Interdependenzen von Kolonialismus und Flottenrüstung?

Scorpio

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Wo ich den Kram gerade sehe, auch wenn das jetzt schon etwas älter ist:



Nichtdesto weniger wurden mit Ausmahe von Kiauchou/Tsingtau alle nennenswerten größeren Kolonien unter Bismarck "erworben". Dabei schreckte ein Bismarck auch nicht davor zurück mit Gestalten wie Carl Peters zu kooperieren.
Unter Wilhelm dem Letzten, nach Bismarcks Entlassung wurde zwar viel Lärm um Kolonien gemacht, bis auf ein paar Quadratmeter Kamerum (2. Marokko-Krise), den "Caprivi-Zipfel" und damit den Zugang zum Zambesi, und Kiauchou kamen dabei aber lediglich ein paar koloniale Krümmel im Pazifik herum.
Insofern würde ich meinen sollte man vielleicht einmal aufhören Bismarcks Rolle in der ganzen Kolonialangelegenheit dauernd zu relativeren.
Der Mann war kein Kolonialenthusiast, dass ist richtig, dass hinderte ihn aber so gar nicht, am Aufbau des deutschen Kolonialreiches mitzuwirken. Die Grenze war bei ihm erst an dem Punkt erreicht, wo das außenpolitisch Schwierigkeiten brachte.

Es wurden tatsächlich alle deutschen Kolonien mit Ausnahme von Kiautschou/Tsingtau vor Bismarcks Rücktritt "erworben" dazu kam natürlich noch Neu-Kamerun, ein Teil des französischen Kongo, den man 1911 nach der 2. Marokkokrise gegen den sogenannten Kameruner "Entenschnabel" tauschte und gegen die Anerkennung der französischen Ansprüche in Marokko.

Bismarck war kein Kolonialenthusiast, und er sah die Gefahren, denen sich das Reich mit einer Weltmachtpolitik aussetzen musste. Trotzdem war natürlich auch Bismarck ein Imperialist. Unter seinem Vorsitz fand 1885 die Berliner Kongokonferenz statt, in der Afrika unter den europäischen Mächten aufgeteilt wurde. Mit Ausnahme von Liberia, das seine Existenz vor allem amerikanischen Abolitionisten verdankt und Äthiopien gegen dessen König Theodor die Briten eine Strafexpedition unternahmen, das aber selbstständig blieb und italienische Kolonialexpeditionen 1896 bei Adua abwehrte, waren alle Staaten Afrikas Kolonien. Uganda konnte unter König M´Tesa Kabaka und seinen Nachfahren eine gewisse Eigenständigkeit und Selbstverwaltung bewahren.

Bei der Kongokonferenz war auch nicht ein einziger Afrikaner anwesend, von den Konferenzteilnehmern hatte nur Henry Morton Stanley längere Zeit in Afrika gelebt. Stanley war eigentlich ein amerikanischer Journalist britischer Herkunft. Im Auftrag des Herausgebers des New York Herald, Gordon Bennett hatte er 1871 den verschollenen David Livingstone gefunden. Im Rahmen einer Expedition, die vom New York Herald und dem Daily Telegraph finanziert wurde, hatte Stanley als erster Europäer Afrika von Ost nach West durchquert und den Victoriasee kartographiert. Stanley hatte auch das Rätsel des Lualaba gelüftet. Man wusste bis dahin nur, dass es ein mächtiger Strom war, der Hunderte Kilometer nach Norden floss, ob es sich um den Niger, einen Zufluss des Nils oder den Kongo handelte, war unbekannt. Stanley überwand unzählige Katarakte und hatte 32 Gefechte zu bestehen, bis er den Kongo stromabwärts bis zum Atlantik folgte. Alle seine europäischen Begleiter und gut die Hälfte der Träger und Askari überlebte Stanleys Expedition, der danach von Leopold II. von Belgien angeworben wurde.

Leopold hatte bereits mehrere Versuche unternommen, eine Kolonie zu gründen, auf der Kongo-Konferenz wurde seine riesige Privatkolonie völkerrechtlich von allen europäischen Mächten anerkannt. Stanley sammelte Verträge von Häuptlingen, in denen die Eingeborenen alle Besitzrechte an Land, Bodenschätzen, Vieh, Besitz und Wild abtraten. Stanley verfasste ein Buch über den Kongo-Freistaat, er und Leopold wurden bis in die jüngste Vergangenheit als Philanthropen verklärt. Jedes Schulkind lernte in Belgien und in Belgisch-Kongo, dass Leopold II. dem Kongo die Zivilisation und das Christentum brachte. In Belgien hat erst vor ganz wenigen Jahren ein Umdenken eingesetzt. 2012 schloss das von Leopold II. gegründete Museum für Zentralafrika seine Pforten, um eine museale Neuorientierung einzuleiten. Die Museumsleitung erklärte, dass man sich der Meinung des Historikers und Journalisten Adam Hochschild angeschlossen habe, der die Kongogräuel für einen Völkermord hält.
 
Es wurden tatsächlich alle deutschen Kolonien mit Ausnahme von Kiautschou/Tsingtau vor Bismarcks Rücktritt "erworben" dazu kam natürlich noch Neu-Kamerun, ein Teil des französischen Kongo, den man 1911 nach der 2. Marokkokrise gegen den sogenannten Kameruner "Entenschnabel" tauschte und gegen die Anerkennung der französischen Ansprüche in Marokko.

Ich möchte hier nur kurz der Ordnung halber widersprechen.
Es kamen nach Bismarck jedenfalls noch West-Samoa, die Karolinen und die Marianen hinzu.

Wurde zwar administrativ alles Deutsch-Neuguinea zugeschlagen, aber das waren dennoch post-bismarck'sche Erwerbungen.
Ändert natürlich nichts daran, dass die "Erwerbung" fast aller bedeutenden Kolonialgebiete auf die Bismarck-Zeit zurückgeht.
 
Ich wusste nur noch, dass Neuguinea um 1886 (?) deutsche Kolonie wurde, West Samoa, die Karolinenen und die Marianen wurden kurz um die Jahrhundertwende deutsche Kolonien. Es gab dazu ausgedehnte Feierlichkeiten unter Vorsitz von Wilhelm Solf. Dessen Witwe Hanna war während des Krieges zentrale Figur eines konservativen Widerstandskreises gegen das NS-Regime. Dr. Wilhelm Solf war in der deutschen Kolonialgeschichte eine recht interessante Persönlichkeit. Er lernte etwas Samoanisch und war davon überzeugt, dass sich die Kolonialverwaltung sich in innere Angelegenheiten der indigenen Bevölkerung so wenig wie möglich einmischen sollte und für eine Stabilisierung der deutschen Kolonialherrschaft eine Selbstverwaltung der Einheimischen nötig sei.

Eigentlich ging es ja auch um die Aussage von @Griffel, wie schade es war, dass Wilhelm II. Bismarck zum Rücktritt genötigt habe. Golo Mann schreibt in seiner Deutschen Geschichte von 1888-1918 dass das vielleicht das Vernünftigste war, was Wilhelm II. überhaupt jemals getan hat, dass er nur leider gar nicht begriff, was er tat, da er selbst im Grunde Bismarckianer gewesen sei.

Man sollte bei aller Kritik an Wilhelm II. nicht übersehen, dass der Aufhänger des Streits zwischen Wilhelm II. und Bismarck sich nicht so sehr am persönlichen Regiment des Kaisers entzündete, an all den ungeschickten und undiplomatischen rhetorischen Ergüssen des Kaisers, sondern in der unterschiedlichen Einstellung zu den Sozialisten. Bismarck wünschte ein zweites, noch härteres Sozialistengesetz, und Bismarck wollte notfalls auf streikende Arbeiter im Ruhr-Gebiet schießen.
Dass Wilhelm II. das nicht wollte, durchaus Verständnis für die soziale Frage aufbrachte und auch ein Kaiser für die Arbeiter sein wollte, gehört eigentlich zu den sympathischeren Zügen an Wilhelms Persönlichkeit.

Bismarck hat natürlich zweifellos Verdienste um den Frieden Europas und ihm waren die Gefahren einer deutschen Weltmachtpolitik bewusst. Er wünschte keine Kolonien und hielt vermutlich all die überseeischen Erwerbungen nicht wert, um dafür pommersche Grenadiere zu opfern. Er hoffte, durch koloniale Kompensationen die europäische Lage zu entschärfen. Als die öffentliche Meinung Kolonien forderte, hat Bismarck eine koloniale Politik eingeleitet und dabei auch mit ziemlich dubiosen Zeitgenossen wie Carl Peters und Adolf Lüderitz zusammengearbeitet. Das Deutsche Reich war nach dem britischen Empire und dem französischen Kolonialreich die drittgrößte Kolonialmacht, und der überwältigende Anteil der überseeischen Gebiete Deutschlands war vor Bismarcks Sturz erworben worden.
 
Nördliche Marianen und Karolinen konnte Spanien in Folge des Krieges mit den USA "abgekauft" (oder besser abgeknöpft) werden.
Sozusagen ein "Handwechsel".
 
Eigentlich ging es ja auch um die Aussage von @Griffel, wie schade es war, dass Wilhelm II. Bismarck zum Rücktritt genötigt habe.

Es ist ja im Allgemeinen ein generelles Problem, dass es mindestens in der öffentlichen Erinnerungskultur nach wie vor ein ziemlich eingeschliffenes Paradigma gibt, nachdem Bismarck positiv verklärt, bzw. Wilhelm II. im Vergleich dazu überzogen negativ dargestellt wird.
Ich meine, dass die Kolonialpolitik da eines der auffälligeren Themenfelder ist, anhand derer man das feststellen kann.
Wilhelm II. tönte groß, aber wirklich nennenswertes, kam bei der "Weltpolitik" in Sachen Kolonien ja nicht herum. Kiautshou, ein paar Fitzel in Afrika und ein paar Inseln im Pazifik und darüber hinaus ein Abkommen, das in Aussicht stellte eventuell irgendwann mal die Portugiesen teilbeerben zu können und ein Bisschen informaller Einfluss im osmanischen Reich, China und Siam.

Aber nichts wirklich greifbares. In Sachen Ausdehnung der direkten Herrschaft Deutschlands ist unter Bismarck einiges mehr gelaufen und ich denke, dass man durchaus auch diskutieren könnte, inwiefern gewisse Entwicklungen der wilhelminischen Zeit im Hinblick auf ihre Initialzündung eigentlich noch bis auf Bismarcks Politik zurückgehen.

Da könnte man sich z.B. die Frage stellen, Ob sich eine derartige Flottenbegeisterung und die Vorstellung eines Konkurrenzkampfes mit Großbritannien um außereuropäischen Einfluss, sich bei der der Bevölkerung und in der Politik in dieser Weise hätten verfestigen und zum Paradigma hätten werden können, wenn nicht unter Bismarck die territorial recht ansehnlichen Gebiete in Afrika und Neuguinea "erworben" worden wären.
Ich halte es für meinen Teil für durchaus vorstellbar, auch wenn das am Ende natürlich spekulativ ist, dass ohne die ausgedehnte, direkte Herrschaft in Übersee, nur auf Basis wager, informeller Einflusszonen, es möglicherweise zu keinem solchen Interessengegensatz mit Großbritannien gekommen wäre und der Bevölkerung wahrscheinlich auch der Aufbau einer Flotte nur sehr schwer zu vermitteln gewesen wäre, wären das Einzige, was Deutschland in Übersee zu schützen gehabt hätte, materiell nicht greifbare Handelsverträge gewesen.


Ist natürlich eine hypothetische Überlegung, aber ich denke, dass es sich lohnt dabrüber nachzudenken, ob aus den Bismarck'schen "Erwerbungen", sich ganz manifeste Langzeitfolgen ableiten lassen, die zwar zeitlich eher mit Wilhelm II. korrespondieren, ihre Ursache aber bereits früher haben.


Geht aber allmählich auch zu weit vom Thema des Fadens weg.
Gibt es eigentlich ein separates Thema, dass sich mit der Interpretation der Rollen Wilhelm II. und Bismarcks im Vergleich befasst?
 
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Bismarck'sche Grundsteinlegung habe ich nicht in die Überschrift hineinbekommen. Wenn jemand eine Idee hat, her damit.

Die kritische Phase der Luxury Fleet (Herwig) bzw. Weltgeltungsflotte im Rüstungswettlauf begann mit dem Dreadnought-Sprung.
Flottenrüstung als industrielle Spitzentechnologie. Die Vorgängerflotte war aus britischer Sicht eher ein Witz, die Nachfolgerin das berüchtigte "Messer an der Kehle" (Tirpitz), dass GB letztlich 1912 sogar zum radikalen Strategiewechsel im Mittelmeer, dem Türscharnier zur East-of-Suez-Ausrichtung, zwang.

Mahan passt ebenfalls in diese Ecke, wenn man den direkten Vergleich D/USA sieht.
 
Man sollte bei aller Kritik an Wilhelm II. nicht übersehen, dass der Aufhänger des Streits zwischen Wilhelm II. und Bismarck sich nicht so sehr am persönlichen Regiment des Kaisers entzündete, an all den ungeschickten und undiplomatischen rhetorischen Ergüssen des Kaisers, sondern in der unterschiedlichen Einstellung zu den Sozialisten. Bismarck wünschte ein zweites, noch härteres Sozialistengesetz, und Bismarck wollte notfalls auf streikende Arbeiter im Ruhr-Gebiet schießen.
Dass Wilhelm II. das nicht wollte, durchaus Verständnis für die soziale Frage aufbrachte und auch ein Kaiser für die Arbeiter sein wollte, gehört eigentlich zu den sympathischeren Zügen an Wilhelms Persönlichkeit.

Bismarck hat natürlich zweifellos Verdienste um den Frieden Europas und ihm waren die Gefahren einer deutschen Weltmachtpolitik bewusst. Er wünschte keine Kolonien und hielt vermutlich all die überseeischen Erwerbungen nicht wert, um dafür pommersche Grenadiere zu opfern. Er hoffte, durch koloniale Kompensationen die europäische Lage zu entschärfen. Als die öffentliche Meinung Kolonien forderte, hat Bismarck eine koloniale Politik eingeleitet und dabei auch mit ziemlich dubiosen Zeitgenossen wie Carl Peters und Adolf Lüderitz zusammengearbeitet. Das Deutsche Reich war nach dem britischen Empire und dem französischen Kolonialreich die drittgrößte Kolonialmacht, und der überwältigende Anteil der überseeischen Gebiete Deutschlands war vor Bismarcks Sturz erworben worden.

jau...nur...drittgrößte Kolonialmacht? Naja, da hülfe ein Vergleich der Größe der Kolonialgebiete ein wenig, die Relationen deutlicher zu machen...
Bismarck waren die Kosten des Kolonialismus immer gegenwärtig, die ganz realen im Vergleich zu den Erlösen oder gar Erträgen, wenn ich mich recht erinnere. Defacto spielten die Kolonien wirtschaftlich für das Dt. Kaiserreich eine geringe Rolle, rentabel waren sie schon gar nicht.

Der Industriekapitalismus bildete die alles entscheidende ökonomische, technologische und politische Grundlage des Aufstiegs, des Bedeutungszuwachses des Dt. Reiches vor 1914. Die wichtigen Import- und Exportmärkte des industriellen Sektors waren nicht die Kolonien.

Die Überschrift des Faden lautet Interdependenzen Kolonialismus und Flottenrüstung. Also praktisch nicht zu widerlegen, denn irgendwelche wichtigen Korrelationen gibt es ganz sicher. Dass mit den Dreadnoughts von Tirpitz nicht die Kaiserreich-Kolonien erobert, bewacht oder verteidigt werden sollten, wollten und konnten, dürfte, bilde ich mir ein, ebenfalls recht sicher sein.

Und dass KWII. das tradierte Seemacht-Konzept der Britischen Wirtschaft und Administration mit seinen vielen Hafen-Stützpunkten weltweit als tragendes Netzwerk nicht so ganz verstanden hat, scheint mir ebenfalls deutlich zu sein.
 
jau...nur...drittgrößte Kolonialmacht? Naja, da hülfe ein Vergleich der Größe der Kolonialgebiete ein wenig, die Relationen deutlicher zu machen...

Ja, aber wenn man darüber zankt, wer nun die wievieltgrößte Kolonialmacht war, sollte man da vielleicht auch die Größe der Bevölkerung der Gebiete und den Reichtum an Schlüsselrohstoffen mit einbeziehen?

Drittgrößte Kolonialmacht ohnehin nicht. Da sollte man Russlands Koloniale Peripherie in Zentralasien und Sibirien nicht vergessen, auch wenn die nicht überseeisch war.

Nimmt man das zusammen haben Großbritannin Frankreich und Russland schon in einer deutlisch anderen Liga gespielt, als das Kaiserreich unter Bissmark, wenn man Wert auf Bevölkerungsgröße und Rohstoffe der Kolonien liegt, wahrscheinlich auch die Niederlande mit ihren ausgedehnten Besitzungen im heutigen Indonesien.

Zu Bismarcks Zeit, spielte, wenn man diese Faktoren zusammen nimmt, dass Deutsche Kolonialreich in etwa in einer Liga mit dem, was Belgien, Portugal, Spanien und mit gutem Willen die Niederlande vorzuweisen hatten.

Bismarck waren die Kosten des Kolonialismus immer gegenwärtig, die ganz realen im Vergleich zu den Erlösen oder gar Erträgen, wenn ich mich recht erinnere. Defacto spielten die Kolonien wirtschaftlich für das Dt. Kaiserreich eine geringe Rolle, rentabel waren sie schon gar nicht

Dann muss man, wenn man das mit der Wilhelminischen Zeit und im Besonderen der späteren Periode vergleichen will, aber auch die steigende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, den technischen Fortschritt, die effektiver werdende Rohstoffverarbeitung und das Aufkommen der chemischen Industrie im größeren Sinne berücksichtigen, würde ich meinen.
Auch wenn das Kolonialreich auch zu Wilhelm II. Zeiten sich für Deutschland finanziell nicht lohnte, konnte man sicherlich angesichts des industriellen Fortschritts noch Hoffnungen darauf machen, dass sich das mit der Zeit, noch ändern würde, wenn andere Rohstoffe an Bedeutung gewännen und die Erschließung effektiver werden würde.

Bismarck stammte aus altem Adel mit seinem landwirtschaftlichen Hintergrund und wird solche Perspektiven eher nicht gesehen haben.
Von daher würde ich die rein finanzielle Dimension des Kolonialreiches da nicht so kritisch sehen, weil man es als Investition in die Zukunft betrachten konnte.
Natürlich kostete das erstmal eher Geld, aber das hing ja auch, mindestens in Teilen mit dem Ausbau der Infrastruktur zusammen.
Ob dieses Kolonialreich, im Besonderen, wenn man es noch geschafft hätte die Portugiesen in Nordangola und Nordmozsambique zu beerben und den eigenen Einfluss in China weiter auszuhaben, dass Potential gehabt hätte, sich auf Dauer wenigstens selbst zu tragen oder langfristig profitabel zu werden, wissen wir nicht, da ist einmal der Weltkrieg dazu gekommen. Aber der und der Verlust der Kolonien, war ja bis in den August 1914 hinen ja nicht die einzige aller möglichen Zukünfte.

Insofern würde ich meinen, war Bismarck, zumal ja auch langsam absahbar am Ende seines Lebens angekommen, wenn er den ökonomischen Nutzen betrachtete auf den Status Quo zu seiner Zeit fokussiert, Wilhelm II und Leute wie Bülow schauten da vielleicht vor den sich abspielenden technischen Entwicklungen auch etwas mehr in die Zukunft, würde ich mal mutmaßen

Der Industriekapitalismus bildete die alles entscheidende ökonomische, technologische und politische Grundlage des Aufstiegs, des Bedeutungszuwachses des Dt. Reiches vor 1914. Die wichtigen Import- und Exportmärkte des industriellen Sektors waren nicht die Kolonien.

Nein, die wichtigsten Märkte waren nicht die Kolonien, aber ich denke man sollte sich da auch die Potentiale im Auge behalten. Es ist ja nicht so, dass Namibia und Tanzsania über keine interessanten Rohstoffe verfügten, die der Deutschen Industrie als strategisch sichere Bezugsquelle nicht irgendwann zum Nutzen hätten gereichen können.
Nur mussten die erstmal erschlossen werden und die für den Abbau zur Verfügung stehenden Technologien so weit ausreifen und so kostengünstig werden, dass die Vorkommen dann auch abbauwürdig geworden wären.
Das war zur Zeit von KWII noch nicht der Fall, aber dass hätte 20-30 Jahre in die Zukunft durchaus der Fall sein können.
Und was Absatzmärkte angeht, so hatte Mindestens Kiauchou/Tsingtau, wenn man bedenkt, dass da noch die Bahn-Konzession für die gesamte Provinz Shandong mit drann hing, durchaus auch ein Bisschen was an Potential.
Vor allem war das ein Ansatzpunkt um seinen Fuß auf die Märkte in Ostasien zu bekommen.

Die Überschrift des Faden lautet Interdependenzen Kolonialismus und Flottenrüstung. Also praktisch nicht zu widerlegen, denn irgendwelche wichtigen Korrelationen gibt es ganz sicher. Dass mit den Dreadnoughts von Tirpitz nicht die Kaiserreich-Kolonien erobert, bewacht oder verteidigt werden sollten, wollten und konnten, dürfte, bilde ich mir ein, ebenfalls recht sicher sein.

Die Dreadnaughts an und für sich sind ja im Grunde genommen ohnehin insofern eine skurrile Entwicklung, die auf eine an und für sich überholte Technik und Seekriegsdoktrin setzte.
Man könnte sich, speziell aus deutscher Sicht sicher mit einer Berechtigung fragen, ob diese Dinger de facto für irgendwas gut sein konnten, außer um gegen eine hypothetische Nahblockade in der Nordsee vorzugehen und als Protzobjekte um Eindurch zu schinden.
Aber die dreadnaugths waren ja durchaus keine notwendige Entwicklung und am Ende ja auch nicht der Beginn der Flottenbegeisterung.
Das 1. Flottengesetz wurde ja bereits 8 Jahre bevor die Drednaught vom Stapel ging verabschiedet. Auch beim zweiten Flottengesetz von 1900 spielte das Theme "Drednaugth" noch keine Rolle und auch noch kein Wettrüsten mit den Briten, schon gar keine Einkreisungsobsessionen gegenüber einer hypothetischen Tripple-Entente, denn die war ja nun zu diesem Zeitpunkt, noch überhaupt nicht absehbar, hier hatten die Briten ja noch keinen Ausgleich mit Frankreich und dem Zarenreich zustande gebracht.

Was bei dem zweiten Flottengesetz heraus kam, war sicherlich noch nicht die Hochseeflotte in ihrer Kampfstärke nach dem Dreadnaugth-Sprung, aber, würde jedenfalls ich meinen, für ein Land mit einer doch realtiv bescheidenen Küstenlinie wie Deutschland, schon sehr beachtlich.

Wiki folgend, sah das Flottengesetz von 1900 vor Die Schlachtflotte aufzurüsten auf eine Sollstärke von:

4 Geschwadern zu je 8 Linienschiffe und 4 Reserveschiffe, 14 große und 38 kleine Kreuzer

Flottengesetze – Wikipedia

Das wäre dann immerhin eine Sollstärke von nicht wengier als 36 Linienschiffen und 52 Kreuzern gewesen.

Ich denke, dass man, wenn man da nicht die manifeste direkte Herrschaft über die großen Gebiete in Afrika gehabt hätte, dass in dieser Form nicht durchbekommen hätte.
Um sich mit den Briten anzulegen, hatte man zu diesem Zeitpunkt ja noch überhaupt keinen Anlass und im Hinblick auf eine potentille Auseinandersetzung mit Russland und Frankreich, bei einem neutalen oder befreundeten Großbritannien, wäre eine solche Aufrüstung unnötig gewesen, weil diese Auseinandersetzung ohnehin an Land entschieden worden wäre.

Was also war der Grund, dass Flottenrüstung bereits zu diesem Zeitpunkt in diesem Maße mitgegangen wurde? Nicht nur aus Sicht eines KWII und eines Tirpitz, sondern auch aus Sicht der Reichstagsabgeordneten und Reichstagsparteien, die der ganzen Angelegenheit ja ihr Plazet geben mussten?

Mindestens bis hier hin, so lange noch kein ernsthaftes Bestreben und auch gar keine sinnvolle Notwendigkeit ruchbar waren, sich mit die Briten anlegen zu müssen oder zu wollen, würde ich einmal unterstellen wollen, dass der Schutz der eigenen kolonialen Besitzungen, zumal gerade 2 Jahre zuvor noch Tsingtao/Kiauchou dazu gekommen war, hier eine nicht unwichtige Rolle gespielt haben dürfte und nicht nur der Schutz wager immaterialler Handelsinteressen und Verträge.
Wenn man das aber unterstellt und darüber hinaus auch, dass die Flottennovellen ab 1906 ja nicht irgendwo im luftleeren Raum herumwaberten und bereits auf einer vorhandenen, zwar nicht übegroßen, aber doch ansehnlichen Flotte aufbauten, würde ich meinen, muss man sich die Frage stellen, ob die Legung des Fundaments für die deutsch-britische Flottenrivalität, ohne die bismarck'schen Erwerbungen überhaupt denkbar gewesen wäre, wenn man bedenkt, wie man in Preußen, mit dem Thema Flotte vor den 1880er Jahren umgegangen war.


Und dass KWII. das tradierte Seemacht-Konzept der britischen Wirtschaft und Administration mit seinen vielen Hafen-Stützpunkten weltweit als tragendes Netzwerk nicht so ganz verstanden hat, scheint mir ebenfalls deutlich zu sein.

Das nun zweifellos, der gute Herr verstand ja diverse Konzeptionen, was den militärischen Bereich angeht, bei aller vorhandenen Begeisterung nur oberflächlich oder unvollständig.
Aber ich denke, was die Flotte angeht, wäre es sinnvoll etwas davon weg zu kommen, was KWII. oder Tirpitz dachten und sich der Frage anzunähern, was sich eigentlich die Mitglieder des Reichstags und der Bevölkerung dachten, die dem Ausbau der Flotte Zustimmung signalisierten, als das Gespenst der Einkreisung, nun auch durch Großbritannien so noch nicht im Raum stand.

Und ich denke, da müsste man sich wirklich einmal die Umstände des 2. Flottengesetzes von 1900 einmal näher anschauen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Trifft es Wirkmacht von Interdependenzen im Sinne einer Bewertung des davon ausgehenden Drucks besser? Dies im Sinne der Bedeutung kolonialer Intentionen beim Zustandekommen der Rüstung?

1. gab es tatsächlich/belastbare Zusammenhänge strategischen Denkens, die Räume und Rohstofferwartungen mit der Flotte zusammenbrachte?

2. wie separiert man dann davon überhaupt die viel breiter aufgestellte - allgemeine - Argumentationslinie Mahans, dass eine/jede ökonomische Großmacht eine Seemacht voraussetzt? Kolonien sind da nur ein Randaspekt.

3. setzt die ökonomische Großmacht ab 1850 zwingend die - entsprechend der Ökonomie skalierten - Seemacht voraus? Historisch gäbe es mit zwei Sonderfällen nur eine kriegsfolgenbedingte Reduktion: Japan und Deutschland. [Umgekehrt gab es Ambitionen, die Skalierung der Seemacht über ökonomische Bedeutung hinaus auszudehnen]

4. die Tirpitzsche Risikoflotte hatte eigentlich - wie @andreassolar unter Hinweis auf die fehlenden logistischen Linien und Infrastruktur/Kohlestationen schon erwähnte, ein paar Ansätze wie Marokko wurden erstickt - immer nur den Schwerpunkt Nordsee. Eine Bedeutung von Kolonien wäre da nur propagandistisch zu sehen, Verpackung ohne Substanz?

5. Dürfte mindestens der Marine klar gewesen sein, und ließe sich das belegen, dass jedes deutsche Kolonialreich im Fall des nächsten Europäischen Krieges weg sein würde, oder anders: das Schicksal der Kolonien würde sich ohnehin in der Nordsee oder vor Paris entscheiden? Sozusagen: die Karolinen und Deutsch-Ostafrika werden vor Helgoland und an der Marne verteidigt.
 
Trifft es Wirkmacht von Interdependenzen im Sinne einer Bewertung des davon ausgehenden Drucks besser? Dies im Sinne der Bedeutung kolonialer Intentionen beim Zustandekommen der Rüstung?

1. gab es tatsächlich/belastbare Zusammenhänge strategischen Denkens, die Räume und Rohstofferwartungen mit der Flotte zusammenbrachte?

Die Frage ist, brauchte es die oder reichten wage Hoffnungen darauf aus?

2. wie separiert man dann davon überhaupt die viel breiter aufgestellte - allgemeine - Argumentationslinie Mahans, dass eine/jede ökonomische Großmacht eine Seemacht voraussetzt? Kolonien sind da nur ein Randaspekt.

Nunja, ich denke, man könnte dahingehend argumentieren, dass dies für Großbritannien, Japan und die USA in einem gesonderten Maße gilt, zumal diese ohne Beherrschung der Meere zu einem Großteil der Landmasse dieses Planeten auch überhaupt keinen Zugang haben/hatten, was sicherlich für Großbritannien und Japan noch mehr gilt, als für die USA.
Man könnte dieser Konzeption beliebige Formen einer "Kontinentalblock-Konzeption" gegenüberstellen, die ja im Grunde genommen, bereits mit der Idee der Napoléonischen Kontinentalsperre in der Welt ist.
Zumal wenn man die Möglichkeiten bedenkt, die die Eisenbahn in dieser Zeit bereits bietet.

3. setzt die ökonomische Großmacht ab 1850 zwingend die - entsprechend der Ökonomie skalierten - Seemacht voraus? Historisch gäbe es mit zwei Sonderfällen nur eine kriegsfolgenbedingte Reduktion: Japan und Deutschland. [Umgekehrt gab es Ambitionen, die Skalierung der Seemacht über ökonomische Bedeutung hinaus auszudehnen]

Ich denke, dass das ganz massiv davon abhängt, wo sich diese Macht selbst befindet und mit welchem Rivalen sie zu tun hat.
Es ist ja darauf hingewiesen worden, dass für Deutschland das Hauptabsatzgebiet der eigenen Industrieerzeugnisse nicht die Kolonien, sondern das europäische Ausland war.
Das gilt im Umkehrschluss aber auch für Großbritannien und dementsprechend großen ökonomischen Druck hätte man natürlich auch durch Landsiege innerhalb Europas auf die Briten ausüben können. Das mag ja nicht zuletzt auch ein Grund gewesen sein, warum man sich von britischer Seite anno 1914 für ein Eingreifen in den Weltkrieg entschloss.
Wären die US-Amerikaner der Hauptkonkurrent gewesen, würde sich das möglicherweise anderes verhalten haben und am Ende der Seemacht die entscheidendere Rolle spielen.
Aber so lange die potentiellen Konkurrenten in Europa theoretisch besiegt oder so schwer geschädigt werden konnten, dass sie irgendwann hätten einlenken müssen?
Ich denke, so lange das möglich war, war der dauerhafte Schlüssl zur ökonomischen Großmacht genau so gut an Land zu finden, wenn man in der Lage war zu Lande Europa zu dominieren.


4. die Tirpitzsche Risikoflotte hatte eigentlich - wie @andreassolar unter Hinweis auf die fehlenden logistischen Linien und Infrastruktur/Kohlestationen schon erwähnte, ein paar Ansätze wie Marokko wurden erstickt - immer nur den Schwerpunkt Nordsee. Eine Bedeutung von Kolonien wäre da nur propagandistisch zu sehen, Verpackung ohne Substanz?

Die Risikoflotte in ihrer Konzeption in den letzten Jahren vor dem Krieg schon, dass ist wohl richtig.

Nur ich bezog mich ja auch explizit auf die Situation um das 2. Flottengesetz und das Jahr 1900 herum.
Zu diesem Zeitpunkt waren, die deutschen Ambitionen in Marokko ja durchaus noch nicht aufgegeben und die schwerfälligen, rohstoffintensiven Drednaughts waren ja hier noch nicht in der Welt.

Würde sich meiner Meinung nach die Frage stellen, war die Flottenpolitik immer nur auf den Schwerpunkt Nordsee ausgerichtet oder war die Flottenpolitik jedenfalls vor der 2. Marokko-Krise und dem Zustandekommen der Tripple-Entente nicht (jedenfalls perspektivisch) wesentlich flexibler aufgestellt, bzw. hatte durch die politischen Grundkonstellationen ganz andere Spielräume, was die Versorgung angeht?

5. Dürfte mindestens der Marine klar gewesen sein, und ließe sich das belegen, dass jedes deutsche Kolonialreich im Fall des nächsten Europäischen Krieges weg sein würde, oder anders: das Schicksal der Kolonien würde sich ohnehin in der Nordsee oder vor Paris entscheiden? Sozusagen: die Karolinen und Deutsch-Ostafrika werden vor Helgoland und an der Marne verteidigt.

Da müsste man sich wohl damit beschäftigen, welche Erwartungen die Marineleitung ihrerzeit an einen künftigen europäischen Krieg hatte.
Ich weiß nicht, wie weit die sich über die Vorstellungen von Landoperationen, die Bevorratung mit Munition für einen eventuellen Krieg etc. im Klaren waren.
Ausgehend davon dass alles auf einen kurzen Krieg ausgelegt war und eigentlich auch für anderes die kriegswirtschaftlichen Grundlagen fehlten (Salpeter usw.) hätte man dies in der Marineleitung, wenn man sich dieses Zustands bewusst war, eigentlich davon ausgehen müssen, weil dann hätte klar sein müssen, dass überhaupt keine Zeit sein würde, einen langwierigen Seekrieg überhaupt führen zu können, weil man vorher an Land entweder gewonnen oder verloren haben würde.
Vor diesem Hintergrund, wenn das bekannt gewesen wäre, wäre die Konzentration auf die eine große Auseinandersetzung in der Nordsee wiederrum konsequent gewesen, weil dann hätte klar sein müssen, dass vor diesem Hintergrund die Marie die Chance haben würde einen oder zwei größere Schläge zu führen, mehr aber auch nicht, jedenfalls nicht, wenn die Briten mitspielten und damit eine effektive Blockade Deutschlands möglich würde um die Zufuhr mit kriegswichtigen Rohstoffen kappen zu können.
Wären die Briten nicht involviert gewesen, hätte das natürlich anders ausgesehen.
 
Dann muss man, wenn man das mit der Wilhelminischen Zeit und im Besonderen der späteren Periode vergleichen will, aber auch die steigende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, den technischen Fortschritt, die effektiver werdende Rohstoffverarbeitung und das Aufkommen der chemischen Industrie im größeren Sinne berücksichtigen, würde ich meinen.
Auch wenn das Kolonialreich auch zu Wilhelm II. Zeiten sich für Deutschland finanziell nicht lohnte, konnte man sicherlich angesichts des industriellen Fortschritts noch Hoffnungen darauf machen, dass sich das mit der Zeit, noch ändern würde, wenn andere Rohstoffe an Bedeutung gewännen und die Erschließung effektiver werden würde.
Das war zur Zeit von KWII noch nicht der Fall, aber dass hätte 20-30 Jahre in die Zukunft durchaus der Fall sein können.
Und was Absatzmärkte angeht, so hatte Mindestens Kiauchou/Tsingtau, wenn man bedenkt, dass da noch die Bahn-Konzession für die gesamte Provinz Shandong mit drann hing, durchaus auch ein Bisschen was an Potential.
Vor allem war das ein Ansatzpunkt um seinen Fuß auf die Märkte in Ostasien zu bekommen.


Rein hypothetische, überholte Überlegungen, bilde ich mir ein.
Die nicht nur technologisch rapide Entwicklung der Kaiserreich-Industriegesellschaft vergrößerte den Abstand zu den Kolonien in praktisch allen Bereich: infrastrukturell, industriell, verkehrstechnisch, politisch-organisatorisch, wissenschaftlich, Arbeitswelt etc. Und verringerte ihn nicht etwa.
Bei den zunächst noch weiter bestehenden Kolonialmächten wie GB kann man dies nachvollziehen. Keine der Kolonien wurde etwa durch die weitere industrielle Entwicklung und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erfolgreich 'initiiert' und eine wirtschaftliche Stütze.
Mir sind auch keine führenden industriellen oder Finanz-Persönlichkeiten aus dem Dt. Kaiserreich zwischen, sagen wir mal 1900 und dem Beginn WK I. bekannt, die dies substanziell und langjährig behauptet haben und entsprechende breite angelegte, langjährige 'Zukunftsinvestitionen' in Kaiserreich-Kolonialgebieten veranlasst haben. Walter Rathenau? Carl Fürstenberg? Siemens?



Ausgehend davon dass alles auf einen kurzen Krieg ausgelegt war und eigentlich auch für anderes die kriegswirtschaftlichen Grundlagen fehlten (Salpeter usw.) hätte man dies in der Marineleitung, wenn man sich dieses Zustands bewusst war, eigentlich davon ausgehen müssen, weil dann hätte klar sein müssen, dass überhaupt keine Zeit sein würde, einen langwierigen Seekrieg überhaupt führen zu können, weil man vorher an Land entweder gewonnen oder verloren haben würde.
Vor diesem Hintergrund, wenn das bekannt gewesen wäre, wäre die Konzentration auf die eine große Auseinandersetzung in der Nordsee wiederrum konsequent gewesen, weil dann hätte klar sein müssen, dass vor diesem Hintergrund die Marie die Chance haben würde einen oder zwei größere Schläge zu führen, mehr aber auch nicht, jedenfalls nicht, wenn die Briten mitspielten und damit eine effektive Blockade Deutschlands möglich würde um die Zufuhr mit kriegswichtigen Rohstoffen kappen zu können.

??? Ohne Flottenstützpunkte ( Versorgung/Nachschub/Reparatur/Kohlung etc.), wie sie die britische Administration/Marine überall auf dem Globus hatte, waren schlicht keine (längeren) Fern-Kriegseinsätze der Kriegsschiffe oder gar der Dreadnoughts außerhalb der Reichweite der Festland-Kriegshäfen des Kaiserreiches möglich.
 
Auch wenn das Kolonialreich auch zu Wilhelm II. Zeiten sich für Deutschland finanziell nicht lohnte, konnte man sicherlich angesichts des industriellen Fortschritts noch Hoffnungen darauf machen, dass sich das mit der Zeit, noch ändern würde, wenn andere Rohstoffe an Bedeutung gewännen und die Erschließung effektiver werden würde.
Wieso denn das?
Gibt es für diese Annahme ein Begründung?
Glaubten die Akteure gar an Wunderstoffe?
 
Da könnte man sich z.B. die Frage stellen, Ob sich eine derartige Flottenbegeisterung und die Vorstellung eines Konkurrenzkampfes mit Großbritannien um außereuropäischen Einfluss, sich bei der der Bevölkerung und in der Politik in dieser Weise hätten verfestigen und zum Paradigma hätten werden können, wenn nicht unter Bismarck die territorial recht ansehnlichen Gebiete in Afrika und Neuguinea "erworben" worden wären.
Ich halte es für meinen Teil für durchaus vorstellbar, auch wenn das am Ende natürlich spekulativ ist, dass ohne die ausgedehnte, direkte Herrschaft in Übersee, nur auf Basis wager, informeller Einflusszonen, es möglicherweise zu keinem solchen Interessengegensatz mit Großbritannien gekommen wäre und der Bevölkerung wahrscheinlich auch der Aufbau einer Flotte nur sehr schwer zu vermitteln gewesen wäre, wären das Einzige, was Deutschland in Übersee zu schützen gehabt hätte, materiell nicht greifbare Handelsverträge gewesen.


Ist natürlich eine hypothetische Überlegung, aber ich denke, dass es sich lohnt dabrüber nachzudenken, ob aus den Bismarck'schen "Erwerbungen", sich ganz manifeste Langzeitfolgen ableiten lassen, die zwar zeitlich eher mit Wilhelm II. korrespondieren, ihre Ursache aber bereits früher haben.


Geht aber allmählich auch zu weit vom Thema des Fadens weg.
Gibt es eigentlich ein separates Thema, dass sich mit der Interpretation der Rollen Wilhelm II. und Bismarcks im Vergleich befasst?
Es ist ja im Allgemeinen ein generelles Problem, dass es mindestens in der öffentlichen Erinnerungskultur nach wie vor ein ziemlich eingeschliffenes Paradigma gibt, nachdem Bismarck positiv verklärt, bzw. Wilhelm II. im Vergleich dazu überzogen negativ dargestellt wird.
Ich meine, dass die Kolonialpolitik da eines der auffälligeren Themenfelder ist, anhand derer man das feststellen kann.
Wilhelm II. tönte groß, aber wirklich nennenswertes, kam bei der "Weltpolitik" in Sachen Kolonien ja nicht herum. Kiautshou, ein paar Fitzel in Afrika und ein paar Inseln im Pazifik und darüber hinaus ein Abkommen, das in Aussicht stellte eventuell irgendwann mal die Portugiesen teilbeerben zu können und ein Bisschen informaller Einfluss im osmanischen Reich, China und Siam.

Aber nichts wirklich greifbares. In Sachen Ausdehnung der direkten Herrschaft Deutschlands ist unter Bismarck einiges mehr gelaufen und ich denke, dass man durchaus auch diskutieren könnte, inwiefern gewisse Entwicklungen der wilhelminischen Zeit im Hinblick auf ihre Initialzündung eigentlich noch bis auf Bismarcks Politik zurückgehen.

Da könnte man sich z.B. die Frage stellen, Ob sich eine derartige Flottenbegeisterung und die Vorstellung eines Konkurrenzkampfes mit Großbritannien um außereuropäischen Einfluss, sich bei der der Bevölkerung und in der Politik in dieser Weise hätten verfestigen und zum Paradigma hätten werden können, wenn nicht unter Bismarck die territorial recht ansehnlichen Gebiete in Afrika und Neuguinea "erworben" worden wären.
Ich halte es für meinen Teil für durchaus vorstellbar, auch wenn das am Ende natürlich spekulativ ist, dass ohne die ausgedehnte, direkte Herrschaft in Übersee, nur auf Basis wager, informeller Einflusszonen, es möglicherweise zu keinem solchen Interessengegensatz mit Großbritannien gekommen wäre und der Bevölkerung wahrscheinlich auch der Aufbau einer Flotte nur sehr schwer zu vermitteln gewesen wäre, wären das Einzige, was Deutschland in Übersee zu schützen gehabt hätte, materiell nicht greifbare Handelsverträge gewesen.


Ist natürlich eine hypothetische Überlegung, aber ich denke, dass es sich lohnt dabrüber nachzudenken, ob aus den Bismarck'schen "Erwerbungen", sich ganz manifeste Langzeitfolgen ableiten lassen, die zwar zeitlich eher mit Wilhelm II. korrespondieren, ihre Ursache aber bereits früher haben.


Geht aber allmählich auch zu weit vom Thema des Fadens weg.
Gibt es eigentlich ein separates Thema, dass sich mit der Interpretation der Rollen Wilhelm II. und Bismarcks im Vergleich befasst?


Na ja. Es ist doch so, das der Schutz der Kolonien wohl mehr als Feigenblatt diente. Das Deutsche Reich verfügte gar nicht übe die notwendigen Stützpunkte will heißen Kohlestationen um seine Kolonien tatsächlich wirksam mit seiner Kriegsmarine zu schützen. Die Flotte richtete sich gegen England, nur das wurde eben nicht öffentlich postuliert. England sollte nach Möglichkeit zu einem Bündnis mit Deutschland gezwungen werden.

Davon einmal abgesehen, wurde die deutsche Flotte vollkommen falsch auf- und ausgebaut. Mit den schweren Pötten, waren die Kolonien und Seeverbindungen von und zu dem Reich überhaupt nicht zu sichern. Dass das kaum jemand gesehen und gemerkt und öffentlich gemacht hat, das ist schon verwunderlich. Jedenfalls hätte es Kreuzer bedurft. Aber Tirpitz wollte große Linienschiffe. Selbst Wilhelm wollte zuerst Kreuzer, hat sich, warum auch immer, von Tirpitz aber breit schlagen lassen.

Und mir wird Bismarcks angebliche Kolonialpolitik etwas überstrapaziert. Er hat von einer Kolonialpolitik nicht gehalten. Wenn, dann diente diese ausschließlich innenpolitischen Zwecken. Siehe Axel Riehl, Der Tanz um den Äquator. Bismarck nannte die deutschen Erwerbungen nicht ohne Grund "Schutzgebiete" und eben nicht Kolonien. Es ging nicht um Erweiterung der Macht.
 
Der Tirpitz-Plan hatte doch sowieso kaum eine bzw. keine (substanzielle, nachhaltige) kolonialpolitische, kolonialmilitärische Funktion für einen weiteren Erwerb von Schutzgebieten bzw. Kolonien oder den geplanten und gezielten, effektiven militärischen Schutz bestehender Kolonien und Schutzgebiete. Wie auch?

Tirpitz bzw. die danach initiierte Flottenrüstung mit Linienschlachtschiffen bezog sich auf die Nordsee und GB.
Das große Vorbild und Weltmacht Nr. 1 GB war primär eine Welthandelsmacht mit global gestreuten Marine-Stützpunkten, einer Kreuzerflotte sowie global aufgestellten und zusammengesetzten Kolonialtruppen.
 
Na ja. Es ist doch so, das der Schutz der Kolonien wohl mehr als Feigenblatt diente. Das Deutsche Reich verfügte gar nicht übe die notwendigen Stützpunkte will heißen Kohlestationen um seine Kolonien tatsächlich wirksam mit seiner Kriegsmarine zu schützen. Die Flotte richtete sich gegen England, nur das wurde eben nicht öffentlich postuliert. England sollte nach Möglichkeit zu einem Bündnis mit Deutschland gezwungen werden.

Davon einmal abgesehen, wurde die deutsche Flotte vollkommen falsch auf- und ausgebaut. Mit den schweren Pötten, waren die Kolonien und Seeverbindungen von und zu dem Reich überhaupt nicht zu sichern. Dass das kaum jemand gesehen und gemerkt und öffentlich gemacht hat, das ist schon verwunderlich. Jedenfalls hätte es Kreuzer bedurft. Aber Tirpitz wollte große Linienschiffe. Selbst Wilhelm wollte zuerst Kreuzer, hat sich, warum auch immer, von Tirpitz aber breit schlagen lassen.

Und mir wird Bismarcks angebliche Kolonialpolitik etwas überstrapaziert. Er hat von einer Kolonialpolitik nicht gehalten. Wenn, dann diente diese ausschließlich innenpolitischen Zwecken. Siehe Axel Riehl, Der Tanz um den Äquator. Bismarck nannte die deutschen Erwerbungen nicht ohne Grund "Schutzgebiete" und eben nicht Kolonien. Es ging nicht um Erweiterung der Macht.

Völlig d'accord damit, was sich Tirpitz so dachte, dass die Flotte völlig fehlkonzipiert war und wogegen sie sich richtete, das ist nicht der Punkt.
Die Fragestellung auf die ich hinaus wollte war diejenige, ob der Bau dieser Flotte ohne kolonialen Besitz, den zu schützen man als Feigenblatt vorschieben konnte, vermittelbar gewesen wäre. Und zwar nicht Tirpitz oder dem Reichsmarineamt, sondern derjenigen Bevölkerung, die den ganzen Spaß bezahlen sollte, im Besonderen dem Flotten- und Kolonialbegeisterten Bürgertum, dass des Kaisers Lieblingsspielzeuge ja gefälligt zu finanzieren hatte.

Es ist vollkommen unstrittig, dass Bismarck von Kolonien nicht viel gehalten hat. Ich möchte ihm überhaupt nicht gegenteiliges unterstellen oder ihm gar unterstellen der geistige Architekt der wilhelminischen Flottenpolitik gewesen zu sein.
Mir geht es viel eher um die Frage, inwiefern man diese Flottenrüstung als eine von Bismarck dezidiert nicht intendierte Folge von dessen Kolonialpolitik betrachten könnte/müsste.

Denn du schreibst es selbst, der vorhandene Kolonialbesitz war für den Bau der Flotte dieser Größenordnung und Konzeption mehr oder minder ein Feigenblatt, während man die eigentlichen Gründe und Ziele, die Tirpitz, der Kaiser und die Reichsleitung seinerzeit verfolgten, nicht so unbedingt an die große Glocke hängte.

Womit hätte man den Bau einer derartigen Flotte der Bevölkerung denn verkauft, wenn diese Kolonien unter Bismarck nicht "erworben"worden wären und somit dieses Feigenblatt nicht zur Verfügung gestanden hätte? Ich denke nur mit der abstrakten Vorstellung industrieller Exporte wäre das nicht machbar gewesen oder jedenfalls nur sehr viel schwerer.

Und dann wäre da vielleicht auch noch die Frage, wie weit der bereits zu Bismarcks Zeiten stattgefundene Kolonialerwerb, der bei des letzten Wilhelms Thronbesteigung ja bereits vorhanden war, vielleicht auch diesendazu inspiriert/motiviert haben mag, das ganze so weit mitzutragen oder ob das ohne die Vorstellungsfolie, dass Deutschland bereits eine Großmacht oder jedenfalls eine respektable Mittelmacht mit Großmachtambitionen in Übersee sei, so weit gegangen wäre.


Ich will nicht Nismarck zu irgendwas erklären, was er nicht war, noch will ich das Feigenblatt der Flotte zum Schutz der Kolonien wiederbeleben.
Mir geht es eher um die Fragestellung, inwieweit das vorhandene Koloniale Imperium, als Projektionsfläche für künftige Erwartungen (die nichts mit der Realität zu tun haben mussten), in einer Funktion als Feigenblatt notwendige oder jedenfalls extrem hilfreiche Prämisse war, die Bevölkerung und im Besonderen das Bürgertum dazu zu bewegen die Finanzierung dieser Flotte und damit die Grundlage dieser (fehlgeleiteten) Politik zu tragen.
 
Ich sehe gerade, da sind noch ein paar Einwände, die noch nicht beantwortet waren.


Der Tirpitz-Plan hatte doch sowieso kaum eine bzw. keine (substanzielle, nachhaltige) kolonialpolitische, kolonialmilitärische Funktion für einen weiteren Erwerb von Schutzgebieten bzw. Kolonien oder den geplanten und gezielten, effektiven militärischen Schutz bestehender Kolonien und Schutzgebiete. Wie auch?

Tirpitz bzw. die danach initiierte Flottenrüstung mit Linienschlachtschiffen bezog sich auf die Nordsee und GB.
Das große Vorbild und Weltmacht Nr. 1 GB war primär eine Welthandelsmacht mit global gestreuten Marine-Stützpunkten, einer Kreuzerflotte sowie global aufgestellten und zusammengesetzten Kolonialtruppen.

Alles vollkommen richtig. Aber eben auch alles eine Richtung in die ich überhaupt nicht wollte.


Wieso denn das?
Gibt es für diese Annahme ein Begründung?
Glaubten die Akteure gar an Wunderstoffe?

Was hätten spekulative Hoffnungen auf die Änderung bei der Bedeutung von Rohstoffen, mit weit hergeholtem Glauben an irgendwelche Wunderstoffe zu tun?
Wir reden immerhin von dem Zeitabschnitt, in dem weite Zweige der chemischen und der Elektroindustrie aufkamen und auf einmal Rohstoffe Bedeutungen für industrielle Prozesse bekamen, die sie vorher nicht hatten. Unter dieser Prämisse wäre die Hoffnung darauf, dass man schon irgendwas, dass in absehbarer Zeit mal wichtig werden würde, abgegriffen habe, wenn man es entsprechend entwickelte, zunächst mal so irrational nicht gewesen.


Rein hypothetische, überholte Überlegungen, bilde ich mir ein.
Die nicht nur technologisch rapide Entwicklung der Kaiserreich-Industriegesellschaft vergrößerte den Abstand zu den Kolonien in praktisch allen Bereich: infrastrukturell, industriell, verkehrstechnisch, politisch-organisatorisch, wissenschaftlich, Arbeitswelt etc. Und verringerte ihn nicht etwa.
Bei den zunächst noch weiter bestehenden Kolonialmächten wie GB kann man dies nachvollziehen. Keine der Kolonien wurde etwa durch die weitere industrielle Entwicklung und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erfolgreich 'initiiert' und eine wirtschaftliche Stütze.
Mir sind auch keine führenden industriellen oder Finanz-Persönlichkeiten aus dem Dt. Kaiserreich zwischen, sagen wir mal 1900 und dem Beginn WK I. bekannt, die dies substanziell und langjährig behauptet haben und entsprechende breite angelegte, langjährige 'Zukunftsinvestitionen' in Kaiserreich-Kolonialgebieten veranlasst haben. Walter Rathenau? Carl Fürstenberg? Siemens?

Natürlich kann man heute nachvollziehen, dass das alles ganz anders gelaufen ist.
Nur, sollte man, meine ich, da auch nicht verkennen, dass die Kolonialunternehmungen ja insgesamt auf spekullativen Zukunftshoffnungen gegründet waren.
Eine auch nur einigermaßen detaillierte wirtschaftlicher Exploration der Gebiete wurde vor der Kolonisation ja faktisch nicht durchgeführt, sondern es wurden erstmal "claimes" abgesteckt, indem jeder erstmal irgendwo seine Flagge aufpflanzte und sich eilig Ansprüche auf dieses oder jenes Gebiet sicherte um sich dann anschließend mal näher anzuschauen, was man da eigentlich hatte.

Da wird man sicherlich konstatieren können, dass man selbst zu Beginn des Weltkrieges noch relativ wenig über seine afrikanischen Gebiete wusste.
Ich meine, man hatte mittlerweile die geographischen Kenntnisse, jedenfalls im groben Rahmen, aber wir reden hier über Gebiete X-mal so groß, wie ganz Deutschland. Da möchte ich mir mal einbilden, waren weniger als 30 Jahre koloniale Präsenz im größeren Stil, gerade bei den flächenmäßig größeren Brocken, eine relativ kurze Zeitspanne, die Gebiete im Hinblick auf potentielle wirtschaftliche Relevanz einigermaßen genau zu erforschen.

Bei den zunächst noch weiter bestehenden Kolonialmächten wie GB kann man dies nachvollziehen. Keine der Kolonien wurde etwa durch die weitere industrielle Entwicklung und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erfolgreich 'initiiert' und eine wirtschaftliche Stütze.

Diese Gangart beeinhaltet für mich den Fehler, dass bei dieser Aussage das Faktische genutzt wird um die Möglichkeit zu bestreiten.
Faktisch, sollten wir, wenn man das diskutieren möchte, vielleicht auch bedenken, dass durch den Weltkrieg und die finanziellen Schwierigkeiten, in die die ihn führenden Mächte dadurch gerieten, das wirtschaftliche Chaos in Europa, die Unruhen in den bedeutenderen Kolonien, die Versprechungen, die man den Kolonialbewohnern machen musste um sie während des Krieges einzuspannen und die aufkommenden Anti-Kolonial-Bewegungen hier auch keine ungebrochenen Entwicklungen möglich waren.

Die frage ist, musste das so sein? Waren auch andere Entwicklungen denkbar? Und würden etwaige Hoffnungen auf andere Entwicklungen demgegenüber berechtigt gewesen sein?
 
Der Industriekapitalismus bildete die alles entscheidende ökonomische, technologische und politische Grundlage des Aufstiegs, des Bedeutungszuwachses des Dt. Reiches vor 1914. Die wichtigen Import- und Exportmärkte des industriellen Sektors waren nicht die Kolonien.

Danke.
Das ist ein wesentlicher Punkt.
So wie ich es verstehe galt das auch für GB, welches den riesigen Markt Chinas gewaltsam aufbrechen wollte ohne ein zweites Indien anzustreben. (sogenannte Opiumkriege) Vielmehr sollte der sehr bedeutende chinesische Handel die Verluste der indischen Kolonie ausgleichen, ohne sich deren Bürde aufzuladen.

Peter Winzen, der eine sehr lesenswerte Biographie über Bülow (Danke an @Turgot für den Buchtipp) schrieb,
zitiert den Tirpitz des Jahres 1894 so: "Ein Staat, der See- oder, was hierfür gleichbedeutend ist, Weltinteressen hat, muß sie vertreten und seine Macht über seine Territorialgewässer hinaus fühlbar machen können. Nationaler Welthandel, Weltindustrie, bis zu gewissem Grade auch Hochseefischerei, Weltverkehr und Kolonien sind unmöglich ohne eine der Offensive fähige Flotte.
Die Interessenkonflikte der Nationen und das alsdann mangelnde Zutrauen des Kapitals und der Geschäftswelt würden diese Lebensäußerungen eines Staates im Laufe der Zeit ersterben oder überhaupt nicht aufkommen lassen, wenn nicht nationale Macht auf den Meeren, also jenseits unserer Gewässer, ihnen das Rückgrat gibt. Hierin liegt der vornehmlichste Zweck der Flotte überhaupt."

(Hervorhebung durch mich)
http://www.historischeskolleg.de/fileadmin/pdf/kolloquien_pdf/Kolloquien17.pdf

PDF-Seite 203. *
Es ist ja bemerkenswert, dass auch Tirpitz hier die Kolonien als zweitrangigen Aspekt der Flottenrüstung sieht.
Aber als geil im Sinne einer nationalistischen Propaganda für eine solche Anstrengung wird sich wohl eher das Schüren kolonialer Fantasien erweisen.
Und mit diesem rassistischem Chauvinismus des Zeitgeistes kann man auch die finanziellen Mittel für den Flottenbau entlocken.

* Danke an @thanepower für diese lesenswerte Quelle.
(Sie beinhaltet auch einen Beitrag von Fritz Fischer, dessen Distanziertheit mich angesichts einer „Fischer-Kontroverse“ beeindruckte.)
 
Wie hatl schreibt, sollte deutlich zwischen der politischen Außendarstellung und dem Breitenrummel der Flottenrüstung ("Welt"geltung) einerseits und der konstruktiv-technisch-taktisch-operativ eindeutigen Ausrichtung der Flottenrüstung auf das Risiko ("Nordsee") andererseits unterschieden werden.

Auch wenn der Tirpitz-Gedanke eines Messers-an-der-Kehle zugleich ein geostrategisches Druckmittel (mit "globaler" Reichweite für die globale Macht GB) hätte darstellen können - und tatsächlich darstellte, wie die faktische Räumung des Mittelmeeres durch die RN aus Kapazitätsmangel 1912 zur Kompensation der Drucklage Nordsee/Kanal belegt. Strategisch ist der Tirpitzgedanke keinesfalls doof, dass eine Nordsee-Risikoflotte zugleich mittelbar Kolonien werweißwo schützen könne, wenn denn das "Risiko" hoch genug ist.
 
Also ich habe, leider weiß ich jetzt nicht mehr genau wo, das die Royal Navy den Schutz des Mittelmeeres Frankreich, natürlich in Absprache, überließ und zwar weil die englische liberale Regierung Geld sparen wollte. Sie hatte einige Versprechen bei den Wählern einzulösen und wollte eigentlich keinen Rüstungswettlauf. Die Royal Navy übernahm dafür den Schutz des Kanals.

Entscheidend war nicht der indirekte, sondern unmittelbare Schutz der Seewege und der Kolonien und des eigenen Handels. So wurde es propagiert und das war mit der von der Tirpitz gebauten Flotte eben so nicht möglich.

Und was nützte die Hochseeflotte in der Nordsee im 1.Weltkrieg. Herzlich wenig, denn sie war in der Nordsee eingeschossen.
Und das Konzept der Risikoflotte konnte auch nur dann funktionieren, wenn der Gegner die angebotene Schlacht irgendwo in der Nordsee annimmt. Tja, den Gefallen taten die Engländer Tirpitz aber nicht. Sie bauten eine Blockade auf; weit von den deutschen Küsten entfernt. Und so viel Fantasie gehörte auch nicht dazu, um diese Möglichkeit ernsthaft seitens der deutschen kaiserlichen Marine in Betracht zu ziehen. Tirpitz stand jedenfalls schön doof da. Und das Schlimmste: Es gab vorher schon entsprechende Hinweise auf eine Fernblockade, die schlicht ignoriert wurden.
 
Und das Konzept der Risikoflotte konnte auch nur dann funktionieren, wenn der Gegner die angebotene Schlacht irgendwo in der Nordsee annimmt. Tja, den Gefallen taten die Engländer Tirpitz aber nicht. Sie bauten eine Blockade auf; weit von den deutschen Küsten entfernt.

Ich hätte gedachte, die deutsche Seite habe sich nicht getraut, eine Schlacht mit der numerisch überlegenen englischen Flotte zu schlagen, und deshalb versucht, zu einer Auseinandersetzung mit einem Teil der Grand Fleet zu kommen, was am Skagerrak misslang.
 
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