Italo-Keltische Sprachgruppe?

Pope

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Was spricht gegen die Überlegung der Zusammenfassung der keltischen und italischen Sprachen (plus vielleicht der Ventischen) in einer gemeinsamen Gruppe?

Hinweise im Vokabular gibt es viele. Wenn ich mir einige der Etymologien ansehe, dann fällt es scheinbar schwer zu urteilen, ob ein Altirisches/Bretonisch/Walisisches Wort nun lateinischen oder proto-keltischen Ursprungs ist.

Daher meine Frage, warum man daran zweifelt, dass sich Proto-Kelten und Proto-Latiner um 1.500 v.Chr verstanden hätten?

Hier mal die Zahlwörter im Irischen und ihre Verwandten:


1 aon
one, Irish aon, Old Irish óin, óen, Welsh, Cornish, Breton un; Latin unus (=oinos); Gothic ains, English one.

2 dà
two, Irish dá, Old Irish dá (m.), dí (f.), da n- (n.), Welsh dau (m.), dwy (f.), Cornish dou, diu, Breton daou, diou, (f.), *dvâ, *dvâu (m.), dvei (f.), dvabin (dat.); Sanskrit dvau, dvâ, dve (f., n.); Greek @Gdúw; Latin duô: Gothic tuai, English two

3 tri
three, Irish, Old Irish treí, Welsh tri, Cornish try, Breton tri: *treis; Latin três (*trei-es); Greek @Gtrei@ns; Gothic þreis, English three; Lithuanian try/s; Sanskrit tráyas.

4 ceithir
four, Irish ceathair (n.), ceithre (adj.), Old Irish cethir, Welsh pedwar, Cornish peswar, Breton pevar, Gaulish petor-, *qetveres, Indo-European qetvôr; Latin quatuor; Greek @Gtéttares; Gothic fidvôr, English four; Lithuanian keturi; Sanskrit catvâras.

5 cóig
five, Irish cúig, Old Irish cóic, Welsh pump, Early Welsh pimp, Cornish pymp, Breton pemp, Gaulish pempe, *qenqe; Latin quinque; Greek @Gpénte; Lithuanian penki; Gothic fimf; Sanskrit páñca.

6 sè
six, Irish sé, Old Irish sé, Welsh chwech, Cornish wheh, Breton c'houec'h: sveks; Latin sex; Greek @Ge@`/x; Gothic saíhs, English six; Sanskrit shash.

7 seachd
seven, Irish seachd, Old Irish secht n-, Welsh saith, Cornish seyth, Breton seiz: *septn@.; Latin septem; Greek @Ge@`ptá; Gothic, Old High German siban, English seven; Lithuanian septyni; Sanskrit saptá.

8 ochd
eight, Irish ochd, Old Irish ocht n-, Welsh wyth (*okti), Breton eiz: *oktô; Latin octo; Greek @Go@'ktw/; Gothic ahtau; Sanskrit ashtaú

9 naoi
nine, so Irish, Old Irish nói n-, Welsh, Cornish naw, Breton nao: *neun@.; Latin novem; Greek @Ge@'n-néa; English nine, German neun; Sanskrit návan.

10 deich
ten, so Irish, Old Irish deich n-, Old Welsh dec, Welsh deg, Cornish dek, Breton dec, *dekn@.; Latin decem; Greek @Gdéka; Gothic taihun, English ten; Sanskrit dáçan. deicheamh, tenth, Old Irish dechmad, Welsh decvet, Cornish degves, Breton decvet, *dekm@.meto-s (Brug.), an extension (by the superlative suffix -to-) of *dekm@.mo-s, Latin decimus.

11
Latin: undecem
Irish: aon déag

12
Irish: dó dheag
Latin: duodecem

(Sorry für die kryptischen Zeichen beim Griechischen ... muss mir die Font mal runterladen)
 
2,3 und 4 erinnern mich sogar an meine abgelegten Russischkenntnisse.
два, три, четыре
Dwa, tri, tchetirie
 
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Und sowieso stellt sich die Frage, in welcher Beziehung die fünf IE-Sprachgruppen (archaisches Griechisch, vorrömisches Italisch, Balto-Slawo-Germanisch und Keltisch) um 1500 v.Chr. standen.

Die eine hat was von dieser Sprache, die andere etwas von jener. Von einer linearen Entwicklung weg von einem gemeinsamen Kern* kann man wohl nicht sprechen.

*Also ein regelmäßiges "Kalben" vom hypothetischen Centum-Cluster, dem die Slawen nicht angehören sollen.
 
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Nimm es einfach so hin, wie es ist.
Wenn ich mich mit einem Polen unterhalte, kommen auch nur die Hände zum Vorschein und es funktioniert.
 
Daher meine Frage, warum man daran zweifelt, dass sich Proto-Kelten und Proto-Latiner um 1.500 v.Chr verstanden hätten?


Ich weiß nicht, ob daran jemand zweifelt, aber beweisen lässt sich das natürlich auch nicht. Klar ist aber, dass sich indoeuropäische Sprachen in dem Maße annähern, wie man in die Vergangenheit zurückgeht. Am Anfang steht die - künstlich erschlossene - indoeuropäische Grundsprache, woraus sich im Verlauf eines langen Zeitraums einzelne Sprachzweige entwickeln, die immer noch erstaunlich viele Gemeinsamkeiten aufweisen.

Ich will damit sagen, dass vielleicht nicht nur die keltische und lateinische Sprache so dicht zusammenstanden. Möglicherweise muss man ja auch noch das Illyrische und das Germanische dazuzählen, eventuell auch das Griechische und Hethitische. Fraglich ist lediglich, ob solche Nachbarschaften noch 1500 v. Chr. bestanden, oder man bis 2000 v. Chr. oder noch früher zurückgehen muss.
 
Was spricht gegen die Überlegung der Zusammenfassung der keltischen und italischen Sprachen (plus vielleicht der Ventischen) in einer gemeinsamen Gruppe?

Hinweise im Vokabular gibt es viele. Wenn ich mir einige der Etymologien ansehe, dann fällt es scheinbar schwer zu urteilen, ob ein Altirisches/Bretonisch/Walisisches Wort nun lateinischen oder proto-keltischen Ursprungs ist.


Es hat ja seinen guten Grund, daß man sich bei der Untersuchung der Verwandtschaftsverhältnisse der indoeuropäischen Sprachen untereinander weniger auf das Vokabular stützt als vielmehr auf die Formenlehre.


Pope schrieb:
Daher meine Frage, warum man daran zweifelt, dass sich Proto-Kelten und Proto-Latiner um 1.500 v.Chr verstanden hätten?


Ich weiß nicht, ob daran jemand zweifelt, aber beweisen lässt sich das natürlich auch nicht.


Das kann man wohl sagen.


Dieter schrieb:
Ich will damit sagen, dass vielleicht nicht nur die keltische und lateinische Sprache so dicht zusammenstanden. Möglicherweise muss man ja auch noch das Illyrische und das Germanische dazuzählen, eventuell auch das Griechische und Hethitische. Fraglich ist lediglich, ob solche Nachbarschaften noch 1500 v. Chr. bestanden, oder man bis 2000 v. Chr. oder noch früher zurückgehen muss.


Zum Illyrischen sind die vorhandenen Sprachreste zu gering, um daraus den genauen Verwandtschaftsgrad zu den keltisch/italischen Sprachen bestimmen zu können. Das Griechische steht sicher nicht in einem besonderes engen Verwandtschaftsverhältnis zum Keltisch/Italischen, und das Hethitische (samt seinen anatolischen Verwandten) schon gar nicht, denn die anatolische Gruppe hat sich als erste vom Rest getrennt.

Also Schritt 1: Ausgliederung der anatolischen Gruppe vom Rest der indoeuropäischen Dialekte.

Schritt 2 ist nicht ganz klar; hier gilt Popes Aussage, wonach man nicht von einem "regelmäßigen Kalben" sprechen könne. Die ältere Theorie einer Trennung von Kentum- und Satem-Sprachen spielt jedenfalls heute nur noch eine Nebenrolle in den Erwägungen. Vielleicht liegen Gamkrelidze/Ivanov nicht falsch, wenn sie als nächsten Schritt die Abspaltung einer Tocharisch-Italisch-Keltischen Gruppe vom Rest annehmen.

Schritt 3 wäre dann die Abspaltung des Tocharischen, womit noch eine Italisch-Keltische Gruppe übrigbliebe. (Inwiefern hier noch das Messapische und das nur durch wenige Wörter belegte Illyrische dazuzuzählen wäre, kann einmal außen vor bleiben.)

Schritt 4: Italisch und Keltisch trennen sich. (Das Venetische dürfte bis zu diesem Zeitpunkt noch eine Einheit mit dem Italischen gebildet haben, eventuell ist als nächster Zwischenschritt die Abspaltung des Venetischen vom Italischen einzuziehen, siehe unten)

Schritt 5: Das Italische teilt sich in eine latinische und eine sabellische Gruppe.

Schritt 6: Das Latinische gliedert sich in das Faliskische und das Lateinische. Dieser Schritt ließe sich zeitlich ungefähr mit der etruskischen Besiedlung von Veii (laut Helmut Rix zwischen dem 11. und 9. Jh. v. Chr., was mir etwas früh vorkommt) synchronisieren; damals dürfte der direkte sprachliche Austausch zwischen der Gegend des heutigen Rom und des nur 50 km entfernten Falerii unterbunden worden sein, wodurch der faliskische Dialekt eine vom restlichen Latinischen (-> Latein) getrennte Entwicklung genommen hat. (Währenddessen spaltet sich die sabellische Gruppe in die drei Untergruppen Oskisch, Umbrisch und Südpikenisch.)


Wann könnten die Schritte 5 und 4 erfolgt sein? (Über die früheren Schritte mag ich überhaupt nicht spekulieren.)
Dazu schreibt Helmut Rix, Ausgliederung und Aufgliederung der italischen Sprachen, in: Alfred Bammesberger und Theo Vennemann, Languages in Prehistoric Europe, Heidelberg 2003:

Rix schrieb:
Für die Ereignisse, die zur Ausgliederung von Urlatinisch und Ursabellisch aus dem Uritalischen geführt haben, und für deren Chronologie können wir ebenfalls nur Denkmöglichkeiten nennen. Anhaltspunkte liefern Glottochronologie und Geographie sowie die Extrapolation aus geschichtlich fassbaren Verhältnissen. So könnte sich - beispielsweise gegen Ende des 3. Jahrtausends - aus dem nur geringfügig dialektal differenzierten Uritalischen in Slowenien eine Sprechergruppe ausgegliedert und nach Venetien transferiert haben, wo dann das spätere Venetische entstand. Eine gewisse Zeit nach Anfang des 2. Jahrtausends könnte sich dann eine weitere Gruppe aus dem Ursprungsbereich des Uritalischen herausgelöst und neue Wohnsitze an der tyrrhenischen Küste Italiens an der Tibermündung und südlich davon gesucht haben; ihre Sprache entwickelte sich unabhängig von der in der alten Heimat und wurde zum Urlatinischen.
Wieder einige Jahrhunderte danach folgten weitere Sprecher des Uritalischen, das inzwischen zu Ursabellischen geworden war, nach Süden [...]

Wenn ich Rix bis hierher folge, müßte die Trennung zwischen Italisch und Keltisch jedenfalls noch im 3. Jahrtausend v. Chr. erfolgt sein. Freilich betont Rix, daß es sich hier nur um ein Denkmodell handelt, bei dem "aufgrund neuer Information oder besserer Überlegungen die Örtlichkeiten austauschbar und die Daten verschiebbar sind."
 
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Überaus verständlich und einsichtig, diese Beweiskette!

Fazit: Es bleibt nur noch zu sagen, dass Pope mit seiner Vermutung von einer engen Verwandtschft der italo-keltischen Sprachgruppe Recht hatte, da man andere Sprachen davon scheiden muss, was wiederum durch Sprachvergleiche erhärtet wird.
 
Danke für die Informationen, Hyokkose.

Hyokkose schrieb:
Es hat ja seinen guten Grund, daß man sich bei der Untersuchung der Verwandtschaftsverhältnisse der indoeuropäischen Sprachen untereinander weniger auf das Vokabular stützt als vielmehr auf die Formenlehre.

:D Mit dem Satz habe ich ja schon gerechnet. Was sagt denn die Formenlehre, wem Keltisch und Italisch sonst noch ähnlich sind?

Schön auch, dass Du dem Centum-Satem-Bruch Skepsis entgegenbringst. Ich glaube mittlerweile auch nicht mehr daran, dass wir dadurch weiter kommen - vielleicht führt die Centum-Satem-These gar ganz in die Irre ...

Habe Deine Ausführungen mal veranschaulicht. Ist so (grob) richtig, hoffe ich. (Oder ist Tocharisch 500 v.Chr. schon ausgestorben??) Deine Schritte sind weiss numeriert. Die 2000er-Marke ist natürlich nicht so eng zu sehen. Du würdest sie wohl weiter rechts ziehen ...

italo-kelt.JPG
 
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Ich glaube ich habe oft gelesen, dass Keltisch und Germanisch besonders dicht zusammenstehen. Wie sieht es denn damit aus?

Tocharische Sprachreste buddhistischen Inhalts fand man um 1900 im Tarim-Becken, die auf etwa 800 n. Chr. datiert werden. So lange muss die Sprache also noch lebendig gewesen sein.
 
Zuletzt bearbeitet:
:D Mit dem Satz habe ich ja schon gerechnet. Was sagt denn die Formenlehre, wem Keltisch und Italisch sonst noch ähnlich sind?


Na, dem Germanischen, dem Griechischen, dem Hethitischen, dem... Du weißt schon... den indoeuropäischen Sprachen eben.

Abgesehen von den anatolischen Sprachen, die sich durch einige auffällige Besonderheiten (z. B. nur zwei grammatische Geschlechter: "Utrum" und "Neutrum") vom Rest der indoeuropäischen Sprachen unterscheiden, gibt es nur wenige sichtbare "Gräben", durch die sich dieser große Rest in wenige Gruppen sortieren läßt.

Einen Anhaltspunkt bietet etwa die Bildung des Genitivs:

- Bildung mit *yo:
Indo-Iranisch z. B. Avestisch ahura (Herr) -> ahurahya
Griechisch z. B. hippos (Pferd) -> hippoio
Armenisch z. B. mard (Person) -> mardoy

- Bildung mit *-i
Italisch z. B. Latein pater (Vater) -> patri
Keltisch z. B. Altirisch (Ogham) *maqvos (Sohn) -> maq(v)i
Tocharisch z. B. pacar (Vater) -> pacri

- Bildung mit *-o
Baltisch z. B. Litauisch dievas (Gott) -> dievo (Lettisch dievs -> dieva)
Slawisch z. B. Altkirchenslawisch bogy (Gott) -> boga

- Bildung mit *oso (in baltisch/slawischen Pronomina und im Germanischen)
z. B. Altkirchenslawisch cito (was) -> ceso
z. B. deutsch Tag -> Tages


Ich muß allerdings sagen, daß derartige Beispiele nicht sehr zahlreich und nicht sehr überwältigend sind, daher kann ich mir nicht mehr als ein "vielleicht" abringen.


Habe Deine Ausführungen mal veranschaulicht. Ist so (grob) richtig, hoffe ich. (Oder ist Tocharisch 500 v.Chr. schon ausgestorben??) Deine Schritte sind weiss numeriert. Die 2000er-Marke ist natürlich nicht so eng zu sehen. Du würdest sie wohl weiter rechts ziehen ...


Ja, so in etwa. Beim Zweig "Illyrisch" würde ich lieber drei Fragezeichen machen, denn der könnte auch sonstwo abzweigen. Beim Venetischen hingegen sind sich die Fachleute ziemlich einig, daß es in die Nähe der italischen Sprachen gehört.
 
Ich glaube ich habe oft gelesen, dass Keltisch und Germanisch besonders dicht zusammenstehen. Wie sieht es denn damit aus?


So besonders dicht wohl doch nicht. Manche auffällige Ähnlichkeiten könnten weniger auf einer (ursprünglichen) nahen Verwandtschaft als vielmehr auf der (späteren) nahen Nachbarschaft beruhen; ein Beispiel hatten wir ja erst neulich:
Wir haben es also mit einem germanischen Wort *gaiza zu tun, das (sicher nicht rein zufällig) mit einem bedeutungsgleichen keltischen Wort "gaisa" übereinstimmt.

Nicht entschieden werden kann, ob die Übereinstimmung des keltischen *gaisa mit dem germanischen *gaiza auf Urverwandtschaft oder Entlehnung beruht.


Ein Beispiel für eine grammatische Erscheinung, die das Germanische näher an den anderen indoeuropäischen Sprachen zeigt als am Keltisch-Italischen wäre der Superlativ des Adjektivs:

Sanskrit: svadu -> svadistha; Griechisch: hedus -> hedistos; Deutsch: süß -> süßester

Italisch-keltische Formen haben hier ein "s-m": Latein "proximus", Oskisch "nessimas", Altirisch "nessam" (deutsch: "nächste")
 
Verzwickt ...

(Etymologisch doch sicher mit Zweig / twig verwandt)

So komme ich wieder zurück zum Bäumlein:

Und was, wenn eben statt dem "kalbenden Gletscher" oder der "wogenden Flut" eben die "zwirbelnde Ranke" als Modell dienen muss?

Einfach mal spasseshalber erstellt:

rankeIE.JPG

efeuIE.JPG
 
Verzwickt ...

(Etymologisch doch sicher mit Zweig / twig verwandt)


Nicht sicher!

"Zweig"/"zweigen" ist zwar etymologisch mit "zwicken" verwandt (althochdeutsch zwigon: "pflücken, rupfen, entzweien"), aber nicht notwendigerweise mit "verzwickt".

Dieses Wort kommt nämlich von "Zweck" (althochdeutsch zwec: "Nagel, Pflock"); der heutige Sinn "Ziel, Absicht" ist erst relativ spät entstanden (über den Nagel der Zielscheibe), während der ursprüngliche Sinn in "Reißzwecke" noch erhalten ist.

"Verzwickt" bedeutet also eigentlich "vernagelt".



Und was, wenn eben statt dem "kalbenden Gletscher" oder der "wogenden Flut" eben die "zwirbelnde Ranke" als Modell dienen muss?


Das Efeumodell trifft den Nagel ("Zweck") auf den Kopf.
 
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