Krieg, Medien, Legitimation und öffentliche Meinung

thanepower

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Als Vorbereitung von Kriegen, während der Kriege und nach Beendigung von Kriegen ergibt sich ein harter Kampf um die öffentliche Meinung. Zum einen, um den Krieg zu rechtfertigen und zum anderen um ihn zu kritisieren.

Die Härte des Konflikts erklärt sich u.a. auch dadurch, dass mit dem Ereignis eines Krieges das Schicksal von Dynastien, Staaten, Parteien und Politikern zusammen hängen. Und nicht selten geht es natürlich um Macht, Einfluss und sozialen Auf- bzw. Abstieg.

Vor diesem Hintergrund ist die Aussage, dass das erste Opfer eines Krieges die Wahrheit sei, wohl zutreffend.

Es gibt dabei wohl kaum ein Krieg in den letzten hundert Jahren bei dem Großmächte beteiligt waren, bei dem nicht intensiv versucht wurde, den jeweilige Gegner massiv ins Unrecht zu setzen und ihn moralisch zu dikreditieren.

Die Prinzipien der Kriegspropaganda – Wikipedia

Am gravierendsten ist wohl die Zunahme der Bedeutung der Kontrolle des medialen Narrativs nach dem WW2. Und betrifft exemplarisch die Veränderung der Rolle von Massenmedien seit dem Vietnam Krieg.

Im Prinzip kann man in Anlehnung an Balabanova (vgl. auch Pena) konstatieren, dass die Rolle der Medien in zweifacher Hinsicht wirksam ist, als "manufatured consent" oder als "CNN-Effekt".

Zum einen ist es die These zum "Manufaturing Consent", die Chomsky und Herman in Anlehnung an Lipmann formulieren. Aus dieser Sicht versucht die politische Administration die öffentliche Meinung durch die Massenmedien bzw. eine manipulative Berichterstattung zu beeinflussen.

Demgegenüber wird von den Vertretern der "CNN-These" geltend gemacht, dass die Politik sich stark durch die mediale Berichtertattung beeinflussen läßt. Und die Politikformulierung entweder durch eine Verstärkung oder durch eine Abschwächung beeinflusst wird. Diese gängige These wird u.a. von Precht und Welzer aufgegriffen.

Man kann wohl beide Prozesse erkennen, da die Bedeutung von "embedded missions" im Rahmen von Kriegsberichterstattung deutlich zugenommen hat und somit ein zentrales Instrument zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung aus der Sicht der Regierung stärker kontrolliert wird.

Aber gleichzeitig hat die CNN-These deutlich an Gewicht gewonnen, da Politik in westlichen Demokratien in einem deutlich höheren Maße direkt in den Massenmedien verhandelt wird und sie als Informationsquelle noch immer einen sehr hohen Stellenwert haben (vgl. Mermin)


Balabanova, Ekaterina (2018): Media, wars and politics. Comparing the incomparable in Western and Eastern Europe. London, New York: Routledge.
Becker, Jörg (2016): Medien im Krieg -- Krieg in den Medien.: Springer Science and Business Media.
Butter, Michael (2018): "Nichts ist, wie es scheint". Über Verschwörungstheorien. Berlin: Suhrkamp.
Büttner, Christian; Gottberg, Joachim von; Metze-Mangold, Verena (Hg.) (2004): Der Krieg in den Medien. Frankfurt am Main, New York: Campus (Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Sonderband).
Chomsky, Noam; Herman, Edward S.(1994): Manufacturing consent. The political economy of the mass media. London: Vintage Books.
Gilly, Pierre (2020): The Art of Selling War. Propaganda from Cato to Nato. Stockholm: I.A. Bergman.
Hanitzsch, Thomas (Hg.) (2004): Krieg als Medienereignis II. Krisenkommuniktion im 21. Jahrhundert. Wiesbaden: VS, Verlag für Sozialwissenschaft
Krüger, Uwe (2016): Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen. München: C.H. Beck
Lipmann, Walter (2018): Public opinion. How people decide ; the role of news, propaganda and manufactured consent in modern democracy and political elections. Adansonia publishing.
Löffelholz, Martin (1993): Krieg als Medienereignis. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Mermin, Jonathan (1999): Debating war and peace. Media coverage of U.S. intervention in the post-Vietnam era. Princeton: Princeton University Press.
Morelli, Anne (2014): Die Prinzipien der Kriegspropaganda. 2. Aufl. Springe: Zu Klampen.
Noelle-Neumann, Elisabeth (1982): Die Schweigespirale. Öffentliche Meinung - unsere soziale Haut. Frankfurt am Main: Ullstein
Pena, Monica (2003): News media and the foreign policy decision-making process, CNN or Washington? Razon y Palabra (32).
Precht, Richard David; Welzer, Harald (2022): Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist. Frankfurt am Main: S. Fischer.
Wehling, Elisabeth (2016): Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet - und daraus Politik macht. Köln: Herbert von Halem Verlag
 
Zur Rolle des Diskurses und seiner Veränderung im Krieg. In Zeiten von Krisen und von Krieg ist es vor allem die sprachliche Kommunikation, die Vermittlung und Identifikation mit politischer Symbolik, die Identitätsstiftend wirkt.

Und dieser Zusammenhang hat eine lange historische Tradition.

Sailer-Wlasits, Paul (2022): Lüge, Hass, Krieg. Traktat zur Diskursgeschichte eines Paktes. Würzburg: Königshausen et Neumann.
 
Welche Intention verfolgt dieser Strang?
Ich denke, die Intention des Fadens ist: Die Rolle der Medien in Kriegen zu beleuchten. Wer meint, wir im Westen hätten die Wahrheit gepachtet und nur die anderen lügen, der irrt.

Beim Lügen gibt es natürlich Abstufungen: Während die Medien in den diktatorisch geführten Staaten offen lügen können und müssen, ist das Lügen in demokratischen Staaten etwas komplizierter – und trotzdem erkennbar.

Am deutlichsten war das im Irak-Krieg zu sehen, als die sog. "embedded" Journalisten gar nicht anders konnten als die Sicht der Einheit einzunehmen, mit der sie unterwegs waren.

Wie sehr die US-Armee diese Berichterstattung kontrollierte, wurde bekannt, als Wikileaks 3 Jahre nach den Ereignissen Videos veröffentlichte, die geheim gehalten wurden; von der Armee wurde der Angriff eines Hubschraubers auf Zivilisten als Selbstverteidigung deklariert und 3 Jahre lang jeder Versuch an die Videos zu kommen, blockiert. Erst Wikileaks brachte die Wahrheit an den Tag – Zitat aus dem Spiegel vom 06.04.2010:

Die Bilder, deren Authentizität inzwischen von offizieller Stelle in Washington bestätigt wurden, scheinen hochrangige US-Militärs der Lüge überführt zu haben.
 
Wie sehr die US-Armee diese Berichterstattung kontrollierte, wurde bekannt, als Wikileaks 3 Jahre nach den Ereignissen Videos veröffentlichte, die geheim gehalten wurden; von der Armee wurde der Angriff eines Hubschraubers auf Zivilisten als Selbstverteidigung deklariert und 3 Jahre lang jeder Versuch an die Videos zu kommen, blockiert. Erst Wikileaks brachte die Wahrheit an den Tag – Zitat aus dem Spiegel vom 06.04.2010:
Hier zeigte sich zugleich die Macht und Ohnmacht der Sicherheitsbehörden und der Massenmedien.

Bei den Luftangriffen in Bagdad am 12. Juli 2007 wurden unter anderem Kriegsberichterstatter der Nachrichtenagentur Reuters von US-Militärs umgebracht.
Die Medien waren anscheinend völlig machtlos und konnten nicht mal die Ermordung der eigenen Mitarbeiter aufklären.

Manning, eine einzelne Soldat*in mit Mannschaftsdienstgrad, konnte große Datenmengen über die nichtkommerziellen Enthüllungsplattform Wikileaks weltweit veröffentlichen - so auch das Video der Bordkamera eines Hubschrauber, das den Angriff vom 12. Juli 2007 zeigt .
Der Australier Julian Assange betrieb Wikileaks tatsächlich hobbymäßig.

Einmal im Internet waren die Informationen nicht mehr aus der Welt zu schaffen und wurde in den Massenmedien rezipiert, ebenso wie das juristischen Vorgehen des amerikanischen Staats gegen Manning und jene Geheimdienstintrige gegen Julian Assange. Jedenfalls handelten Manning und Assange völlig uneigennützig und wurden für ihre Taten "bestraft", während die mordenden Soldaten ungestraft blieben. Das von Manning und Assange zu Tage gebrachte geheime Filmmaterial flimmerte ungehindert durch die kommerzielle Massenmedien.
 
Zuletzt bearbeitet:
Folgt man Martin Löffelholz, ist die These vom CNN-Effekt nicht haltbar.

"Der CNN-Effekt unterstellt eine starke kausale Wirkung der globalen Echtzeitberichterstattung auf sicherheitspolitische Prozesse. Diese These eines unilinearen Zusammenhangs von Kriegsberichterstattung und Sicherheitspolitik ist jedoch 'angesichts widersprüchlicher empirischer Ergebnisse nicht haltbar bzw. tritt der unterstellte Wirkungsmechanismus nur unter bestimmten Bedingungen ein'."

Chomkys These vom "Manufacturing Consent" scheint nur auf private Medien anwendbar zu sein. In Deutschland und einigen anderen europäischen Staaten nimmt jedoch das öffentlich-rechtliche Fernsehen eine dominante Rolle im Nachrichten-Sektor ein.
 
@Maglor. Das Zitat von Löffelholz beleuchtet die komplizierte Problematik vom Medienwirkungen. Und er resümiert als Forschungsstand - völlig zu Recht - das nicht einheitliche empirische Ergebnisse vorliegen.

Das Problem ist dabei u.a., dass ein Untersuchungsdesign, dass den Anspruch hätte, mediale Wirkungen ausgehend vom Sender (Medien) über Rezipienten (Publikum) bzw. den "Opinion Leader" hin zu einer Rückwirkung auf die politischen Akteure und der Beeinflussung ihrer politischen Agenda, sehr komplex ist.

Im Prinzip müßte dieses Design inhaltsanalytische repräsentative Studien von Medien, also dem Agendasetting bzw. dem Framing, als Ausgangspunkt nutzen. Im zweiten Schritt wäre auf der Rezipienten- bzw. der Opinion-Leaderseite zu untersuchen, welche Erwartungen die Rezipienten an die Medienbotschaften (Uses and Gratification) haben und bereit sind ihre Einstellung zu verändern. Auch im Rahmen von Prozessen, die Noelle via "Schweigespirale" beschrieben hat.

Im nächsten Schritt wäre zu untersuchen, welche Rückkopplung dieser Shift in der veröffentlichten Meinung und der Meinung via Umfragen auf die Diskussion der politischen Eliten hat.

Dass diese politischen Eliten dabei einer eigenständigen innenpolitischen Agenda folgen und zusätzlich durch - teilweise - massiven außenpolitischen Druck via "Bündnissen" unterliegen, sei zusätzlich angemerkt.

Sofern man am Ende im Rahmen einer Policy- Output- Analyse dann feststellen kann, dass die Handlungen der Regierung die ursprünglichen Ideen und Forderungen der Medien, sprich des Senders, aufgreifen, könnte man von einem empirischen Beleg für die These des CNN-Effekts sprechen.

Diese Problematik sehr aufwendiger und praktisch eigentlich nicht in einem empirischen Forschungsprojekt handhabbaren Probleme waren in der Vergangenheit und werden in der Zukunft ein zentrales Hindernis sein, noch fundierter Forschungsergebnisse vorzulegen. In diesem Sinne ist es nicht verwunderlich, dass situative Einflüsse immer wieder dazu führen, dass der CNN-Effekt wirksam sein kann oder in anderen Fällen der Versuch von Medien, die öffentliche Meinung und auch die Politik zu beeinflussen, scheitert.

Zudem sei angemerkt, dass die ursprüngliche Vorstellung, dass wie auf der einen Seite ein Regierungshandeln haben und den Versuch politische Legitimation via Konsens zu erzeugen und auf der anderen Seite "kritische Medien". die sich als "investigative" kritische Begleiter von Regierungshandeln verstehen, teilweise nicht mehr zutrifft.

Diese Konfliktlinien sind in der Praxis deutlich komplizierter, da weder das Regierungshandeln noch die Medien unisono mit einer Stimme sprechen. Und es teilweise Interessenübereinstimmungen gibt und die Medien im Sinne eines CNN-Effekt im Sinne der Regierung eine bestimmte Politik unterstützen.

Also im Gegensatz zu früher, der CNN-Effekt nicht als kritischer Impuls wie im Vietnam-Krieg oder im Watergate-Skandal wirkt, sondern als posiver Effekt wirken kann.

Welche Intention verfolgt dieser Strang?

Vielen Dank für diese "hilfreichen Stichworte", die der nächste User mit einer "charmanten Offenheit" hinsichtlich ihrer Bedeutung beantwortet.

Ohne das Buch gelesen zu haben, scheint mir der medial manipulative Richard David Precht keine gute Referenz. Es sei denn als Fallbeispiel.

Es ist natürlich konstruktiv und extrem zielführend, eine Meinung zu haben, ohne den Gegenstand, den man glaubt beurteilen zu müssen, zu kennen. [Sowas zu schreiben muss natürlich jeder für sich selber entscheiden]. Abgesehen davon, dass korrektes Zitieren bereits zum kleinen ABC einer halbwegs seriösen Diskussion zählt, sollte es selbstverständlich für eine ernsthafte Meingungsbildung sein, dass man nicht seine eigenen Vorurteile stolz präsentiert und damit deutlich Inkompetenz signalisiert, sondern sich die Mühe macht, eine inhaltliche Kritik zu formulieren.

Die "Vierte Gewalt" wurde von zwei Autoren geschrieben, dabei ist der eine, also Welzer, ein seriöser empirisch orientierter Wissenshaftler, der im Forum in anderen Kontexten häufig zitiert wurde (Neitzel & Welzer: Soldaten).

Und natürllich kann man die Arbeit von Precht und Welzer kritisieren, u.a. aufgrund nicht vorhandener repräsentativer empirischer Studien, aber bereits die Formulierung von entsprechenden "Arbeitshypothesne" ist ein zentraler Baustein einer "guten empirischen Studie". Und ihre Thesen sind wichtig für das Verständnis des Zusammenspiels von Politik und Medien.

Nicht zuletzt, weil u.a. Krüger Vorarbeiten geleistet hat, die durch Precht und Welzer revitalisiert wurden. Und es ist für jede Demokratie von fundamentaler Bedeutung, sich über die Mechanismen der "Öffentlichkeit", wie bei Habermas beschrieben, und der Bildeung der "öffentlichen Meinung" im Klaren zu sein. Und das hat auch sehr viel mit historischen Entwicklungen zu tun und weil man aus manchen Entwicklungen aus der Historie lernen kann wie beispielsweise aus der Entwicklung der Presselandschaft in der Weimarer Republik und der Rolle von Hugenberg u.a..

Krüger, Uwe (2016): Mainstream. Warum wir den Medien nicht mehr trauen. München: C.H. Beck
Precht, Richard David; Welzer, Harald (2022): Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist. Frankfurt am Main: S. Fischer.
 

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Auf die Kommentare zu meinen Beitrag will ich nicht eingehen, hinsichtlich Kompetenz.
Richard David Precht ist nicht Analytiker und Wissenschaftler, er ist Publizist. Und in großem Umfang Aktor auf der Bühne der gesellschaftlichen und publizistischen Auseinandersetzung über den Krieg in der Ukraine.
Er vertritt eine eigene Agenda, die deckungsgleich mit der Agenda des russischen Aggressors ist.

Damit ist er nicht Beobachter sondern Exemplarbeispiel der medialen Agitation. Worin ist da ein Vorurteil ihn als wissenschaftlichen Autor abzulehnen?
Abgesehen davon, dass er mit seinen sachlichen Fehlurteilen diskreditiert ist.
 
1. Es geht nicht um die Bewertung des Krieges in der Ukraine in diesem Thread.

2. Es gibt "Publizisten", die als Professoren über Medien ihre Vorträge halten. Manche Publizisten waren sogar an der Formulierung des GG beteiligt und wurden hinterher noch auf Lehrstühle für Publizistik berufen. Publizisten sind berufen, qua Profession, sich Gedanken über "Öffentlichkeit" und die Rolle der Medien zu machen.

Und das haben sie ausfürhlich getan im Rahmen der Diskussion zur Rolle des "Qualitätsjournalismus" in Zeiten geringerer Budgets für redaktionelle Inhalte. Also die Reduzierung der Meinungsvielfalt durch monopolartige Strukkturen bei der Bündelung von Informationen etc.

3. Precht ist sicherlich eine Persone, die überproportional in den Talkshows der Republik zu hören und zu sehen ist. Insofern ist es richtig, dass er ein Teil der "medialen Agitation" ist. Er gehört dabei allerdings zu einer Minderheitenposition. Aus dieser Position wurde zusammen mit Welzer eine Kritik formuliert, die den Auftrag zur umfassenden pluralistischen Berichterstattung thematisiert.

Dieses vor dem Hintergrund einer ausgesprochen problematischen Berichterstattung im "Mainstream" zu den Ereignissen 2015 auf der Krim, die durch entsprechende mediale Standesorganisationen gerügt wurde. Und durchaus rechtfertigt, die Performance der Medien kritisch zu beleuchten.

Dazu müßte man natürlich die entsprechenden Publikationen lesen, um die Fallbeispiele präsentiert zu erhalten.

4. Und es ist eine frühere Redakteurin der NZZ, die ebenfalls - zumindest eine Zeitlang - einen Part bei der medialen Agitation gespielt hatte. Bis zu dem Zeitpunkt als sie äußerte, dass sie den Eindruck hätte, dass nicht mehr alle Positionen und Sichten mit der gleichen journalistischen Selbstverständlichkeit geäußert werden können.

5. Wenn man zugibt, dass man ein Buch nicht gelesen hat und dennoch ein Urteil über die beiden !!!! Autoren fällt, dann ist das ein Vorurteil.

6. Es ist insgesamt auffalllend, dass keine Referenzierung auf gar nichts erfolgt. Kann man machen und ist eine politische Meinung!

Er vertritt eine eigene Agenda, die deckungsgleich mit der Agenda des russischen Aggressors ist.
6. An diesem Punkt wird es zunehmend fragwürdig. Dennoch eine Antwort, obwohl es nicht mehr um das Thema CNN-Effekt geht. Obige Aussage ist eine Tatsachenbehauptung, die sagt, dass Precht ein "geistiger Mittäter" ist, da er die eine deckungsgleich Agenda verfolgen würde wie Putin.

Das ist m.E. gemessen an dem, was ich bisher von Precht oder Welzer gehört habe, eine unwahre Behauptung. Und es wäre interessant zu erfahren, auf welche Literatur sich die Behauptung stützt, dass diese Positionen angeblich "deckungsgleich" sind.

7. Abschließend wird erneut deutlich, dass dieser Krieg den Diskurs massiv verändert hat. Die Feindbilder unter Demokraten und die neuen ideologischen Gräben werden tiefer. Ob das eine gute Entwicklung ist, sei dahingestellt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der russische Überfall auf die Ukraine ist ein unbestreitbarer Zivilisationsbruch. Seit 1945 haben nur eine Handvoll Staaten überhaupt versucht, sich widerrechtlich andere Länder einzuverleiben; aber Russland ist die erste Großmacht und erste atomar bewaffnete Nation, die einen Eroberungskrieg in Annexionsabsicht begonnen hat – der zudem nach eigener Aussage der russischen Führung als Vernichtungskrieg gegen die Ukraine als eigenständige kulturelle, sprachliche und politische Entität angelegt ist.

Man könnte fragen, was angesichts dieser Ausgangslage jene erhoffen, die einen Diskurs anmahnen, als herrschte noch sonderlich Diskussionsbedarf. Wir haben ein blutendes Opfer auf der Straße, den mit Blut an den Händen gestellten Täter, und dessen schriftliches Geständnis. Fall erledigt, Akte geschlossen.

Doch dass es keinen Diskurs gäbe; dass bestimmte Meinungen zu diesem Krieg unsagbar geworden wären; ist nicht richtig. Im Gegenteil zeigt sich auch in diesem Krieg das Phänomen der Ausgewogenheitsverzerrung. Gerade der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland (aber nicht nur dieser) ist derart bemüht, auch vom sogenannten Mainstream abweichenden Meinungen Raum zu bieten, dass Personen wie Sarah Wagenknecht, Erich Vad, Johannes Varwick oder eben Richard Precht exponierter auftreten können als andere Personen.

Ihre Omnipräsenz – ungeachtet der Vielzahl ihrer sich nicht bewahrheitet habenden Prognosen – geht so weit, dass überhaupt kein Erkenntnisgewinn mehr möglich ist, weil begrenzte Sendezeit mit dem Wiederkäuen der immer gleichen Standpunkte blockiert ist. Doch nicht erst dadurch erscheint mir die in diesem Strang behauptete Notwendigkeit, den geneigten Leser daran zu erinnern, dass auch westliche Medien und Regierungen bisweilen Unwahrheiten verbreiten, wie ein Strohmannargument.

Die Langzeitstudie 'Medienvertrauen' des Instituts für Publizistik der Universität Mainz gibt für die letzten fünf Jahre Umfragewerte zwischen 50 und 56% an, was das Vertrauen der Deutschen in die Medien anlangt; damit liegt die schreibende Zunft sogar noch vor der Politik, wie man etwa regelmäßig dem 'Deutschlandtrend' entnehmen kann. In anderen Ländern, etwa den USA, sieht es noch düsterer aus. Es ergibt also keinen Sinn, zu suggerieren, dass angeblich fabrizierte Meinungen allzu unkritisch übernommen würden. Und gerade mit einer Kritik am Irakkrieg der USA rennt man in den meisten europäischen Staaten ohnehin offene Türen ein.
 
es fallen mir zwei Beispiele ein.

Krimkrieg
1853 sucht Russland wieder einmal sein Gebiet auf Kosten des Osmanischen Reiches zu erweitern.
Dies nun am westlichen Schwarzmeerufer im europäischen Teil des OR.
Russland marschiert hier ein, stößt bei den Besetzten auf weit weniger Begeisterung als vom Nikolaus I angenommen, indes auf starke osmanische Gegenwehr.
Zu dieser Zeit ist in Britannien gerade eine Tagespresse entstanden, ermöglicht durch das weit fortgeschrittene Eisenbahnnetz, denn es wird Papier transportiert.
Diese Tagespresse ist ein neuer Resonanzraum der Einflussreichen in dem sich Stimmungen verstärken.
Als Britannien Ende März 1854 Russland den Krieg erklärt, ist letzteres eigentlich schon geschlagen und seine von Seuchen dezimierte Armee schleppt sich zurück.

Doch Palmerston weiß das neue Medium zu reiten.
Und nun wird Krimkrieg wirklich grausam, gemein, und auch ganz nutzlos.
(Figes, Crimea)

Das andere Beispiel ist die Tagespresse in Russland, ab 1906 durch die Änderung der Zensurregeln entfesselt.
Diese Tagespresse hatte ihren Anteil an der Radikalisierung Russlands am Vorabend des Ersten Weltkriegs.
Und ebenso wie vorher Palmerston, konnte auch später Sazonov den sehr neuen Resonanzraum, in dem sich Vorstellungen mächtig und selektiv verstärken, nicht ignorieren ohne seinen Einfluss auf das Spiel zu setzen.

In beiden Fällen trägt die Entfesselung der "Meinungsfreiheit" zur Entwicklung einer kriegerischen Stimmung bei.

(Das war jetzt halb Smalltalk.)
 
7. Abschließend wird erneut deutlich, dass dieser Krieg den Diskurs massiv verändert hat. Die Feindbilder unter Demokraten und die neuen ideologischen Gräben werden tiefer. Ob das eine gute Entwicklung ist, sei dahingestellt.

Wenn du Diskurs im Sinne von Diskussion meinst, dann kann man konstatieren, das dieser sehr schnell unsachlich wird, wenn man nicht ein bestimmte Position bzw. Haltung zum Thema hat.
 
Krimkrieg
1853 sucht Russland wieder einmal sein Gebiet auf Kosten des Osmanischen Reiches zu erweitern.
Was soll das? Wie weit wollen wir in der Historie zurückgehen, um Staaten anzuklagen, die sich durch Kriege gewonnenen Gebiete einverleibt haben?

Ich könnte z.B. auf Mexikanisch-Amerikanische Krieg verweisen, der von 1846 bis 1848 stattfand, an derem Ende Mexiko knapp die Hälfte seines damaligen Staatsgebietes an die USA abtreten musste, womit diese sich nun von Ozean zu Ozean erstreckten.

Aber solche Beispiele bringen nichts, denn das waren andere Zeiten. Heute wird das von der Weltgemeinschaft nicht mehr toleriert.
 
Ich denke, die Intention des Fadens ist: Die Rolle der Medien in Kriegen zu beleuchten.
(1)
Wenn das der Gegenstand des Fadens ist, wäre als erstes zu schauen, welche Reichweite die Medien in verschiedenen Zeiten und Gesellschaften hatten und ob und wie sich das in Krisen/Kriegszeiten evtl änderte.
(2)
Wenn der Gegenstand zwar in diese Richtung geht, aber sozusagen rein abstrakt theoretischer Natur ist, geht er über vergleichende Materialienschau weit hinaus.
(3)
Wenn der Gegenstand ganz was anderes ist - ich bin da bzgl #1 im Zweifel, ob ich das verstehe - wird sich ggf weisen.

In allen drei Fällen ist aber ein zänkischer Diskussionsstil nicht zwingend nötig ;)

zu (1)
Je weiter man zeitlich zurück geht, umso auffälliger wird die "staatliche" Kontrolle von aktuellen Medien, also die Zensur. Daraus folgt, dass eine öffentliche Meinung oft als subversiv seitens der Behördenmacht gesehen wurde, was umgekehrt auf eine praesupponierte immense Einflussmöglichkeit der Medien z.B. im 19.Jh. schließen lässt. Und das nur allein bei Printmedien, es gab noch lange keine Filme, Videos, Internet etc.
 
Die Kriegsberichtserstattung ist während des Krimkrieges entstanden.
Als Pionier ihr gilt William Howard Russell. Seine Arbeit basiert auf der Anwendung damals noch völlig neuer Technologien wie elektrischer Telegrafie und der Fotografie. In den Jahrhunderten zuvor war eine derart schnelle und exakte Nachrichtenübermittlung von der einen Ecke Europas in die andere schlicht unm.öglich. Ohne Kriegsberichterstattung hätte die englische Presse auch nichts zum Abdrucken gehabt.
 
Ich frage mich, wo bei unserer Presse die Meinungsverschiedenheit, die gegenseitige politische Kritik, gemeinhin auch Pluralismus genannt, abgeblieben ist. Bei manchen Presseerzeugnis könnte
man gar den Eindruck gewinnen, dass es in gar nicht mehr um Informationen, sondern um politische Erziehung geht.
 
Ich frage mich, wo bei unserer Presse die Meinungsverschiedenheit, die gegenseitige politische Kritik, gemeinhin auch Pluralismus genannt, abgeblieben ist. Bei manchen Presseerzeugnis könnte man gar den Eindruck gewinnen, dass es in gar nicht mehr um Informationen, sondern um politische Erziehung geht.
In internationalen Krise kommt es regelmäßig zum "rally round the flag effect", auch bekannt als "Stunde der Exekutive".

"Der so genannte Rally-Effekt ("Rally round the flag") beschreibt eine auffällige, aber vergleichsweise kurzfristige Zunahme der öffentlichen Unterstützung für den Präsidenten, seine Politik, den Kongress und das Militär. Zu erklären ist der Effekt durch die monothematische, möglicherweise auf Instrumentalisierungsabsichten politischer Akteure zurückgehende regierungsfreundliche Aufbereitung kriegsbezogener Ereignisse in der Medienberichterstattung. Nicht alle Teile der Bevölkerung beteiligen sich dabei an der Rally: Parteiaffinität und Mediennutzungspräferenzen spielen eine wichtige Rolle."

aus Löffenholz: Kriegsberichterstattung in der Mediengesellschaft

Der Pluralismus ist dabei allerdings nicht aufgehoben.
Vertreter einer abweichenden Meinung wurden dann z.B. zu Beginn unseres Jahrhunderts als "Antiamerikanisten" bezeichnet. Heute wird meist von "Putin-Verstehern" gesprochen.
So kann leicht eine Schreispirale angetrieben werden, in der sich angebliche "Kriegstreiber" und angebliche "Verräter" verbal zerfleischen. Eine sachliche Diskussion ist dann nicht mehr möglich.

 
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