Koalition gegen Frankreich 1791/1792

jschmidt

Aktives Mitglied
Aus dem Thema http://www.geschichtsforum.de/f16/meinung-zur-schreckensherrschaft-24266/ möchte ich eine bestimmte Fragestellung herauslösen und hier bearbeiten. [@Moderatoren: Die Frage kann auch an einen bestehenden Strang angehängt werden, z. B. an http://www.geschichtsforum.de/f16/frankreich-wird-erstmals-republik-machen-die-anderen-19464/ - das überlasse ich Euch.]

Mein Aufhänger ist folgende These:
Die Koalition gegen das revolutionäre Frankreich - zunächst Österreich und Preußen, dazu dann noch Piemont-Sardinien - formierte sich natürlich nicht wegen der Revolution an sich, sondern infolge der Flucht von Louis XVI. und der dadurch entstandenen Frage um die Absetzung des Königs bzw. die Abschaffung der Monarchie.

I.
Ich erlaube mir diese These umzuformulieren:

  • Wäre der König nicht geflohen, hätten Absetzung und Abschaffung nicht zur Diskussion gestanden; infolgedessen wäre es auch nicht zur Formierung einer Koalition gekommen.
Dagegen lässt sich sagen, dass "Koalitionsgespräche" schon längere Zeit vor der Flucht stattfanden, nämlich im Anschluss an die (vorläufige) Beilegung des preußisch-österreichischen Gegensatz mit der Reichenbacher Konvention vom 27.7.1790 und unter dem Eindruck der Hilferufe, welche insbesondere von Maria Antoinette an ihren kaiserlichen Bruder gesandt wurden. Die Verhandlungen, auch mit anderen Staaten, verliefen jedoch sehr zögerlich.

II.
Diesen eher vordergründigen Einwand stelle ich jedoch beiseite, um eine allgemeinere Antithese zu formulieren:

  • Gegen das revolutionäre Frankreich - ein Land, in welchem die Staatsgewalt vom Volke ausgeht, das die ständische Gesellschaft abschafft, Menschenrechte formuliert usw. - hätte sich auf jeden Fall, also unabhängig von der Flucht usw., eine Koalition formiert.
Als meinen Kronzeugen benenne ich ausgerechnet den Altmeister Ranke, der in "Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792 [= Sämmtl. Werke, Bd. 45], S. 82) bei den Emigranten ansetzt:

1. Man könnte argumentieren: Die Emigration so vieler - insbesondere adliger - Menschen war bedauerlich, aber sozusagen eine 'innere Angelegenheit' Frankreichs. Allein die Tatsache, daß die Emigranten "die allgemeine Sympathie der hohen Geistlichkeit und des Adels in Europa für sich" hatten, führte nicht zur Intervention von außen.

2. Jedoch ließ sich die Sache der Emigranten nicht ablösen von der Ursache, nämlich von den in Frankreich zur politischen Macht gelangten revolutionären Grundsätzen. Die Emigration hatte "mehr zu bedeuten als eine gewöhnliche Flucht und Entfernung von dem vaterländischen Boden", nämlich sie "hatte mit den bestehenden Zuständen vor Allem eine sociale Analogie [1]. Den meisten Anklang fand sie bei den deutschen Reichsfürsten, die ja selbst durch das Vorgehen der constituirenden Versammlung verletzt worden waren [2], bei der katholischen Hierarchie des gesamten Abendlandes. [...] Der päpstliche Nuntius und der spanische Gesandte klagten, daß man an ihren Höfen weniger auf ihre Berichte aus Paris achte, als auf die Insinuationen der Emigrirten."

3. "Die Antipathie gegen das Wesen der revolutionären Ideen, welche die Emigration anregte, war stärker als die Rücksicht auf die in Frankreich zur Consolidation aufstrebende Staatsgewalt, welche die Gesandten empfehlen mochten. Die Politik suchte den Frieden [3], die universalen Gegensätze stellten den Krieg in Aussicht." [Hervorh. js.]

Walter Bußmann paraphrasiert (Handbuch der Europäischen Geschichte, Bd. 5, S. 17 f.):
"Deutlicher wurde er [Ranke], indem er alle persönlichen Momente wegließ und die These aufstellte, daß die kriegerische Auseinandersetzung der Revolution mit den Mächten des alten Europa erfolgen mußte, weil hier zwei Prinzipien sich gegenüberstanden, die nicht friedlich nebeneinander leben konnten. So groß Rankes Bedürfnis nach Harmonie in der 'Entwicklung' der Geschichte auch war, so schloß er in diesem Falle eine 'ideologische Koexistenz' kategorisch aus."
Flucht, Absetzung und Hinrichtung des Königs waren insoweit nicht mehr als der Anlaß zum Handeln.

Frage also: Wie chancenreich war aus heutiger Sicht jene "ideologische Koexistenz" zwischen den alten Regimen in Europa und dem Stachel in ihrem Fleisch, nämlich dem revolutionären Frankreich?


[1] Das lese ich so: Die Emigranten kamen, ob erwünscht oder nicht, immerhin zu ihresgleichen, und sie führten ihresgleichen vor Augen, was geschehen konnte, wenn die Revolution übergriff.
[2] Anspielung auf die Schmälerung der Rechte des Reiches im Elsaß usw. (vgl. Demel: Reich, Reformen und sozialer Wandel 1763-1806, S. 296 ff.)
[3] Gemeint ist der diplomatische Apparat.
 
Aus dem Thema http://www.geschichtsforum.de/f16/meinung-zur-schreckensherrschaft-24266/ möchte ich eine bestimmte Fragestellung herauslösen und hier bearbeiten. [@Moderatoren: Die Frage kann auch an einen bestehenden Strang angehängt werden, z. B. an http://www.geschichtsforum.de/f16/frankreich-wird-erstmals-republik-machen-die-anderen-19464/ - das überlasse ich Euch.]

Nein, laß mal; das paßt schon so.

Allerdings muß ich etwas Grundsätzliches anmerken...

Mein Aufhänger ist folgende These...

... die keine These ist, sondern als Aussage nichts anderes beinhaltete als eben folgende zeitliche Abfolge:
1. Flucht des Königs bzw. der Königsfamilie am 20./21. 06. 1791 etc. pp.
2. Koalition zwischen Preußen und Österreich mit der Pillnitzer Dekalaration vom 25. bis 27.08. 1791

I.
Ich erlaube mir diese These umzuformulieren:

  • Wäre der König nicht geflohen, hätten Absetzung und Abschaffung nicht zur Diskussion gestanden; infolgedessen wäre es auch nicht zur Formierung einer Koalition gekommen.

Du darfst gern umformulieren, aber das habe ich so keineswegs vertreten - zumal mich kontrafaktorische bzw. kontrafaktische Betrachtungen eher wenig interessieren.
Die umformulierte These lasse ich mir also nicht unterschieben, da ich den von Dir genannten Punkten auch keineswegs widerspreche...



Dies wollte und mußte ich hiermit lediglich klarstellen, da ich mich ungern in Positionen rücken lasse, die ich in solcher Form nicht vertrete :fs:
 
Zuletzt bearbeitet:
... die keine These ist ...
Nun, ich schaute mir Deinen Satz an und blieb bei "natürlich" hängen - dieses Wort halte ich für eine Bewertung bzw. eben für eine These. (Falls jedoch "These" als anstößig empfunden wird, werde ich einen anderen Begriff verwenden.)

Du darfst gern umformulieren, aber das habe ich so keineswegs vertreten... Die umformulierte These lasse ich mir also nicht unterschieben...
Ich bestätige gern: Dein Satz war nur der Aufhänger, die These unter I. ist ganz die meine.

da ich den von Dir genannten Punkten auch keineswegs widerspreche...
Das ist natürlich sehr bedauerlich. Aber vielleicht springt jemand anders ein.:fs:
 
... ich schaute mir Deinen Satz an und blieb bei "natürlich" hängen - dieses Wort halte ich für eine Bewertung bzw. eben für eine These.

Ja; die Formulierung war mißverständlich und daher mein Fehler.

Ich bestätige gern: Dein Satz war nur der Aufhänger, die These unter I. ist ganz die meine.

Mein Einwand zielte auch weniger auf die Umformulierung als solche, sondern darauf, daß Mitdiskutanten diese nicht mir zuschlagen.

Aber genug der Metadiskussion...

Das ist natürlich sehr bedauerlich. Aber vielleicht springt jemand anders ein.:fs:

Da ich in jenem Beitrag, aus dem der zitierte Satz stammt, bereits den Kontext mit Adel und Klerus kurz (mehr Detailliertheit hätte dort mE den Rahmen gesprengt und zudem mich auch überfordert) umrissen hatte, dürfte meine Zustimmung - insbesondere bzgl. 1. und 2. - nicht allzu überraschend sein.
 
@ jschmidt

Da hast Du Dir aber viel Mühe gemacht.

Danke für den schön gestalteten Eingangsbeitrag.:yes:

1.)

Mein Aufhänger ist folgende These:


I.
Ich erlaube mir diese These umzuformulieren:

  • Wäre der König nicht geflohen, hätten Absetzung und Abschaffung nicht zur Diskussion gestanden; infolgedessen wäre es auch nicht zur Formierung einer Koalition gekommen.
2.)

Dagegen lässt sich sagen, dass "Koalitionsgespräche" schon längere Zeit vor der Flucht stattfanden, nämlich im Anschluss an die (vorläufige) Beilegung des preußisch-österreichischen Gegensatz mit der Reichenbacher Konvention vom 27.7.1790 und unter dem Eindruck der Hilferufe, welche insbesondere von Maria Antoinette an ihren kaiserlichen Bruder gesandt wurden. Die Verhandlungen, auch mit anderen Staaten, verliefen jedoch sehr zögerlich.

3.)

II.
Diesen eher vordergründigen Einwand stelle ich jedoch beiseite, um eine allgemeinere Antithese zu formulieren:

  • Gegen das revolutionäre Frankreich - ein Land, in welchem die Staatsgewalt vom Volke ausgeht, das die ständische Gesellschaft abschafft, Menschenrechte formuliert usw. - hätte sich auf jeden Fall, also unabhängig von der Flucht usw., eine Koalition formiert.
Als meinen Kronzeugen benenne ich ausgerechnet den Altmeister Ranke, der in "Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792 [= Sämmtl. Werke, Bd. 45], S. 82) bei den Emigranten ansetzt:

4.)


1. Man könnte argumentieren: Die Emigration so vieler - insbesondere adliger - Menschen war bedauerlich, aber sozusagen eine 'innere Angelegenheit' Frankreichs. Allein die Tatsache, daß die Emigranten "die allgemeine Sympathie der hohen Geistlichkeit und des Adels in Europa für sich" hatten, führte nicht zur Intervention von außen.
...

5.)

Walter Bußmann paraphrasiert (Handbuch der Europäischen Geschichte, Bd. 5, S. 17 f.):
"Deutlicher wurde er [Ranke], indem er alle persönlichen Momente wegließ und die These aufstellte, daß die kriegerische Auseinandersetzung der Revolution mit den Mächten des alten Europa erfolgen mußte, weil hier zwei Prinzipien sich gegenüberstanden, die nicht friedlich nebeneinander leben konnten. So groß Rankes Bedürfnis nach Harmonie in der 'Entwicklung' der Geschichte auch war, so schloß er in diesem Falle eine 'ideologische Koexistenz' kategorisch aus."

6.)

Flucht, Absetzung und Hinrichtung des Königs waren insoweit nicht mehr als der Anlaß zum Handeln.

7.)

Frage also: Wie chancenreich war aus heutiger Sicht jene "ideologische Koexistenz" zwischen den alten Regimen in Europa und dem Stachel in ihrem Fleisch, nämlich dem revolutionären Frankreich?
1.
Da würde ich mich timotheus anschließen. Das sind die Abläufe der Dinge und haben kaum etwas mit einer These zu tun.

2.
Gespräche gibt es immer. Dass man sich darüber absprach, wie man mit der neuen Pariser Regierung umgehen sollte, halte ich auch für nur natürlich. Man sprach sich ja auch ab, wenn ein König starb und das zu Annäherungen anderer Staaten führte.

Ansonsten: Müsste es nicht Maria Antonia heißen? Also entweder Marie Antoinette oder Maria Antonia. Auch wenn man in manchen Büchern diese Vermischung von Maria Antonia und Marie Antoinette liest...

Die Korrespondenz von Marie Antoinette mit ihren Brüdern halte ich persönlich für allgemein überbewertet, was natürlich auch daher kommt, dass die Verschwörungstheorien der Anführer der Revolution beliebte Quellen von Historikern zu diesem Zeitschnitt sind.

3.)

Zumindest England hielt sich ja erstaunlich lange raus aus der Sachen und zeigte sich sogar erstaunlich freundlich gegenüber den französischen Gesandten bis zum Sturz der Monarchie.

4.)

Sympathien mag es da und dort gegeben haben. Aber mir kommt es oft vor, als ob man schon nach kurzer Zeit die Emigranten als eine Plage empfand, nutzlose Esser, welche man obendrein irgendwo unterbringen musste. Ihren Wert für die französische Konterrecvolution würde ich auf die wichtigsten Häupter der Royalisten beschränken und auch diese, worunter natürlich die Brüder des Königs die erste Rolle spielten, trafen oft auf taube Ohren.

5.)

Das kommt auf das Maß Opportunismus an. Wir wissen ja nicht, ob Österreich und Preußen Frankreich den Krieg erklärt hätten, wenn Frankreich nicht zuvor selbiges gegenüber diesen Staaten getan hätte.

Ich denke, man kann da die Friedensschlüsse von 1795 durchaus als Vergleich heran ziehen. Wenn es nötig war, erkannten die Monarchien durchaus die französische Republik als Verhandlungspartner an und überhörten beflissentlich die Emigranten, denen das nicht schmecken konnte.

6.)

Zu welchem Handeln? Dass Frankreich mit den Säbeln rasselte war ja offensichtlich und dass von dort eine Bedrohung für das Reich ausginge auch. Ich glaube, Du verdrehst da ein bisschen die Seiten. Nicht die Monarchien waren die Offensiven sondern das revolutionäre Frankreich, wenn man es so pauschal sagen kann. Brissot forderte die Ausbreitung der Revolution und fand damit eine Mehrheit in der Versammlung. Die Monarchien als die "Handelnden" zu bezeichnen, hieße das Pferd für mich falsch rum aufzäumen. Natürlich aber waren die Monarchien in Sorge über die Entwicklungen in Frankreich und zu einem Eingreifen bereit.

7.)

Recht gut, wenn in Frankreich nicht eben die Gemäßigten selber Kriegstreiber gewesen wären.


Noch ein Thread, der unbedingt zu dem Thema passt: http://www.geschichtsforum.de/f16/revolution-kriegserkl-rung-des-20-04-1792-a-12169/
 
Zuletzt bearbeitet:
Ansonsten: Müsste es nicht Maria Antonia heißen? Also entweder Marie Antoinette oder Maria Antonia.
Es handelt sich um einen Schreibfehler...:winke: [1]

[Chancen für die ideologische Koexistenz:] Recht gut...
Trotz Edmund Burke & Co.?

Zur Sache demnächst mehr.


[1] Aufgepasst, Rätselfans: Die von mir ab und an falsch geschriebenen Buchstaben ergeben, in der richtigen Reihenfolge zusammengesetzt, die magische Formel zur Verwandlung von Wasser in Wein.
 
Trotz Edmund Burke & Co.?
Burke selbst war ja Brite, wenn auch geborener Ire, und sein Land wollte sich ja lange nicht auf einen kriegerischen Kurs einlassen. Die späteren Probleme Englands mit Frankreich haben sicherlich damit eng zu tun, dass Frankreich die Niederlande, die Österreichischen wie auch die Generalstaaten, angriff, wo England stets Interessen wahrzunehmen hatte.

Dabei bin ich nun auch nicht so aus der Art geschlagen, dass ich Frankreich allein die Schuld zuschieben will.=) Aber eigentlich waren gerade die Hauptfeinde Frankreichs garnicht so arg dazu angetan zu intervenieren und sich in die inneren Angelegenheiten eines der größten Konkurrenten einzumischen.
Man kennt natürlich das Pillnitzer Treffen des Kaisers und des Königs von Preußen. Wenn es auch die Gemüter in Frankreich bewegte, folgte darauf ja nicht sogleich eine Aktion. Treffen wie das, welches zur Pillnitzer Deklaration vom 27. August 1791 führte, gab es viele in diesem Zeitalter. Die eigentlich eher aufschiebend wirkenden Verhandlungen mit dem Passus, dass man nur nach Übereinstimmung mit den Großmächten losschlagen wollte, würde ich eher betonen.
 
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