Kleptokratie - Ein Herrschaftsmodell mit Zukunft ?

Klaus

Aktives Mitglied
Mir fällt immer wieder auf, dass man bei der Diskusion um Gesellschaftsmodelle eine ganz besonders wichtige Herrschaftsform nicht hinreichend beachtet - die Kleptokratie.

Selbstverständlich ist diese keine "offizielle" Herschaftsform wie Demokratie, Monarchie oder Diktatur. Ich fürchte allerdings, dass es Beispiele für kleptokratische Elemente bei allen dreien gibt. Dabei richte man sich nicht nach deren ideelem Anspruch - die größten Kleptokraten sind mit der Hervorbringungen hochedler Wortbeiträge sehr schnell bei der Hand, sie sind sozusagen ein Teil des Konzepts.

Wann aber kann man von kleptokratischen Anteilen sprechen ?

Ich würde nicht einen höheren Reichtum der Herrschenden als hinreichend für eine solche Klassifizierung betrachten. Die Grenzlinie kann man vielleicht da ziehen, wo der unterschiedlich verteilte Reichtum nichts Positives zu einer gesellschaftlichen Dynamik beiträgt, sondern ausschließlich schädlich für das Land ist.

Oder sollte man es so ausdrücken, dass der Zweck der Machtausübung einer kleptokratischen Regierung in erster Linie auf individuelle Bereicherung ihrer Mitglieder gerichtet ist (aber was, wenn sie "aus Versehen" auch was Gutes macht ?) ?

Wie ist es, wenn eine Interessengruppe ein Mitglied in die Regierung hineinschmuggelt, so dass deses ihnen als "Maulwurf" die Staatskohle durchreichen kann (was durchaus in einer Demokratie vorkommen kann) ?

Zumndest gewinne ich den Eindruck, dass bei so manchem Aufstand der Bevölkerung gegen die Regierung ihres Landes die Hauptmotivation nicht die Erlangung einer Demokratie ist, sondern die Beendigung einer (allzu dreisten) Kleptokratie. Der Nachteil : Wenn der Despot weg ist, ist das Geld auch meistens futsch.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Wann aber kann man von kleptokratischen Anteilen sprechen ?

Ich würde nicht einen höheren Reichtum der Herrschenden als hinreichend für eine solche Klassifizierung betrachten. Die Grenzlinie kann man vielleicht da ziehen, wo der unterschiedlich verteilte Reichtum nichts Positives zu einer gesellschaftlichen Dynamik beiträgt, sondern ausschließlich schädlich für das Land ist.

Zumndest gewinne ich den Eindruck, dass bei so manchem Aufstand der Bevölkerung gegen die Regierung ihres Landes die Hauptmotivation nicht die Erlangung einer Demokratie ist, sondern die Beendigung einer (allzu dreisten) Kleptokratie. Der Nachteil : Wenn der Despot weg ist, ist das Geld auch meistens futsch.


Eine Kleptokratie alleine führt noch nicht zum Volksaufstand. Der Aufstand kommt erst dann, wenn
  1. Der Despot offensichtliche Anzeichen von Senilität zeigt, die auch der kleine Mann auf der Straße nicht mehr übersehen kann;
  2. Es - als Folge und Ausdruck dieser Senilität - zu spontaner Bereicherung eines 'inner circle' kommt, durch die das bisherige Verteilungsswystem an mehrere gesellschaftliche Eliten in Unordnung gebracht bzw. zerstört wird;
  3. es an einem äußeren Feind fehlt, bzw. vom Ausland aus Druck auf Regime-/ Systemwechsel gemacht wird.
In diesem Fall würde ich von Geronto-Kleptokratie sprechen.

Ich selbst habe zwei solche Situationen mitbekommen, nämlich Mitte der 1990er in Indonesien (Soeharto), und Ende der 1990er in Kenia (Arap Moi). In beiden Fällen war die Familie des Despoten (Kinder, Neffen etc.) völlig aus dem Ruder gelaufen und hatte sich dreist selbst bedient. Soehartos ältester Sohn, beispielsweise, schaffte es mit Hilfe des Behördenapparats, den inner-indonesischen Zitrustransport sowie den Nelkenhandel (Nelkenzigaretten!) zu monopolisieren, zum Mißfallen von Millionen von Kleinbauern. Als dann auch noch das "National Car" kreiiert wurde (51% Soeharto-Familie, 49% Hyundai), und jeder Taxifahrer ein solches kaufen sollte, waren nicht nur die Taxifahrer sauer, sondern auch Toyota, Daimler-Benz und General Motors, die alle bereits in Indonesien Autos bauten, sowie diverse nationale Wirtschaftsverbände. Und da die Armee (nicht als Institution, sondern in Person höher Offiziere) an diversen Unternehmen beteiligt war, denen die Soeharto-Kinder plötzlich das Wasser abgruben, verlor sie irgendwann die Lust an der Verteidigung des Regimes.
Kenia Ende der 1990er war ähnlich gelagert - hier fingen u.a. die Schwiegersöhne des Präsidenten an, in großem Stil Naturschutzgebiete abzuholzen (zum Schrecken der lokalen Tourismuswirtschaft), was für die internationale Reputation ziemlich katastrophal war - dummerweise sitzt die UN-Umweltorganisation in Nairobi.

Ich habe aber auch Beispiele von Kleptokratien erlebt, die ohne größere Probleme überlebten, etwa Georgien in der 2. Hälfte der 1990er, oder Äthiopien in 2005 (hat eigentlich irgendwer ih Deutschland mitbekommen, dass dort Zehntausende von Menschen gegen Wahlbetrug auf die Straße gingen, mehr als 20 Demonstanten erschossen, und Tausende verhaftet wurden?). In beiden Fällen waren Armee und Polizei in die Kleptokratie eingebunden, und der Westen stand seinen "Freunden" treu zur Seite. Na ja, Schewardnadse wurde wohl irgendwann doch so senil, dass er die georgische Revolution nicht verhindern konnte, aber Zenawi in Äthiopien hält sich immer noch (ist ja auch erst 55, und hat die letzten Parlamentswahlen 2010 mit 99,6% gewonnen).
 
Eine Kleptokratie alleine führt noch nicht zum Volksaufstand. Der Aufstand kommt erst dann, wenn
  1. Der Despot offensichtliche Anzeichen von Senilität zeigt, die auch der kleine Mann auf der Straße nicht mehr übersehen kann;
  2. Es - als Folge und Ausdruck dieser Senilität - zu spontaner Bereicherung eines 'inner circle' kommt, durch die das bisherige Verteilungsswystem an mehrere gesellschaftliche Eliten in Unordnung gebracht bzw. zerstört wird;
  3. es an einem äußeren Feind fehlt, bzw. vom Ausland aus Druck auf Regime-/ Systemwechsel gemacht wird.
Eigentlich lässt sich v.a. eines immer wieder betrachten: Zu Aufständen kommt es, wenn der Brotpreis steigt, die Spiele aber nicht im gleichen Maße besser werden; war schon immer so, ist noch immer so. Wie das mit der Zukunft ist überlasse ich selbiger respektive begabten Hellsehern.... ;)
 
"Ein Beispiel für die enge und die ausgeweitete Auslegung des Begriffs der Kleptokratie zeigt der Vergleich zwischen den Ölförderländern Nigeria und Norwegen. Hier kann Nigeria als ein Beispiel für eine Kleptokratie im engen Sinn gelten, denn dem größten Teil der Bevölkerung wird die Teilhabe an den Gewinnen des Erdölgeschäftes verwehrt. Nach libertären und anarchokapitalistischen Maßstäben wäre aber auch das ölreiche Norwegen eine Kleptokratie, denn die Regierung legt einen beträchtlichen Anteil der Gewinne aus dem Ölgeschäft in den Aufbau einer gemeinschaftlich genutzten Infrastruktur und in Fonds für zukünftige Verwendungen an, anstatt sie den Bürgern direkt auszuzahlen."

Hmm, wenn ich Wiki lese, kann ja vieles als kleptokratisch gelten, was mir den Begriff/Klassifizierung nicht näher, dafür aber entbehrlich macht.

Grüße
excideuil
 
Wir sind ein Geschichtsforum. aktuelle politische Themen werden bei uns nicht diskutiert:
Für Diskussionen über aktuelle politische Themen ist das Geschichtsforum nicht der richtige Platz. Ebensowenig ist das Forum eine Plattform für politische, religiöse und sonstige weltanschauliche Glaubensbekenntnisse.
http://www.geschichtsforum.de/regeln.php

Gerade die Kleptokratie und ihre wirtschaftsgeschichtlichen Aspekte (siehe gewähltes Unterforum!) lässt sich wunderbar unter historischen Gesichtspunkten diskutieren, aktuelle Beispiele braucht es dazu wirklich nicht.
 
Oder sollte man es so ausdrücken, dass der Zweck der Machtausübung einer kleptokratischen Regierung in erster Linie auf individuelle Bereicherung ihrer Mitglieder gerichtet ist (aber was, wenn sie "aus Versehen" auch was Gutes macht ?) ?

Kannst Du mal ein paar ältere Beispiele für Kleptokratie nennen? Passen z.B. die Bonapartes mit ihrem Länderschacher zugunsten der Brüder von Napoléon dazu?
 
Nun, Napeleon hatte ja durchaus politische Ziele, deshalb würde ich nicht annehmen, dass die Selbstbereicherung die eigentliche Triebfeder seines Handelns war. Auch steht er durchaus spezifisch mit der Französischen Geschichte in Zusammenhang. Wenn er stattdessen die Gelegenheit bekommen hätte, Erster Konsul von Belutschistan mit Aussicht auf reiche Beute zu werden, so hätte ihn das vermutlich nicht gereizt.

Als Kleptokratie würde ich eher Staatsformen bezeichnen, deren eigentlicher Zweck darin besteht, das Land auszuplündern, und in der jedes "politische" Handeln nur ein Mittel zur Erreichung dieses Zwecks ist.

Vielleicht kann man diese Motivation bei Kolonien vermuten, in der der Gouverneur möglichst viele Rohstoff des Landes in das "Mutterland" schaffen soll. Er wäre dann allerdings Kleptokrat "im Auftrag". Ihm wäre das politische Schicksal des Landes wurscht. Er würde ernsthaften langsfristigen Schaden für dieses durchaus billigend in Kauf nehmen, z. B. wäre es für ihn attraktiv, den Urwald des Landes schnellsmöglich abzuholzen und zu Geld zu machen, auch wenn er genau wüsste, dass das Land dann innerhalb weniger Jahre zur unbewohnbaren Wüste würde.

Es wäre also interessant, ein Beispiel für ein Land zu finden, in dem die gesamte Führungselite eines Landes sich langfristig mit dem Konsens entwickelt, das Land zum eigenen Vorteil auszuplündern, und dass derjenige Regierungschef wird, der dies am besten organisieren kann. Wenn die Elite davon ausgeht, dass ihr Tun nur von begrenzter Dauer sein kann, wird sie bestrebt sein, sich möglichst schnell eine alternative Existenz in einem anderen Land aufzubauen und das Geld dem Zugriff einer zukünftigen Opposition zu entziehen.

[MOD]und damit bei dieser gewagten Steilvorlage niemand in Versuchung kommt habe ich es gelöscht[/MOD] Aber das ist Gegenwart :nono: und gehört hier erst in hundert Jahren hin.
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Als Kleptokratie würde ich eher Staatsformen bezeichnen, deren eigentlicher Zweck darin besteht, das Land auszuplündern, und in der jedes "politische" Handeln nur ein Mittel zur Erreichung dieses Zwecks ist.
Die Frage ist aber weniger was du individuell unter "Kleptokratie" verstehst, sondern wie diese ofiziell definiert wird, hier beispielsweise nach Körner:
Die Kleptokratie ist gekennzeichnet durch einen in hohem Maße formal illegalen, aber von keiner gesellschaftlichen oder privaten Instanz sanktionierten oder sanktionierbaren Zugriff auf das gesellschaftliche Mehrprodukt durch Mitglieder der Staatsklasse als Privatbürger. Die private Aneignung von Surplus durch die korrupte Staatsklasse erfolgt teils durch schlichten Raub (Ressourcenplünderng) teils subtiler durch Schröpfung des agrarischen und bergbaulichen Mehrprodukts und durch die Politik der Indigenisierung und Nationalisierung wichtiger Bereiche der Ökonomie.
Du hast zwar recht, das trifft auf die Familie Bonaparte in Frankreich nicht zu, allerdings aus anderen Gründen (keine Bereicherung als Privatbürger, kein Raub, keine Wirtschaftspolitik der Indigenisierung ganzer Wirtschaftsbereiche mit dem Ziel der privaten Bereicherung).

Vielleicht kann man diese Motivation bei Kolonien vermuten, in der der Gouverneur möglichst viele Rohstoff des Landes in das "Mutterland" schaffen soll.
Und schon ist es keine Kleptokratie mehr da der fiktive Gouverneur in dem Falle ja nicht selbst als Privatperson bereichert.

Es wäre also interessant, ein Beispiel für ein Land zu finden, in dem die gesamte Führungselite eines Landes sich langfristig mit dem Konsens entwickelt, das Land zum eigenen Vorteil auszuplündern, und dass derjenige Regierungschef wird, der dies am besten organisieren kann.
Schau dir mal die diversen sozialistischen Staaten der Geschichte und viele Diktaturen der Neuesten Geschichte an. Da hast du Kleptokratie genug.
 
Eine Kleptokratie der Neuzeit kann man als modernen Feudalismus definieren. Der Despot bereichert ja nicht sich allein, sondern der ganze Familienclan profitiert davon und sehr oft stellt dieser auch die Nachfolge. Weitere Merkmale:
1) Scheindemokratie mit Wahlfälschungen (99,9% Zustimmung)
2) Inzenierter Pomp: Paraden, lächerliche Monumente, Personenkult
Die Grenzen zur Diktatur sind fließend. Man kann das NS-Regime nicht als Kleptokratie bezeichen, allerdings gab es auch hier in der Führungsriege Leute, die sich hemmungslos bereicherten und einen barocken Lebensstil pflegten.(Göring). @Lili, die sozialistischen Länder des Ostblocks würde ich auch nicht als Kleptokratie bezeichnen (Ausnahme Rumänien und Nordkorea). Zwar regten sich die DDR-Bürger 1989 maßlos über den "Luxus" in der Funktionärssiedlung Wandlitz auf, aber aus heutiger Sicht ist das lächerlich. Dreilagiges Klopapier und eine Miele-Waschmaschine hat heute auch ein Hartz4ler.
 
Man kann das NS-Regime nicht als Kleptokratie bezeichen, allerdings gab es auch hier in der Führungsriege Leute, die sich hemmungslos bereicherten und einen barocken Lebensstil pflegten.(Göring).

Oh, nicht nur der Dicke. Je nach Möglichkeiten bediente sich die Führungsschicht der Partei wie eine große Familie. Mir ist ein von Hitler Mitte 1942 herausgegebener Erlaß präsent, bei dem er die Wehrmachtsführung in den besetzten Ländern und im Deutschen Reich auffordert, sich gemäßigt zu verhalten und entsprechend der Kriegslage Verzicht zu üben, Pomp und Prassen einzustellen.

Hitler selbst - in der Öffentlichkeit mit zur Schau gestellter Bescheidenheit - bediente sich indirekt über die Staatskasse, wenn er zB Ausstaffierung seiner Büroräume durch Bilderbeschaffungen von 1,7 Mio. RM abzeichnete (damals eine ungeheure Summe).

Massive Bereicherungen würde ich nicht nur runter bis zum Gauleiter sehen. Das polykratische Herrschaftssystem des NS begünstigt geradezu durch Dezentralisierung der Machtstrukturen alle platten und subtilen Formen der Bereicherung.

Sorry, falls OT. Ich will das Thema auch nicht auf das 3.Reich abbiegen.
 
@sil: Oh, nicht nur der Dicke. Je nach Möglichkeiten bediente sich die Führungsschicht der Partei wie eine große Familie. Mir ist ein von Hitler Mitte 1942 herausgegebener Erlaß präsent, bei dem er die Wehrmachtsführung in den besetzten Ländern und im Deutschen Reich auffordert, sich gemäßigt zu verhalten und entsprechend der Kriegslage Verzicht zu üben, Pomp und Prassen einzustellen.
Klar doch, ich schrieb ja auch von Leuten in der Mehrzahl, auch wenn Göring als typisches Beispiel herhalten musste. Im Rahmen seiner Möglichkeiten griff jeder kleine Funktionär der NS-Staatsmacht das Maximale ab. Das Volk sah das sehr genau (Parteibonze, Goldfasan). Der Begriff Parteibonze überlebte die NS-Zeit problemlos und wurde auf SED-Funktionäre in der DDR übertragen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Am Beispiel des Nationalsozialismus ist die Frage besonders interessant, ob die lokalen Stadthalter wirklich aus eine politischen Ideologie heraus Menschen inhaftierten und umbrachten, oder aber aus dem Interesse an persönlicher Bereicherung.

Das kleptokraitsche Motiv kann eine Eigendynamik entwickeln, die dazu führen kann, dass die Parteibasis nicht nur die "Führerbefehle" ausführt, sondern von sich aus dazu drängt, z.B. gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen. Das wahre Motiv der Selbstbereicherung wird dann natürlich durch markige Worte von "Untermenschen" kaschiert.

Ich frage mich, inwieweit man sich die Dynamik des NS-Staates so vorzustellen hat.

Lili schrieb:
Die Kleptokratie ist gekennzeichnet durch einen in hohem Maße formal illegalen, aber von keiner gesellschaftlichen oder privaten Instanz sanktionierten oder sanktionierbaren Zugriff auf das gesellschaftliche Mehrprodukt durch Mitglieder der Staatsklasse als Privatbürger.
Den Begriff der "Legalität" (von lat. lex - das Gesetz) halte ich für problematisch, denn ein guter Kleptokrat wird sich natürlich die Gesetze so zurechtmachen, dass er immer "legal" handelt.
 
Ich denke, in der Diskussion sollten wir klar zwischen der Kategorie der Kleptokratie und der ganz normalen Korruption unterscheiden.

Die Definition von Körner, die Lili gepostet hat, finde ich sehr hilfreich, allerdings verstehe ich in dem Zusammenhang "Nationalisierung" nicht so richtig, klar liegt an mir. Es sei denn, "Nationalisierung" als Vorstufe der privaten Bereicherung der regionalen Machteliten.

Nach meiner Meinung ist der Zweck der Machtausübung entscheidend bei der Einordnung in die Kategorie "Kleptokratie". Also, ist es der primäre Zweck der Machtausübung der Herrschaftselite sich privat zu bereichern oder erfolgt im Zuge der Machtausübung gleichsam herrschaftsbegleitend eine Umverteilung von Reichtum, obwohl politische, ideologische usw. Ziele das Primat haben.

@silesia

Der Nationalsozialismus war m.E. keine Kleptokratie, obwohl es Korruption von oben (präsent ist mir die Einkommenssteuerbefreiung von Hitler) bis herunter zu "SS-Schergen" in den KZ gab. Nicht umsonst hat Himmler einen Dr. Konrad Morgen beauftragt. Der "Zweck" nationalsozialistischer Machtausübung durch die Machtelite war aber nicht persönliche Bereicherung sondern fand ihren Grund in politisch, ideologischen Zielen, die gegenüber der persönlichen Bereicherung primär waren.

Auch die sozialistischen Staaten waren m.E. keine Kleptokratien, weil auch hier, bb hat es in seinem Posting "Miele-Waschmaschinen" auf den Punkt gebracht, nicht die persönliche Bereicherung, sondern die Machtausübung aus politisch-ideologischen Gründen primär war.

Das ist m.E. einfach nur Korruption.

@Brissotin

Der "Länderschacher" der Familie Bonapartes hat m.E. auch nichts mit Kleptokratie zu tun, sondern war ex post einfach eine Politik der dynastischen Absicherung, also durchaus zeitgemäß, das Scheitern eingeschlossen.

@Klaus

Wenn Kolonialbeamte die Kolonie zu Gunsten des "Mutterlandes" ausplünderten und dabei auch etwas in die eigene "Tasche" floß, auch das ist nach meiner Ansicht keine Kleptokratie. Lili schrieb dazu.

Was bleibt ist die Frage, wo findet man "Kleptokratien" und welche politischen/historischen Bedingungen wären für die Herausbildung einer solchen Herrschaftsform konstituierend?

Meine Arbeitshypothese wäre:

- "vormoderne" Gesellschaftsstrukturen
- einschneidender politisch-sozialer Bruch in der Geschichte eines Landes
- Machtvakuum, welches eine "Machtelite" besetzen kann (Familie, Clan, etc.)
- "charismatische" Persönlichkeit z.B. im Befreiungskampf einer Kolonie
- das Fehlen einer ideologischen "Überformung"
- Eigentumsübertrag in das sog. "sichere" Ausland, als Ausdruck des Zweifels an der eigenen Machtlegitimation


M.
 
@Lili, die sozialistischen Länder des Ostblocks würde ich auch nicht als Kleptokratie bezeichnen (Ausnahme Rumänien und Nordkorea). Zwar regten sich die DDR-Bürger 1989 maßlos über den "Luxus" in der Funktionärssiedlung Wandlitz auf, aber aus heutiger Sicht ist das lächerlich. Dreilagiges Klopapier und eine Miele-Waschmaschine hat heute auch ein Hartz4ler.
Es ist ein beliebter Fehler, historische Begebenheiten insbesondere eines anderen politischen Systems mit dein heutigen Bedingungen zu vergleichen. In der DDR im Vergleich zum Durchschnittsbürger war es kleptokratisch.

Massive Bereicherungen würde ich nicht nur runter bis zum Gauleiter sehen. Das polykratische Herrschaftssystem des NS begünstigt geradezu durch Dezentralisierung der Machtstrukturen alle platten und subtilen Formen der Bereicherung.
...und zwar damit auf allen politischen Ebenen. Ich persönlich würde sogar soweit gehen, die NS-Zeit als die kleptokratischste aller bisher auf deutschen Gebiet gewesenen politischen Systeme zu bezeichnen. Gerade interessant in diesem Zusammenhang finde ich den Aspekt, wie man trotz der teilweise sehr offensichtlichen kleptokratischen Strukturen die Bevölkerung "ruhig hielt", so dass man verhältnismäßig unbehelligt agieren konnte. Hier spielt sicher teilweise eine finanzielle Rückumlage der Bereicherungseinnahmen an die Bevölkerung eine Rolle, einen gewissen Zusamenhang sehe ich aber auch auf ideologischer Ebene durch eine Gesinnungslegitimierung sowie das krass ausgelebte Gewaltmonopol.

Sorry, falls OT. Ich will das Thema auch nicht auf das 3.Reich abbiegen.
Nein das ist definitiv nicht OT, sondern endlich eine Hinführung zum wirtschaftsgeschichtlichen Themenkomplex der Kleptokratie. :yes:

Den Begriff der "Legalität" (von lat. lex - das Gesetz) halte ich für problematisch, denn ein guter Kleptokrat wird sich natürlich die Gesetze so zurechtmachen, dass er immer "legal" handelt.
Die Definition ist nicht von mir, sondern von Peter Körner, der dir ja geläufig sein müsste, wenn du dich mit Kleptokratien beschäftigst. Es geht hier nicht um innerstaatliche Legalität, sondern um eine Abstrahierung des Legalitätsbegriffs auf eine allgemeingültig menschen- und naturrechtliche Ebene. So war bspw. die Enteignung und Ermordung von Millionen von Menschen während der NS-Zeit auf deutschem Gebiet auch legal, bei entsprechender Abstrahierung des Legalitätsbegriffs ist sie es aber nicht mehr.
 
Der Nationalsozialismus war m.E. keine Kleptokratie, obwohl es Korruption von oben (präsent ist mir die Einkommenssteuerbefreiung von Hitler) bis herunter zu "SS-Schergen" in den KZ gab. Nicht umsonst hat Himmler einen Dr. Konrad Morgen beauftragt. Der "Zweck" nationalsozialistischer Machtausübung durch die Machtelite war aber nicht persönliche Bereicherung sondern fand ihren Grund in politisch, ideologischen Zielen, die gegenüber der persönlichen Bereicherung primär waren.

Das sehe ich eben anders.

Und natürlich hast Du recht, wenn Du auf andere Facetten dieser Machtstrukturen hinweist, die zweckbezogen im Einzelfall sogar Einschränkungen der permanenten Bereicherungen anordneten. Und auch das würde ich genau so sehen: personenbezogen kann man Exponenten wie Himmler anführen, bei denen die Gewichtung zwischen Bereicherung und politischer Ideologie eben anders lag. Das widerlegt aber mE nicht das System an sich.

Die Einschränkungen des permanenten Zustandes der Kleptokratie im 3. Reich waren eben genau dann gegeben, wenn es kriegsbedingt, devisenwirtschaftlich, rüstungswirtschaftlich etc. zweckmäßig war, weil es ansonsten "an die Substanz ging", die Bereicherungen also systemisch gefährlich wurden (siehe oben zB die Aufrechterhaltung der Kriegsmoral in dem angesprochenen Vermerk).

ebenso hast Du recht, wenn die ideologische Papierlage den "Zweck" nationalsozialistischer Machtausübung durch die Machtelite nicht in der persönlichen Bereicherung sieht. Praktisch funktionierte dieses Machtsystem aber genau durch "Freigabe" der persönlichen Bereicherung (in den aufgezeigten Grenzen) in den polykratischen Strukturen. Ein großer Teil der nationalsozialistischen Führungsschicht bediente sich im zugewiesenen Herrschaftsbereich. Wenn ein Pohl im Rahmen des SS-Wirtschaftsimperiums davon redete und politisierte, man "werde keine Ausbeutesystem zulassen", dann lag der Fokus abgestuft natürlich nur auf der "Volksgemeinschaft" und innerhalb dieser bei der SS-Gemeinschaft, intern wiederum mit zahlreichen Abstufungen.

Und schließlich kommt noch ein anderer Aspekt hinzu: die Kleptokratie war grenzüberschreitend angelegt.
 
@ Melchior
Danke für die Aufschlüsselung. Deine Gedankenführung bzw. Erläuterungen scheinen mir am plausibelsten.:)

Sicherlich hatten die verschiedenen Machthaber der napoleonischen Regime persönlich profitiert, aber zumindest von Seiten Napoleons war das Ziel wohl kaum eine persönliche Bereicherung. Dass er den Pomp genossen hat, mag sein. Aber er war kein Selbstzweck, sondern ein Mittel an der Macht zu bleiben bzw. diese ideologisch (darf man das Wort in dem Kontext verwenden?) zu unterfüttern. Napoleon selbst sehe ich eher als Arbeiter um den Machterhalt willen und um seine politischen Ziele, v.a. meines Erachtens expansiven Charakters, zu erreichen. Wahrscheinlich hat er sich, mal ganz bildlich gesprochen, auch im Feldlager wohler gefühlt, als im höfischen Umfeld von Paris.

Kann man dann sagen, dass die Kleptokratie erst mit den modernen Demokratien einsetzte?:grübel: Schließlich hielt ja immer wieder eine moderne Ideologie bei den unstreitbaren Beispielen (Nordkorea) zur Bemäntelung der Kleptokratie her.
 
Kann man dann sagen, dass die Kleptokratie erst mit den modernen Demokratien einsetzte?:grübel:

Der Gedanke ist interessant. An für sich für sich sind Demokratie und Kleptokratie ein Widerspruch. Andererseits, stülpt man die westliche Demokratie in der 3. Welt über Länder mit tribaler Gesellschaftsstruktur, so ist das Resultat fast immer das gleiche - ein Clan regiert am Ende den Staat und bereichert sich privat auf Teufel komm raus. Dabei sind die Despoten meist schlau genug zu wissen, dass das auf Dauer keinen Bestand hat - aber da gibt es ja noch die Schweiz oder Cayman Isl., um sich das ergaunerte Vermögen zu sichern. Ich will mir konkrete Beispiele ersparen, sonst wird es tagespolitisch.
 
Der Gedanke ist interessant. An für sich für sich sind Demokratie und Kleptokratie ein Widerspruch. Andererseits, stülpt man die westliche Demokratie in der 3. Welt über Länder mit tribaler Gesellschaftsstruktur, so ist das Resultat fast immer das gleiche - ein Clan regiert am Ende den Staat und bereichert sich privat auf Teufel komm raus.
Da habe ich den Eindruck, dass die Kleptokratie dann nicht selten zum Selbstläufer wird, nach dem Motto: Gelegenheit macht Diebe.
Ursprünglich brauchte der spätere Despot doch auch eine gewisse Gruppe, welcher er verdankte an die Macht zu kommen. Die Ideologie mag sich dann darauf beschränkt haben Machthaber X abzulösen, um alles zu "verbessern" oder aber bzw. und das Land zu einigen.
 
Ich denke, in der Diskussion sollten wir klar zwischen der Kategorie der Kleptokratie und der ganz normalen Korruption unterscheiden.
Leider lässt sich die grenze nicht immer so klar und eindeutig ziehen, vielmehr ist es eher eine Frage der Perspektive. Korruption geht auch ohne politische Machtstellung, Kleptokratie nicht, Korruption ist oft auch mit gesetzlich fassbar und damit auch sanktionierbar, Kleptokratie wiederum nicht.

Die Definition von Körner, die Lili gepostet hat, finde ich sehr hilfreich, allerdings verstehe ich in dem Zusammenhang "Nationalisierung" nicht so richtig, klar liegt an mir. Es sei denn, "Nationalisierung" als Vorstufe der privaten Bereicherung der regionalen Machteliten.
Nur wenn Privateigentum indigenisiert und nationalisiert wird, hat die sog. "Staatsklasse" auch die Möglichkeit des direkten Zugriffs auf die produzierten Überschüsse. Sprich: es ist leichter die Gewinne eines Staatsbetriebes in die eigene Tasche zu wirtschaften, als einen Privatbetrieb indirekt über Steuern zu schröpfen um diese dann einzusacken.

Nach meiner Meinung ist der Zweck der Machtausübung entscheidend bei der Einordnung in die Kategorie "Kleptokratie". Also, ist es der primäre Zweck der Machtausübung der Herrschaftselite sich privat zu bereichern oder erfolgt im Zuge der Machtausübung gleichsam herrschaftsbegleitend eine Umverteilung von Reichtum, obwohl politische, ideologische usw. Ziele das Primat haben.
Das würde ich zusätzlich noch unter dem Zeitaspekt und damit eher prozessual betrachten. Die wenigsten der späteren Kleptokraten sind mit dem Vorsatz "yeah, jetzt lass ich die Bande mal schön für mich arbeiten" angetreten. Vielmehr wurden die jeweiligen Systeme im Zeitablauf zu Kleptokratien. Wobei es auch keine reinen Kleptokratien gibt, sondern eine Regierungsform mal mehr mal weniger kleptokratische Züge aufweist. Deshalb ist es auch so schwer, eine eindeutige Grenze zu ziehen, es ist vielmehr Auslegungssache bzw. eine Frage der Relationen.

Der Nationalsozialismus war m.E. keine Kleptokratie, obwohl es Korruption von oben (präsent ist mir die Einkommenssteuerbefreiung von Hitler) bis herunter zu "SS-Schergen" in den KZ gab. Nicht umsonst hat Himmler einen Dr. Konrad Morgen beauftragt. Der "Zweck" nationalsozialistischer Machtausübung durch die Machtelite war aber nicht persönliche Bereicherung sondern fand ihren Grund in politisch, ideologischen Zielen, die gegenüber der persönlichen Bereicherung primär waren.

Auch die sozialistischen Staaten waren m.E. keine Kleptokratien, weil auch hier, bb hat es in seinem Posting "Miele-Waschmaschinen" auf den Punkt gebracht, nicht die persönliche Bereicherung, sondern die Machtausübung aus politisch-ideologischen Gründen primär war.
Im Zusammenhang mit der Beurteilung von Kleptokratien müsste man eher eine volkswirtschaftliche Betrachtung über den entsprechenden Zeitraum sowie eine Betrachtung der Wirtschaftspolitik des Zeitschnitts durchführen um entsprechende kleptokratische Tendenzen auszumachen. Kleptokratie ist keine Frage der politischen Primärzielsetzung.

Was bleibt ist die Frage, wo findet man "Kleptokratien" und welche politischen/historischen Bedingungen wären für die Herausbildung einer solchen Herrschaftsform konstituierend?

Meine Arbeitshypothese wäre:

- "vormoderne" Gesellschaftsstrukturen
- einschneidender politisch-sozialer Bruch in der Geschichte eines Landes
- Machtvakuum, welches eine "Machtelite" besetzen kann (Familie, Clan, etc.)
- "charismatische" Persönlichkeit z.B. im Befreiungskampf einer Kolonie
- das Fehlen einer ideologischen "Überformung"
- Eigentumsübertrag in das sog. "sichere" Ausland, als Ausdruck des Zweifels an der eigenen Machtlegitimation
Den einschneidenden politisch-sozialen Bruch, sowie das Machtvakuum braucht es mE nicht unbedingt. Er erleichtert zwar die Etablierung von Kleptokratien (siehe Russland nach dem Zusammenbruch der UdSSR), muss aber nicht sein, damit sich eine politische Führerclique auf Kosten der Allgemeinheit und unter dem Deckmantel der Legalität privat bereichert. Auch die charismatische Persönlichkeit braucht es nicht unbedingt. Kleptokratie ist auch in Erbmonarchien möglich. Die ideologische "Überformung" sehe ich sogar als erforderlich an. "Man" dient damit nicht der "Staatsklasse" sondern offiziell einem höheren Zweck, dementsprechend können kleptokratische Handlungen eben auch verargumentiert werden (klar, müssen aber nicht). Beim Eigentumsübertrag bin ich mir grad nich unsicher. Ich denke darüber noch ein bisschen nach.


Kann man dann sagen, dass die Kleptokratie erst mit den modernen Demokratien einsetzte?:grübel:
Nein, Kleptokratien sind ab der Herausbildung einer Gesellschaftsstruktur möglich. Sobald es einen "Häuptling" gibt, der sich durch seine "Untertanen" mit ernähren lässt, kann man je nach Form der Gegenleistung kleptokratische Züge ausmachen. Sprich: stehen Leistung und Gegenleistung in einem adäquaten Verhältnis oder nicht? Fließt die Leistung in die private Tasche des "Häuptlings" oder nicht? Provitiert davon auch die Familie des "Häuptlings" ohne selbst Leistung erbringen zu müssen? Werden Machtämter nepotisch vergeben? Etc.pp.
 
@Lili: Nein, Kleptokratien sind ab der Herausbildung einer Gesellschaftsstruktur möglich. Sobald es einen "Häuptling" gibt, der sich durch seine "Untertanen" mit ernähren lässt, kann man je nach Form der Gegenleistung kleptokratische Züge ausmachen. Sprich: stehen Leistung und Gegenleistung in einem adäquaten Verhältnis oder nicht? Fließt die Leistung in die private Tasche des "Häuptlings" oder nicht? Provitiert davon auch die Familie des "Häuptlings" ohne selbst Leistung erbringen zu müssen? Werden Machtämter nepotisch vergeben? Etc.pp.
Wenn man dieser (marxistischen) Ansicht konsequent folgt, sind sämtliche Gesellschaften von der Jungsteinzeit bis in die Gegenwart Kleptokratien.
 
Zurück
Oben