Inwiefern hat der Vertrag von Versailles die 14 Punkte Wilsons widergespiegelt?

Nun zu meiner eigentlichen Frage:
Ist es möglich, dass die Geschichte Deutschlands zwischen den beiden Weltkriegen einen ganz anderen Verlauf genommen hätte, wären die USA aktiv an der Einhaltung des Versailler Vertrags beteligt gewesen? Also wenn er vom Kongress ratifiziert worden wäre? Wäre die Situation des Deutschen Volkes besser gewesen (also wirtschaftlich)? Und hätte eine Mitgliedschaft im Völkerbund dazu beitragen können, dass der Zweite Weltkrieg nicht ausbricht?


Außerdem waren die USA ja durchaus an der Einhaltung bzw. überhaupt einer Möglichmachung deutscher Zahlungen beteiligt, da musst du dir bei wikipedia nur Dawes- und Young-Plan anschauen. Die amerikanischen Kredite haben Deutschland ja durchaus geholfen.

Letztendlich war das aber alles mit der Weltwirtschaftskrise von 29 Makulatur, da mussten die USA sich selbst helfen.
 
Zu Beginn der Ausarbeitung des Vertrags stand zwar, vor allem im Wunschdenken der Deutschen, der Anspruch, er würde auf Basis der 14 Punkte erstellt werden.
Wie kommst du auf diese Aussage? Auch das 14-Punkte-Programm sieht bereits Gebietsabtretungen Deutschlands vor und widerspricht sich dabei zum Teil sogar selbst. (Seezugang für Polen vs. Selbstbestimmungsrecht der Völker)

Der Völkerbund war seit Beginn kein machtpolitischer Faktor, da er über keine Machtmittel verfügte, analog zur heutigen UN. Zudem waren die USA noch nicht einmal Mitglied.
Würde ich jetzt nicht so krass formulieren. Der Völkerbund hatte durchaus (wenn auch kleinere) Erfolge, bspw. die Lösung des Korfukonflikts. Auch bei der Auflösung der Kolonien war der Völkerbund maßgeblich beteiligt. Machtmittel hatte er durchaus, allerdings verpufften diese verhältnismäßig wirkungslos, da viele der Völkerbundsmitglieder schlicht ihre eigenen Interessen verfolgten und damit auf die Völkergemeinschaft pfiffen. Die verhältnismäßige Erfolglosigkeit des Völkerbundes ist auch nicht unbedingt in der Nichtmitgliedschaft der USA zu suchen, sondern mE vielmehr in der Satzung des Völkerbundes.

Außerdem waren die USA ja durchaus an der Einhaltung bzw. überhaupt einer Möglichmachung deutscher Zahlungen beteiligt, da musst du dir bei wikipedia nur Dawes- und Young-Plan anschauen. Die amerikanischen Kredite haben Deutschland ja durchaus geholfen.

Letztendlich war das aber alles mit der Weltwirtschaftskrise von 29 Makulatur, da mussten die USA sich selbst helfen.
Gerade im Zusammenhang mit der Weltwirtschaftskrise lässt sich duraus diskutieren, inwieweit das von dir Genannte Deutschland tatsächlich geholfen oder doch eher geschadet hat, wäre hier aber OT, deshalb halte ich mich mal zurück (vorerst).
 
Hallo Deena

Die Deutschen selbst waren mit dem Versailler Vertrag nie zufrieden, sie fühlten sich ungerecht behandelt, die deutsche Wirtschaft war kaputt, Armut und Arbeitslosigkeit sehr hoch.
Die Deutschen wollten sich mit ihrer Rolle vor dem Krieg und ihrer Verantwortlichkeit beim Ausbruch des 1.Weltkrieg nicht beschäftigen.
Zwar mußte das dte Reich Reparationen, auch in Form von Industriedemontagen, zahlen allerdings war die deutsche Verweigerungspolitik erheblich mehr an den hohen Arbeitslosenzahlen und dem Niedergang der Wirtschaft schuld als der Versailler Vertrag.

Buchtip.
http://www.amazon.de/Europa-zwische...r_1_34?ie=UTF8&s=books&qid=1273495886&sr=1-34"Europa zwischen den Kriegen" von Hermann Gram
 
Die Deutschen wollten sich mit ihrer Rolle vor dem Krieg und ihrer Verantwortlichkeit beim Ausbruch des 1.Weltkrieg nicht beschäftigen.

War nicht gerade die Problematik der alleinigen Kriegsschuld bzw. Kriegsschuldfrage der Hauptpunkt bei den Versailler Verträgen, über die man nicht erfreut war?
Somit hat man sich doch sehr wohl damit beschäftigt, oder vielleicht genausoviel, wie die Siegermächte...
 
Wie kommst du auf diese Aussage? Auch das 14-Punkte-Programm sieht bereits Gebietsabtretungen Deutschlands vor und widerspricht sich dabei zum Teil sogar selbst. (Seezugang für Polen vs. Selbstbestimmungsrecht der Völker)

Man dürfte aus deutscher Sicht den 14-Punkte-Plan relativ selektiv gelesen haben, denn anders dürfte man sich die Hoffnungen auf einen salomonischen, Wilson´schen Frieden nicht erklären lassen.
 
Man dürfte aus deutscher Sicht den 14-Punkte-Plan relativ selektiv gelesen haben, denn anders dürfte man sich die Hoffnungen auf einen salomonischen, Wilson´schen Frieden nicht erklären lassen.
Das war nicht meine Frage. Ich wollte wissen, wie du drauf kommst, dass man in Deutschland darauf hoffte, dass Wilsons 14 Punkte Grundlage für die Friedensverträge sind.

@mhorgran und @Köbis17: der Artikel 231 war doch überhaupt erst die Grundlage für die Reparationsforderungen, dementsprechend muss doch ein Auseinandersetzen stattgefunden haben.

Zwar mußte das dte Reich Reparationen, auch in Form von Industriedemontagen, zahlen allerdings war die deutsche Verweigerungspolitik erheblich mehr an den hohen Arbeitslosenzahlen und dem Niedergang der Wirtschaft schuld als der Versailler Vertrag.
Verstehe ich nicht. Kannst du den Zusammenhang bitte mal ausführlicher erklären?
 
@mhorgran und @Köbis17: der Artikel 231 war doch überhaupt erst die Grundlage für die Reparationsforderungen, dementsprechend muss doch ein Auseinandersetzen stattgefunden haben.

Na das sage ich doch auch zwei Beiträge weiter vorher.

Alles wog nur halb so viel, wie die volle Kriegsschuld.
 
Äh, ja sorry, ich hab mich grad etwas unsauber ausgedrückt... (dass du noch nicht Gedankenlesen kannst, also wirklich, tztztz)

Was ich sagen wollte: Ja, die Kriegsschuldfrage wurde diskutiert und später v.a. zu Propagandazwecken genutzt. Im Vordergrund der Diskussion unmittelbar nach dem 1. Weltkrieg dürfte mE eher die darauf gründenden und als ungerecht empfundenen Reparationszahlungen gestanden haben, da diese unmittelbar wirtschaftlich spürbar waren. Die moralisch-ethische Auseinandersetzung mit dem Art. 231 rückte wohl erst zu einem späteren Zeitpunkt in den Vordergrund.
 
Die moralisch-ethische Auseinandersetzung mit dem Art. 231 rückte wohl erst zu einem späteren Zeitpunkt in den Vordergrund.

Allerdings würde ich die rechtliche Verknüpfung sehr in Zweifel ziehen und eher dem deutschen Wunschdenken zurechnen.

Das Deutsche Reich hat um Waffenstillstand gebeten und den Krieg verloren. Ich meine, hierzu auch in einer Darstellung der Entstehung des Versailler Vertrages gelesen zu haben, dass diese verknüpfende Wirkung/kausale Beziehung (Kriegsschuld -> Reparationen) von der alliierten Seite so nicht gesehen wurde.

Die Berechnung der deutschen Seite in den 1920ern war wiederum, die Kriegsschuld zu beseitigen, um die Reparationsfrage zu erledigen.

Möglicherweise gibt es dafür Beispiele? Der Sieger verzichtet auf Reparationen (man könnte das gleich noch auf Annektionsfragen ausdehnen), weil er den Krieg "verschuldet" hat?
 
http://www.geschichtsforum.de/f67/i...-die-14-punkte-wilsons-widergespiegelt-31326/ Ist hier schon ausdiskutiert worden, dargelegt auch die deutschen Hoffnungen auf einen akzeptablen, sogenannten "Wilson-" Frieden.
Also zumindest ich lese die Beiträge dort so, dass man zwar auf einen "Wilson-Frieden" hoffte, das 14-Punkte-Programm inhaltlich aber gar nicht kannte, sondern vielmehr eine für Deutschland günstige Lösung hineininterpretierte. Dementsprechend (korrigiere mich bitte, wenn ich falsch liege) lag die deutsche Hoffnung eben nicht auf einer möglichst genauen Umsetzung der 14 Punkte im Rahmen der Pariser Vorortverträge sondern beruhte schlicht und ergreifend auf der Hoffnung, dass Wilson bestimmt nettere Forderungen stellen würde als die Herren Orlando, Clemenceau und George.

Allerdings würde ich die rechtliche Verknüpfung sehr in Zweifel ziehen und eher dem deutschen Wunschdenken zurechnen.
Hm, also ich lese das jetzt schon so raus, ich zitiere mal, die jeweiligen Abschnitte aus denen ich genau das heraus lese:
Versailler Vertrag schrieb:
Artikel 231: ...für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind...
Artikel 232: ...daß alle Schäden wieder gutgemacht werden,...
...vorgesehenen Schadensersatz...
...alle Summen zu erstatten, die Belgien...
...nebst 5 v. H. Zinsen aufs Jahr...

Artikel 233:
Der Betrag der bezeichneten Schäden, deren Wiedergutmachung Deutschland schuldet, ...
Die Beschlüsse dieses Ausschusses über den Betrag...
...und der deutschen Regierung als Gesamtbetrag ihrer Verpflichtungen...
Zu gleicher Zeit stellt der Ausschuß einen Zahlungsplan auf,...

Artikel 235:..., zahlt Deutschland in Anrechnung auf obige Schuld während der Jahre 1919, 1920 und der ersten vier Monate von 1921 in so viel Raten und in solcher Form (in Gold, Waren, Schiffen, Wertpapieren oder anderswie), wie es der Wiedergutmachungsausschuß festsetzt, den Gegenwert von 20 000 000 000 (zwanzig Milliarden) Mark Gold;...
usw. usf. genauer und v.a. ohne Auslassungen hier nachzulesen.

Das Deutsche Reich hat um Waffenstillstand gebeten und den Krieg verloren. Ich meine, hierzu auch in einer Darstellung der Entstehung des Versailler Vertrages gelesen zu haben, dass diese verknüpfende Wirkung/kausale Beziehung (Kriegsschuld -> Reparationen) von der alliierten Seite so nicht gesehen wurde.
Warum steht dann der Artikel 231 genau dort wo er steht innerhalb des Versailler Vertrages, nämlich unter Teil VIII - Wiedergutmachungen; Abschnitt I. - Allgemeine Bestimmungen und dann direkt Artikel 231?

Die Berechnung der deutschen Seite in den 1920ern war wiederum, die Kriegsschuld zu beseitigen, um die Reparationsfrage zu erledigen.

Möglicherweise gibt es dafür Beispiele? Der Sieger verzichtet auf Reparationen (man könnte das gleich noch auf Annektionsfragen ausdehnen), weil er den Krieg "verschuldet" hat?
Wie meinen? (nicht wieder auslachen ich hatte echt nen langen Tag...)
 
Also zumindest ich lese die Beiträge dort so, dass man zwar auf einen "Wilson-Frieden" hoffte, das 14-Punkte-Programm inhaltlich aber gar nicht kannte, sondern vielmehr eine für Deutschland günstige Lösung hineininterpretierte. Dementsprechend (korrigiere mich bitte, wenn ich falsch liege) lag die deutsche Hoffnung eben nicht auf einer möglichst genauen Umsetzung der 14 Punkte im Rahmen der Pariser Vorortverträge sondern beruhte schlicht und ergreifend auf der Hoffnung, dass Wilson bestimmt nettere Forderungen stellen würde als die Herren Orlando, Clemenceau und George.


Hm, also ich lese das jetzt schon so raus, ich zitiere mal, die jeweiligen Abschnitte aus denen ich genau das heraus lese:

usw. usf. genauer und v.a. ohne Auslassungen hier nachzulesen.


Warum steht dann der Artikel 231 genau dort wo er steht innerhalb des Versailler Vertrages, nämlich unter Teil VIII - Wiedergutmachungen; Abschnitt I. - Allgemeine Bestimmungen und dann direkt Artikel 231?


Wie meinen? (nicht wieder auslachen ich hatte echt nen langen Tag...)


Ich denke, dass man sich einfach gesagt hat, auf Basis der 14 Punkte müsste vielleicht Elsaß-Lothringen dran glauben, man könnte an den Polen-Abtretungen ein bisschen verhandeln und vor allem nur kaum deutsch bewohnte Gebiete abtreten. So wird man das Selbstbestimmungsrecht der Völker, dass, wenn auch teilweise diametral zu anderen Forderungen stehend, postuliert wurde, gesehen haben.
 
Warum steht dann der Artikel 231 genau dort wo er steht innerhalb des Versailler Vertrages, nämlich unter Teil VIII - Wiedergutmachungen; Abschnitt I. - Allgemeine Bestimmungen und dann direkt Artikel 231?
Das war ja auch ua. die deutsche Argumentation. :winke:

Man sollte hier auch trennen:
"Reparationen sind Kriegsentschädigungen und Wiedergutmachungsleistungen". Eigentlich redet man dabei von zwei Komponenten, so auch für Deutschland nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg: Eichhorn, Bert Wolfgang: Reparation als völkerrechtliche Delikthaftung -rechtliche und praktische Probleme unter besonderer Berücksichtigung Deutschlands (1918-1990).
Teile der eingeforderten Reparationen beziehen sich auf das Recht des Siegers, Schadenersatz für unmittelbare Kriegsfolgen zu erlangen. Da liegen allein für Frankreich bereits 100 Mrd. RM drin. Man sollte das von dem landläufigen Bild trennen, dass etwa dem Verlierer in Form der Reparationen eine Art Strafe auferlegt würde (dabei könnte die Schuldfrage moralisches Gewicht haben)


Wie meinen? (nicht wieder auslachen ich hatte echt nen langen Tag...)
Ganz einfach: Welcher Sieger hat auf Wiedergutmachung/Schadenersatz verzichtet, weil er den Krieg angezettelt hat (->1945)?
 
Das war ja auch ua. die deutsche Argumentation. :winke:
War für mich auch grad die Naheliegendste. Wie sieht denn die Argumentationskette der Contra-Seite aus?

Man sollte hier auch trennen:
"Reparationen sind Kriegsentschädigungen und Wiedergutmachungsleistungen". Eigentlich redet man dabei von zwei Komponenten, so auch für Deutschland nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg: Eichhorn, Bert Wolfgang: Reparation als völkerrechtliche Delikthaftung -rechtliche und praktische Probleme unter besonderer Berücksichtigung Deutschlands (1918-1990).
Teile der eingeforderten Reparationen beziehen sich auf das Recht des Siegers, Schadenersatz für unmittelbare Kriegsfolgen zu erlangen. Da liegen allein für Frankreich bereits 100 Mrd. RM drin. Man sollte das von dem landläufigen Bild trennen, dass etwa dem Verlierer in Form der Reparationen eine Art Strafe auferlegt würde (dabei könnte die Schuldfrage moralisches Gewicht haben)
Mir ist durchaus klar, dass Reparationen nichts mit Strafgeldern zu tun haben, so hätte ich den Versailler Vertrag auch nicht gelesen. Ich lese ihn (und dabei insbesondere die Art. 231 ff) - sehr einfach formuliert eher wie - du hasts kaputt gemacht, jetzt bezahlst du es aber. Dass gerade Art. 231 in der Zwischenkriegspropaganda anders in der deutschen Öffentlichkeit verkauft wurde, bestreite ich ja gar nicht. Vielmehr wurde hier das moralische Gewicht, emotionsaufgeladen und vordergründig ökonomisch argumentierend ausgenutzt, um Wählerstimmen zu gewinnen. Eine wirkliche zeitnahe moralische Aufarbeitung in der breiten Öffentlichkeit fehlt mir allerdings. Also was nützt all das moralische Gewicht, wenn sich im Aufarbeitungsprozess doch nix tut, sondern das ganze innerhalb von nur einer Generation in die absolute Gegenrichtung der ursprünglichen Zielsetzung der Pariser Vorortverträge ausschlägt?

Ganz einfach: Welcher Sieger hat auf Wiedergutmachung/Schadenersatz verzichtet, weil er den Krieg angezettelt hat (->1945)?
Nein, ist immer noch nicht einfach... :red:
 
War für mich auch grad die Naheliegendste. Wie sieht denn die Argumentationskette der Contra-Seite aus?
... dass auch die Westmächte schlicht die moralische Seite unterstrichen haben. Also: keine Kausalität zwischen Kriegsschuld und Reparationen, sondern Unterstreichung der moralischen Verantwortung für Wiedergutmachung. Darüber kann man noch hinaus gehen: politische Brechung der der deutschen Machtansprüche.

Nein, ist immer noch nicht einfach... :red:
Egal, war auch nur so ein Gedanke, ob es eine Vorlage für ein fiktiv anderes Verhalten 1919 seitens der Siegermächte in der jüngeren Geschichte gab.
 
Zuletzt bearbeitet:
... dass auch die Westmächte schlicht die moralische Seite unterstrichen haben. Also: keine Kausalität zwischen Kriegsschuld und Reparationen, sondern Unterstreichung der moralischen Verantwortung für Wiedergutmachung. Darüber kann man noch hinaus gehen: politische Brechung der der deutschen Machtansprüche.
Ok, so wirds klarer, für mich aber erst auf den zweiten Blick. Wobei sich mir hier direkt die Frage aufdrängt, ob man denn unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg tatsächlich so wenig vorausschauend war genau eine solche Formulierung und dann auch noch genau an der Stelle in die Friedensverträge mitaufzunehmen. Oder war man einfach zu sehr von sich selbst und den erhofften Wirkungen des Friedensvertrages überzeugt, dass man gar nicht mehr weiter als von 12 bis Mittag denken konnte (entsprechende Warnungen sowie erste Reaktionen aus dem deutschen Lager gab es ja)? Oder hat vielleicht schlicht und ergreifend einer gepennt?

Egal, war auch nur so ein Gedanke, ob es eine Vorlage für ein fiktiv anderes Verhalten 1919 seitens der Siegermächte in der jüngeren Geschichte gab.
Gab es? Keine Ahnung, Kriege sind nicht wirklich mein Thema, meine Kenntnisse beschränken sich daher lediglich auf wenige Teilaspekte die wiederum Themen berühren die eher in meinem Fokus stehen.
 
Die Formulierung des Art. 231 war ein Kompromiß zwischen den Standpunkten der USA und den weitergehenden Formulierungen Frankreichs und Großbritanniens. Obwohl man es nach dem Wortlaut annehmen könnte, ist hier jedoch keine umfassende Regelung iS einer völkerrechtlichen Delikthaftung ("Angriffskrieg") enthalten, zumal vor 1914 für Staaten "das Recht zum Krieg" bestand, eine Delikthaftung für den Angriffskrieg also ausgeschlossen wäre.

Kriegsentschädigungen für den Sieger waren allerdings üblich und 100-fach gewöhnlich. Diese bestanden aus den (1) Kriegslasten (militärische Kriegskosten) sowie (2) Kriegsschäden (durch gegnerische Kräfte -forces- sowie als Standardfall Einfälle in andere Länder -invasion-). Bei Art. 231 wurde das Problem gesehen und mit der weitergehenden Formulierung "aggression" gelöst, zB die Schäden des U-Boot- und MinenKrieges unter die übliche Kriegsentschädigung zu ziehen. 1815 wurde auf dieses Recht des Siegers verzichtet, 1871 zB eben nicht, wie in 120 anderen Fällen seit 1789.

Gleichwohl - man muss sich hier die zeitgenössischen Kriegsschadenschätzungen von rd. 800 Mrd. Francs für alle Nationen verdeutlichen - empörte sich die deutsche Öffentlichkeit und Politik. Ein Beispiel aus dem hochseriösen Staatslexikon 1929:

"In Teil VIII des Versailler Vertrages steht obenan als Fundament der dem deutschen Volk auferlegten Entschädigungslast die Anerkenntnis, dass Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich seien, welche die Siegerstaaten infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungen worden sei, erlitten hätten (Art. 231). Diese unter der Bedrohung der nationalen Existenz Deutschland abgezwungene Erklärung bleibt für alle Zeiten in der Geschichte der Menschheit ein einziges, erschütterndes Dokument des Machtmißbrauchs der Sieger." (Band IV, S. 871)
 
Das ist ja genau das was ich meine, wenn ich frage wer denn da gepennt hat. Hat man denn bewusst oder unbewusst keinen weiteren Gedanken an die Rezeption einer solchen Formulierung genau an dieser Stelle verschwendet?
 
Das ist ja genau das was ich meine, wenn ich frage wer denn da gepennt hat. Hat man denn bewusst oder unbewusst keinen weiteren Gedanken an die Rezeption einer solchen Formulierung genau an dieser Stelle verschwendet?
Rücksichtnahme auf die "Gefühle" des Feindes nach diesem selbstmörderischen Krieg???

Wie Silesia bereits erklärte, kam der Art. 231 VV durch einen Kompromiss zustande. Formulierungen von Kompromissen sind häufig sprachlichen Abmilderungen kaum zugänglich. Zudem muss bedacht werden, dass durch Art. 231 VV Deutschland zwar nicht die Alleinschuld am Ausbruch des 1. WK zugewiesen werden sollte, die Siegermächte (soll heissen Regierungen und Mehrheit der Bevölkerung) aber gleichwohl von dieser Schuld überzeugt waren. Der abmildernde Zusatzpassus, "Mit diesem Artikel soll Deutschland keinesfalls die Alleinschuld am Ausbruch des Weltkrieges zugewiesen werden", war also schon mit dem "eigenen Empfinden" nicht vereinbar.

Und übrigens: der Feind hatte zwar den Krieg auf dem Schlachtfeld verloren. Er führte ihn aber nach Niederlage und Zusammenbruch mittels Medien auf dem Gebiet der "öffentlichen Moral" weiter. In seiner Rede bei der Überreichung des Friedensvertrags-Entwurfs rückte Urlich Graf von Brockdorff-Rantzau von vorneherein die Kriegsschuldfrage in den Mittelpunkt ("Es wird von uns verlangt, daß wir uns als die allein Schuldigen bekennen; ein solches Bekenntnis wäre in meinem Munde eine Lüge"). Im Vertrag existierte ein solches Verlangen gar nicht. Auffälligerweise nahm Brockdorff-Rantzau auf Art. 231 auch keinen Bezug. Aber Brockdorff-Rantzau meinte mit der Empörung über ein solch erfundenes Verlangen, Politik machen zu können. Die Reaktion der Alliierten kam dann mit der alliierten Mantelnote vom 16.06.1919: "Während langer Jahre haben die Regierenden Deutschlands, getreu der preußischen Tradition, die Vorherrschaft in Europa angestrebt...". Die alliierte Abrechnung mit der "deutschen Geschichte" schien die These von der vertraglich fixierten Alleinkriegsschuld zu beweisen. Die Kriegsschuldlügen-Lügner begannen sich ihre "Wirklichkeit" selbst zu zimmern. Die innerdeutsche Kriegsschuld-Diskussion war - wie Carlo Mierendorff das 1930 einmal nannte - die "einzigartige Autosuggestion eines ganzen Volkes, das einen Vertragsartikel zu seinen Ungunsten interpretiert, sich gedemütigt fühlt und Revision erheischt".

Und zuletzt noch folgendes: die deutschen Delegierten boten in Paris als Reparationsleistungen 100 Mrd. Goldmark an, freilich in Raten gestückelt (also auf Zeit gestreckt). Gezahlt wurde letztlich viel weniger. Wenn die Alliierten Deutschlands Angebot angenommen hätten, hätte Deutschland viel mehr zahlen müssen...
 
Zuletzt bearbeitet:
Rücksichtnahme auf die "Gefühle" des Feindes nach diesem selbstmörderischen Krieg???
Nein, nicht vor den Gefühlen, sondern vor den möglichen Folgen einer eben solchen Formulierung, insbesondere durch eine medienwirksame "Stimmungmache", wie du sie eben auch beschreibst.
 
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