Zu den amerikanischen Parallelgesellschaften fehlen mir die Kenntnisse. Gab es denn keine Kontakte zwischen den verschiedenen Gruppen in Schulen, am Arbeitsplatz, in den Innenstädten?
Weniger als das gerne bemühte Bild des 'melting pot' suggeriert. Sehr häufig waren Wohnviertel, teilweise auch ganze Ortschaften, ethnisch homogen, so daß Einwanderer in einer Umgebung lebten, in der sie die Sprache ihrer Herkunftsländer weiterhin gebrauchen und auch ihre angestammte Kultur weiter pflegen konnten. Viele fanden zudem Arbeit in den Betrieben im Viertel. Kontakte zur 'Außenwelt' konnten begrenzt bleiben, man konnte sein Leben im ethnischen Viertel einrichten und dann kaum 'merken', daß man sich mittlerweile nicht mehr im Herkunftsland, sondern auf einem anderen Kontinent befand.
Schulen sind in den USA Gemeindeangelegenheit; nicht nur deren Bau und Unterhalt, auch die Einstellung von Lehrern und zumal in früheren Zeiten auch die Erstellung von Lehrplänen. Wenn man davon ausgeht, daß die erste Einwanderungswelle aus Familien mit Kindern besteht, die zum Teil im Herkunftsland die Schule bereits abgeschlossen hatten oder in der neuen Heimat vielleicht nur noch ein, zwei Jahre schulpflichtig waren, sind es dann erst die Enkelkinder, die von Anfang an eine Schule besuchen und Englisch als Unterrichtssprache erleben, die also mehr oder minder zweisprachig sind.
Zudem war für die erste Generation der Immigranten keine wirkliche Chancengleichheit gegeben, da den Neuankommenden auch aufgrund der mangelnden Sprachkenntnisse nicht jeder Beruf zugänglich war. Diese landeten dann in den am schlechtesten bezahlten, schmutzigsten, gefährlichsten und unangesehensten Tätigkeiten. Insbesondere den Iren und Italienern schlug noch ein ordentliches Maß an rassistischen Einstellungen entgegen, die sich zB an der anderen Religionszugehörigkeit, der anderen Sprache, der anderen Kultur orientierten. (Dies geschieht ja zu Zeiten, in denen Kolonialismus und europäische Überlegenheit im Schwange waren und auch ungeniert, wenngleich faktisch falsch zb von einer englischen, französischen oder deutschen "Rasse" gesprochen wurde.)
So ca ab den 1920er Jahren setzte zudem eine verstärkte Binnenmigration von Afro-Amerikanern aus dem Süden in den industrialisierten Norden ein, der mehr Arbeitsplätze bot, auch für Ungelernte. Diese Binnenmigraten müssen aber auch irgendwo wohnen und ziehen in die Viertel, die auch vorher schon die Neueinwanderer aufnahmen bzw in teilweise noch ethnisch dominierte Viertel, denn nicht alle europäischen Immigranten hatten ja bereits den Absprung zu besseren Jobs und Wohnungen geschafft bzw in diesen Vierteln lebten häufig noch deren ältere Generationen.
Zwar gab es im Norden keine institutionalisierte Segregation; die sogen Jim-Crow-Laws gab es nur in den Südstaaten. De facto war die Gesellschaft im Norden ebenso rassengetrennt. Wenn es zb in den Ghettos in Großstädten im Norden bis in die 1960er Jahre möglich war, daß schwarze Kinder kaum weiße Menschen zu Gesicht bekommen hatten und wenn, dann außer der Polizei nur mal einen Hausbesitzer oder einen Ladeninhaber im Viertel, dann kann man sich vorstellen, daß diese Verhältnisse auch zuvor mit anderen Ethnien in denselben Vierteln ähnlich abliefen.
Im Gegenteil war mit dem Auftreten größerer Massen von Weißen in den schwarzen Wohnviertel in der Regel Gefahr verbunden, da dies fast nur bei Pogromen vorkam. Wobei der Begriff der sogen 'race riots' eine entscheidende Bedeutungsänderung erfuhr und erst seit den 1960er Jahren einen Aufstand von Afro-Amerikanern bedeutet. Zuvor wurden so weiße Mobs bezeichnet, die marodierend in schwarze Wohnviertel einfielen und dort Gewalttaten verübten.