Konstantinopel-Istanbul

Die erste Volkszählung soll 1927 sein. Gibt es überhaupt glaubhafte Daten für frühere Zeiten?
Der durchweg vertrauenswürdige Meyer [1] gibt als "neueste Schätzung" an: 1.125.000 Einwohner - ohne asiatische Vororte 940.000 - in 162.950 Häusern, "davon 43 % Mohammedaner, meist Türken, je 17 % Griechen und Armenier, 5 % Juden und 16 % fremde Untertanen, davon mehr als ein Drittel Griechen aus dem Königreich".
Das ist offenbar eine Aufteilung nach Religionen, denn es folgt: "Die Bevölkerung Stambuls besteht überwiegend aus Türken, doch gibt es auch hier armenische und griechische Quartiere. [...] Die glänzende Aristokratie, die ehemals im [Quartier] Fanar ihren Sitz hatte, siedelte nach dem griechischen Aufstand meist nach Griechenland über."

[1] 6. Aufl., Bd. 11 (1907), S. 424
 
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Es verhielt sich mit den Geschichtsschreibern und Autoren wohl auch nicht anders. Die, die sich in die Sprache und somit auch die Kultur der Osmanen eingelebt und somit eigentlich die osmanische Realität "akzeptiert" hatten, bezeichneten die Stadt mit dem gebräuchlichen osmanischen/türkischen Namen Istanbul. Die, die es aus dem Westen betrachteten, die Sprache und Kultur nicht kannten, immer noch in der Rückeroberungshoffnung lebten, das osmanisch-moslemische in Kleinasien und Osteuropa immer noch als Fremdkörper sahen, in der Hoffnung auf eine Wiederbelebung von Byzanz waren, nannten sie "Konstantinopel".
Das verstehe ich nicht wirklich. Meines Wissens sprach man im Allgemeinen im Westen von Konstantinopel und das taten auch die verbündeten oder befreundeten Staaten.
Als eine Geistesgröße mit sicherlich sehr neutraler und unverdächtiger, weil so toleranter Sichtweise, würde ich mal Voltaire anführen, der das Ende seines berühmten Romans "Candide" auch im Osmanischen Reich spielen lässt. So heißt es dort:
"Pangloss, qui était aussi curieux que raisonneur, lui demanda comment se nommait le muphti qu'on venait d'étrangler. « Je n'en sais rien, répondit le bonhomme, et je n'ai jamais su le nom d'aucun muphti ni d'aucun vizir. J'ignore absolument l'aventure dont vous me parlez ; je présume qu'en général ceux qui se mêlent des affaires publiques périssent quelquefois misérablement, et qu'ils le méritent ; mais je ne m'informe jamais de ce qu'on fait à Constantinople ; je me contente d'y envoyer vendre les fruits du jardin que je cultive. » "
*

* Voltaire: "Candide ou l'optimisme" (anonym erschienen) 1759.
 
Der durchweg vertrauenswürdige Meyer [1] gibt als "neueste Schätzung" an:

Die Vorkriegs-Bevölkerung ist mit entsprechenden Quellenhinweisen auch hier zu finden:
Demographics of the Ottoman Empire - Wikipedia, the free encyclopedia

Zu den Zahlen um 1905/06 kommen durch die Balkankriege 1913 übrigens in Greater Istanbul weitere rd. 200.000 osmanische Flüchtliche (McCarthy). Die Zahlen aus dem Meyer stammen hiernach aus dem Census 1885 bzw. 1881/1893.
 
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...die, die [...] das osmanisch-moslemische in Kleinasien und Osteuropa immer noch als Fremdkörper sahen, in der Hoffnung auf eine Wiederbelebung von Byzanz waren, nannten sie "Konstantinopel".
Soweit ich erkennen kann, verlief die mit #72 einsetzende Wiederbelegung des Threads ganz "normal", bis Lynxxx am Ende von #79 auf eine mögliche "editionspolitische Grundierung" der Namensfrage bei Wikipedia hinwies - und jetzt sind wir bei einer Verschwörungstheorie angelangt, die sich auf fünfeinhalb Jahrhunderte erstreckt... Ich meine, dass diese Diskussion nicht weiterführt. Es steht Dir natürlich frei, insoweit weitere Beweisversuche zu unternehmen, wenn Dir die Zeit dafür nicht zu schade ist.

Aber die politischen Ereignisse um 1920...
... sind, sowohl für die griechisch-christliche wie die türkisch-muslimische Seite - wenn man das so gegenüberstellen darf - traumatisch gewesen, insbesondere durch die damit verbundenen ethnischen Säuberungen.

... aber ich möchte das Kind beim Namen nennen...
Ich auch, und zwar mit einer Spekulation: Besagtes Trauma führt - in Verbindung mit gewissen neueren Faktoren - dazu, dass in vielen einschlägigen Diskussionen Feindbilder gepflegt, pauschale Behauptungen aufgestellt und ein hohes Maß an Emotionen hineingewebt werden. (Der hiesigen Moderation ist zu danken, dass siebei Auswüchsen eingegriffen hat.)

Ein- oder zweimal habe ich mich schon bei dem Gedanken ertappt, es könnte nützlich sein, bestimmte Themen zu "tabuisieren" - das wäre aber ungerecht gegenüber lynxxx und anderen, die sich alle Mühe geben, wissenschaftlich zu argumentieren. Wenn Du das auch tun willst - umso besser!
 
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Die Zahlen aus dem Meyer stammen hiernach aus dem Census 1885 bzw. 1881/1893.
Die 1.150.000 sind, wie abgeschrieben, eine Schätzung; die Zahl für 1885 wird mit 873.565 angegeben, was Deiner Quelle entspricht.

Was die Prozentzahlen betrifft, hast Du völlig recht; die genauen Werte stehen in Deiner Quelle auf Seite 38: "The 1885 census of Ottoman subjects in the capital shows the following ethnic distribution: Muslim, 44.06 percent [...]" (Hervorh. js.)
 
Die 1.150.000 sind, wie abgeschrieben, eine Schätzung; die Zahl für 1885 wird mit 873.565 angegeben, was Deiner Quelle entspricht.

Ja, mit der Übereinstimmung meinte ich auch die Prozentzahlen.

Wenn die Schätzung für 1909 und für Groß-Istanbul plausibel wäre, ist diese Zahl noch um die rd. 200.000 Flüchtlinge vom Balkan zu erhöhen, die hier ansiedelten und die man vermutlich fast ausschließlich dem islamischen Teil zuschlagen muss.

Das Staatslexikon 1930 gibt für die Stadt wieder 700.000 Einwohner an, davon noch 90.000 Griechen und 44.500 Armenier.
 
Also, ich habe einen "Schulatlas für höhere Lehranstalten" von DIERCKE 1930: Türkisches Reich - Konstantinopel ( Stambul ).
Und einen "Taschen-Atlas der Erde" von BROCKHAUS 1941: Türkei - Istanbul (Konstantinopel)
MfG Andrej
 
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