Juchheißa nach Amerika, dir Deutschland gute Nacht- Soldatenhandel deutscher Fürsten

Scorpio

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Im 18. Jahrhundert war es völlig üblich, das kleinere Fürsten, aber auch die Schweizer Kantone ihre Truppen gegen Entgelt an andere Staaten ausliehen. Schotten, Schweizer und Iren dienten seit dem Mittelalter in der französischen Armee. Marlboroughs Armee bei Blenheim gehörten Briten, Holländer, Dänen, Hannoveraner, Hessen, Preußen und Reichstruppen an. Zar Peter I.hätte ohne europäische Offiziere im Nordischen Krieg nicht viel mehr als eine undisziplinierte Horde ins Feld schicken können. Im Siebenjährigen Krieg bestand die alliierte britisch- hannoversche Armee fast ausschließlich aus Hessen, Hannoveranern und Braunschweigern. angeführt wurde sie von einem braunschweigischen Prinzen, der wiederum preußischer General war. Quer durch Deutschland verlief die Grenze zwischen dem französischen Markt und dem englischen. Hessen-Kassel, Hannover, Waldeck und Braunschweig waren traditionell an den Hof von St. James oder die Generalstaaten der Niederlande gebunden. Bayern, Würtemberg, Hessen-Darmstadt, Pfalz- Zweibrücken und Bentheim standen dagegen traditionell in französischem Sold. Niemand fand daran etwas auszusetzen. Das änderte sich bekanntlich mit dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. "Heute morgen sind 10.000 Landeskinder nach Amerika fort, die zahlen alles". So gibt ein Bediensteter in der "Kammerdienerszene" von "Kabale und Liebe" der fürstlichen Mätresse Lady Milford Auskunft, als sie sich nach dem Preis eines venezianischen Diamantkolliers erkundigt. Als weitere Kronzeugen gegen den "Soldatenhandel" sind Mirabeau ( Avis aux hessois et les autres peuples allemandes vendue par leur princes a` Angleterre, aufruf an die Hessen und die anderen deutschen Völker, die von ihren Fürsten" an England verkauft wurden und Johann Gottfried Seume zu erwähnen, der, wie er in seinen Autobiographien "Mein Leben" und "Spaziergang nach Syracus" behauptet, von hessischen Werbern gepresst wurde. Auch in der wissenschaftlichen Literatur halten viele Historiker am Klischee der "verkauften Hessen" fest. Man mag ja von diesem Handel halten, was man will, ich finde aber, daß man dabei etwas mehr differenzieren sollte. Im Staatshaushalt vieler kleiner Fürsten spielten die Armeen politisch und wirtschaftlich eine große Rolle. die meisten Mittel- und Kleinstaaten waren aber nicht wirtschaftlich stark genug, eine große Armee zu unterhalten, daher liehen sie ihre Truppen aus. Es ergaben sich bei solchen Subsidienverträgen wertvolle politische und dynastische Kontakte, die man zum Ausbau der Macht verwenden konnte. Wenn dann wie nach dem Siebenjährigen Krieg die Armeen arbeitslos waren, lagen sie dem Land gehörig auf der Tasche. Die Gelder aus dem Subsidienvertrag mit England wurden in Braunschweig, Hessen- Kassel und Ansbach Bayreuth nachweislich zum Aufbau des Landes verwendet. die Soldzahlungen waren durchaus hoch, ein Jäger bekam 1 Pfund Sterling, ein Grenadier allerdings nur 12 Shilling im Monat. Entgegen landläufiger Meinung war die Zwangswerbung in der hessischen Armee verboten und wurde durchaus streng bestraft, was natürlich nicht heißen soll, daß es gegenüber Vaganten nicht doch praktiziert wurde. Natürlich dürfte es auch manchen Zeitgenossen gegeben haben, den man mit List und Tücke oder Schnaps gefügig machte. Gemessen an dem, was bei preußischen Werbern oder in der britischen Marine üblich war, gehörte das allerdings zu den damaligen "Unsitten". dann sollte man auch daran denken, mit welchen Vorstellungen man damals zur Armee ging. Nationale Interessen oder Beglückungsideologien waren den Soldaten fremd, was interessierte, war die Frage des Soldes, der Verpflegung und der Aufstiegsmöglichkeiten. Ob man für Preußens Gloria oder die Kasse der Landgrafen Gesundheit Leib und Leben riskierte, was spielte das für eine Rolle? Tatsächlich fehlte es in der hessischen Armee nicht an attraktiven Elementen: So stand der Aufstieg bis ins Offizierskorps auch Bürgerlichen offen und zwar nicht nur den Söhnen aus Rats- und Offiziersfamilien. Die Vermietung von Truppen verstieß weder gegen die Reichsgesetze, noch gegen die Usancen der damaligen politischen Regeln. Es gab sogar auf amerikanischer Seite Bestrebungen, selbst Söldner anzuwerben. An Laffayettes Expeditionsarmee beteiligten sich bei Yorktown die regimenter Royale Allemands und pfalz- zweibrücken, Royal-deux Ponts. Wie gesagt, man wird manches an solchen Verträgen aussetzen können, ich frage mich aber, ob nicht das von Historikern vielbemühte Prinzip der Staatsraison hier Anwendung finden kann, wenn es überhaupt einen Sinn haben soll, denn die Gelder wurden nachweislich zum Wiederaufbau der Wirtschaft verwendet. Ich denke, daß der wirkliche Sozialskandal in der Militärpolitik des 18. Jahrhunderts vor allem darin zu suchen ist, daß sich praktisch alle Fürsten um eine angemessene Altersversorgung ihrer Veteranen drückten. Ich würde mich sehr dafür interessieren, wie ihr darüber denkt
 
Ich habe schon von Leuten, die sich näher mit der Materie beschäftigen gehört, dass es wohl ein Tagebuch eines Deutschen gibt, der nach Amerika verschickt wurde und darüber hauptsächlich traurig war. Wie in dem anderen Thread angeführt ist die Charakterisierung dieses Soldatenhandels durch Schiller in "Kabale und Liebe" schon moralisch ablehnend, andere Autoren bewerteten das Verhalten der deutschen Duodezfürsten ganz ähnlich, auch Friedrich II. von Preußen kritisierte es. (Er schloss ja auch am Ende seiner Regierung einen Handelsvertrag mit den Staaten.) Bereits die Zeitgenossen standen dem Soldatenhandel kritisch gegenüber. Für so gewöhnlich wurde es also nicht (mehr) gehalten.

Ein neuer Zeitgeschmack hatte sich durchgesetzt, welcher im kritischen Bürgertum eine Anhängerschaft hatte. Stand man wenn nicht urteilslos so einfach zu leise um gehört zu werden, noch während der Kriege der ersten Hälfte des 18.Jh. dem Handeln der Potentaten gegenüber, wurden nun diese Handlungen offen bemängelt und diskutiert. Eine Ursache kann man in der aufkommenden Salonkultur und einer Aufklärung neuen Musters sehen.

Ich persönlich kann keinen Unterschied zu Subsidienzahlungen und allgemeines Gebahren im Zeitalter der Kabinettskriege erkennen. Wenn Truppen irgendwohin zum Töten verschickt werden, halte ich es für verwerflich, egal welche Ambitionen der Fürst, Präsident oder Kaiser damit verfolgt, ob dieser nun Land oder Geld damit erbeuten will, erscheint mir nebensächlich. Dann könnte man ebenso gut die drei Schlesischen Kriege verurteilen. Friedrich I. hatte auf gewisse Besitzungen in Schlesien aus politischen Gründen und wegen aktueller anderer Prioritäten verzichtet und Friedrich II., sein Enkel raubte sie. Dieser Raub bedeutete eine Stärkung Preußens territorial, während der Verkauf oder besser gesagt die Vermietung der Soldaten nach Amerika eine finanzielle Stärkung Hessen-Kassels zum Bsp. bedeutete. Bis zu den Koalitionskriegen war daher die finanzielle Lage des Landgrafen von Hessen-Kassel wie des Landgrafen von Hessen-Darmstadt recht gut.
Mit den Mitteln war man im 18. Jh. nicht wählerisch und ist es heute anders? - bitte keine aktuelle Diskussion bloß nachdenken!
 
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Zunächst einmal vielen Dank an Brissotin für deinen sehr umfangreichen und fundierten Beitrag. Mein Kompliment.
Nun, die Soldatenhandelsdebatte war tatsächlich ein Thema, bei dem sich ein aufgeklärtes Bürgertum zu Wort meldete und bei dem mn dem Ancien Regime den Prozeß machte. Der Unabhängigskeitskrieg war vielleicht der erste Krieg, bei dem der Faktor der öffentlichen Meinung bedeutend war. Gazetten aus den Niederlanden und Frankreich waren dabei am Ende erfolgreich. Ein Niederländer verwendete eine Übersetzung von Mirabeaus "Avis aux hessois" für ein Pamphlet gegen die Methoden der Ostindienkompanie. Friedrich der Große hat sich tatsächlich äußerst abfällig über seinen hessischen Namensvetter geäußert. Doch ob er ein Recht hatte, seinen Ansbacher Cousin oder seinen hessischen Namensvetter zu tadeln?
Voltaire hatte Friedrich einen Fürstenspiegel geschickt, den der Landgraf verfaßt hatte. "Wäre der Landgraf aus meiner Schule hervorgegangen, würde er seine Truppen nicht an die Engländer verkaufen"war der Kommentar des Preußenkönigs. Ein Landgraf, der zum Katholizismus übergetreten war und deshalb zu Lebzeiten auf die Grafschaft Hanau verzichten mußte, war dem Preußenkönig natürlich suspekt. dann hatte Georg III. auch, als es für Preußen kaum noch Rettung gab 1761 die Subsidienzahlungen eingestellt.
Ein recht gut lesbares Buch über die "Hessians" hat Inge Auerbach, eine verdiente Marburger Historikerin geschrieben. Sie läßt sich dabei aber nicht auf eine Diskussion über den Soldatenhandel ein. Ihr geht es um den Begriff der Freiheit und die Sichtweise des anderen. Es sind darin auch Dokumente einfacher Hessen wiedergegeben, die durchaus darauf hinwiesen, unfreiwillig gedient zu haben, die dann aber ihren Regimentern loyal waren. Interessanterweise entzündeten sich solche Klagen dann an der Frage der angemessenen Altersversorgung, wobei einige sogar noch Soldrückstand geltend machten.
Militärisch haben sich die "Hessians" recht gut gehalten, Hoffnung auf Massendesertion auf amerikanischer Seite haben sich nicht erfüllt. Einige der Hessen, die in Amerika blieben, taten das auch nicht ganz freiwillig. In den Kolonien war es üblich die "hessians" als "Indentured servants" zu vermieten. viele dieser Kriegsgefangenen hatten ein Handwerk gelernt oder waren erfahrene Landwirte. sie waren billiger als schwarze Sklaven und daher begehrt. Einige dieser Leute mußte der hessische General von Loßberg auf eigene Rechnung auslösen. Insgesamt war das Bild von Amerika bei Soldaten und Offizieren eher negativ. Die Sklaverei in den Südstaaten, vor stieß bei vielen Hessen auf Mißbilligung. Entlaufene Sklaven konnten durchaus auf Verständnis hoffen und waren nicht zuletzt begehrt als Musiker. Einige Schwarze sind tatächlich bis nach kassel gekommen, wo sich der Landgraf im Stil der Zeit eine Art "Menschenzoo" hielt. Seltener war der Kontakt mit Indianern. Ein Hesse soll aber zu ihnen aus der Kriegsgefangenschaft geflohen. die Kritik in Kabale und Liebe bezog sich vor allem auf Herzog Karl Eugen und den Markgrafen von Ansbach. In Kassel schien man sich nicht angesprochen zu fühlen, und noch 1785 wurde das Drama in Kassel aufgeführt. Seume konnte sich eigentlich nicht über die Hessen beschweren. Er schob als Regimentsschreiber und Sergeant eine ruhige Kugel in Halifax und war sehr ärgerlich darüber, daß man ihn nicht mehr zum Offizier beförderte. Auch er urteilte recht negativ über die Amerikaner, die Bedeutung der Amerikanischen Revolution als Beginn der Französischen Revolution wurde von den meisten Hessen und Braunschweigern nicht erkannt. Am meisten hatten die Hessen auf dem militärisch taktischen Sektor gelernt. Es waren die alten Veteranen, die sich 1806 und 1809 an Aufständen gegen die französische Besatzung beteiligten. Ihre Taktik des Guerillakrieges konnte in Deutschland noch nicht erfolgreich sein, aber dieselbe Taktik sollte in Spanien den Franzosen große Probleme bereiten.
 
Auch wenn das jetzt zu weit führt, finde ich selbst auch die bis heute in den USA existierende Furcht vor den Hessen, die aus dem AWI herrührt, sehr aufschlussreich. Das Bild, das wir von diesen ungeheuerlichen Vorgängen haben ist ein aufgeklärtes, von Schiller u. Co. bestimmtes. Wir sehen den verkauften Einwohner eines Landstriches, der in Amerika mit den Klimaverhältnissen u.a. nicht zurecht kommt und am Hitzschlag beim Feldzug auf dem Weg zur Schlacht bei Monmouth Court House elendig stirbt. Auch das ist wahr und eine Seite der Medaille. Zum Überlaufen sollen die Mentalitätsunterschiede zw. Amerikanern und deutschen Hilfstruppen zu groß gewesen sein. Wenn man bedenkt, dass gerade bei Germantown (wo auch Kampfhandlungen stattfanden) und andernorts viele Deutsche gesiedelt hatten, kann man sich das kaum vorstellen.
Bis auf die Schlacht bei Trenton, die auch eher ein Überfall auf die Hessen darstellte, schlugen sich die Deutschen in britischen Diensten recht gut. Wobei man auch im Hinterkopf behalten darf, dass sie auch bloß wieder nach Hause wollten zu ihren Familien und in ihre Heimat.
 
Ich habe noch einen sehr guten Literaturtipp, wenn auch nicht speziell zum Soldatenhandel.

Stephan Schwenke "Die gezähmte Bellona? Bürger und Soldaten in den hessischen Festungs- und Garnisonsstädten Marburg und Ziegenhain im 17. und 18. Jahrhundert.
 
Vielen Dank, die Rezension, war wirklich aufschlussreich. :yes: Gerade der letztere Punkt (beurlaubte Soldaten arbeiteten auf ihre Profession) ist mir sehr bewusst und verwundert mich, wenn er tatsächlich keinen Niederschlag in dem Buch fand. Vielleicht sollte man aber, wenn nicht schon geschehen, zur Hessischen Militärgeschichte einen eigenen Thread aufmachen. Ich bin darin zwar nicht bewandert, würde aber mitlesen und Anmerkungen machen, wenn ich Verständnisschwierigkeiten hätte.

Man sollte natürlich andersrum nicht die Diskussion zu kleinteilig machen, wenn sich ohnehin, wie ich es einschätze, nur zwei - drei Diskutanten finden. Sicherlich sind die Grundlagen des Militärsystems eines Staates und dessen Charakter, ganz wichtige Hintergrundinformationen, auch wenn man den Soldatenhandel nach Amerika begreifen möchte.
 
Meuterei im Rekrutendepot Ziegenhain 1781

Die Wasserfestung Ziegenhain diente seit 1777 als Rekrutendepot für die Truppen in Amerika. Nachdem zunächst die stehenden Regimenter nach Amerika vermietet wurden, warben die Hessen vor allem im Großraum Frankfurt und in Thüringen. Mit zunehmender Kriegsdauer, scheinen bei den Werbern eventuell vorhandene Hemmungen, entgegen landgräflicher Order Gewalt, List, Tücke und Alkohol zu gebrauchen, zunehmend gefallen zu sein. Wenig wählerisch offenbar auch das Personal, das die meisten Offiziere als Gesindel betrachteten. Der Festungskommmandant von Gohr beklagte: Es fällt schwer, mit wenigen Unterofficiers Ordnung unter so vielen bösen Kerlen zu halten.

Bei so Manchem stellte sich in Ziegenhain buchstäblich die große Ernüchterung ein, und viele Rekruten fanden offenbar, dass sie sich so freiwillig auch wieder nicht haben anwerben lassen. Johann Gottfried Seume behauptete später, man habe ihm das Kommando bei einer Meuterei zugedacht, was er aber abgelehnt habe.

Dieses Ereignis hat allerdings tatsächlich stattgefunden im Dezember 1780. Die rekruten hatten den kühnen Plan gefasst, mit der gesamten Garnison auszubrechen, nachdem man die Unteroffiziere betäubt hatte. Der Plan sickerte aber durch, und in einem Gespräch erwähnte der landgräfliche Hoffischer gegenüber einem Fähnrich eine geplante Meuterei. Dieser schlug sofort Alarm, worauf alle Offiziere alarmiert wurden und eine Kanone in Stellung gebracht wurde.

Der Plan war verraten, man wusste nur noch nicht, wer die Rädelsführer waren. Es handelte sich um zwei junge Männer, der eine Sohn eines Försters, der andere eines Pfarrers aus Brandenburg, bzw. Sachsen. Die beiden hatten sich offenbar aus Abenteuerlust anwerben lassen. als einer einen Kassiber ins Schloss schmuggeln wollte, um die Mitverschwörer zu warnen, hatte man sie.

Gegen die beiden wurde die Todesstrafe verhängt, vor der Hauptwache wurde ein Galgen aufgebaut, und der 2. Pfarrer bereitete die Delinquenten auf den Tod vor. Aus Kassel wurde auf landgräfliche Order das Todesurteil bestätigt, ein Geheimbefehl an den Kommandanten und Gouverneur der Festung Ziegenhain Generalleutnant von Gohr weihte diesen ein, dass es sich um eine Scheinhinrichtung handeln sollte. Ehe der Henker Hand an die Delinquenten legen konnte, gab der Kommandant mit einem Taschentuch das Signal der Begnadigung.

Der 2. Pfarrer Paulus berichtete: "Wir wurden Zeugen eines ergreifenden Schauspiels, die Delinquenten sankrn zu Boden und lautes gefühlvolles Gebet zu Gott strömte von ihren Lippen."

Mit diesem Schachzug war jeder Widerstand gebrochen, die Rekruten maschierten bald nach Amerika ab, wo Seume in Halifax Unteroffizier und Regimentsschreiber wurde. Die geplante Meuterei und der Massenausbruch fanden keinen weiteren Nachhall, sondern verschwanden in historischer Anonymität. Erhalten hat sich aber der Bericht des 2. Pfarrers, der im Archiv des Dekanats gefunden wurde.
 
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