Konservativismus und Fortschrittsdenken in den Streitkräften des "langen Jahrhunderts

Dabei war das Konzept schon länger bekannt. Die Reglements für Jägertruppen sahen einen solchen Einsatz schon seit dem 18. Jahrhundert vor. Nur waren das besondere Truppen und die Offiziere der Linie hatten Angst, die Kontrolle über ihre "normalen" Muschkoten zu verlieren. Ein britischer General beschwerte sich über die Einführung der gezogenen Enfield-Gewehre mit den Worten "am Ende wollen die noch alle Grün uniformiert werden" da die britischen Rifle-Regimenter deutlich mehr Freiheiten genossen, als die (rotgekleideten) Linientruppen.


Hessen Kassel stellte schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts ein Jägerkorps auf, das mit Büchsen bewaffnet war. Rekrutiert wurde dafür Freiwillige aus dem Forstdienst und Bewerber dafür. Wie ihre britischen Kollegen genossen auch die Jägerkorps der Hessen und anderen deutschen Hilfstruppen Privilegien. Der Sold war erheblich höher, 1 Pfund Sterling, und Jäger waren von Schanzarbeiten und Wachdienst befreit. Als weiterer Anreiz winkte Bewerbern nach der Entlassung die Übernahme in den Forstdienst.

Capitaine Johann Ewald, der aus der Nähe von Kassel stammte erwarb sich als Kommandeur bei Verbündeten und Feinden Respekt, und basierend auf seinen Erfahrungen aus dem Unabhängigkeitskrieg schrieb er eines der ersten, wenn nicht das erste Handbuch über den Guerillakrieg, das unter anderem von Friedrich dem Großen sehr geschätzt wurde. Trotzdem machte Ewalds Karriere in hessischen Diensten keine großen Fortschritte, höhere Offiziersränge wurden fast ausschließlich für Adelige reserviert. Er trat daher in dänische Dienste über, wo er seine Karriere als Generalleutnant beschloss und nobilitiert wurde.
 
Konservativismus und sein Umfeld

So ich mich recht erinnere, waren die diversen deutschen "Jägerkorps" anfänglich an der Spitze dieser Entwicklung, welche die großen Militärstaaten dann aufgriffen. Gerade die typischen deutschen Militär-Kleinstaaten (mit ihren überproportional großen Militärapparat, der dennoch überschaubar war und beliebte - und gut bezahlte - Hilfstruppen für fremde Kriege stellten), waren wenigstens in der zweiten Hälfte des 18.Jht. recht innovativ. Trotz Dominanz des Adels in ihrem Offizierskorps.
War nicht auch Hessen bis zur Niederlage im Schmalkaldischen Krieg wegweisend im Artilleriewesen?

Aber das alles liegt ja außerhalb unseres Betrachtungszeitraums. Fakt ist, dass durch die Massenheere jener Zeit jede Umbewaffnung besonders teuer wurde und somit lieber auf "bewährte Konzepte" zurückgegriffen wurde. Der Konservatismus in den großen Armeen der führenden Staaten ist somit auch wirtschaftlich begründet und nicht allein auf Standesdenken. Erst als im Verlauf der wirtschaftlichen Durchdringung im Zuge der Industriellen Revolution die Entwicklungen einerseits erschwinglich wurden - andererseits sich der Innovationszeitraum drastisch verkürzte, wurde der Run auf den eventuell nur "kleinen technologischen Fortschritt", den wir heute als Normal ansehen Üblicher! Inwieweit war denn die Unterlegenheit der deutschen Feldartillerie gegen jene Frankreichs im Vorfeld des 1.WK den Verantwortlichen unbekannt? Das 75er Feldgeschütz der Franzosen war gut genug bekannt um dies zu erkennen. Man behalf sich mit billigeren Modifikationen doch weniger wegen taktisch/technischen Bedenken, sondern aus Kostengründen…

Welche politischen Verwerfungen diverse Heeresreformen mit sich brachten sieht man am Besten im Preußischen Verfassungskonflikt. Die geplante Heeresreform der Krone war militärisch ohne Frage ein Fortschritt, wie sich in den "Deutschen Einigungskriegen" noch zeigen sollte. Auch derartige Punkte verzögerten nicht selten das Streben nach dem "Besten".

Was den adelig geprägten Offizierskorps der Vorkriegszeit (1. Weltkrieg) vorzuwerfen bleibt ist, dass sie sich oft auch nicht theoretisch mit ausreichender Tiefe mit neuen Konzepten befassten. Dazu trug in Deutschland bei, dass dieses Offizierskorps nicht sonderlich viel verdiente - gemessen an potentiellen, bürgerlichen Verdienstmöglichkeiten im Rahmen der in Fahrt kommenden Industrialisierung oder dem internationalen Handel. Große Teile des Offizierskorps genossen stattdessen den „privilegierten Status“ in der Öffentlichkeit – der im Selbstverständnis des Adels nur ihm alleine zustehen sollte. Was Wunder, dass er sich nach außen abschottete und uralte Werte betonte…

Ich denke der Konservatismus des Militärs beruhte auf verschiedenen Punkten, die nicht alleine dem Militäradel anzulasten sind. Kaum eine Zeit hatte vorher Technik, Gesellschaft und Gewerbe stärker und schneller verändert als das 19.Jht., was daher besonders lange nachwirken sollte mit den Konzepten, die es hervorbrachte! Erst das Zeitalter des Nationalismus hatte es geschafft, ein ganzes Staatswesen und über die Ideologie auch die gemeine Bevölkerung für „gemeinsame Projekte“ einzubinden: „Erbfeindschaften“ wurden gepflegt, Kolonialismus als gemeinsame Aufgabe eines Volkes angesehen und forciert… Wirtschaftlich waren Unternehmungen, wie etwa der Weiterbau der Eisenbahnlinie nach Königsberg nicht tragbar, doch politisch (militärische) Überlegungen brachten den Durchbruch. Kleine Staaten konnten hier experimentierfreudiger sein, aber in der Regel mochten sie Vorreiter spielen – nur um später in diesem „Rennen“ doch wieder zurückzufallen. Keines der maßgeblichen Nationen des 1. Weltkrieges war in der Lage auch nur annähernd im Vorfeld die wirklichen taktischen und technischen Veränderungen im großen Umfang zu erkennen und sich entsprechend auf den Krieg hervorragend vorzubereiten. Auch das eher bürgerliche Frankreich nicht, dessen Militäraufwendungen jenen des weit bevölkerungsreicheren Deutschlands wenig nachgab. Frankreichs stehendes Heer umfasste einen erheblich größeren Teil seines theoretisch zur Verfügung stehenden Mobilisierungsgrades als in Deutschland, das seine Rekrutierungsjahrgänge bei weitem nicht ausschöpfte und weniger Wehrgerechtigkeit (und –dienstzeit) besaß! Einen schönen Abriss zu den Entwicklungen in den Militärapparaten im unmittelbaren Vorfeld des 1.Wk bietet m.E. das Buch „Vom Einzelschuss zur Feuerwalze. Der Wettlauf zwischen Technik und Taktik im Ersten Weltkrieg“ von Hans Linnenkohl. Die Entwicklungen vor Kriegsausbruch werden dort gut geschildert, während die Veränderungen während des Krieges etwas zu kurz kommen.
 
Konservativismus bzw. Traditionalismus einerseits und die Antizipation wissenschaftlich-technischer Innovationen schließen sich m.E. nicht aus.

Die Offiziersausbildung war den vier Armeen ab 1871 mehr oder weniger identisch, egal ob adelig oder bürgerlich (von regierenden Häusern abgesehen).

Voraussetzung: Abitur, oder "Einjährig-Freiwilliges". Letztere mußten sich einer Vorprüfung stellen.

Daran schloß sich, nach Aufnahme in das Regiment, die Grundausbildung an (Fahnenjunker), anschließend die Verwendung als Unteroffizier (Fähnrich) und dann die Kriegsschule, nach Abschluß die Offiziersprüfung Rückversetzung in das Regiment, danach Beförderung zum Leutnant (nach erfolgter Offizierswahl) befördert.

Das Studium an der preußischen Kriegsakademie war anspruchsvoll, was die Durchfallquoten der Bewerber durchaus bestätigt.

Vllt. ist es so bei der Beurteilung des seinerzeitigen Offizierskorps, daß das tradierte Offiziersbild sich zu sehr an den "exklusiven" Regimentern orientiert.

M.
 
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Ich hatte in den letzten Tagen sehr wenig Zeit, habe aber versucht, mich etwas weiter in dieses Thema zu lesen. Das Ganze ist doch komplexer als es auf dem ersten Blick erscheint.

1. Einerseits bleibe ich bei meinem Standpunkt, dass das Militär, besonders bei den Landstreitkräften, grundsätzlich Konservativ war und auf Modernisierungen eher widerwillig reagierte als diese zu verursachen oder zu steuern. Es ist m.E. erst ein Phänomen des 20. Jahrhunderts, die Suche nach der technischen Neuerung die einem einen Vorteil gegenüber dem Gegner gibt. Im 19. Jahrhunder gab es vereinzelt so etwas auch, es war aber eher die Ausnahme als die Regel. Oft war es genau umgekehrt: Die Royal Navy widersetzte sich der Einführung des Whitehead-Torpedos, weil man begriff, dass eine solche Waffe gerade ihrer Dominanz gefährlich werden könnte. In Spanien experimentierten Isaac Peral und Narciso Monturiol mit zwei relativ weit ausgereiften U-Booten, die Marine sperrte sich aber vehement gegen die Übernahme eins solch unortodoxen Geräts.

2. Die preussische Armee war im 19. Jahrhundert technisch gesehen tatsächlich erstaunlich innovativ: Die von Dekumatland erwähnte Neupreussische Befestigungsmanier, das Zündnadelgewehr, gezogene Hinterlader aus Stahl, Neuerungen in Sanitäts- Verbindungs und Transportwesen. Im Gegensatz dazu war sie im Politisch-Sozialen jedoch erzkonservativ. Man könnte denken, dieser Konservativismus läge in der Natur des Militärs, es gab aber Länder in denen dieses anders war. So gab es in der französischen Armee starke republikanische Strömungen, bei den Russen kam der Dekabristenaufstand aus dem Offizierskorpder Armee, im spanischen Heer bestanden starke Liberale Fraktionen, die öfters zu Aufständen und schliesslich zum Bürgerkrieg führten.

3. Stellt sich mir die Frage, warum zu einem Zeitpunkt erkannte Entwicklungen später nicht mehr beachtet werden. Wenn man Kämpfe und Schlachten aus dem Kriegen von 1866 und 1870-71 analysiert, findet man heraus dass sich dort in kürzester Zeit moderne Taktiken als Antwort auf die technische Entwicklung herauskristalisierten. In der zweiten Phase des Deutsch-Französischen Krieg ging man zu offenen Schützenketten über, nutzte das Gelände und suchte nach Möglichkeit Deckung. Die Kämpfe wurden durch Feuergefecht entschieden und man suchte nicht mehr den Nahkampf. Man fragt sich, warum diese Erfahrungen in den Jahrzehnten danach wieder verloren gegangen sind und man in späteren Jahren bei den Manövern wieder zu dichtgedrängten Sturmkolonnen zurückkehrte. Die Erfahrungen aus kleineren Kriegen wurden zwar interessiert beobachtet, aber flossen dann doch nicht in die eigenen Vorgehensweisen ein.
 
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Die neue Welt des Nationalismus

Vielleicht gelingt es mir meinen (ergänzenden!) Blickwinkel noch etwas deutlicher zu machen.

Relativ kleine, übersichtliche Berufsarmeen lassen sich prinzipiell recht schnell modernisieren. Ein Offizierskorps, das von einem entsprechend professionellen Geist beseelt ist, wird sich auch immer direkt mit Neuerungen und Modernisierungen befassen, auch wenn ihr Staat ihnen diese Mittel vorenthalten sollte (Siehe Reichswehr). Bei Massenheeren sieht es anders aus. In ihren Reihen dienen zwangsläufig mehr eher „durchschnittliche Offiziere“ ohne den Kadergedanken, der etwa in der Reichswehr anzutreffen war. Alle Veränderungen und Vorgänge verlaufen dort langsamer, um nicht unterschiedliche Entwicklungen innerhalb der Streitkräfte Vorschub zu leisten und die Konformität der Truppen zu wahren. Allein die Aufstellung der Massenheere und ihre Planung war etwas grundlegend Neues in ihrer gewaltigen Dimension. Man musste sich fragen wie man diese Truppenmassen überhaupt sinnvoll einsetzen sollte. Schon die logistischen Veränderungen waren enorm und jede Umstellung stellte die Logistiker wieder vor neue, bislang ungekannte Herausforderungen. Es sollte der erste Krieg mit weitgehend durchlaufenden Frontlinien zwischen den Gegnern werden…. Schon dieses Feld bedurfte besonderer Aufmerksamkeit aller Planungs- & Ausbildungsstellen! Kurz gesagt setzten alle Seiten in der Vorkriegszeit mehr auf Masse, denn auf Klasse. Dies ist ein grundlegendes Paradigma für alle weiter führenden Überlegungen – und ein Handicap für jede Professionalität.

Einige von Bdain erwähnte Episoden unterstreichen doch, dass nicht nur im deutschen Heer republikanisch/konstitutionelle Strömungen potentiell für manche Regierung gefährlich werden konnten. Es ist für uns Heutige die „institutionelle Gewaltenteilung“ so sehr selbstverständlich, dass die Armee als innenpolitischer Faktor unterschätzt wird. Dass dies nicht der Fall sein sollte sieht man an aktuellen Beispielen, nicht nur in Ägypten… Die Militarisierung der Gesellschaft brachte das alte System des innenpolitischen Machterhalts und Gleichgewichts in ein zumindest gefühltes Ungleichgewicht. Es war nun nicht mehr so, dass eine gesellschaftliche Elite durch überschaubare Maßnahmen und Mittel im Zweifel auch gegen die Interessen der eigenen Bevölkerung handeln konnte. Man kann dieser Militarisierung der Gesellschaften Europas nicht absprechen, auch einen egalisierenden Einfluss über die gesellschaftlichen Schichten hinweg gehabt zu haben. Etwas, worauf sich sowohl der faschistische Mythos der „Volksgemeinschaft“, als auch der sozialistische „Bauern- & Soldatenräte“ (bei den frühen Bolschewiken) und der ursprüngliche Ansatz der deutschen Bundeswehr des „Bürgers in Uniform“ berufen. All diese „Ideologien“ zielen auf (wenigstens zweckgebundene) Überwindung sozialer Unterschiede eines Staates ab. Damit fassen wir auch wieder die Grundgedanken der (französischen) Revolution, die dann weiter zum damals neuen „Konzept des Nationalismus“ weitergesponnen werden können… Doch zurück:

Das Offizierskorps hatte schon immer die jeweilige Regierungsform eines Landes ebenso loyal gegenüber zu sein, wie den außenpolitischen Interessen ihres Landes. Das dazu auch soziale Prozesse und Verwerfungen in die Armeen hineinspielen ist nur zu verständlich, ebenso daraus resultierende Kompromisse in den Streitkräften.
Das hatte auch direkte Rückwirkungen auf die Taktik: Die Linienformationen des Absolutismus waren nicht allein zur Steigerung der Feuerkraft geeignet, sie ermöglichten es auch den Offizieren ihre Truppe direkt zu kontrollieren. Desertation wurde damit erschwert. Aus dem gleichen Grunde wollten auch die Vorkriegsoffiziere des 1.WK gerne ihre Truppe gerne wieder so führen, das sie jede Abweichung leicht erkennen und einschreiten konnten. Das war in Kolonne leichter als in Schützenketten! Gerade die Änderungen dieser Taktik trugen doch letztlich dazu bei, dass sich das Unteroffizierskorps in seiner Bedeutung wandeln sollte: Nicht länger Gehilfen und Ausführende ihrer Offiziere, wurde nun bald von ihnen eigenständige, auch taktische Entscheidungen eingefordert. Gerade die Ausprägung des Unteroffizierskorps in der Wehrmacht des 2.WK gilt doch als eine Ursache für ihre taktische Flexibilität. Aber wenn es in der kaiserliche Armee schon „Ängste“ gab, die Truppe sei nicht mehr gut (politisch) in der Hand zu haben, wenn nicht länger genügend adelige Offiziere zur Verfügung ständen… Wie viel „adeligen Kontrollverlust“ hätte es dann bedeutet, das nichtadelige Unteroffizierskorps entsprechend einbinden zu wollen? Man sollte diese Betrachtungsweise auch nicht nur auf Monarchien beschränken: Auch in den Republiken fürchteten die Machthaber die Einflüsse innenpolitischer Gegner in der Armee und damit Machtverlust. Das ist allen Eliten zu allen Zeiten gleich geblieben. Wo deutsche Fürsten also „Revolution“ wittern mochten, steckte in Frankreich die Erfahrung mit der „Pariser Kommune“ in den Knochen.
Pariser Kommune ? Wikipedia
Ich möchte also feststellen, dass die mangelhafte Anpassung des Militärs an die neuen taktischen & technischen Herausforderungen der Zeit auch an soziale- und machtpolitische Fragen gekoppelt sind & waren.
Dann die bereits schon genannten finanziellen Einflüsse, wo immer das letzte Wort bei der Entscheidung zur Einführung von neuen Waffensystemen fällt. Es reicht ja auch nicht neue Doktrinen und Waffen „einzuführen“, es braucht ja auch Zeit diese Veränderungen praktisch durchzuführen: In Ausbildung und Fortbildung der Offiziere und Mannschaften in ausreichender Tiefe um die Einheitlichkeit der Truppen garantieren zu können. Nichts ist schlimmer als wenn innerhalb einer Armee unterschiedliche Sprache gesprochen wird, wenn es um Befehle geht – Diese Nivellierung braucht seine Zeit. Nur in Kriegszeiten komprimiert die schnelle „Auslese“ bei ausreichender Dauer solche Prozesse. Auch braucht man sich dann nur noch wenige Gedanken über innenpolitische Loyalitäten zu machen, solange es nicht zu katastrophalen militärisch/politischen Schlappen kommt. Die Kriegszeit, in denen die preußische Armee des 19.Jht. seine Erfolge durch technische und taktische Wandlungsfähigkeit erfolgreich bestand, ist auch eine Erklärung für diesen forcierten Prozess. Vereinfacht gesagt gewannen die Preußen ihre ersten Kriege [nicht nur]durch ihre moderne Infanteriebewaffnung etwa gegen Dänen und Österreich. Gegen Frankreich stach diese Karte nicht aufgrund der hervorragenden Ausbildung und überlegenen Bewaffnung der Franzosen: Hier bot die gerade reformierte und überlegene Artillerie den entscheidenden Rückhalt. Dabei hatte die preußische Artillerie 1866 gegen die Österreicher nicht immer gut ausgesehen… Im Verlaufe des Frankreichkrieges bekam die Führung seine Truppen so gut in den Griff, beflügelt durch gemeinsame Erfolge, dass man sich auch traute in erheblichem Umfang auf Schützenkettentaktik zurückzugreifen: Also eine Folge der Erfahrung der Truppe, des Vertrauens der Führung in diese (auch vor dem Hintergrund der überlegenen französischen Infanteriebewaffnung)!

Ich denke die stärksten Beharrungskräfte innerhalb einer Armee sind politische Rücksichten auf Loyalitäten und Finanzen, sowie Selbstgefälligkeit: Die preußische Armee hatte sich nach dem Schock der Revolutionen im 19.Jht. allen Anforderungen als gewachsen gezeigt. Danach handelte man teils nach dem Motto: „Never change a running system“, war zu oft Getriebener von Neuerungen als dessen Vorreiter. Frankreich musste sein Militär nach der Niederlage 1871 überdenken, der ständige Gedanke an Rache motivierte diese Nation immer am Puls der Zeit zu bleiben – Ebenso die Reichswehr nach dem verlorenen 1.WK. Hatte sich nicht Preußen auch zu lange nach den Befreiungskriegen auf dem vergangenen Ruhm ausgeruht? Mit fatalen Folgen nicht nur innenpolitisch in Form der Landwehr während der Revolution 1848/49, sondern auch in den Mängeln während ihrer Einsätze in Deutschland infolge der Revolution (Baden, etc.). Man sollte auch nicht vergessen, dass sich der spätere Kaiser Wilhelm I. in jener Zeit seine militärischen Sporen „verdiente“, als er preußische Interventionstruppen gegen revolutionäre Truppen anführte. Er erhielt den Spitznamen „Kartätschenprinz“. Die Aufstellung der Massenheere an sich war bereits eine große organisatorische Leistung der modernen Nationen.
Wir wollen ihn nicht haben den Herrn Kartätschenprinz - Volksliederarchiv
@Bdaian: Mit all diesen Aussagen will ich deine Ausführungen nur ergänzen und z.T. vertiefen. Ganz sicher traten alle Armeen 1914 mit unzulänglichen taktischen Konzepten in einen Krieg ein, der in seiner Art alle Vorstellungen darüber sprengen sollte. Es fehlte nicht an entsprechend weitsichtigen Köpfen*, doch „Gründe“, wie die von mir angesprochenen verhinderten entweder dass sie überhaupt zur Kenntnis genommen wurden, oder verwässerten ihre Umsetzung bis zur Unkenntlichkeit. Auch die leitenden Offiziere und Politiker waren zu sehr Kinder ihrer Zeit um alleine „Profis & Visionäre“ sein zu können. Ich denke gerade König/Kaiser Wilhelm I. ist hierfür ein sehr gutes Beispiel mit seiner Biographie.
* Ich verweise auf die ersten Kapitel zu „Vom Einzelschuss zur Feuerwalze…“
 
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