Nowgorod/Sophienkathedrale 1862 - 1.000 Jahre Russland?

Ralf.M

Aktives Mitglied
Eine Frage an die Russlandkenner.

Die Russen sind immer stolz auf ihre 1.000jährige Geschichte.

Da gibt es sogar in der Sophienkathedrale im Nowgoroder Kreml, ein Denkmal das im Jahr 1862 eingeweiht wurde.

Man verweist da auf den Kiewer Rus und beginnt mit den warägischen Fürsten „Rjurik“ (um 830-879).
Es folgen 24 Großfürsten. Der letzte Großfürst des Kiewer Rus ist ja Großfürst Mstislaw (geb. unbekannt – 1170).
Danach folgen die 18 Großfürsten von >Wladimir-Susdal<.
Darunter der hier kürzlich diskutierte Großfürst Alexsander Newski (um 1220 – 1263).
Und dann kommen die Großfürsten von Moskau und Zaren von Russland. Es sind ja 12 an der Zahl.
Der 1. in der Reihe ist ja der der Sohn von Alexsander Newski, auch genannt „Daniel von Moskau“.
An 11. Stelle finden wir dann „Iwan IV., genannt auch „Iwan der Schreckliche“.
Er gilt als 1. gekrönter russischer Zar. Krönung war 1547.

Bei 1.000 Jahre Russland beginnt also die russische Historie so etwa in der Mitte des warägischen Fürsten „Rjurik“.
Oder wäre auch „Iwan der Schreckliche“ denkbar?
 
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Die Russen sind immer stolz auf ihre 1.000jährige Geschichte.

Da gibt es sogar in der Sophienkathedrale im Nowgoroder Kreml, ein Denkmal das im Jahr 1862 eingeweiht wurde.
Ich denke, die Einweihung des Denkmals bezieht sich auf das 1.000jährige Jubiläum der Thronbesteigung von Rjurik. Laut Nestorchronik wurde er 862 Fürst des Novgorder Rus. Der Kiewer Rus entstand erst nachdem Rjuriks Nachnachfolger Oleg, der Weise danach strebte, den gesamten "Weg von den Warägern zu den Griechen" zu kontrollieren und die Gegend um Kiew 882 unterwarf.
 
Bei 1.000 Jahre Russland beginnt also die russische Historie so etwa in der Mitte des warägischen Fürsten „Rjurik“.
Oder wäre auch „Iwan der Schreckliche“ denkbar?

Wenn man dezidiert von "Russland" sprechen will, hielte ich Ivan IV. jedenfalls für einen sinnvolleren Ansatzpunkt, als nach Mode des 19. Jahrhunderts so weit, als irgendwie mit viel Zurechtbiegen begründbar, zurückdatieren zu wollen.
Die "Rus", war ja in keiner Weise ein stabiles einheitliches Gebilde, sondern am Ende ein Zusammenhang verschiedener Fürstentümer, die ihren Zuschnitt, ihre Zugehörigkeit und im Rahmen der Senioratsverfasung ihre jeweiligen Herrscher recht dynamisch änderten.
Und das Moskauer Fürstentum, dass danach kam, war zunächst mal ein Nachfolgegebilde von vielen, bis in die 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts hinein, nicht eimal dasjenige, dass alle anderen dominiert hätte, das kam dann auch erst mit der Ausschaltung Novgorods.

Ivan IV. ist für mich deutlich sinnvoller, wenn man dezidiert von "Russland" sprechen möchte, ich persönlich würde aber noch weiter gehen und von "Russland" eigentlich erst ab Michail I. sprechen.

Einfach weil Ivan IV. sich zwar den Zarentitel zulegte und ansehnliche Territorialgewinne hatte, aber nichts gefestigtes hinerlies.
Nach ihm kam noch Fjodor I. als ein recht schwacher Herrscher und dann war es mit den Rurikiden zu Ende und die darauf folgende "Zeit der Wirren", brachte so einiges an Instabilität und Umwälzung mit sich, die so weit gingen, dass es zeitweilig nicht unmöglich schien, dass Wladyslaw IV. Wasa die Herrschaft zufallen würde und "Russland" damit als Juniorpartner in Personalunion mit Polen-Litauen verbunden worden wäre.

Smuta – Wikipedia
Władysław IV. Wasa – Wikipedia

Ich persönlich würde favorisieren von "Russland" als einigermaßen gefestigtem Konstrukt erst unter den Romanows ab Michail I. zu sprechen und da auch erst ab 1633, weil hier das Ableben des Patriarchen "Philaret" die faktische Doppelregentschaft von Zar und Patriarch beendete.
Vielleicht sogar erst ab dem Herrschaftsantritt von Alexej I., weil eigentlich erst hier die Romanows als Dynastie sich wirklich festigen.
 
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Das halte ich für übertrieben streng gesehen. Meiner Meinung nach kann man zumindest ab Iwan III. von "Russland" sprechen: Die meisten Fürstentümer waren oder wurden unter der Herrschaft Moskaus vereinigt, die Vorherrschaft der Goldenen Horde endgültig gebrochen, man konnte sich gegen die Expansionsbestrebungen Polen-Litauens etablieren, und dann natürlich noch das erstmalige Führen des Zaren-Titels. Die territoriale Zersplitterung wurde also weitgehend beendet, die Fremdherrschaft der Goldenen Horde abgeschüttelt und die Gefahr einer neuen Fremdherrschaft durch Polen-Litauen abgewehrt.
Schwächephasen gab es danach noch, ja, aber als Staat, der einen Großteil des noch heute russischen Osteuropa beherrschte (und zunehmend auch nach Osten vordrang), entwickelte sich Russland dennoch recht kontinuierlich weiter. Daran änderte auch die "Smuta" nicht wirklich etwas, da sämtliche Versuche, eine polnische Marionette oder gar einen polnischen Prinzen auf dem Zarenthron zu etablieren, rasch scheiterten und die polnischen Invasoren nicht einmal Moskau wirklich in den Griff bekamen, geschweige denn die Masse des russischen Territoriums kontrollierten. Nachhaltig nutzen konnte Polen-Litauen die Schwäche Russlands nicht.
 
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@Ravenik

Ich denke, es kommt darauf an, an welcher Stelle man einen qualitativen Umbruch sehen möchte.
An dem Punkt, an dem die ersten größeren Anzeichen von Neuerungen beginnen oder an dem Punkt, an dem sichtbar wird, dass sie sich dauerhaft verfestigen würden?

Und da bin ich der Meinung, dass die "Smuta" durchaus nochmal einen Einschnitt darstellt, der alles noch einmal mächtig ins Wanken bringt, nicht nur wegen dem Eingreifen Polen-Litauens und der Tatsache, dass zeitweise Wladislaw IV. den Zarentitel führte, sondern auch weil das Ende der Rurikiden und die anschließende Vakanz zunächst einmal auch zu einer sehr herausgehobenen Stellung des Patriarchen und der Bojaren führten, die es so vorher nicht gab und die erst mit den Romanows endet.

Die Teilfürstentümer, die die Rus noch ausgemacht hatten, sind verschwunden, das ist wohl war. Dafür bestimmten zwischen Fjodor I. und Michail I. de facto aber die Bojaren und ihre verschiedenen Parteiungen den Gang der Dinge, einschließlich der Tatsache, wen sie gerade mal zum Zaren erhoben oder absetzten.
 
Ich würde die Kontinuität eines Landes nicht daran festmachen, ob es einen starken Monarchen gibt oder ob faktisch andere das Sagen haben, solange nicht das Land als solches völlig desintegriert.
Selbst wenn Polen eine echte Chance gehabt hätte, tatsächlich ganz Russland unter polnische Herrschaft zu bringen (was ich nicht glaube) - geschehen ist es in der Realität nicht, und somit wurde die Kontinuität Russlands auch nicht unterbrochen.
 
Ich würde die Kontinuität eines Landes nicht daran festmachen, ob es einen starken Monarchen gibt oder ob faktisch andere das Sagen haben, solange nicht das Land als solches völlig desintegriert.
Selbst wenn Polen eine echte Chance gehabt hätte, tatsächlich ganz Russland unter polnische Herrschaft zu bringen (was ich nicht glaube) - geschehen ist es in der Realität nicht, und somit wurde die Kontinuität Russlands auch nicht unterbrochen.

Womit wir wieder bei der Frage zum Beginn des vorangegangenen Postings wären.

Wo will man die Entstehung ansetzen? Bei den ersten sich manifestierenden Anzeichen einer qualitativen Änderung oder erst an dem Punkt, an dem absehbar ist, dass sie sich verfestigen?

Du sprichst davon, dass Kontinuität durch die Smuta nicht unterbrochen worden wäre, kann man machen.
Ich persönlich interpretiere das eher so, dass die Smuta und ihre Ende überhaupt erst einmal beweisen, dass dort etwas entstanden ist, was tatsächliche Kontinuität entwickeln konnte.
Deswegen ist für mich die Smuta Teil des Entstehungsprozesses.

Davon, dass Polen-Litauen eine reelle Chance gehabt hätte das Gebiet dauerhaft unter polnisch-litauische Herrschaft zu bringen, möchte ich hier auch nicht ausgehen.
Dennoch wird man feststellen können, dass der Erhebung von Bojaren, wie Boris Godunow oder Wassili Schujski zu Herrschern, die Wahl eines ausländischen Königs zum Herrscher, so wie die Wahl und Absetzung eines Herrschers durch die Bojaren überhaupt etwas darstellten, was in vorherigen Zeiten nicht so unbedingt üblich war.

Dabei geht es nicht nur um einen starken oder schwachen Herrscher, sondern auch um das institutionelle Verhältnis von Herrscher, Geistlichkeit und Bojaren, im weiteren Sinne also Ständen überhaupt zu einander.
 
Noch eine Frage...
Ist bekannt ob es für Russland so was gibt wie es z.B für Norwegen gibt?

Historia Norwegiehttps://snl.no/Historia_Norwegie

Zur Angabe des Autor...

„Der Autor war wahrscheinlich ein norwegischer Geistlicher. Er kannte die damals weit verbreiteten Schriften Adams von Bremen zur Geschichte der Hamburger Erzbischöfe (1070), Honorius von Autun (Deutschland, um 1130) und Überlieferungen des Zauberers Merlin (6. Jahrhundert), die vermutlich Geoffrey aus Monmouth als Ausgangspunkt hatten. Darüber hinaus hatte er auch norwegische mündliche oder schriftliche Quellen.“
 
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Ich habe den Verdacht, dich nicht ganz ŕichtig zu verstehen. Aber vielleicht ja doch: Meinst du so etwas, wie die Erste Nowgoroder Chronik?
 
Ich suche etwas so in der Art eines Faksimiles wo der Name Russland als erstes auftaucht.
Müsste dann die Zeit vor 1533 (Krönung Iwan IV.) sein z.B. aus einem Kloster oder ähnliches).
Habe herum gegoogelt, finde aber nichts.

Finde unter den Slawenstämmen (West-, Ost- und Südslawen) nicht mal die, die am rechten Nebenfluss des Dnjepr – den Fluss Рось (deutsch Ros) siedelten.

Ich finde nur, dass von diesen Fluss her sich der Name Russe entwickelt hat.

„Einer Version zufolge war der Fluss namensgebend für die Ethnonyme Russen und Russland (russisch: Rossija).“

Aussage bei Wikipedia wenn man ROS (Dnjepr) eingibt.
 
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Die Ersterwähnung der "Rus" dürften die "Annales Bertiniani" für das Jahr 839 enthalten: Dort wird von einer byzantinischen Gesandtschaft an Kaiser Ludwig berichtet, in deren Gefolge sich auch Männer befanden, "qui se, id est gentem suam, Rhos vocari dicebant" (die sagten, dass sie, das ist ihr Volk, Rus genannt werden).
 
Die Ersterwähnung der "Rus" dürften die "Annales Bertiniani" für das Jahr 839 enthalten: Dort wird von einer byzantinischen Gesandtschaft an Kaiser Ludwig berichtet, in deren Gefolge sich auch Männer befanden, "qui se, id est gentem suam, Rhos vocari dicebant" (die sagten, dass sie, das ist ihr Volk, Rus genannt werden).

Danke!
Genau, so was habe ich gesucht.
 
Das Wort Ukrainer setzte sich in der Ukraine erst im 19. Jahrhundert durch, woraus viele Russen schließen, dass diese und die Kleinrussen ein Volk sind. Der gleiche Name bedeutet aber nicht, dass es ein Volk ist Slowenen und Slowaken, Serben und Sorben, haben auch den gleichen Namen sind nicht ein Volk.

Das die Ukrainer, Weißrussen und Russen aus einem Urrussischen Volk hervorgegangen sind, wird jetzt auch ein stolzer Ukrainer nicht verhehlen. In Äthiopien sind aus dem Uräthiopischen Volk auch die Amharer und Tigray entstanden.

Für jeden "Punkt" in der russischen Geschichte, wo man den Beginn von Russland ansieht wird man legitime Argumente dagegen und dafür finden.

Das ist mal wieder eine "nicht objektive" Definitionssache.

Natürlich heißt es nicht, weil Kiew die Hauptstadt der historischen "Rus" ist, dass es eine russische Stadt im heutigen Wording ist, wie es russische Nationalisten gerne tun.

Wörter können auch ihre Bedeutung verändern und das ist mit Rus eindeutig der Fall.
 
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