Jugendkulturen der 1950er

S

sarah4111

Gast
Hey,

Ich schreibe nun meine Masterarbeit und bin noch auf Themensuche. Es soll um Jugendkulturen der 50er Jahre evtl. auch 60er Jahre gehen. Ich möchte mich gerne mit den "Halbstarken" näher auseinandersetzen. Ich hatte evtl daran gedacht die Rolle der Frauen in dieser "Bewegung" zu untersuchen, bin bisher jedoch nicht nicht fündig geworden. Ich brauche ja etwas weniger allgemeines als ich es bisher habe. Ich erwarte nun keinen fertigen Themenvorschläge, würde mich aber über den einen oder anderen Gedanken freuen, falls jemand eine Idee hat, die mit diesem Thema zu tun hat (oder in eine ähnliche Richtung geht).

Danke und Lg
 
Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat auf seinem Internet-Portal ein für Dich möglicherweise ganz interessantes Dokument unter dem Titel "Aufwachsen in Westfalen: Krisenjahre und Aufbruchsstimmung - die Nachkriegszeit in Deutschland 1945 bis 1965", darin insbesondere Beitrag 3 Freizeitverhalten von Jugendlichen von Ursula Janik. Könnte einige Anregungen zur Themenwahl geben, denke ich. Auch dem Genderaspekt widmet sie sich.
 
Thomas Ziehe (geb. 1947, Vertreter der kritischen Sozialpsychologie Hannovers)* hat eine Art autobiographische Aufarbeitung geschrieben, bin mir nicht ganz sicher, aber er thematisiert darin, obwohl erst mit Ende der 1950er Jahre Teenager - gemäß meiner Erinnerung, durchaus auch diese Jahre:

Zeitvergleiche. Jugend in kulturellen Modernisierungen. Weinheim und München: Juventa 1991/ 2. Auflg. 1996, überarbeitet

vgl. vllt als Ggst.: ders., "Vorwärts in die 50er-Jahre? Lebensentwürfe Jugendlicher im Spannungsfeld von Postmoderne und Neokonservatismus" In: Baacke, D./Heitmeyer, W.(Hg.), Neue Widersprüche. Jugendliche in den 80er Jahren. Weinheim und München: Juventa 1985. Schwedische Übersetzung: Norstedts 1986. Dänische Übersetzung: Dansk paedagogisk tidsskrift 1/1987.

* Für den aktualisierenden "theoretischen" Hintergrund vgl. ggf. Jugend in symbolischen Kontexten, Einige Folgen des Wandels von Hintergrundüberzeugungen - Springer
 
Die Entwicklung von Lebensstilen - auch für die 50er und 60er Jahre - ist vermutlich am ehesten als das Ergebnis eines Prozesses zu verstehen. Es ist die Abfolge von "Möglichkeiten", dem Wunsch nach Distinktion (vgl. Bourdieu), um sich seiner Identität zu versichern, auch in der bewußten Abgrenzung zu anderen Lebensstilen (vgl. z.B. die "Teddy-Boys")

https://de.wikipedia.org/wiki/Teddy_Boy

Die Auflösung der sozialen Milieus ist eine parallele Entwicklung zum sozialen Wandel in den westlichen Industriegesellschaften im zwanzigsten Jahrhundert. Die Verwerfung durch das Ende der Monarchien nach dem WW1, die Revolutionen bzw. politischen Umbrüche und die wirtschaftlichen Krisen beschreiben teilweise die Rahmenbedingungen für die Veränderung der sozialen Strukturen in Deutschland.

In den Arbeiten von Krakauer zu den „Angestellten“ wird der neue Typus des Bürgers der Mittelschicht in der Weimarer Republik beschrieben. Teilweise rekrutiert er sich aus den traditionellen Mittelschichten und teils durch sozialen Aufstieg aus der Arbeiterklasse.

Das Lebensgefühl der neuen angestellten Mittelschicht hat sich verändert. Es sind nicht mehr die sozialen Wurzeln und die Konventionen des sozialen Milieus, teils der Arbeiterklasse, die den Lebensstil definieren. Dieser neue Typ gewinnt einen neuen sozialen Raum, in dem er sich als Individuum definieren kann. Die individuelle Freiheit der Lebensplanung hatte in der Weimarer Republik einen bis dahin nicht gekannten Grad an Freiheit der Entscheidung gewonnen. Ein Aspekt, der auch das Verständnis für die Weimarer Republik als „Goldene Zwanziger Jahre“ wichtig war.

Das autoritäre, rechtsextreme Staatsverständnis des NS-Regimes bremste ab 1933 eine weitere Entwicklung der individuellen Freiheit für die nächsten 12 Jahre aus.

Nach dem zweiten Weltkrieg versuchte die westdeutsche Gesellschaft an den demokratischen politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen der Weimarer Republik wieder anzuknüpfen. Parallel dazu wurde der soziale Wandel in der BRD bzw. im Westen auch durch die Adaption amerikanischer Lebensstile – dem "American Way of Life" – mit geprägt, wie es Schulze mit dem Begriff der „Erlebnisgesellschaft“ prägnant zusammenfaßt.

Dieser Prozess des beschleunigten sozialen Wandels setzte sich nach dem WW2 fort, begleitet durch die zunehmende Individualisierung in der Gesellschaft wie von Krakauer bereits diagnostiziert und von Beck systematisiert. Ein Aspekt, der eine wichtige Voraussetzung war für die zunehmende Freiheit der Freizeitgestaltung auch im Bereiche des Sports, so die These von Steinmüller, und neue Sportarten bzw. Lebensstile ermöglichte. In der Person von Harry Gelbfarb schlug sich dieses Phänomen am deutlichsten nieder. Steinmüller drückt es folgendermaßen aus: „Sein Name: Harry Gelbfarb, erfasst im Schweinfurter Einwohnermeldeamt mit dem Eintrag: "Masseur. Vertrieb von Sportgeräten, Graben 26, ab 1.1.1956".

Dort, in Unterfranken, gründete Gelbfarb vor 60 Jahren das erste deutsche Bodybuilding-Studio und trat einen Hype los, der bis heute anhält. Rund 8000 Fitnessstudios gibt es derzeit in Deutschland. Schuld daran ist ein einstiger US-Soldat mit österreichischen Wurzeln - der nur per Zufall dem Holocaust entronnen war.“

Der Hype um das "Körperbewußtsein" hält an und die neue Körperkultur, bis zu extremen Formen des Hedonismus, ist mittlerweile ein Teil der „Alltagskultur“ geworden. Angereichert durch vielfältige Formen der ästhetischen Chirurgie, einem ausdifferenzierten Verhalten bei der Ernährung, die insgesamt allerdings wieder die gewonnene Freiheit bei der Freizeitgestaltung einschränken durch ein nahezu normatives Schönheitsideal. Ein Ideal, das in seiner Extremform wieder -zu neuen Formen der Einschränkung von Freiheit führt. Die Formen der sozialen Kontrolle bleiben, ihre Form ändert sich.


vgl.zu Harry Gelbfarb die beiden Links:
Sport: Der Muskeljude | Jüdische Allgemeine

Harry Gelbfarb und das erste deutsche Bodybuilding-Studio - SPIEGEL ONLINE

Beck, Ulrich; Beck-Gernsheim, Elisabeth: Individualization. London, Thousand Oaks, Calif: SAGE.
Kracauer, Siegfried (1971): Die Angestellten. Aus dem neuesten Deutschland. Frankfurt am Main (Schriften 1).
Schulze, Gerhard (1992): Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart. Frankfurt: Campus Verl.
 
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