Israel: Monarchie vs. Stammesgesellschaft

Pope

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Lese mal wieder ein Übersichtswerk zum Altertum und finde darin die Geschichte der jüdischen Königreiche.

Dass z.B. König David kein makelloser Held war, wird beim Lesen der Bibelpassagen durchaus ersichtlich. Erstaunlicher finde ich jedoch, dass das Königtum keineswegs legitimiert war. In der gesamten Geschichte der Staaten Israel und Judäa finden sich Tendenzen, welche die Rückkehr zur Stammesgesellschaft propagierten.

Bis zu diesem Zeitpunkt vereinten sich die Stämme nur in Krisenzeiten und gingen anschließend wieder getrennte Wege. Aus der Gesellschaft heraus war die Errichtung eines Königtums unmöglich. David führte bis zu seinem Griff nach der Macht ein regelrechtes Banditendasein: Er hatte eine Soldateska um sich angesammelt und verkaufte seine Dienste nach Belieben - auch gegen das jüdische Volk. Als er an die Macht kam, hatte er so eine persönliche und stammesunabhängige Streitmacht, die ihm den Thron sicherte.

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Daher stelle ich die Frage, ob uns dort nicht ein beispiellos gut dokumentierter Fall vorliegt, der den Wandel von einem patriarchalisch-egalitären Stammesverband zu einer institutionalisierten Zentralgewalt aufzeigt. Könnte dieses Beispiel exemplarischen Charakter haben?

Der Aussenseiter ohne Loyalitäten und traditionelle und familiäre Stammesbindungen mit militärischer Erfahrung und einem Kreis von Vertrauten tritt an die Spitze einer losen Gemeinschaft und begründet und etablierte nach und nach die dauerhafte Herrschaft.

Gibt es noch mehr derartige Beispiele, wie aus einer Stammesgesellschaft eine Monarchie o.ä. hervorging? Mir fiele noch Arminius ein, der ja auch in gewisser Weise Aussenseiter war.
 
Obwohl gerade David als Begründer eines Gottesgnadentums angesehen wird. Die Legitimation des Königs erfolgt durch die Salbung des Propheten Samuel, ein Legitimationsakt der bei Davids Nachfolger Salomon durch Zadok und Nathan wiederholt wird.
 
Trotz intensiver Suche habe ich wenig weitere Beispiele gefunden, die den Übergang von der Stammesgesellschaft zum Königtum im hellen Licht der Geschichte zeigen.

Bei den germanischen Stämmen muss dieser Prozess natürlich auch irgendwann erfolgt sein, doch ist der Zeitpunkt eher vage, geschweige denn dass man die Namen der Könige kennen wurde. Man muss freilich festhalten, dass die germanischen Stämme seit jeher in eine Adelsherrschaft eingebunden waren und Häuptlinge und später Herzöge kannten. In der Völkerwanderungszeit führten dann Heerkönige den Stamm, die uns zum Teil bekannt sind.

Ein ähnlicher Vorgang, der den Übergang eines Stamms zur Königsherrherrschaft zeigt, wäre bei den Ungarn vorhanden. Sie standen als nomadisches Reitervolk lediglich unter Herrschaft adliger Fürsten, wie das möglicherweise auch bei den Israeliten der Fall war. Fürst Stephan I. erhielt im Jahr 1001 von Papst Sylvester II. Krone und Segen, und wurde erster König der Ungarn. Also auch hier der Übergang von adliger Stammesherrschaft zum Königtum.

Möglicherweise gibt es noch weitere Beispiele, die mir aber im Moment nicht einfallen.
 
Dieter schrieb:
Trotz intensiver Suche habe ich wenig weitere Beispiele gefunden, die den Übergang von der Stammesgesellschaft zum Königtum im hellen Licht der Geschichte zeigen. ...Möglicherweise gibt es noch weitere Beispiele, die mir aber im Moment nicht einfallen.

Chlodwig, der Franke, der die konkurrierenden Gaufürsten zu einem Bankett einlud und alle vergiften liess, um als letzter Überlebender deren Erbe anzutreten?
 
Pope schrieb:
Dass z.B. König David kein makelloser Held war, wird beim Lesen der Bibelpassagen durchaus ersichtlich. Aus der Gesellschaft heraus war die Errichtung eines Königtums unmöglich. David führte bis zu seinem Griff nach der Macht ein regelrechtes Banditendasein: Er hatte eine Soldateska um sich angesammelt und verkaufte seine Dienste nach Belieben - auch gegen das jüdische Volk. Als er an die Macht kam, hatte er so eine persönliche und stammesunabhängige Streitmacht, die ihm den Thron sicherte.

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Daher stelle ich die Frage, ob uns dort nicht ein beispiellos gut dokumentierter Fall vorliegt, der den Wandel von einem patriarchalisch-egalitären Stammesverband zu einer institutionalisierten Zentralgewalt aufzeigt. Könnte dieses Beispiel exemplarischen Charakter haben?

Hier stellt sich die Frage: gab es David überhaupt? Ich las irgendwo (hier im Forum?) der erste auch außerbiblisch nachgewiesene König Israels sei Salomon gewesen...

pope schrieb:
Der Aussenseiter ohne Loyalitäten und traditionelle und familiäre Stammesbindungen mit militärischer Erfahrung und einem Kreis von Vertrauten tritt an die Spitze einer losen Gemeinschaft und begründet und etablierte nach und nach die dauerhafte Herrschaft.

Wenn man keine Stammesloyalität hinter sich hat, dann benötigt man Charisma und Führungsqualitäten, die einen zumindest bescheiden wirken lassen! In al-Andalus kann man das ganz gut beobachten. Die Araber und Berber lebten nach Ibn Khaldun im System der 'Asabiyya, eben der angesprochenen Stammessolidarität. Das arabische Heer (djund) wurde von den Stämmen gestellt. Dann kam Ibn Abi Amir, später als 'Almanzor' bekannt geworden, ein unbedeutender Adeliger aus Algeciras, nach Córdoba und machte sich einen Namen als Schreiber, kam in die Kanzlei des Kalifen und stieg dort, wohl gefördert von der Mutter des Trohnfolgers (Subh) bis zum Hadjib (Großwesir) auf. Als solcher konnte er schalten und walten, denn Kalif al-Hakam beschäftigte sich lieber mit seiner Bibliothek von 400 000 Büchern (von denen leider nur eine Hand voll übrig sind), als mit der Politik.
Almanzor befreite den Adel für eine Kriegssteuer von der Teilnahme an den jährlichen Kriegszügen (span. aceifas, von as-saifa, 'der Sommer') und kaufte Sklawen und warb berberische Söldner an. Als al-Hakam starb war sein Sohn Hisham noch minderjährig und Almanzor erledigte sich aller seiner Gegner am cordobesischen Hofe, einschließlich seines Schwiegervaters des Generals Ghalib und des Bruders des Kalifen (Keine unbedingte Primogenitur, bei Minderjährigkeit des Thronfolgers kann ganz legitim eine Nebenlinie plötzlich zur Hauptline werden, dann ist es auch nicht so tragisch, wenn ein Kalif mal keine eigenen Söhne hat). So wurde also der minderjährige Hisham Kalif und Almanzor war der faktische Herrscher des Landes.
Seine Macht stützte sich im wesentlichen darauf, dass die Sklaven auf ihn hörten und die Berber von ihm ihr Geld erhielten, und natürlich auf seinen Erfolg bei den jährlichen aceifas (bei einer solchen starb er -a n Altersschwäche).
Jetzt erst beginnt der für usnere Fargestellung interessante Teil: was passierte danach? Almanzor hatte zwei Söhne 'Abd al-Malik und 'Abd ar-Rahman, genannt Sanchuelo (weil sein Großvater mütterlicherseits König Sancho von Navarra [sic!!!] war). Unter 'Abd al-Malik bröckelte die Macht der Amiriden hielt aber noch; unter Sanchuelo, der eben den letzen Schritt ging und die Macht, die sein Vater und sein Bruder vor ihm besessen hatten noch einmal unterstreichen wollte, ändert sich das aber gewaltig: Sanchuelo zwang Hisham ihm den Kalifentitel zu übertragen. Kaum hatte er Córdoba verlassen schlossen die Cordobeser, für die der Kalifentitel neben der politischen Dimension vor allem auch eine religiöse Dimension hatte, hinter ihm die Tore, sein Heer zerfiel und er selbst versuchte mit einem Kontigent Söldnern aus Barcelona die Stadt zu stürmen, was ihm nicht gelang. Ende der Dynastie. Ende des Kalifats.
 
Pope schrieb:
Daher stelle ich die Frage, ob uns dort nicht ein beispiellos gut dokumentierter Fall vorliegt, der den Wandel von einem patriarchalisch-egalitären Stammesverband zu einer institutionalisierten Zentralgewalt aufzeigt. Könnte dieses Beispiel exemplarischen Charakter haben?

Dafür spricht, dass sich ein solcher Prozess an vielen Stellen wiederholt finden lässt.

Dagegen spricht, dass es zahlreiche patriarchal-egalitäre Stammesgesellschaften gab, die von sich aus keine Neigung zeigten, sich zu einer Zentralgewalt zusammenzuschließen (und daher umso leichter unterworfen werden konnten).

Da nicht anzunehmen ist, dass sich Menschen von einem zu andern Tag dafür entscheiden, muss es zwingende Gründe geben. Mit fallen innere (etwa Organisation der Bewässerung) oder äußere (Zusammenschluß gegen Feinde) Gründe ein.

Pope schrieb:
Gibt es noch mehr derartige Beispiele, wie aus einer Stammesgesellschaft eine Monarchie o.ä. hervorging? Mir fiele noch Arminius ein, der ja auch in gewisser Weise Aussenseiter war.

Die Zusammenfassung der slawischen Stämme zwischen Baltikum und Asowschen Meer in der Kiewer Rus´. Außenseiter waren hier- wortwörtlich- wahrscheinlich aus Schweden stammende Wikinger.

PS: Soweit mir bekannt, sieht es mit außerbiblischen Nachweisen vor dem 8. Jhd. ziemlich traurig aus (also vor dem Vordringen assyrischer Heree in die Region).
 
El Quijote schrieb:
Hier stellt sich die Frage: gab es David überhaupt? Ich las irgendwo (hier im Forum?) der erste auch außerbiblisch nachgewiesene König Israels sei Salomon gewesen...

Wenn ich mich recht an das erinnere, was ich bei Norman Finkelstein ('Keine Posaunen vor Jericho') gelesen habe, ist Omri (gut fünfzig Jahre nach Salomo) der erste außerbiblisch belegte König von IIsrael.
 
Ich hätte eine ältere Erklärung sowjetischer Politökomomen (die teilweise erschreckend wenig Ahnung von Geschichte zeigen:S) anzubieten, die eine Elitenheruasbildung aus inneren Umständen darstellt:
Wenn zwischen Stämmen Tauschgeschäfte stattfanden, übernahm irgendjemand (z.B. der älteste oder angesehenste) dies um den Vorgang zu vereinfachen. Dabei wird er mit Sicherheit etwas mehr für sich als für die anderen herausgeschlagen haben. Eventuell hatte er auch etwas Glück bei der Boden- oder Sklavenverteilung, so dass sich schließlich Unterschiede im Besitz herausstellten, die eine Person (oder Familie) befähigten Abhängigkeiten herbeizuführen. Sei es über Arbeitsstellen in der Landwirtschaft oder um die Versorgung von Kriegern. Sobald es aber um die Herausbildung von Monarchen mehrerer Stämme geht, taugt dies Modell nur als Basis. Es lässt sich aber mit der Entwicklung von Priesterkönigen und der daraus folgenden göttlichen Legitimierung verbinden.

Ein weiteres (aber weniger klares) Beispiel ist Dschingis Khan. Die Steppenvölker hatten zwar vorher schon Anführer und Khane, aber eine Verbindung mehrere Stämme unter einen Herrscher, war doch ungewohnt und für die Individuen/aktuelle Generation etwas neues). Die qualitative Seite war nicht völlig neu, aber in dieser Quantität doch eine gewaltige Veränderung.
NAchtrag: Pope hatte einen ähnlichen Gedanken schneller. Schade
 
hyokkose schrieb:
Wenn ich mich recht an das erinnere, was ich bei Norman Finkelstein ('Keine Posaunen vor Jericho') gelesen habe, ist Omri (gut fünfzig Jahre nach Salomo) der erste außerbiblisch belegte König von IIsrael.

Ich habe die Daten meines Eingangsbeitrags aus diesem Buch entliehen:

Frühe Hochkulturen

Der Verfasser des Abschnitts ist Prof. Rainer Albertz, Alttestamentarischer Theologe und Assyrologe. Auch wenn das Buch ohne allzuviele Quellen auskommt, nehme ich mal an, dass das der Stand der Forschung ist.
 
Pope schrieb:
Erstaunlicher finde ich jedoch, dass das Königtum keineswegs legitimiert war. In der gesamten Geschichte der Staaten Israel und Judäa finden sich Tendenzen, welche die Rückkehr zur Stammesgesellschaft propagierten.


Eine grundsätzlich neue, stammübergreifende Verteidigungsstrategie wurde wohl nötig, nachdem die Philister als gut organisierte Militärmacht versucht haben, vom südl. Siedlungs-Küstenstreifen aus die Kontrolle auf ganz Palästina auszudehnen. Ihre waffentechnische Überlegenheit mit Streitwagen und Eisenwaffen war nur mit dauerhaft vereinten Kräften beizukommen.
Also mußte der schwerfällige israelische Heerbann , bisher nur in Notzeiten, unter ein ein ständiges Kommando gestellt werden. Es reichten nicht mehr die charismatischen Führer aus der "Richter-Zeit " wie Eli, Debora, Simson od. Samuel. Da drängte sich das Königtum als neue staatl.Organisationsform auf, nachdem man schon ringsum von Kleinstaaten mit Königtum umgeben war.

Das stammesübergreifende Königtum war nicht ohne Widerstände aus den verschiedensten Gründen religiöser-wie polit. Natur, aber es hat sich durchgesetzt , wird als von Jahwe gewährt betrachtet und dies auf Drängen des Volkes hin, so jedenfalls königsfreundliche Texte aus d. Buch Samuel.
Erster König wird danach Saul, ein Benjamit (1012-1004 ) durch Samuel den "Richter " Seher, Propheten...designiert und per Akklamation vom Volk bestätigt. Die Beteiligung hierbei des Stammes Juda ist wohl zweifelhaft.
Die eigentliche israelische Geschichtsschreibung beginnt allerdings erst mit David.
 
Wenn ich dich recht verstanden habe, sollte nicht das israelitische Königtum analysiert werden, sondern es sollten vergleichbare Entwicklungen bei anderen Völkern aufgedeckt werden. Dazu gab es oben einige Beiträge!
 
Die Voraussetzung 'Stammesgesellschaft' schränkt das Ganze sehr ein. Was ist eine Stammesgesellschaft`^^

Wenn man Chlodwig nennen kann, dann sicher auch das römische Principiat aus den vorher ausbalancierten, angesehenen Senatorengeschlechter?
Übrigens hat Chlodwig keinesfalls alle Konkurrenten vergiftet: Einen ließ er von der Stadtmauer stürzen, einen anderen hinterrücks ermorden....

Gute Treffer sind m.E. nach Shaka Zulu und die Mongolen.

Wie ist es mit der Reichsbildung der Rus nach der Nestor-Chronik, wonach die umliegenden Völker die skandinavischen Rus als 'Außenseiter' (?) bitten, doch eine gerechte und ausgleichende Herrschaft über sie auszuüben?

Was haltet ihr von Samo, dem fränkischen Kaufmann der westslawische Stämme zu einem Bund vereinte der entfernt an Marbods Markomannische Reich erinnert?
Leider fehlt seinem Reich die Erbfolge um eine rechte Monarchie zu sein, ebenso dem angeführten Arminius...

Bei dieser Fragestellung gibt es halt häufig 'Eintagsfliegen'
 
Nun, mir ging es auch um die jüdische "Geschichte" im Speziellen. Aber der Gedanke hin zum Exemplarischen ist der reizvollere ...

Die "Stammesgesellschaft" als ein loser Verband von Familien und Clans ist m.E. typisch für die Nomaden und Halbnomaden. Ihr Leben verläuft unabhängig von staatlichen Einflüssen. Die tradierten Gesetze regeln den Umgang miteinander, man findet sich zu religiösen Festen zusammen und ein "Rat der Ältesten" trifft sich zur Gefahrenabwehr oder bei Streitigkeiten.

Wie sind diese Gesellschaften zur Politik gekommen? Rivalitäten gab es wohl immer schon, und gelegentlich wird sich auch ein Stamm über die anderen hinweggesetzt haben - was aber fast immer (zumindest mittelfristig) die Opposition aller anderen Stämme hervorrufen musste. Der "Urzustand" oder das "Equilibrium" war die Autonomie der Stämme.

Durch welche Umstände es dennoch gelang, diese Völker zum Eingliederung in eine staatliche Organisation zu bewegen (womit diese Völker oft erst ins Licht der Geschichte treten und nicht selten das Interesse benachbarter Großmächte wecken), finde ich höchst interessant. Und so verschieden die jeweiligen Beisiele auch seien mögen: Lässt sich daraus ein Muster stricken?
 
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