Kanonenkugel auf Holzsockel?

pelzer

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Grüezi

Neulich habe ich zwei gegossene Eisenkugeln auf Holzsockeln erhalten. Es soll sich um Kanonenkugeln handeln; um Kartätschen.
Der Durchmesser der Kugeln beträgt ca. 80 mm und sie sind recht schwer, also eher nicht hohl. Die Kugeln sind mit Blechstreifen auf einen Holzsockel befestigt. Ist dies bloss zur Zierde oder hat das eine artilleristische Bedeutung?

Vielleicht kann mir jemand etwas zu den Kugeln sagen. Eine Ferndiagnose sozusagen…

Gruss Pelzer


Kanonenkugel.jpg
 
Ich würde auf einen dekorativen Charakter tippen. In der Sammlung des Museums Aargau* befindet sich diese auf einer Holzunterlage drapierte Kanonenkugel, abgeschossen im Sommer 1799 bei einem Krawall zwischen französischen und österreichischen Truppen, ausgebuddelt 1900.
Das vermute ich auch.

Ebenso denke ich, dass es eine französische Kanonenkugel aus der Zeit um 1800 sein könnte. Denn das Kaliber 8 cm verwendete die Schweizer Armee nie – glaube ich zumindest.

Gruss Pelzer
 
@pelzer , da du für die Kugel auch eine Herkunft aus der Schweiz in Betracht ziehst, konsultierte ich mal das Handbuch für die Artillerie-Offiziere der Eidgenossenschaft von 1836, geschrieben von Louis-Napoléon Bonaparte. Der war ja vor seiner Karriere in Frankreich Offizier beim Berner Artillerieregiment in Thun und schrieb zwischen 1831 und 1835 als Hauptmann dieses Handbuch.

Darin enthalten sind die genauen Masse der als "sabots" (Holzschuhe) bezeichneten und an der Kugel mittels Blechbändern befestigten Holzteile. Im Deutschen sprach man bei den "sabots" wohl von "Spiegeln".
sabot.JPG

Am "sabot" wurde dann der Sack mit der Treibladung angebunden. Das Ganze, also Kugel + Holzteil + Sack, ergab eine "Cartouche".

Zum Nachmessen kommt m.E. die 6-Pfünder "Fédéral" in Frage.

Er gibt dort den äußeren Durchmesser des sabot mit 3 pouces 1 ligne 6 points an, was grob gesagt, den 80 mm entsprach, wobei ich nicht weiß, welche der vielfältigen eidgenössischen Maßeinheiten vor dem Konkordat von 1835 oder danach er hier nahm.

Seine Angaben für die Bänder aus Blech bei der 6-Pfünder: Länge: 9 pouces 3 lignes (= 23.5 cm?) , Breite: 4 Lignes (= 9mm? nach 1835 möglicherweise 12 mm)

Würde mich interessieren, welche Masse du beim Holzteil und den Bändern hast.
 
Nicht alle Länder benutzten die Blechbänder. Baden z.b. verklebte den Spiegel mit der Kugel und benutzte Leinenbänder, Belgien benutzte Pappe. Siehe Aufstellung ab Seite 128 in

Das Verfahren diente offenbar zur Schonung der Kanone, da die Kugel beim Abschuss etwas kontrollierter durch den Lauf "geschoben" wurde. Dies soll laut weiteren französischen Quellen auch die Genauigkeit verbessert haben.

Wie und ob sich diese Bestandteile nach Austritt aus der Kanone von der Kugel lösten und ob dabei allenfalls die eigene Infanterie durch Herabregnen von Gerümpel "gestört" wurde ist mir noch unklar. Angeblich soll es im Amerikanischen Bürgerkrieg so gewesen sein. Etwas Verlässliches konnte ich bisher nicht finden.
Kennt jemand zufällig eine solche Geschichte? Im Englischen wurde damals auch der Ausdruck "sabot" (ausgesprochen wie im Französischen als sabo) benutzt.
 
@pelzer , da du für die Kugel auch eine Herkunft aus der Schweiz in Betracht ziehst, konsultierte ich mal das Handbuch für die Artillerie-Offiziere der Eidgenossenschaft von 1836, geschrieben von Louis-Napoléon Bonaparte. Der war ja vor seiner Karriere in Frankreich Offizier beim Berner Artillerieregiment in Thun und schrieb zwischen 1831 und 1835 als Hauptmann dieses Handbuch.

Darin enthalten sind die genauen Masse der als "sabots" (Holzschuhe) bezeichneten und an der Kugel mittels Blechbändern befestigten Holzteile. Im Deutschen sprach man bei den "sabots" wohl von "Spiegeln".
Anhang anzeigen 23048
Am "sabot" wurde dann der Sack mit der Treibladung angebunden. Das Ganze, also Kugel + Holzteil + Sack, ergab eine "Cartouche".
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Er gibt dort den äußeren Durchmesser des sabot mit 3 pouces 1 ligne 6 points an, was grob gesagt, den 80 mm entsprach, wobei ich nicht weiß, welche der vielfältigen eidgenössischen Maßeinheiten vor dem Konkordat von 1835 oder danach er hier nahm.

Seine Angaben für die Bänder aus Blech bei der 6-Pfünder: Länge: 9 pouces 3 lignes (= 23.5 cm?) , Breite: 4 Lignes (= 9mm? nach 1835 möglicherweise 12 mm)

Würde mich interessieren, welche Masse du beim Holzteil und den Bändern hast.
Vielen lieben Dank für deine Infos.

Jetzt ist bei mir der Groschen gefallen! Ich wusste, dass ich die Teile kenne. Nach "Sabot" habe ich sogar gegoogelt. Aber irgendwie hatte ich Ladehemmung...

Meine Sabots entsprechen genau der Fig. 2 auf deinem Bild.
Die Masse:
Sabot, Durchmesser 75 mm, also etwas kleiner als das Kaliber. Höhe 41 mm.
Blechbänder, Breite 9 mm, Länge ca. 23 cm.

Ich meine zu wissen, dass die Sabots einzig dazu dienten, den Treibladungsbeutel mit der Kugel zu einer Einheit zu verbinden. So konnte man einfacher und wohl auch schneller und präziser laden. Bei Vorderlader war das ja immer etwas umständlich.

Gruss Pelzer
 
Zuletzt bearbeitet:
Meine Sabots entsprechen genau der Fig. 2 auf deinem Bild.
Die Masse:
Sabot, Durchmesser 75 mm, also etwas kleiner als das Kaliber. Höhe 41 mm.
Blechbänder, Breite 9 mm, Länge ca. 23 cm.
Danke!
Deine Angaben stimmen ziemlich mit jenen im Handbuch überein, wenn man sie mit dem 1835 noch gültigen alten Berner Fuß (29.33 cm) umrechnet.

Höhe: 1 Zoll 8 Linien = 40.7 mm
Durchmesser oben: 3 Zoll, 1 Linie, 6 Striche = 76.4 mm
Durchmesser unten: 3 Zoll = 73.3 mm
Blechstreifen Länge: 22.6 cm, Breite: 8.2 mm

Etwas verwirrt mich noch die Umrechnungstabelle im Handbuch auf Seite 509. Die basiert nämlich auf dem Pariser Fuß mit 32.48 cm.
Da im vorliegenden Fall aber auch noch Form und Material passen, darf man m.E. eine Berner Herkunft der Kugeln in Betracht ziehen.
 
Danke!
Deine Angaben stimmen ziemlich mit jenen im Handbuch überein, wenn man sie mit dem 1835 noch gültigen alten Berner Fuß (29.33 cm) umrechnet.

Höhe: 1 Zoll 8 Linien = 40.7 mm
Durchmesser oben: 3 Zoll, 1 Linie, 6 Striche = 76.4 mm
Durchmesser unten: 3 Zoll = 73.3 mm
Blechstreifen Länge: 22.6 cm, Breite: 8.2 mm

Etwas verwirrt mich noch die Umrechnungstabelle im Handbuch auf Seite 509. Die basiert nämlich auf dem Pariser Fuß mit 32.48 cm.
Da im vorliegenden Fall aber auch noch Form und Material passen, darf man m.E. eine Berner Herkunft der Kugeln in Betracht ziehen.

Die Berner Herkunft ist gut möglich. Ich hätte sie zwar eher den französischen Truppen von 1798/1800 zugeordnet. Denn diese sind damals hier durchgezogen. Aber ich habe die Kugeln ja geschenkt bekommen und kenne deswegen die ursprüngliche Herkunft eh nicht. Gut möglich, dass sie schon vorher mal verschenkt wurden.

Die zweite Kugel ist etwas grösser; Kaliber über 81 mm.

Gruss Pelzer
 
Wurden Spiegel/Blechbänder dann durch das Umsetzen der Treibladung von der Kugel abgesprengt?
Wie und ob sich diese Bestandteile nach Austritt aus der Kanone von der Kugel lösten und ob dabei allenfalls die eigene Infanterie durch Herabregnen von Gerümpel "gestört" wurde ist mir noch unklar. Angeblich soll es im Amerikanischen Bürgerkrieg so gewesen sein. Etwas Verlässliches konnte ich bisher nicht finden.
Es gibt doch noch belastbare Berichte. Einen von Charles Timmerhans, einem belgischen Obersten der Artillerie, der sich 1846 Überlegungen machte
"über die Unannehmlichkeiten, die sich im Belagerungskrieg aus der Verwendung der Sabots ergeben würden, dessen Trümmer unsere eigenen vor der Batterie stationierten Truppen verletzen könnten."

Er schlug dann weiter vor, den Spiegel und die Streifen aus Karton zu fertigen. Jetzt verstehe ich, warum man in Belgien diese Variante benutzte.

Charles Victor Thiroux, Hauptmann in der französischen Artillerie, hatte ähnliche Erfahrungen und sorgte sich um die Arbeiter in den Gräben. Er beschrieb 1842, dass Trümmerteile bis zu 300m mitgetragen wurden. Sein Vorschlag: Die Sabots in mehrere Lagen zu zersägen, um damit die herabfallenden Teile zu verkleinern.
 
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