@ Chan:
Was die Verfasserschaft und Datierung des ersten Clemensbriefes an die Korinther anbelangt:
Ich habe Deine beiden Links zugegebenermaßen lediglich grob überflogen und beziehe mich hauptsächlich auf die Argumente, die Du in Deinem Beitrag ausschreibst. Du darfst und wirst mich darauf aufmerksam machen, wenn ich wesentliche Argumente aus den verlinkten Texten übersehen habe. Nun meine Einschätzung:
Der 1. Clemensbrief ist ein jüdisches Schreiben, dessen Ursprünge möglicherweise noch in das 1. Jahrhundert hinabreichen, und das später mit einem christlichen Firnis versehen wurde[63].
Was an dem ersten Clemensbrief so „jüdisch“ wirkt, sind die vielen Zitate aus der Septuaginta sowie die Nachahmung der „Septuaginta-Sprache“. Nun steht aber fest, dass das Alte Testament in Form der griechischen Septuaginta nicht nur die Heilige Schrift der Diaspora-Juden, sondern genauso die Heilige Schrift der frühen Christen war (das bestätigt selbst Deschner: Kriminalgeschichte, Bd. 1, Kap. „Interpretatio Christiana“). Deshalb ist für mich nicht einzusehen, warum der Clemensbrief ein ursprünglich jüdisches Produkt sein soll, das erst später mit einem „christlichen Firnis“ überzogen worden sein soll. Dafür gibt es doch im Text keine eindeutigen Anzeichen, oder?
Auffallend ist daß der Verfasser die früheren Verhältnisse der Gemeinde in Korinth zunächst ohne jede Einschränkung in einem positiven Licht darstellt, obwohl er aufgrund der Lektüre des Korintherbriefes, den er aufgrund von c. 47 angeblich kennt, wissen sollte, daß die Gemeinde bereits in den ersten Gründungsjahren von einer schweren Krise erschüttert wurde. Doch kommt er darauf zunächst mit keinem Wort zu sprechen. Ebensowenig bedient er sich bis zum 47. Kapitel des stärksten Arguments, das ihm zur Schlichtung des Streits von außen Verfügung gestanden hätte: der Autorität und Schrift des Gemeindegründers! Der Verfasser läßt noch nicht einmal erkennen, daß er von der Existenz eines Gemeindegründers namens Paulus wußte. Der Wortlaut der paulinischen Briefe (insbesondere des Korintherbriefs, der ihm nach 47 bekannt sein müßte) ist ihm nie gegenwärtig. Er kann ein Hoheslied der Liebe verfassen, ohne Hinweis darauf, daß bereits der „selige“ Paulus ein solches in seinem Brief an die Korinther schrieb. Seine Theologie weist sowenig Einfluß der paulinischen Gedankenwelt auf, daß Bultmann verblüfft feststellt: „Und dabei hat der Verfasser Rm und 1, Kor gekannt!“[64]
Die Beobachtungen der Radikalkritiker sind nicht alle per se falsch; manche sind sogar richtig, sprechen dann allerdings letztlich nicht gegen Clemens Romanus als Verfasser und die Regierungszeit Domitians als Abfassungszeit des Briefes. Clemens Romanus argumentiert tatsächlich nicht viel mit Paulus bzw. seinen Briefen und thematisiert die früheren Gemeinde-Konflikte in Korinth, die einst Paulus zu schlichten versuchte, nicht vor Kap. 47. Dort dann allerdings konkret. Man kann das auffällig oder merkwürdig finden, muss es jedoch nicht. Denn wenn die röm. Gemeinde die korinthische mit ihrem Schreiben überzeugen und überhaupt erst einmal auf offene Ohren stoßen wollte, so war es wohl nicht ratsam, direkt zu Anfang sinngemäß zu schreiben: 'Ihr wart damals Versager, sodass sich der gute Paulus die Zähne an Euch ausbeißen musste, und Ihr versagt gegenwärtig schon wieder, sodass diesmal wir uns genötigt sehen, Euch den Kopf zu waschen'. Dann wären wohl alle nachfolgenden guten Ratschläge und Ermahnungen erst recht ungehört verhallt. Es ist doch beinahe eine zeitlose menschliche Praxis: Was man guten Gewissens am Gegenüber loben kann, das lobt man erst einmal; umso eher ist das Gegenüber dann bereit, auch die Kritik freundschaftlich auf- und anzunehmen. Ich finde den Aufbau des Briefes in diesem Punkte bestens nachvollziehbar.
Bruno Bauer
Einige der dort angeführten Argumente sind:
* Erst im 44. Kap. kommt der Verfasser zur angeblich dringlichen Hauptsache (ein Gemeindekonflikt in Korinth).
Wie man zu so einer Aussage gelangt, kann ich eigentlich gar nicht nachvollziehen. Dass der „Aufruhr“ in der korinthischen Gemeinde der Anlass des Briefes ist, kommt nicht erst in Kapitel 44 zur Sprache, sondern wird bereits zu Anfang des Briefes (Kap. 1) unmissverständlich betont. Dann lobt der Verfasser die griechische Gemeinde bzw. ihre einstige Einmütigkeit psychologisch geschickt erst einmal, bevor er ihr in Kap. 3 ihre jetzige unrühmliche zerstrittene Situation vorhält. Er bringt Beispiele aus der Bibel und der Geschichte für solchen Neid und Streit vor, um dann die Empfänger ab Kap. 7 zur Umkehr zu ermahnen.
Ab Kap. 9 versucht der Verfasser die Korinther mit biblischen Beispielen und sauberer christlicher Lehre wieder auf den rechten Weg zu ziehen – und zwischendrin immer wieder Ermahnungen zur „Eintracht“ i. d. Gemeinde und dazu „unsere Vorgesetzten hoch[zu]achten“ wie in Kap. 21. Das sind doch recht deutliche Hinweise auf jenen Gemeindekonflikt als Anlass des römischen Schreibens. Ab Kap. 37 geht es dann beinah nur noch darum, die Aufrührer unter den Korinthern zum Gehorsam gegenüber den Presbytern usw. zu bewegen.
Der ganze Brief (also nicht erst ab Kapitel 44) widmet sich der „dringlichen Hauptsache“, wenn seine Argumentationsstränge dabei auch – und das will ich gerne zugeben – stellenweise sehr in die Breite gehen.
* In 44,1 wird die apostolische Sukzession thematisiert, was viel eher in die Mitte des 2. Jh. passt.
Es ist richtig, dass sich großkirchliche Vertreter des 2. Jhs. wie Hegesippus und Irenaeus im Kampf gegen die erstarkende christl. Gnosis bzw. gegen deren Lehrer und selbsternannte Führer auf die apostolische Sukzession der Bischöfe von Jerusalem, Rom usw. beriefen und zum Beweis Bischofslisten recherchierten und vorlegten. Der Clemensbrief hat solche Listen nicht, in ihm wird dennoch auf die apostolische Sukzession der Episkopen hingewiesen: Die Apostel setzten Männer ihres Vertrauens ins Episkopenamt ein „und gaben danach Anweisung, es sollten, wenn sie entschliefen, andere bewährte Männer deren Dienst übernehmen“. Dass es tatsächlich einst Praxis der Apostel gewesen sein dürfte, Männer, die man für geeignet hielt, als Gemeindeleiter einzusetzen, bevor man zwecks Mission weiterzog, und dass es ebenso einst den Vorstellungen der Apostel ganz entsprochen haben wird, dass nach dem Ableben der von ihnen Eingesetzten, neue geeignete Männer als Gemeindehirten einzusetzen wären, braucht man eigentlich nicht zu diskutieren – will heißen: Was 1. Clem. über die apostolische Sukzession schreibt, ist keine Erfindung der christlichen Apologeten des 2. Jhs., sondern gibt in gewisser Weise lediglich die Praxis der frühen Kirche in den Großstädten des Reiches wieder. Warum 1. Clem. diese zeitgenössische Praxis anspricht, ergibt sich aus dem Kontext: Die Aufrührer in der korinthischen Gemeinde haben sich gegen den/ die Gemeindehirten aufgelehnt, spielen mit dem Gedanken der Hirten-Absetzung oder haben diese sogar schon durchgezogen, so dass 1. Clem. 44, 3 sagt: „[...] daß diese vom Dienst entfernt werden, halten wir nicht für recht“. Das ist rund.
Die Apologeten des 2. Jhs. hatten zwar verwandte, aber dennoch anders gelagerte Motive für die Betonung der apostol. Sukzession. Sie kämpften in erster Linie nicht gegen „Aufrührer“ in den eigenen Kirchengemeinden, sondern gegen selbsternannte Führer häretischer Gemeinschaften, die der Kirche Konkurrenz machten. Gegen diese „jungen“ häretischen Gemeinschaften pochte man auf die apostolische Tradition der Großkirche, musste aber, um die Apostolizität zu beweisen, dann Listen vorlegen können mit eine ununterbrochenen Bischofsreihe von den Aposteln an. Damit waren die jungen häretischen, nicht-apostolischen Gemeinschaften dann entlarvt. Darum geht es im 1. Clem. nicht, weshalb dieser Brief uns auch nicht wirklich ins Zeitalter eines Irenaeus weist.
Clemens brauchte zum Beweis der apostol. Sukzession seines korinthischen Amtsbruders m. E. ohnehin keine Liste, die den amtierenden korinthischen Bischof auf die Apostel zurückführte, weil diesen Bischof ja nur einige Jahrzehnte korinthische Gemeinde-Geschichte von Paulus' Wirken in Korinth trennte. In dieser relativ kurzen Zwischenzeit wird es nicht arg viele Gemeindevorsteher in Korinth gegeben haben, sodass für jedes Gemeindemitglied die einzelnen Stationen der Sukzession in Korinth noch gut nachvollziehbar gewesen sein dürften. Clemens z. B. war laut den Quellen nach den Aposteln dritter Vorsteher der röm. Gemeinde; in Korinth werden es nicht viel mehr Bischöfe gewesen sein. Dieses Letzte hier ist selbstverständlich ein ziemlich schwaches Argument, aber dennoch denke ich, dass die Tatsache, dass der erste Clemensbrief die apostolische Sukzession in Korinth so gar nicht versucht, durch eine Bischofsreihe zu belegen, tendenziell besser in eine frühe Zeit passt, in der die Abfolge der paar bisher amtierenden Bischöfe an den Fingern einer Hand abzuzählen war, als in die zweite Hälfte des 2. Jhs., in der man die Bischöfe schon in Listen festhalten musste, um den Überblick nicht zu verlieren und die Apostolizität des gerade amtierenden Bischofs zu belegen.
* Der Text ist deutlich zu umfangreich für einen Brief.*
Hmmh. Wieviele Zeichen durfte ein Brief in der Antike den haben, damit er noch als Brief galt (und noch nicht als Päckchen)? Wer 1. Clem. nicht einen „Brief“ der röm. Gemeinde an die korinthische nennen möchte, der kann es ja ein „ausführliches Schreiben“ derselben an dieselbe nennen. Der Brief ist zugegebenermaßen lang, aber deshalb doch noch lange kein theologisches Traktat oder ähnliches.
1. Clem. ist an eine ganz bestimmte Adresse gerichtet, hat den Gemeinde-Konflikt in Korinth und nicht irgendwelche generellen theologischen Mitteilungsbedürfnisse zum konkreten Anlass, der Adressat wird immer wieder direkt angeredet und am Briefschluss werden Claudius Ephebus und Valerius Bito als persönliche Überbringer des Briefes genannt, die mit der Nachricht, dass sich die Korinther wieder auf Eintracht besonnen haben – so hofft man in Rom –, zurückgeschickt werden sollen. Das sind alles Indizien dafür, das 1. Clem. ein echter Brief ist. Der Verfasser „entschuldigt“ sich in 1. Clem. 1, 1 fast bei der korinthischen Gemeinde, dass man erst so spät eine Nachricht nach Korinth schicke, aber die röm. Gemeinde habe sich selbst mit Unglücksfällen herumzuschlagen gehabt. Jetzt kann ja nur ein langer, ausführlicher Brief folgen. Denn für eine kurze Nachricht von ein paar Zeilen hätte man wohl auch zwischendrin in Rom die Zeit gefunden, trotz eigener Probleme. Dass der Brief lang ausgefallen ist, spricht m. E. nicht dagegen, dass er ein Brief ist.
* Das Verhältnis von Petrus und Paulus wird als harmonisch geschildert, was auf eine spätere Entstehungszeit hinweist.
Diesen Aspekt kann ich leider nicht gut beurteilen. Ich weiß aus dem NT nur, dass Petrus und die anderen Jerusalemer Gemeindeführer anfangs Meinungsverschiedenheiten mit Paulus hatten (hinsichtlich der Verbindlichkeit des jüd. Gesetzes für die Christen und hinsichtl. der Heidenmission des Paulus), dass sich Petrus und Paulus aber schrittweise ganz einigen konnten und es keinen Streit mehr zwischen ihnen gab. Warum sollte hiernach die Christengemeinde in Rom und Clemens selbst – die ja nun nicht gerade Ebioniter gewesen sein dürften – eine Disharmonie zwischen Petrus und Paulus konstatieren?
* Da die römische Gemeinde vor Ancietus (156-166) nicht einheitlich geleitet wurde, kann kein Bischof den Brief verfasst haben.
Woher man so genau weiß, seit wann genau es den monarischen Episkopat in Rom gab, ist mir im Moment nicht klar, aber soll es meinetwegen so sein, dass er erst mit Anicet Einzug in die röm. Gemeinde gehalten hat. Der Clemensbrief selbst behauptet ja nirgends, von einem monarchischen Bischof geschrieben worden zu sein, sondern er outet sich als ein Brief „der Kirche Gottes, die in Rom als Fremde wohnt, an die Kirche Gottes, die in Korinth als Fremde wohnt“.
Zum Schluss noch die Grundlagen der herkömmlichen Datierung und Zuweisung an Clemens als Verfasser:
Irenaeus: adv. haer. III 3, 3 und Eusebius: hist. ecc. III 15f u. 34 u. 38 berichten, dass dieser Brief aus Anlass eines Gemeinde-Konfliktes in Korinth unter Clemens, der der röm. Gemeinde als dritter nach den Aposteln vorstand und zwar vom 12. Jahr Domitians bis ins 3. Jahr Trajans, geschrieben worden sei (Ob dieser Clemens derjenige Clemens ist, der in Philipper 4, 3 und im Hirt des Hermas erwähnt wird, kann man nicht mit Sicherheit sagen). Und Eusebius führt Hegesippus (der nach eigenem Zeugnis auf seiner Reise vom Orient nach Rom bei den Christen in Korinth Station machte und sich mit der dortigen Gemeinde austauschte) als Zeugen an, dass jener Gemeinde-Konflikt in Korinth zur Regierungszeit Domitians stattgefunden habe. Außerdem zitiert Eusebius: hist. ecc. IV 23, 11 aus einem Brief des korinthischen Bischofs Dionysius (irgendwann um 170 n. Chr.), in welchem es heißt, dass das früher durch Clemens zugesandte Schreiben noch oft in der korinthischen Gemeinde verlesen werde.
Das alles führt dazu, 1. Clem. als ein Schreiben des röm. Gemeindevorstehers Clemens zu betrachten, welches gegen Ende der Regierung Domitians oder unter Nerva oder zu Anfang der Regierungszeit Trajans abgefasst und nach Korinth geschickt wurde.
Was ich aber eigentlich loswerden wollte:
@ Sepiola:
Hegesipp schafft es noch nicht einmal, die Namen der beiden Judas-Enkel anzugeben.
Das ist kein Grund, die Namen zu unterschlagen.
Habe ich gestern gefunden:
„Hegesipp nennt auch die Namen [der Enkel des Judas] und sagt, daß der eine Zoker, der andere Jakob hieß“ (Fragment aus der Kirchengeschichte des Philippus Sidetes (4 Jh. n. Chr.), hier zitiert aus Erwin Preuschens „Antilegomena“). Also hat uns nicht Hegesipp selbst die Namen vorenthalten, sondern nur der Schelm Eusebius.