriffen verhaftet. Attilas Reich war überwiegend nur eine Oberherrschaft, welche die Unterlegenen zu Tributzahlungen, Heeresfolge und ähnlichen Leistungen verpflichtete. Auch das von dir angesprochene Ostgotenreich (des Ermanarich) wird ähnlich strukturiert gewesen sein. Die Hunnen dürften kaum gezielte Deportationen ganzer Stämme vorgenommen haben. „Ureinwohner“ blieben immer einige zurück, wenn ein Volk/Stamm seinen Lebensraum wechselte. Die Ostgoten standen bereits lange vor Attila unter hunnischer Oberherrschaft. Er ist also eher unschuldig daran, das die Ostgoten nicht länger am Schwarzen Meer saßen.

Als das Attilareich zerfiel, geschah dies durch Aufstand der vorher verpflichteten Völkerschaften unter Führung des Gepidenkönigs Ardarich und nach militärischen Konflikten. Traditionell (gerade in diesen Zeiten) suchten die Unterlegenen häufig ihre Rettung, indem sie eine Ansiedlung im Römischen Reich erbaten, wo sie sicher waren. Die Ostgoten sind vermutlich auch auf diese Weise nach Pannonien gekommen: Als römische Foederaten! Das legt nahe, dass sie etwas zu lange an ihrer Allianz mit den unterlegenen Hunnen festhielten. Auch der Bericht die Hunnen hätten nach ihrem Abfall auf Goten in ihrem Herrschaftsbereich Jagd gemacht beweist nur, dass nach Abfall der Goten die Dominanz der (zerstrittenen) Hunnen nicht länger aufrecht erhalten werden konnte. Die gepidischen Haupt-Sieger in diesem Konflikt eigneten sich nun den lukrativen Kernbereich der hunnischen Herrschaft an, darunter wohl die Theißgegend.

Herwig Wolfram schildert beispielsweise, wie die Ostgoten von Teilen der ehemaligen Sieger im Aufstand gegen die Hunnen in ihren neuen Sitzen in Pannonien angegriffen wurden. In einem doppelten Spiel Ostroms gehörten zu ihren Gegnern etwa Skiren und Donausueben. Die Goten siegten. Kurz darauf tauchten in Weströmischen Diensten plötzlich Gefolgschaften der eben unterlegenen Skiren und Donausueben in Raetien und Italien auf. Auch der spätere selbsternannte „König Italiens“ Odoaker, welcher den angeblich letzten weströmischen Kaiser Romulus Augustus absetzte, gehörte wohl diesen Gruppen an…
 
Ups, stimmt bei der zerstörung des Ostgotenreiches war Atilla noch nicht geboren. Das Atillas Untertanen ihm nur locker unterstanden ist natürlich wichtig, aber das war mir schon bekannt. Sie hatten noch ihre eigene Könige die die Hunnen vor allem Heeresfolge leisten mussten.

"Deportation" ist natürlich ein sehr Ungünstiger begriff. Aber irgendwie sind die Herkulen und Ostgoten doch mit den Hunnen an die Donau gezogen. Das sie Foederaten von den Römern wurden war doch eine reine Bündniss-Sache, da Pannonien seit 433 offiziell den Hunnen abgetreten wurde und eigentlich schon viel länger unter Hunnischer kontrolle gestanden hatte.

Auch der Bericht die Hunnen hätten nach ihrem Abfall auf Goten in ihrem Herrschaftsbereich Jagd gemacht beweist nur, dass nach Abfall der Goten die Dominanz der (zerstrittenen) Hunnen nicht länger aufrecht erhalten werden konnte.

Den Satz verstehe ich nicht so ganz, die Goten waren von den Germanen die Hunnen doch am günstigten gesinnt, siehe der Schlacht am Nedao.
 
Den Satz verstehe ich nicht so ganz, die Goten waren von den Germanen die Hunnen doch am günstigten gesinnt, siehe der Schlacht am Nedao.

....."Deportation" ist natürlich ein sehr Ungünstiger begriff. Aber irgendwie sind die Herkulen und Ostgoten doch mit den Hunnen an die Donau gezogen. Das sie Foederaten von den Römern wurden war doch eine reine Bündniss-Sache, da Pannonien seit 433 offiziell den Hunnen abgetreten wurde und eigentlich schon viel länger unter Hunnischer kontrolle gestanden hatte.

Also Pannonien war vor 433 von den Hunnen sehr verwüstet worden. Ich würde das nicht als "unter Kontrolle" stehend beschreiben wollen. Sie hatten die Macht sich dort zu nehmen was sie brauchten, ohne das Land wirklich in Besitz zu nehmen oder zu besiedeln. Es scheint am Naheliegendsten zu sein, dass die Goten erst dorthin zogen, nachdem die Hunnen von den Aufständischen nach Osten abgedrängt worden waren... Wo genau die Sitze der Ostgoten zwischen Auftauchen und Abzug der Hunnen gewesen sind ist unklar. Ich wüsste nicht dass sich ein Historiker da festgelegt haben sollte.

Auf welcher Seite die Ostgoten in der Schlacht am Nedao kämpften - und ob überhaupt ist strittig! Herwig Wolfram hält es für möglich, das die Goten der Schlacht fern blieben und dadurch den Sieg der Aufständischen ermöglicht haben könnten. Das würde die "Menschenjagd" auch sehr gut erklären! Andererseits haben sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht selbst als treibende Kraft am Aufstand teilgenommen, den Hunnen also die inzwischen schon mehrere Generationen andauernde "Gefolgschaft" nicht frühzeitig aufgekündigt. Es gibt auch Stimmen, wonach die Goten am Nedao auf hunnischer Seite mit unterlegen waren. Wie auch immer würden beide Optionen Gründe genug haben sich in das Römische Reich abzusetzen, selbst wenn es eine in großen Teilen abgewirtschaftete Provinz war wie Pannonien.

Gerade bei Ostgoten scheint sich mit den Hunnen eine gegenseitige Beeinflussung während dieser Zeit angebahnt zu haben. Es heißt, dass am Hofe Attilas das Gotische die/eine Verkehrssprache gewesen ist und Andererseits schreibt man gerade den Goten häufig Gräber mit nach hunnischer Sitte geformtem Turmschädel zu. Einige deuten sogar das Porträt von Theoderich dem Großen auf seiner bekannten Goldmünze so, dass er einen Turmschädel gehabt haben könnte... (Was natürlich spekulativ ist).

Wie auch immer: Alle Gemeinsamkeiten hatten ein Ende, nachdem spätestens nach der Schlacht am Nedao die Macht der Hunnen gebrochen war. Die Hunnen wurden aus ihrem ehemaligen Kernbereich an der Theiß vertrieben und wanderten wohl nach Osten ab, wo am ehesten die bisherigen Sitze der Ostgoten zu vermuten sind. Einige Attilasöhne fanden sich nicht gleich mit ihrem Schicksal ab und es gab viele Kämpfe der Hunnen mit allen möglichen Gegnern - und auch untereinander. Auch in Pannonien waren die Goten vor ihnen nicht sicher und sie mussten einmal einen Angriff eines Attilasohnes dort abschlagen. Das ist ein Wirrwarr, den ich nicht durchblicke. Bald tauchten auch hunnische Gruppen auf der Krim auf, wo sie die Krimgoten erfolglos angriffen. Die Völker waren wieder in Bewegung geraten.

Versucht man die unklaren Abläufe weitgehend auszublenden und schaut sich die Lage nach "Abzug" der Hunnen aus dem "Kernland" des Attila an, bietet sich folgendes Bild. Die Hunnen hatten dieses Kernland verlassen Müssen und wogten zurück nach Osten, in die einst traditionellen Lande der Ostgoten vor dem Auftauchen der Hunnen. Die Siegerkoalition im Aufstand gegen die Hunnen behielten im Wesentlichen ihre Sitze bei und verleibten sich die "Kernlande" des Attilareichs ein, welche die Hunnen verlassen hatten. Die Goten jedoch wurden im Osten von den Hunnen wohl mit Hass verfolgt, hatten keinen Anteil an der Landaufteilung der siegreichen Aufständischen und tauchen plötzlich an den Römischen Grenzen auf, vor allem in Pannonien, welches bis vor Kurzem noch die Römer an die Hunnen "verliehen" hatten. Da sie nun mit Foederatenvertrag auf Reichsgebiet siedelten, kann dies nur mit Zustimmung der Römer erfolgt sein. All dies weist nicht darauf hin, dass die Goten irgendwelche Ansprüche als "Sieger" in diesen Kämpfen im Barbaricum hätten stellen können!

Die neuen Sitze waren wohl alles Andere als besonders Attraktiv, denn trotz des gotischen Sieges gegen eine Koalition der "kleinen Sieger" aus dem Aufstand gegen die Hunnen, wanderte etwa eine ostgotische Gruppe unter Führung eines Amalers in Richtung auf Italien ab, wo sie geschlagen und zu den Westgoten in Südfrankreich "durchgereicht" wurden. Auch die übrigen pannonischen Goten sind wohl nicht gerne geblieben und bald begannen die Wechselspiele zwischen Konstantinopel und den pannonischen Goten. Theoderich versuchte zuerst Land weiter im Süden zu erhalten, bis man sich auf den Zug nach Italien gegen Odoaker einigen konnte...
 
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