Jüdische Abstammung in der Zeit des NS-Regimes.

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Eren

Gast
Guten Tag,

Ich hätte da eine Frage bezüglich der Identifizierung deutscher Staatsbürger mit jüdischer Abstammung. Ich bin mir dessen bewusst, dass das ein sehr unangenehmes Thema ist, aber mich würde interessieren, wie es überhaupt möglich war zu beweisen, dass jemand eine jüdische Abstammung hatte?

Diese Menschen lebten bereits seit mehreren Generationen in Deutschland und wenn ich es richtig in Erinnerung habe, waren viele der betroffenen Personen entweder kaum religiös oder sogar christlich getauft. Diese Menschen waren ein integraler Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Viele von ihnen kämpften und starben sogar im 1. Weltkrieg für Deutschland.

War das reine Willkür des NS-Regimes, wer nun als Jude bezeichnet wurde oder wie ging das vonstatten? Ich stelle mir das ehrlich gesagt sehr schwierig vor so etwas beweisen.. Meine Großeltern z.B. stammten aus Schlesien, deren Großeltern wiederum könnten auch polnische Wurzeln oder jüdische Wurzeln haben. Wie will man denn beweisen ob da jemand jüdischer Abstammung war oder nicht?

Vielen Dank im voraus.
 
War das reine Willkür des NS-Regimes, wer nun als Jude bezeichnet wurde oder wie ging das vonstatten?

Jein. Es gab Fälle von reiner Willkür (bzgl. der Zuschreibung eines Juden als Nichtjuden; umgekehrt gab es das auch, vor allem vor 1933, um politische Gegner zu deskreditieren, aber diese Leute landeten vielleicht/wahrscheinlich als politische Gefangene in den KZs, wurden aber i.d.R. dann nicht Opfer des Holocaust). Aber sehr vereinzelt. Von Hermann Göring ist der Ausspruch überliefert „Wer Jude ist, bestimme ich.“
Es gab auch Befürchtungen, dass viele an sich überzeuge Nazis und Antisemiten immer „den einen“ Juden in ihrem Bekanntenkreis hätten, der es Wert sei, dass man für ihn eine Ausnahme machte.

Die Menschen mussten im dritten Reich einen Ariernachweis erbringen. Über die Kirchenbücher und Standesämter ließ sich zurückverfolgen a) wer kirchlich geheiratet hatte und wer christlich getauft war und wann die Taufe stattfand. Zudem waren Nachnamen ein Indiz für jüdische Herkunft. Entweder Namen hebräischer Provinienz (Kohen) oder Namen mit Pflanzen- oder Edelmetallelementen (Rosenholz, Rosenthal, Goldmann). Aber auch der Nachname Markus bzw. die Namensvariante Marx waren verräterisch, dass der Namensträger jüdischer Herkunft sein könnte.
Im Ariernachweis musste man seine „arische“ Herkunft über mehrere Generationen belegen und mancher hoffnungsvolle Anwärter für ein Parteiamt oder dergleichen stolperte über die jüdischen Urgroßeltern mütterlicherseits.
 
Die Nazis forderten einen sogenannten "Ariernachweis", der ab den Nürnberger Rassegesetzen 1935 obligatorisch für alle wurde. Dabei war man auf die Kooperation der Kirchen angewiesen. Es mussten mindestens 7 Geburts- bzw. Taufurkunden vorgelegt werden: von den Großeltern, den Eltern und dem Antragesteller, sowie drei Heiratsurkunden der Eltern und Großeltern.
 
War das reine Willkür des NS-Regimes, wer nun als Jude bezeichnet wurde oder wie ging das vonstatten?

Das wird man grob in die Zeit vor- und nach Kriegsbeginn unterscheiden müssen.

Die oben angesprochenen "Nürnberger Rassegesetze" von 1935 kannnten zunächst einmal verschiedene Kategorien von Personen, die von den Nazis als "Juden" betrachtet wurden.

Sogenannte "Volljuden", deren Eltern oder Großeltern von beiden Seiten her denn Nazis als Juden galten und demgegenüber "Vierteljuden" und "Halbjuden", mit einem oder zwei jüdischen Großelternteilen oder einem jüdischen Elternteil.

Im Hinblick auf die "Viertel-" und "Halbjuden" kannte die "Nürnberger Rassegesetze" zwei verschiedene Kategorien, nämlich die Kategorie des sogenannten "jüdischen Mischlings" und die des "Geltungsjuden".

Sogenannte "jüdische Mischlinge" waren nach dem entsprechenden Gesetz "Viertel-" oder "Halbjuden", die zwar entsprechend jüdische Vorfahren hatten, aber ansonsten keine Verbindungen zum Judentum aufwiesen (jüdischer Glaube) und nicht mit einer von den Nazis als "Jude/Jüdin" betrachteten Person verheiratet war.
"Jüdische Mischlinge" wurden zwar in gewissem Maße vom Regime repressiert, z.B. insofern sie von allem ausgeschlossen waren, was einen "Ariernachweis" verlangte (das konnten bestimmte Berufe sein, Mitgliedschaften in Vereinen und Organisationen etc.) wurden vom NS-Regime aber eben nicht als "Volljuden" betrachtet und vor 1940/1941 nicht in diesem Ausmaß repressiert.

Das Gegenstück dazu, waren sogenannte "Geltungsjuden". Das waren nach den entsprechenden Gesetzen Personen, die ihrer Abstammung nach "Vierteljuden" oder "Halbjuden" waren, die allerdings, entweder selbst der jüdischen Religionsgemeinschaft angehörten, mit einer jüdischen Person verheiratet oder nach einem bestimmten Stichtag geboren worden waren:

Geltungsjude – Wikipedia

Diese Personen wurden anders als die "jüdischen Mischlinge" denn sogenannten "Volljuden" gleichgestellt, was bedeutet, dass ihnen in der Konsequenz sämtliche rechte entzogen wurden und sie entsprechenden Repressionen ausgesetzt waren.

Insofern hier verschiedenste Merkmale wie Abstammung, Religion, Geburtsdatum, die Frage mit wem eine Person verheiratet war etc. durcheinandergeworfen wurden, kann man das insgesamt durchaus als in gewissem Maße willkürlich bezeichnen, wobei es immerhin insoweit System hatte, dass sich zumindest nach dem Wortlaut der Gesetze nicht jede Person willkürlich zu einem Juden oder einer Jüdin erklären ließ.
Seit 1940/1941 änderten sich die Dinge dann allerdings dahingehend, dass die Besterstellung der "jüdischen Mischlinge" aufgehoben und damit mehr oder weniger weitgehend nach Abstammung eingeteilt wurde.


Wenn die Frage nach der Willkür dahin zielt, ob die Nazis einfach jede Person, deren Nase ihnen nicht passte zum "Juden" oder zur "Jüdin" erklärten um ihn oder sie verfolgen zu können, lautet die Antwort "nein".

Insofern die Nazis neben Personen, die sie für "jüdisch" hielten mit politischen Abweichlern, Behinderten, Homosexuellen, bestimmten religiösen Gruppen "Bibelforscher" etc. auch noch diverse andere Gruppen verfolgten, war das in der Regel auch gar nicht notwendig um sie repressieren zu können.
Für Personen, die sich in keiner dieser Kategorien fassen ließen, erfanden die Nazis dann noch die Kategorie "asoziale Elemente" die tatsächlich relativ willkürlich zusammengesetzt war und in die sich nahezu jede unliebsame Person einstufen ließ.
 
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