Königtum bei den Germanen

MacX

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Hallo,

kann es eigentlich sein, dass man nur bei christianisierten Germanenstämmen von Königen spricht, wohingegen heidnische Stämme ihre "Stammesführer" oder "Herzöge" hatten?

Beispielsweise hatten die Goten, Franken, Vandalen, Langobarden ihre Könige, während die Sachsen wohl nur einen Herzog hatten.

Ist das "Königtum" bei den Germanen denn eher eine christliche Einordnung, oder gab es auch tatsächliche Unterschiede in der Funktion zwischen Stammesführer und Königen?
 
Es gab unter den Germanen schon lange Könige, z. B. Marbod. Auch die Quaden hatten schon im 1. Jhdt. n. Chr. Könige. Noch früher war Ariovist von den Römern als König anerkannt worden (übrigens auf Initiative Caesars!). Sogar die Kimbern hatten schon einen König gehabt, nämlich Boiorix. Auch Tacitus erwähnte bei einigen Germanenstämmen, dass sie von Königen regiert wurden, nämlich bei den Gotonen, Rugiern, Lemoviern und Suionen. Die Alemannen hatten später ihre Gaukönige.

Der Unterschied zwischen König und Herzog war ursprünglich der, dass der Herzog nur für die Dauer eines Feldzuges gewählt wurde. Erst in der Völkerwanderungszeit entstanden dann die erblichen Stammesherzogtümer. Die Sachsen hatten aber weiterhin keinen festen Herzog (Widukind war auch nur so ein Militärführer-Herzog), sondern erst nach der Unterwerfung durch die Franken entwickelte sich das Stammesherzogtum.
Könige hingegen wurden teilweise auch gewählt, behielten ihr Amt aber auf Lebenszeit.
 
Gab es bei den Germanen denn auch schon die bewusste begriffliche Unterscheidung? Oder wurde die eher von den Römern durchgenommen? Sprich: wussten die Sachsen, was ein König ist, vlt. aus Erfahrungen mit andern Stämmen, und entschieden sich bewusst gegen dieses Amt?
 
Jedenfalls kannten die Germanen die Silbe -reiks (> -rich), verwandt mit dem keltischen -rix und dem lateinischen rex.
 
Gab es bei den Germanen denn auch schon die bewusste begriffliche Unterscheidung? Oder wurde die eher von den Römern durchgenommen? Sprich: wussten die Sachsen, was ein König ist, vlt. aus Erfahrungen mit andern Stämmen, und entschieden sich bewusst gegen dieses Amt?

Oder haben die Römer, bzw der Senat die Häuptlinge vielleicht absichtlich im Rang erhöht. damit unruhe in die Stämme kam, nach dem Motto Divide et Imperia? So wie Tiberius meinte die Germannen einfach in Ruhe lassen, so das sich selber bekriegen.

Apvar
 
Gab es bei den Germanen denn auch schon die bewusste begriffliche Unterscheidung? Oder wurde die eher von den Römern durchgenommen? Sprich: wussten die Sachsen, was ein König ist, vlt. aus Erfahrungen mit andern Stämmen, und entschieden sich bewusst gegen dieses Amt?
Wie gesagt, Könige regierten im Normalfall auf Lebenszeit, Herzöge nur für die Dauer eines Feldzugs. Der Unterschied lag also weniger in der Bezeichnung als mehr in der Befugnis. Die Sachsen bevorzugten offenbar einen freien Lebensstil und unterstellten sich nur in Krisenzeiten einem Oberhaupt.
 
Jedenfalls kannten die Germanen die Silbe -reiks (> -rich), verwandt mit dem keltischen -rix und dem lateinischen rex.

Wobei ich einmal gelesen hab, dass Caesar Ariovist mit Rex anredete, woraufhin dieser "reiks" verstand, was wohl in seiner Sprache einen niederen Rang beschrieb. Das Wort "König" ist ja auch germanischen Ursprungs.

Raveniks Erklärung finde ich sehr einleuchtend: Könige bei den Germanen sind auf Lebenszeit regierende Herrscher. Wobei die Stammesherzöge im späteren ostfränkisch-deutschen Reich doch auch auf Lebenszeit regierten, oder? Nach älterem Verständnis müssten sie also auch Könige sein.
 
Die älteste Verfassung germanischer Staaten ist die Volksverfassung. Die zum Staat zusammengeschlossenen Sippen bestimmten in der gemeinschaftlich abgehaltenen Volksversammlung das Schicksal des Staates, wobei die Führer der Sippen und Unterverbände von vornherein eine besondere Rolle spielten. Da sich ein Königtum nicht bei allen Stämmen entwickelte, muss man zwei Verfassungsformen unterscheiden: die Königsverfassung und die Volksverfassung.

In den germanischen Staaten mit Königsverfassung bildete das Königtum die staatliche Spitze. In geschichtlicher Zeit hat sich das Königtum aus dem ständig gewordenen Heerführeramt entwickelt. Es setzte sich in der Zeit der Wanderungen und dauernden kriegerischen Auseinandersetzungen allmählich durch. Caesar berichtet noch nichts von einem Königtum bei den ihm bekannt gewordenen germanischen Stämmen. Ariovist war im Begriff, eine Königsherrschaft über die von ihm geführten germanischen Volksscharen zu errichten. Zur Zeit des Tacitus finden wir die Königsherrschaft vor allem auf die Ostgermanen beschränkt, während sie sich bei den Westgermanen erst allmählich ausbreitete. Während Arminius bei seinem Streben nach Königsherrschaft scheiterte, begegnet bei Marbod bereits ein ausgesprochenes Königtum.

Die Wahl des Königs erfolgte in der Volksversammlung, wobei man sich an ein bestimmtes Geschlecht hielt, nämlich die königliche Sippe. Die Wahl war also nicht frei, sondern an das Königsgeschlecht gebunden, d.h. es gab ein Geblütsrecht.

Es gab aber auch Staaten bzw. Stämme mit einer Volksverfassung, die im Frieden keine einheitliche Spitze hatten. Die Führer der staatlichen Unterverbände und sonstige mächtige Adlige bildeten einen Führer- oder Fürstenrat, der weniger wichtige Staatsgeschäfte selbstständig erledigte, während wichtige Staatsangelegenheiten nach Vorberatung vor die Volksversammlung gebracht wurden. Im Kriegsfall wurde ein Heerführer bestimmt, der Herzog (dux), dessen Wahl in der Volksversammlung erfolgte. Er wurde, wie Tacitus berichtet, auf einen Schild gehoben. Bei den Sachsen dagegen bestimmten die Fürsten einen aus ihrer Mitte durch Los zum Herzog. Starke Adlige behaupteten das nur vorübergehend gedachte Heerführeramt lange Zeit, was in geschichtlicher Zeit zur Entstehung eines Königtums führen konnte.

Man sieht also, dass die Grenzen zwischen beiden Verfassungsformen fließend waren und sich das Heerführeramt des Herzogs zum Königtum entwickeln konnte, während auch der (Rück)Schritt vom Königtum zum Herzogsamt möglich war. Ich entsinne mich, das bei einem bestimmten Stamm einmal grlesen zu haben (Ostgoten nach Unterwerfung durch die Hunnen?), kann mich aber nicht exakt erinnern.
 
Wobei ich einmal gelesen hab, dass Caesar Ariovist mit Rex anredete, woraufhin dieser "reiks" verstand, was wohl in seiner Sprache einen niederen Rang beschrieb.

Im Gallischen Krieg hast Du das jedenfalls nicht gelesen.
In der durch Boten geleisteten Kommunikation zwischen Caesar und Ariovist (I, 35) erinnert Caesar zwar an die Ehrung Ariovists durch den Senat zu Zeiten Caesars Konsulat als rex atque amicus aber in der Erwiderung weist Ariovist zwar so ziemlich alles von Caesar zurück, aber nicht den Titel rex. In der direkten Unterredung zwischen beiden (I, 43 - 45) kommt der Titel nicht einmal vor.

Das Wort "König" ist ja auch germanischen Ursprungs.

Das ist richtig. Aber das Wort hat eine Bedeutungsverschiebung hinter sich:

Das protogermanische Wort ist kuningaz, und es bezeichnet eine Herkunft bzw. Zugehörigkeit zu einem kunja ("der zum kunja Gehörende" oder auch "der von einem kunja Abstammende"). Als weitgehender Konsens (da nicht endgültig zu klären) wird kunja mit "Sippe" oder "Geschlecht" übersetzt. Damit ergibt sich für kuningaz die Bedeutung "der einem (edlen) Geschlecht Entstammende".
Die entsprechende Wortwurzel lautet kun/kin, und aus dieser leiten sich grob gesagt Wortbildungen wie kundi/kunda/kinda/kunja/kunjo/kuninga/kuna/kundia/ ab.
 
Die Verwirrung könnte größer nicht sein.
Es gab Stämme, die hatten einen König. Es gab Stämme, die hatten zwei Könige gleichzeitig. Es gab Stämme, die hatten gleich eine Hand voll Könige. Und dann gab es noch Stämme, die hatten keine Könige.
Das war nicht nur von Stamm zu Stamm verschieden sondern wechselte auch noch im Lauf der Zeiten.
Dahinter eine gemein-germanische Verfassung zu vermuten, ist müßig.
 
Die Verwirrung könnte größer nicht sein.
Es gab Stämme, die hatten einen König. Es gab Stämme, die hatten zwei Könige gleichzeitig. Es gab Stämme, die hatten gleich eine Hand voll Könige. Und dann gab es noch Stämme, die hatten keine Könige.
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Genau das habe ich in meinem Beitrag oben gesagt:

Dieter schrieb:
Man sieht also, dass die Grenzen zwischen beiden Verfassungsformen fließend waren und sich das Heerführeramt des Herzogs zum Königtum entwickeln konnte, während auch der (Rück)Schritt vom Königtum zum Herzogsamt möglich war. Ich entsinne mich, das bei einem bestimmten Stamm einmal grlesen zu haben (Ostgoten nach Unterwerfung durch die Hunnen?), kann mich aber nicht exakt erinnern.
 
Wobei ich einmal gelesen hab, dass Caesar Ariovist mit Rex anredete, woraufhin dieser "reiks" verstand, was wohl in seiner Sprache einen niederen Rang beschrieb. Das Wort "König" ist ja auch germanischen Ursprungs...

Ich denke du meinst den Friedensschluß zwischen dem oströmischen Kaiser Valens und dem Gotenfürsten Athanarich 369 inmitten der Donau. Der Gote lehnte die Bezeichnung König/reiks ab. Die römischen Chronisten überliefern das umstrittene Wort "Iudex" - Richter, das der Gote für sich beansprucht hat. Er wird daher häufig als "Richter" oder "Richterkönig" angesprochen. Was sich dahinter verbirgt ist nicht recht klar. Sicher ist nur, dass die Goten (Terwingen! den Ostrogothen/Greutungen werden weiterhin klassische Könige zugeordnet!) für die Dauer einer größeren Bedrohung über ihre einzelnen "Kleinkönige"/Reiks einen Oberfürsten ernannten. Eine solche Person ist Athanarich gewesen. Es gibt einige Hinweise darauf, dass Athanarich aus seiner Stellung eine (erbliche?) Monarchie schmieden wollte. Er zog den Konflikt mit Valens relativ in die Länge und auch sonst zeigte er wenig Energie Konflikte abzukürzen, was ja ein Ende seiner Sonderstellung bedeutet hätte.

Zu dem ganzen Komplex sind von Herwig Wolfram und Anderen bereits einiges geschrieben worden, das in guten Bibliotheken zu erhalten ist. Ein Kapitel in „Gotische Studien“ etwa beschäftigt sich damit… Wechselseitige Beeinflussungen der in anderen Beiträgen angesprochenen Heerkönigtum/He(e)rzöge mit dem erblichen Königtum an und für sich, sind nicht zu übersehen.

Ein paar Punkte sollte man nicht übersehen: Herzöge erhielten ihre Vollmachten nur auf Zeit, ein Monarch amtiert i.d.R. auf Lebenszeit (wie Ravenik bereits betonte). Soziale Aufsteiger konnten leichter Ämter wie jenes der Herzöge erreichen als das sie Könige werden konnten. Die Abstammung aus königlicher Familie (strips regia, wie von Dieter in #8 betont) war bedeutend, denn sie empfohlen ihre Angehörige für höchste Würden als eine Art von „Vorschußlorbeeren“ für künftige Taten, während Aufsteiger bei ausbleibendem Erfolg kaum mit Treue ihrer Gefolgschaften rechnen konnten. Hier ist überhaupt Dieters Beitrag sehr wichtig!

Besonders „Archaisch“ wirkt das bei vielen germanischen Völkern zeitweise anzutreffende Doppelkönigtum – oder überhaupt eine Doppelspitze, bei der Manche leicht an die Konsuln der römischen Republik erinnert werden. Sie dürfte aber eine andere Bedeutung gehabt haben. Die Vandalen in ihrer „Norddanubischen Zeit“ kannten solche Könige ebenso, wie die Doppelspitze Hengist & Horsa bei den Sachsen während der Einwanderung nach Britannien genannt wird.
Es scheint, dass religiös/sakrale Vorstellungen auch für das Königtum bedeutsam waren. Das „Königsheil“ ist hier besonders auffällig, das in den strips regia weiterlebte. Zwar bei irischen Königen, so ist doch überliefert dass Könige in halbsakralem Akt dem Land Fruchtbarkeit geben sollte, ähnliches findet sich auch bei Germanen, wo Könige ohne Königsheil in alter Zeit wohl auch geopfert werden konnten, wenn die Gefahr oder der Misserfolg seiner Regierung besonders Auffällig war. Gerade beim Doppelkönigtum finden sich Anzeichen von sakraler Bedeutung. Durch einen Katalog von Anforderungen für einen König wäre es leichter die Unterschiede zwischen König im Gegensatz zu Heerkönigtum und Herzogswürde auszuarbeiten. Dazu ist mein Beitrag noch zu unsystematisch.
 
Eine Art Doppelkönigtum gab es noch in späterer Zeit bei den Chasaren, die nebeneinander eine Art Heerführerkönig und eine Art Priesterkönig hatten.
 
Eine ähnliche Aufgabenteilung scheint es auch bei germanischen Doppelkönigen gegeben zu haben, was aber spekulativ ist.
 
Könige und Ethnien? Doppelverwendung.

Dieser Beitrag ist eine Doppelverwertung aus dem Völkerwanderungsthread :devil:, weil das Thema sich überkreuzt:

tejason schrieb:
Dass Ethnien und Reiche/Könige keine Deckungsgleichheit haben ist eine allgemein anerkannte Tatsache. Beide können losgelöst voneinander existieren. Aber meist bildet eine Ethnie den Kern eines Reiches…

Gibt es einen Beleg dafür, dass ….durch Unterstellung unter einen König eine „neue Ethnie“ entstand? Durch das „Auswandern der Angelsachsen“ entstand fraglos eine Ethnie, die bald mit jener aus den Ursprungslanden nicht länger zu vergleichen war, zumal die Festlandsangeln und –Sachsen rasch unter die Herrschaft anderer Könige gerieten, wie etwa der Franken und Thüringer! Die Angeln scheinen eine Rolle bei der Ausprägung des Thüringer Reiches gespielt zu haben…
Die „Reichsgründung“ des Odoaker in Italien ist ein Beispiel für eine „Reichsgründung“ ohne klar erkennbares „Reichsvolk“ dahinter. Je nach Präferenz des Historikers werden hinter ihm immer mehrere Ethnien vermutet, wie etwa die Skiren und auch Thüringer!
Auch die Franken sind ab Chlodwig I. ein gutes Beispiel für eine Ethnogese die sich auf einen gemeinsamen König bezieht. Während Burgunder und andere germanische Gruppen gewisse Sonderentwicklungen im Rahmen des Frankenreiches zugestanden wurden, blieben die Franken für eine massive Romanisierung offen, indem sich ihnen in großem Umfang romanische Provinziale weitgehend anschließen konnten. Das dazugehörige Bonmot eines Historikers bezeichnet andere völkerwanderungszeitliche Reichsgründungen (etwa der Westgoten) als „erobernde Völker“, während er für Chlodwig (und damit die Franken) von einem „erobernden König“ spricht.

Der Vergleich der Traditionskerne mit einem Apfelkern und einem Nusskern ist recht gut. Im Allgemeinen waren die Völker während ihrer Wanderungen ausgesprochen Integrationsfreudig und begannen sich meist erst nachdem sie sich in neuen Siedlungsgebieten niedergelassen haben wieder zu konsolidieren und gaben ihre soziale Mobilität bald auf. So kam es Schubweisen zu „Ethnogese“. Von Westgoten kann man etwa eigentlich erst sprechen nachdem die dazu gehörigen Goten (im Kern wohl vor allem Terwingen) die Donau überschritten hatten und ins Römische Reich eingedrungen waren. Weniger Ausgeprägt aber Ähnlich verhielt es sich mit den Ostgoten, deren Greutungisch/Ostrogotische Vergangenheit im Steppengürtel des Ostens erst nach dem Untergang des Attilareiches endgültig zur Vergangenheit wurde. Auch die Alamannen lassen sich vor ihrer Landnahme im ehemaligen Dekumatland nicht wirklich historisch fassen. Neben den Traditionskernen als „Formende Komponente“ einer Ethnogese spielte also wohl auch die Landnahme als „Formende Komponente“ immer eine Rolle. Weiterhin spielte die Ursprungs-Ethnie umso weniger eine Rolle, je mächtiger die Herrscher über die Gemeinschaft waren – sprich also der König! Hier ist wieder Chlodwig das Beste Beispiel. Andere, „reichsbildende Ethnien“, die sich in ihrer neuen Heimat gegen die Untertanen abschotteten und nur eine „Krieger- & Führungselite“ bildeten, mussten in der Minderheit bleiben und bei Misserfolg verschwinden, bestenfalls blieben sie als privilegierte „Oberschicht“ oder „Kriegerschicht“ eine durch Gesetze zu definierende Sozialschicht. Genau dies passierte den Langobarden in Italien, wie auch Teilen der Goten. Dagegen blieb es bei den merowingischen Franken nicht wichtig ob sie germanisch oder romanisch sprachen; wichtig war allein ihre Nähe zum König und damit dem Zentrum des Reiches! Dabei gilt es als sehr wahrscheinlich, dass die fränkische Expansion durch verschiedene Stämme getragen wurde. Nicht umsonst sind die Franken auch vor Chlodwig recht schwer genauer zu fassen, geht doch das Wort von den „fränkischen Stammesschwärmen“ um, an denen wahrscheinlich auch Teile von Sachsen, Friesen und vielleicht sogar Thüringern ihren Anteil hatten – wofür auch die enge Bindung von Chlodwigs Vater Childerich zu den Thüringern sprechen dürfte…
Es bleibt also festzuhalten, dass die Kopfzahl einer „wandernden Ethnie“ nicht unbedingt entscheidend für ihren Erfolg wurde.

Ganz wichtig bei dieser Diskussion ist es neben Ethnien und Reichen auch zwischen Sippen und Kriegerbünden zu unterscheiden! Sippen sind Abstammungsgemeinschaften, also ein Kernstück einer „völkisch“ zu definierenden Ethnie. Die Sippen wurden vor allem von den Historikern des 18/19. Jht. als Kern der wandernden Völker angesehen. Inzwischen wird ihre Bedeutung doch eher unterschätzt. Sie waren für einen Traditionskern unerlässlich, griffen doch hier die Wurzeln des wichtigen „Köngsheils“ und der gemeinsamen Überlieferungen (wie Sagen e.t.c.) als integrierende Kraft für die weitere Ethnogese. Dazu kommt, dass die Sippen durchaus offen für Einheirat und „Adoptionen“ blieben, also keineswegs rein ethnisch zu definieren sind!
Aus solchen Sippen und strips regia heraus erst konnten sich Kriegergemeinschaften um bedeutende Adelige herum bilden. Hier war es fast gleichgültig welcher Ursprungsethnie ein Krieger abstammte, solange er ein guter Krieger war und seinem Herrn die Treue hielt. Besonders zu Kriegszeiten wurden zu allen Zeiten die Kriegerbünde zu Beschleunigern von Ethnogese. Solche Gefolgschaften waren den Königen näher und direkter verbunden als die Sippen, in denen die gemeinsame Abstammung die Treue zu den Königen beeinflussen konnte. Die Gefolgschaften bezogen sich allein auf ihre Könige. Aus ihnen entnahmen vermutlich die Königreiche der Völkerwanderungszeit vor allem ihren „Amtsadel“, wie die ostgotischen Königsboten und comes, sowie die Gerichtsdiener. Auffällig ist, dass sowohl bei den Westgoten wie bei den Ostgoten nach Untergang ihres Königsgeschlechts Männer aus dieser Gruppe in das Königsamt nachrückten und damit eine neue „strips regia“ begründen konnten. Das zähe Festhalten an dem langjährigen Königsgeschlecht der Amaler bei den Ostgoten endete mit König Theodahad, sein Nachfolger und ehemaliger comes Witichis stammte aus dem Amtsadel. Als zusätzliche Legitimation heiratete er die Nichte Theoderichs, die Amalerin Matasuintha. Nach ihm konnte kein ostgotischer König mehr auf eine Verbindung zu einer traditionellen königlichen Familie zurückgreifen, es waren allesamt Männer des Militäradels, also aus dem Umfeld des Königs ohne besondere verwandtschaftliche Basis und hergebrachtem Königsheil – eben aus den Kriegergefolgschaften stammend. Ganz im Gegensatz dazu steht das zähe und recht lange Festhalten der Franken nach Chlodwig I. an der merowingischen Königsfamilie. Ich sehe das als ein Beleg für die These, welche den gotischen Königreichen ein „eroberndes Volk“, dem Frankenreich aber einen „erobernden König“ zuordnet.

@Dieter:
Die ethmythologische Ableitung des Namens des gotischen Königsgeschlechts der Amaler ist der Ase. Die Asen sind aber das altgermanische Göttergeschlecht. In der viele Jahrhunderte nach der Völkerwanderung verfassten Edda sagt Odin dass er früher auch unter den Namen Gaut und … bekannt gewesen sei. Gaut aber ist der angegebene Stammvater der Amaler. Auch die frühen angelsächsischen Könige schreiben ihre Abkunft dem Wodan zu. Alles deutliche Hinweise auf den sakralen Charakter altgermanischen Königtums. Der Wortstamm der Amaler wird teils auch auf Götterbilder, wie die groben Darstellungen von Holzfiguren germanischer Götter aus den nordischen Opfermooren zurückgeführt.

@Königsheil & Christianisierung:
Es scheint sich eine Art von Verquickung von abgestammtem Königsheil mit Formen der Christianisierung entwickelt zu haben. Auf die sakrale Komponente von Königtum und Heil wurde bereits hingewiesen, sowie die tradierten Abstammungsberichte, die sich meist auf Götter und Heroen bezogen und für die bei einer Christianisierung neuer Legitimationsbedarf bestand. Die Christianisierung aber war notwendig um sich gegenüber dem Römischen Reich eine brauchbare, stabilisierende Verhandlungsbasis zu erarbeiten.!
Bei Übertritt eines Königs zum Christentum folgte gewöhnlich auch deren Gefolge, was eine gewisse innere Kontinuität zu den alten Verhältnissen Rückschließen lässt. Es macht aus gewisser Hinsicht auch Sinn, wenn die meisten Germanenkönige zunächst zum arianischen Christentum konvertierten. Das arianische Bekenntnis verneint die Wesenseinheit von Jesus mit Gottvater und kennt die unteilbare Trinität nicht. Jesus ist hier der auserwählte Mensch, der die Erlösungsleistung auf sich nimmt und dadurch Gottes Sohn wird: Also die Tat eines Menschen „vergöttlicht“ Jesus nach dieser Ansicht, was die Option einer ebenfalls herausragenden Leistung durch andere Menschen (eben der Könige!) implizieren kann. Doch bin ich kein Theologe…
Gerade die Könige, welche nicht aus einer mit Königsheil versehenen Familie stammten, suchten einen Ersatz dafür häufig durch sakrale Sanktionierung durch heilige Salbung und Krönung durch hohe kirchliche Würdenträger. Die Karolinger begründeten ihr Königtum durch einen solchen Schritt, was allerdings bereits sicher zum Mittelalter gehört!
Bereits vor der Konvertierung der Barbarenkönige zum Katholizismus spielte nach meiner Ansicht die gemeinsame „arianische Leitreligion“ ihrer Oberschicht eine wichtige Rolle für die Integrierung und Beständigkeit ihres „Volkes“. Wie auch die Christianisierung von Völkern während des Mittelalters ein wesentliches Element der Etablierung von Königreichen spielen sollte. Der Gegensatz zwischen Arianern und Katholiken half dabei die „germanische Oberschicht“ von den unterworfenen Katholiken zu trennen und auseinander zu halten! Diese These habe ich bereits im Vandalenthread dargelegt und ordentlich Schelte dafür bekommen, weil ich statt von einer arianischen „Königskirche“ von einer „Volkskirche“ geschrieben hatte.

Völker ohne eigene Könige gingen in der Regel unter, vor allem wenn sie nicht in einer etablierten Heimat blieben. Beispiele dafür sind nicht nur Rugier und (südliche) Heruler, sondern auch die bereits genannten Sueben welche an der Donau verblieben waren und nicht nach Spanien abgezogen waren. Nach ihrer Niederlage gegen die Ostgoten (im gleichen Kontext in dem auch die Scharen des Odoaker nach Italien flohen) wurden die Sueben in ihrer Heimat von den Ostgoten geplündert, verfolgt und drangsaliert. Dies desintegrierte diesen Stamm völlig. Teile von ihnen wanderten nach Westen zu den Alamannen ab, wo sie kein eigenes Königreich mehr errichten konnten, sondern verstreut zwischen den Ansässigen in das Volk der Alamannen eingeschmolzen worden.

Zu Teilungen einzelner Stämmen kam es sehr wohl. Nicht nur Sachsen teilten sich, als Teile des Stammes nach England auswanderten und mit den Angeln zu den Angelsachsen verschmolzen. Dass Alanen, Sueben und Goten sich auffächerten habe ich bereits erwähnt. Auch die Heruler gab es zeitweilig sowohl auf dem „Balkan“ als auch am Rhein unter eigenen Königen. Dabei sollte man sich aber auf Völker unter einheitlichen Königen konzentrieren, denn die Goten kannten vielleicht seit Kniva keinen gemeinsamen König mehr und die Franken, Alamannen und Westgoten treten eher als Stammesschwärme unter verschiedenen Kleinkönigen auf und nur Franken und (föderierte!) Westgoten vereinigten sich später unter gemeinsamen Königen.
...tschuldigung, aber Verlinkungen werden so selten gelesen...

@"Gotische Studien" zum Königtum:
Es gibt drei, teils größere Abschnitte die sich damit befassen. Sie stehen alle im Kontext des Verhältnisses zwischen Rom und den Germanen. Zum Einen:
I. Rom und das frühe Königtum nördlich der Alpen (S15 bis S62)
III. Die Terwingischen Richter und die -älteren- Balthen
IV. Gotisches Königtum und Römisches Kaisertum von Theodosius I. bis Justinian I.
(S114 bis S171 die Abschnitte III bis IV)
 
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Hallo,

kann es eigentlich sein, dass man nur bei christianisierten Germanenstämmen von Königen spricht, wohingegen heidnische Stämme ihre "Stammesführer" oder "Herzöge" hatten?

Beispielsweise hatten die Goten, Franken, Vandalen, Langobarden ihre Könige, während die Sachsen wohl nur einen Herzog hatten.

Ist das "Königtum" bei den Germanen denn eher eine christliche Einordnung, oder gab es auch tatsächliche Unterschiede in der Funktion zwischen Stammesführer und Königen?

@1.
Nein, bereits Tacitus und vor ihm Caesar berichten von germanischen Königen.

@2.
Ein König ist ein monarchisches Staatsoberhaupt, das sowohl Gesetze erlassen kann, als auch Recht spricht und (zumindest nominell) ein militärischer Oberkommandierender ist. Der König vereinigt in sich politische, militärische und teils sogar sakrale Aufgaben in seiner Person.

Der Herzog vom Typ "Sachsenherzog Widukind" ist ein für eine Aufgabe gewählter militärischer Anführer, der höchstens in geringem Umfang auch politische Autorität besitzen dürfte. Denn seine "Auftraggeber" schränken mit Sicherheit seinen Spielraum deutlich ein.

Ich gehe davon aus, dass du von einem bei Bedrohung "gewählten" Herzog sprichst. Denn der Begriff Herzog hat noch weitere Bedeutungen. Genau wie der Begriff des Königs über dessen zahlreiche Facetten ich weiter Oben im Thread viele, sicherlich verwirrende Aspekte aufgezählt hatte

@Germanen:
Tacitus ist der bekannteste antike Autor über die frühen Germanen. Er beschreibt sie als sehr Freiheitsliebend:
„Könige wählen sie nach ihrem Adel, Feldherren nach ihrer Tapferkeit. Wie die Könige keine unumschränkte oder willkürliche Gewalt haben, so befehligen auch die Feldherren mehr durch Beispiel als durch Kommando… Übrigens ist außer den Priestern niemand berechtigt, jemand hinzurichten, zu fesseln, oder selbst zu schlagen. Dies alles geschieht nicht zur Strafe, noch auf Geheiß des Feldherren, sondern wie wenn es die Gottheit geböte,…“ [G7]

@Dieter: Knapp genug? Mir war das eigentlich zu wenig und ich wollte den Köngisbegriff weiter ausleuchten.
 
@1.

Der Herzog vom Typ "Sachsenherzog Widukind" ist ein für eine Aufgabe gewählter militärischer Anführer, der höchstens in geringem Umfang auch politische Autorität besitzen dürfte. Denn seine "Auftraggeber" schränken mit Sicherheit seinen Spielraum deutlich ein.

Oha…
Wenig weiß man von Widukind und Co, aber ich würde meines Wissens so schreiben:

Der Herzog vom Typ "Sachsenherzog Widukind" ist ein militärischer Anführer auf den man sich geeinigt hat.
Wahrscheinlich einer der politischen Köpfe des Stammesverbandes, welcher sicherlich durch seinen „Adel“ (Landbesitz?) schon Autorität für seine eigene (Unter-) Gruppe besitzt, aber für bestimmte Aufgaben die jeweiligen anderen mitführt.
Ich gehe hier von einer Gruppe von Autoritäten des Stammesbundes aus, keine Könige eher große Landbesitzer oder ähnliches…aber sicherlich wird man sich auf einen besonderen charismatischen Herzog einigen, wobei das Charisma aus Rhetorik, Landbesitz/Geld und oder bisherige milit. Erfolge bestehen kann.

 
Königtum bei den Germanen kann man meiner Ansicht nach nicht an Definitionen der Römer festmachen. Die Römer wussten wenig über die "Verfassung" der germanischen Völker und hatten noch weniger Interesse daran. Als Könige haben sie einfach alle Leute bezeichnet, die ihnen so erschienen sind, wie die Könige jener Völker, die ein Königtum hatten.

Insofern ähneln die Ausgangsfrage und die dazu vorgetragenen Argumente stark dem, was schon Gregor von Tours bezogen auf die Franken geschrieben hat. Er wollte ergründen, seit wann die Franken eigentlich Könige hatten. Dabei stützte er sich auf Berichte des Geschichtsschreibers Sulpicius Alexander, der von Plünderungszügen in römisches Gebiet schrieb, die von fränkischen "Unterkönigen" angeführt worden seien. Daraus zog Gregor den Schluss: Wenn es "Unterkönige" gab, muss es schon im 3. Jahrhundert einen Oberkönig gegeben haben. Die Annahme war irrig, weil zu dem Zeitpunkt die Franken als Stamm, Stammesverband oder gar "Volk/Nation" noch gar nicht existierten. Es handelte sich um lose Zusammenschlüsse von Kriegerverbänden verschiedener Stämme, die den Römern unter der Selbstbezeichnung "Franken" gegenübergetreten sind. Viel mehr Gemeinsamkeiten als diese Selbstbezeichnung gab es aber nicht.

Deshalb kann man meiner Ansicht nach von einem Königtum bei den Germanen erst sprechen, als sich "Nationen" (Großstämme) herauszubilden begannen, in denen es feste Hierarchien (zum Beispiel mit einem Adel oder gar einem Erbadel) gab. Und vorher? Auf Marobod träfe die Bezeichnung König noch am ehesten zu. Er hatte zumindest teilweise die Funktion eines Königs. Diese Stellung war aber noch nicht institutionalisiert. Er konnte sie allein durch seine persönliche Macht aufrecht erhalten. Seine Macht sicherte seine Position. In einem Königtum ist umgedreht: Die Stellung vermittelt dem Inhaber seine Macht.

MfG
 
Das ist ein interessantes Thema!

Kann man sagen,dass wir zwar wissen ,dass es Titel wie Kuninga/Reiks/Haritog bzw. Ihre jeweiligen Ableitungen gab, wir aber über deren genaue Bedeutung nicht viel wissen bzw. Nur für bestimmte Stämme oder Reiche auf einen gewissen zeitlichen Abschnitt rekonstruieren können? D.h. vor der spätrömischen/nachrömischen Epoche in der sich der "moderne" Königsbegriff d.d. das was mir Monarchie nennen herausbildet?

Ich nehme an ,dass das Königtum eines Marbod sich von den, stammesbezogen ja auch durchaus verschiedenen, Königtümern oder Königtumsformen unterscheidet die Tacitus für die übrigen germanischen stämme zumindest ansatzweise beschreibt.Das Königtum der Goten oder Franken war ja auch ein jeweils anderes als die verschiedenen Konung-typen die wir aus altnordischen Quellen kennen...

Was denkt ihr? Kann man diese diversen Herrschertitel Titel genauer zusammenfassen bzw. Abtrennen voneinander...?
 
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