Kriegsgräuel des 1. Weltkriegs

Hat schon jemand die Kriegsverbrechen und Vergeltungsmaßnahmen erwähnt, die von der österreichischen Militärbürokratie 1915 in großem Umfang in Serbien und Galizien verübt wurden? Als die K.K-Armee 1915 schließlich Serbien besetzte und Galizien zurückeroberte, wurden zwischen 40-60.000 Zivilisten exekutiert, denen man Konspiration unterstellte. Allein bei der Armee von Erzherzog Friedrich wurden mehr als 11.000 Todesurteile vollstreckt, nach manchen Quellen laut Ernst Friedrich Krieg dem Kriege 34.000. Bilder von mit Exekutierten posierenden Soldaten gingen um die Welt und wurden von Karl Kraus in "Die letzten Tage der Menschheit" und Ernst Friedrichs Krieg dem Kriege thematisiert.

Ich sehe gerade, Jschmidt hat bereits Anton Holzers "Das Lächeln der Henker" Publikation erwähnt


Oh, sorry
 
Allein bei der Armee von Erzherzog Friedrich wurden mehr als 11.000 Todesurteile vollstreckt, nach manchen Quellen laut Ernst Friedrich Krieg dem Kriege 34.000.
Viele Zahlenangaben für den Osten und Südosten sind bekanntlich umstritten bzw. »bestenfalls Näherungswerte« [Manfried Rauchensteiner [1, S. 1094]. Der Autor gibt an [S. 277], es seien »im Lauf der Jahre im frontnahen Bereich Galiziens und der Bukowina an die 5.000 Todesurteile ausgesprochen worden ..., die meisten davon wegen ›verräterischer Umtriebe‹. Ein Teil der Urteile wurde wohl auch vollstreckt.«

In der Endnote hierzu (S. 1094 f.) heißt es: »Schon 1918 kursierten Zahlen von 11.400 Galgen, dann 30.000 Erhängten und Justifizierten. Thomas Masaryk ließ 1916 in seinem Exil [London] die Zahl von 80.000 Hingerichteten fallen. In dem Augenblick, wo mit den Toten Propaganda gemacht wurde, explodierten die Angaben. ... Dass es viele – viel zu viele – waren, die grundlos hingerichtet wurden, steht jedoch unzweifelhaft fest.«

Kramer [2] begnügt sich mit dem Hinweis, dass »Vorwürfe über Kriegsgreuel und -verbrechen gegen die Zilvilbevölkerung ... auch den österreichischen Behörden zur Lasten gelegt (wurden)« – ohne jede weitere Angabe.

[1] Der erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie. Wien 2013
[2] Alan Kramer: Kriegsrecht und Kriegsverbrechen, in: Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn, Studienausgabe 2014, S. 281 ff. (284)
 
Zwischenbemerkung zur Terminologie

»Kriegsgräuel« ist ein weiter Begriff [1], worunter sich unterschiedliche Sachverhalte subsumieren lassen, angefangen vom willkürlichen, grundlosen Töten/Misshandeln von Menschen bis zur (zeitweiligen) Ohnmacht gegenüber einer in einem Lager ausgebrochenen Epidemie. Man kann darüber streiten, ob es nützlich oder gar geboten ist, eine Eingrenzung oder weitere Differenzierung vorzunehmen. Dem Hang zur Systematisierung nachgebend und ausgehend von der grundlegenden Unterscheidung zwischen Militär- und Zivilpersonen hier eine Vierfeldertafel:

  1. Gräuel an gegnerischen Militärpersonen
    Tötung von Soldaten, die sich ergeben wollen; Tötung in Gefangenschaft durch Waffen, Vorenthalten von Nahrung und Medizin usw.
  2. Gräuel an eigenen Militärpersonen
    Hinrichtung unterm Vorwurf von Desertation, Meuterei, Feigheit vor dem Feind usw.
  3. Gräuel an gegnerischen Zivilpersonen
    vermeintliche Heckenschützen; Geiseln; »Spione« und »Saboteure«; Internierte; generell: alle Übergriffe auf die Bevölkerung im besetzten Gebiet, auch: »Kollateralschäden« bei Artillerie- und Bombenangriffen auf entfernteres Feindgebiet
  4. Gräuel an eigenen Zivilpersonen
    »Spione« und »Saboteure«; extreme Vernachlässigung von Flüchtlingen und Zwangsevakuierten usw.
[1] Siehe die Alternative »Gefallen durch Kriegseinwirkung - death through the effects of war« bei James J. Weingartner (Americans, Germans, and War Crimes Justice. Santa Barbara, Cal. 2011, S. 208).
 
Kramer [2] begnügt sich mit dem Hinweis, dass »Vorwürfe über Kriegsgreuel und -verbrechen gegen die Zilvilbevölkerung ... auch den österreichischen Behörden zur Lasten gelegt (wurden)« – ohne jede weitere Angabe.

Das ist in einiger Literatur dargestellt und zutreffend. Das Zitat ist aber etwas missverständlich:

- Die zitierte Passage bezieht auf die Gräuel, begangen durch die russische Armee, als Vorwürfe von öu Behörden erhoben:

"Analoge Vorwürfe über Kriegsgreuel und -verbrechen gegen die Zivilbevölkerung wurden auch der russischen Armee von den deutschen und den österreichischen Behörden zur Last gelegt. Aus den 1915 veröffentlichten amtlichen Berichten Österreich-Ungarns geht hervor, daß die russischen Truppen bei der Besetzung Galiziens und der Bukowina Requisitionen vornahmen, willkürlich Privatbesitz zerstörten und zuweilen auch Gewalt gegen Zivilisten, unter ihnen viele Juden, verübten."

- auch wird ein Nachweis angegeben: Kramer rekuriert hier insgesamt (Zitat im nächsten Satz) auf die österreichische Publikation, Fußnote 11: Sammlung von Nachweisen von Völkerrechtsverletzungen durch die mit ÖU kriegführenden Staaten.
 
Das Zitat ist aber etwas missverständlich:...
Missverständlich? Mein Zitat lag völlig daneben! :cry::zerknirsch:
Richtig ist, dass Kramer über die österreichisch-ungarischen Verbrechen überhaupt nichts schreibt. Das ist schon eigenartig: Er beziffert die in Belgien und Frankreich getöteten Zivilisten ziemlich genau (5512 bzw. ca. 900), erwähnt auch die Russen – und verliert über die bis zu 10-fache Zahl (je nach Quelle) der im Osten durch Ö.-U. Getöteten kein Sterbenswort. [1] Ist das ein Versehen oder die Folge fehlender/unzureichender Forschung oder was könnte sonst der Grund sein?

[1] Das gilt auch für den lexikalischen Artikel »Kriegsgreuel« (S. 647 f.) desselben Verfassers.
 
Missverständlich? Mein Zitat lag völlig daneben! :cry::zerknirsch:

So hart wollte ich das nicht ausdrücken.:D

Tatsächlich sind das wohl erst einige neuere Publikationen, die sich mit den dortigen Vorfällen beschäftigen (Galizien, der karpathische Raum, Serbien, zu Rumänien ist wenig zu finden, etc.)
 
"Analoge Vorwürfe über Kriegsgreuel und -verbrechen gegen die Zivilbevölkerung wurden auch der russischen Armee ... zur Last gelegt..."
Kramer fährt in der Enzyklopädie (a.a.O.) wie folgt fort: In Ostpreußen »belief sich die Zahl der Opfer nach einer amtlichen deutschen Veröffentlichung auf 101 Zivilisten.« Veröffentlicht hat diese »überraschend geringe Zahl« das deutsche Auswärtige Amt 1915.

Die Überraschung teile ich insoweit, als im Reichsarchiv-Werk (Bd. 2, S. 329) Zahlen genannt werden, die 16-mal so hoch sind: "1620 Zivilpersonen sind getötet« sowie »433 verwundet, über 10000 verschleppt worden«. Aus einer Fußnote ist zu entnehmen, dass hier auch die Opfer späterer Einfälle enthalten sind. Trotzdem scheint mir die Diskrepanz sehr groß zu sein und bedarf einer Erklärung.


EXKURS (anstelle eines eigenen Themas)
Ich grübele noch über der Tatsache, dass Kramer über jene Zigtausende, die von Ö.-U. getötet worden sind, kein Wort verliert. Könnte das Desinteresse der Historiker am Ende auch daran liegen, dass es sich bei den Opfern um namenlose, weit entfernte Angehörige einer anderen Ethnie handelt?
Ich komme zu dieser Frage, die weder zynisch gemeint ist noch einen Schuldvorwurf enthält, durch folgende Analogie: Über ein Unglück in Indien oder Nigeria wurde/wird in unseren Massenmedien gewöhnlich nur dann berichtet, wenn die Zahl der Opfer wenigstens 10-mal (oder 50-mal?) so hoch ist wie bei einem Unfall vor unserer Haustür.
Anders ausgedrückt: Das Interesse am Schicksal der Opfer scheint umso geringer zu sein,
(a) je größer die räumliche Entfernung zu ihnen ist und/oder
(b) je geringer die Opferzahl in Relation zur Gesamtbevölkerung des betreffenden Gebiets ist und/oder
(b) je stärker die Eigenschaften und die Lebenssituationen der Opfer von den unseren abweichen.
Im weitesten Sinne könnte sich um eine »aufmerksamkeitsökonomische« Frage handeln, für die es eventuell auch schon einen Begriff gibt, der mir aber nicht einfallen will.
Kann dieses nur grob beschriebene Problem auch Einfluss auf die Arbeit von Historikern haben?
 
Eine OT-Antwort:

Ich grübele noch über der Tatsache, dass Kramer über jene Zigtausende, die von Ö.-U. getötet worden sind, kein Wort verliert. Könnte das Desinteresse der Historiker am Ende auch daran liegen, dass es sich bei den Opfern um namenlose, weit entfernte Angehörige einer anderen Ethnie handelt?

Naheliegender ist es m.E., dass Historiker reflexiv arbeiten und somit die Gegenargumentation in Form von Rezensionen oder Kritiken antizipieren. Das bedeutet, dass man sich durch Beschränkung "immunisiert" und über die Punkte primär schreibt, die zum Kernthema gehören.

Das bedeutet, dass man Themen wegfallen läßt, für die die eigenen Quellen oder Literaturstand als nicht ausreichend erscheint.

Möglicherweise will man sich auch in einer separaten Arbeit mit dem Thema ausführlich beschäftigen.

Anders ausgedrückt: Das Interesse am Schicksal der Opfer scheint umso geringer zu sein,
(a) je größer die räumliche Entfernung zu ihnen ist und/oder
(b) je geringer die Opferzahl in Relation zur Gesamtbevölkerung des betreffenden Gebiets ist und/oder
(b) je stärker die Eigenschaften und die Lebenssituationen der Opfer von den unseren abweichen.
Im weitesten Sinne könnte sich um eine »aufmerksamkeitsökonomische« Frage handeln, für die es eventuell auch schon einen Begriff gibt, der mir aber nicht einfallen will.
Kann dieses nur grob beschriebene Problem auch Einfluss auf die Arbeit von Historikern haben?

Da spielen sicherlich eine Reihe von Punkten rein.

1. Der "Master-Narrativ" in einem spezifischen Kulturkreis kann einen Einfluss auf die Themenauswahl haben und natürlich auch auf die spezifische ideologische Ausrichtung. Ein Phänomen, das besonders in den letzten 100 Jahren für die unterschiedlichen deutschen Staaten von besonderer Bedeutung war. Und letztlich selten zu einer Historiographie geführt hatte, die als "kritisch" einzuschätzen war, sondern in ihrer Mehrheit sich als "staatstragend" definierte. Und damit - leider - selten zu einer Objektivierung historischer Ereignisse beigetragen hat, wie sehr deutlich an der Legendenbildung rund um den WW1 zu erkennen ist.

Das trifft teilweise für historische Betrachtungen aus dem angelsächsischen Umfeld, das stärker kosmopolitisch ausgerichtet ist und sich dem Weltmarkt verpflichtet fühlt m.E. weniger zu. Was nicht heißen soll, dass dort nicht auch stellenweise geschichtliche Ereignisse "geschönt" worden sind.

Nicht zuletzt weil Publikationen aus diesem angloamerikanischen Umfeld einen breiteren Pluralismus widerspiegeln, da viele Autoren mit sehr unterschiedlichen geselslchaftlichen Hintergründen auf englisch publizieren! Damit kommt diese breite Publikationsbasis dem Ideal einer in ihrer Gesamtheit "neutralen und objektiven" Historiographie näher, im Gegensatz zu verkürzten nationalistische Sichten aus einzelnen Staaten, die konservative oder progressive Machtkonstellationen in den jeweiligen Staaten widerspiegeln können.

2. Unterhalb der der ideologischen Frage nach dem "Master-Narrativ" stellt sich sicherlich auch die Frage der persönlichen Karriere. Und ein junger Historiker ist gezwungen, will er erfolgreich sein, sich in "Netzwerke" zu begeben, die seine Projekte wohlwollend begutachten und somit "Stellen" und "Budgets" zur Verfügung stellen. Damit soll keine These zur Zensur formuliert werden, sondern lediglich auf die subtilen, aber nicht weniger erfolgreichen Mechanismen der Rekrutierung im Rahmen von "Seilschaften" hinzuweisen.

3. Aufmerksamkeitsökonomie: Geschichte ist ohnehin in Europa und Nordamerika stark definiert durch eine "westliche Sicht". Erst die Arbeiten beispielsweise von Fanon (Black Skin, white Masks etc.), Said (Culture and Imperialism) oder auch von Mishra (Aus den Ruinen des Empire) konfrontieren den Westen mit der Einseitigkeit ihrer "Moderne" und der dazu gehörigen Geschichtsschreibung.

Dass der westliche Kulturkreis sich nicht aktiv mit anderen Regionen beschäftigt liegt dabei nicht zuletzt an der Unfähigkeit des eigenen Verstehens der eigenen westlichen Krise bzw. der Formulierung angemessener Mittel, die die politischen, sozialen und ökonomischen Folgen des Kalten Krieges immernoch nicht im Rahmen neuer Gesellschaftsentwürfe entschärft hat. Der Rest ist Tagespolitik.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo jschmidt,

du schreibst:

Kramer fährt in der Enzyklopädie (a.a.O.) wie folgt fort: In Ostpreußen »belief sich die Zahl der Opfer nach einer amtlichen deutschen Veröffentlichung auf 101 Zivilisten.« Veröffentlicht hat diese »überraschend geringe Zahl« das deutsche Auswärtige Amt 1915.

Die Überraschung teile ich insoweit, als im Reichsarchiv-Werk (Bd. 2, S. 329) Zahlen genannt werden, die 16-mal so hoch sind: "1620 Zivilpersonen sind getötet« sowie »433 verwundet, über 10000 verschleppt worden«. Aus einer Fußnote ist zu entnehmen, dass hier auch die Opfer späterer Einfälle enthalten sind. Trotzdem scheint mir die Diskrepanz sehr groß zu sein und bedarf einer Erklärung.

Du hast sicherlich übersehen, dass Kramer S. 284, Enzyklopädie, die Ziviltoten durch das Deutsche Heer an der Westfront August/September 1914 hier explizit mit den amtlichen Berliner Angaben zur Kriegsführung der russischen Armee an Ostfront August 1914 - Mai 1915 gegenüber der dortigen Zivilbevölkerung vergleichen möchte.

Kramers Artikel in der Enzyklopädie ist offenkundig seit der Erstveröffentlichung 2003 unverändert geblieben, wie allein schon unveränderte(r) Umfang und Seitenposition in der Enzyklopädie nahelegen.
Hankel, Die Leipziger Prozesse, 2003, hat er z.B. zwar in den weiteren Auflagen im Literaturverzeichnis, jedoch nicht eingearbeitet (siehe S. 291 der von Dir genutzten Studienausgabe).

Kramer bleibt im genannten Artikel ansonsten mit dem Thema inhaltlich weitgehend im Rahmen von Horne/Kramer "Deutsche Kriegsgreuel" (2004, engl. 2001). Entsprechend kommen Kriegsverbrechen durch die K.-u.K.-Armee eigenständig nicht vor, in "Deutsche Kriegsgreuel" nur kurz als "Vergleichsgröße" in Zusammenhang mit der Kriegsführung des Deutschen Heeres und seiner Gegner etc.

Kramers Artikel ist vielleicht nicht so sorgfältig ausgearbeitet/recherchiert oder womöglich übersetzt worden, da er z.B. S. 283 notiert:

Den Ententemächten wurde von Seiten der Mittelmächte ebenfalls vorgeworfen,
unverteidigte Städte zu beschießen: Memel (Ostpreußen) durch die Russen, Gallipoli (Türkei) durch Briten und Franzosen.

Gallipoli eine unverteidigte Stadt in der Türkei, die von Briten/Franzosen angegriffen worden war? Und das sollen die Mittelmächte den Angreifern vorgeworfen worden sein? Beides war mir bisher unbekannt....
Horne/Kramer, Deutsche Kriegsgreuel, schreiben dort S. 134 von einer alliierten Landung "in Gallipoli", wenigsten denkt man jetzt an Schiffe.

Viele Grüße,

Andreas
 
Zu Gräuel, insbesondere gegenüber Kriegsgefangenen ist auch Prisoner Taking and Prisoner Killing in the Age of Total War: Towards a Political Economy of Military Defeat interessant. Ich habe es auch im net als pdf gesehen. Einfach al googlen. Es fiel mir im Zusammenhang mit Gallipoli ein.

Oben schrieb jemand über Pogrome in Rußland gegen Juden. Interessant wäre auch vielleicht die behandlung der deutschen Minderheit in Rußland.

Nicht fehlen sollte meiner Meinung nach auch nicht, die Instrumentalisierung von Kriegsgräueln durch den Gegner.
 
Der Krieg im Westen begann mit umfangreicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, zunächst in Belgien und auch gegen Ende.

Die Zerstörung Anfang 1917, im Rahmen der Operation Alberich, gehört sicherlich auch in den Kontext der barbarischen Kriegsführung im Rahmen des WW1.

Und diese umfangreichen Zerstörungen von französischen Dörfern, Infrastruktur und Kulturgüter waren ein Teil der Verbitterung, die vor allem die Franzosen mit nach Versailles brachten. Und die Weltöffentlichkeit gegen die Kriegsführung des deutschen Kaiserreichs aufbrachte.

Aber natürlich nach dem WW1 in der Weimarer Republik von den deutsch-nationalen Kräften überwiegend mit Unverständnis gesehen wurde.

"Unternehmen Alberich" im Ersten Weltkrieg: Verbrannte Erde in Frankreich - SPIEGEL ONLINE

https://de.wikipedia.org/wiki/Unternehmen_Alberich

Und zerstörten eine der imposantesten Burgen des Mittelalters
Chateau Coucy, 1917: Mächtigster Burgturm Europas gesprengt
 
Zuletzt bearbeitet:
@thane: Danke für den Hinweis auf den Spiegel-Artikel, den ich mit großem Interesse gelesen habe.

Ich selbst habe vor Jahren auch die Ruine der Burg Coucy in der Picardie besucht, und stand vor dem, was von dem Donjon noch übrig war: ein großer Steinhaufen. Allerdings wußte ich bislang nicht, dass die Zerstörung Teil eines größeren Planes war, um einen Streifen zerstörter Landschaft zu schaffen, um eine feindliche Offensive aufzuhalten.

Auf der folgenden Seite sind Bilder des Donjon zu sehen, wie er vor der Zerstörung aussah, und was nach dem 1. Weltkrieg übrigblieb (Etat après 1918):

COUCY-LE-CHATEAU - Le Donjon
 
Der Krieg im Westen begann mit umfangreicher Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, zunächst in Belgien und auch gegen Ende.

Die Zerstörung Anfang 1917, im Rahmen der Operation Alberich, gehört sicherlich auch in den Kontext der barbarischen Kriegsführung im Rahmen des WW1.

Und diese umfangreichen Zerstörungen von französischen Dörfern, Infrastruktur und Kulturgüter waren ein Teil der Verbitterung, die vor allem die Franzosen mit nach Versailles brachten. Und die Weltöffentlichkeit gegen die Kriegsführung des deutschen Kaiserreichs aufbrachte.

Aber natürlich nach dem WW1 in der Weimarer Republik von den deutsch-nationalen Kräften überwiegend mit Unverständnis gesehen wurde.

"Unternehmen Alberich" im Ersten Weltkrieg: Verbrannte Erde in Frankreich - SPIEGEL ONLINE

https://de.wikipedia.org/wiki/Unternehmen_Alberich

Und zerstörten eine der imposantesten Burgen des Mittelalters
Chateau Coucy, 1917: Mächtigster Burgturm Europas gesprengt

[FONT=&quot]Deine Beiträge sind für mich immer lesenswert. Gern lese ich diese.[/FONT]
[FONT=&quot]Was mich nun etwas irritiert ist Dein neues Mitgliederbild.[/FONT]
[FONT=&quot]Gut finde ich hier immer, wir lassen die aktuelle Tagespolitik heraus.[/FONT]
[FONT=&quot]Denn ob da der „Spiegel“ es richtig sieht, wird sich herausstellen. [/FONT] [FONT=&quot]Im Moment finde ich die Köpfungsarie noch etwas verfrüht. :)
[/FONT]
 
Und ich hoffe nun - mit allerdings leichter Skepsis, dass die Publikation von Ulrich Keller jene von Gunter Spraul, Der Franktireurkrieg 1914 (2016), ablösen kann in Bezug auf eine differenziertere Darstellung und Ergänzung zu Horne/Kramer. Gerd Krumeich schreibt im Vorwort zu Keller - online einsehbar - zu Recht von jenen Zweifeln, die bei ihm wie bei mir entstanden angesichts der durchweg als Phantasie eingestuften Berichte von ''Franktireur''-Aktivitäten. Ebenso fanden sich bei Horne/Kramer ohne weiteres etliche Quellenhinweise, die einer weiteren Überprüfung nicht stand hielten etc. etc. und konstant zu ungunsten des Deutschen Heeres ausgewertet worden waren.
 
Dann liess Dir mal das Schlusskapitel - online - durch. Die "Ratlosigkeit" bleibt. Eine eindeutige Position gegen Horne und Kramer kann ich nicht erkennen, eher schon den "verzweifelten" Versuch, die ganzen widersprüchlichen Aussagen so zu organisieren, dass sie auch der deutschen Seite gerecht werden. Ohne a priori sie als "Propaganda" zu qualifizieren.
 
thane, ich komme leider nicht - online - an das Schlusskapitel. Deine Worte kann ich gut nachvollziehen. Es ist schon viel gewonnen, wenn er sich nicht eindeutig gegen Horne/Kramer positioniert und - in der online einsehbaren Vorbemerkung - die methodisch wie inhaltlich starken Unterschiede zwischen seiner Arbeit und jener von Gunter Spraul notiert (von dem er allerdings in 'rückhaltloser Kollegialität bei der Endredaktion' unterstützt wurde...).
Einsicht in Kellers Werk per Autopsie bleibt dann doch der beste Weg für eine differenzierte Einschätzung und Auseinandersetzung.
 
Keller konnte mich nicht überzeugen, seine Quellennutzung ist eindimensional unkritisch und kaum nachvollziehbar. Ein Kunsthistoriker halt, bin ich versucht zu sagen, da ich schon mehrfach historische Veröffentlichungen von Kunsthistorikern erlebt habe, die einfach Quellen historisch schlicht missdeuteten. Seine sehr ambitionierte Sprache hilft auch nicht weiter.

Interessanter fand ich meine eigenen Recherche-Ergebnisse 2017 im Netz nach bisher unveröffentlichten, gescannten und ggf. transkribierten, online gestellten Tagebüchern von Kriegsteilnehmern im fraglichen Raum und Zeitraum, die die Nachfahren zufällig vor wenigen Jahren bei Hausräumungen usw. fanden. Fünf hatte ich gefunden, in zweien waren jene Franktireur-Überfällen notiert worden, wenn auch selten. Doch in klarer Abgrenzung von sonstigen Fehldeutungen, Missverständnissen und Gerüchten innerhalb der Tagebücher. Kriegspsychose, kollektiv? Naja.

2017 hatte ich auch einen digitalisierten Bericht eines Korrespondenten der Londoner Times von Anfang August 1914 gefunden, der sehr schön die breite 'Selbstbewaffnung'/Bewaffnung der ländlichen Bevölkerung schildert in Erwartung deutscher Truppen - und vor allem dt. Spione...haufenweise Schrotflinten, uralte Vorderlader und sonstige abenteuerliche Schusswaffen, teils wie noch aus Napoleonischen Zeiten....merkwürdig pittoreske Szenen...

Von Ludwig Renn hatte ich damals auch ''Krieg' gelesen, erste Ausgabe 1928 ...an einer Stelle wird doch tatsächlich Franktireur-Feuer beschrieben (rotes Fabrikgebäude in Dinant), an anderen zeigt er schon im Roman, dass Personen erkennen, dass KEIN Franktireur-Feuer vorliegt, zumindest kann man das so verstehen.
Renn hat in späteren Jahrzehnten immer deutlicher bestritten, dass es Franktireur-Feuer überhaupt gegeben hätte, in diversen Publikationen wurden aber merkwürdigerweise die Beschiessungen aus dem roten Fabrikgebäude, die Renn zumindest in der Erstauflage an Rande schildert, nie thematisiert. Die Erstgabe 1928 habe ich mehrfach gelesen, doch die Fabrikszene blieb.
 
Im Schloss Pillnitz gibt es eine umfangreiche Ausstellung über Prinz Max von Sachsen. Im Jahr 1914 begleitet er als Feldgeistlicher den Vormarsch der sächsischen - sic - Armee durch Belgien. Dort wird er bei Dinant Zeuge wie sächsische Truppen belgische Zivilisten erschießen als Vergeltung für - angebliche - Partisanentätigkeit. Der Prinz versucht im Rahmen seiner Möglichkeiten das zu unterbinden, was ihm wohl auch teilweise gelungen ist. In der Folge äußert er sich kritisch über die deutsche Kriegsführung und formuliert: "Wenn es einen gerechten Gott im Himmel gibt, dann müssen wir den Krieg verlieren, wegen der Greuel, die wir in Belgien verübt haben."

Diese Äußerung gelangt in die internationale Presse, wodrauf ihn sein Bruder, der König von Sachsen, aus der Armee abzieht, allerdings kommt es zu einem Prozess, der mit einer milden Strafe für Max von Sachsen endet.

Das ist eine Stimme, die aus dem deutschen Hochadel gekommen ist und als Augenzeuge eine gewisse Authentizität zugesprochen werden kann.

https://de.wikipedia.org/wiki/Maximilian_von_Sachsen_(1870–1951)

Quelle: Zitiert von einer Hinweistafel in der Ausstellung und leider ist das entsprechende Foto zu groß für einen Upload.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dem ungeachtet und auch ungeachtet der sonstigen moralischen Verurteilung, die dass Vorgehen reichsdt. Truppen in Belgien auf sich gezogen hat, empfehle ich die Ergänzung durch Erfahrung und Draufsicht mit und durch eigene Recherchen, abseits der Fertiggerichte (=Literatur) mit sicherem moralischem Kontext, via Quellen.

Hat es sogenannte Franktireur-Angriffe gegeben? Ja, wenn auch selten, vorsichtig formuliert nach bisherigem sehr kleinen Kenntnisstand. Daher mein Hinweis auf inzwischen online zugängliche Kriegstagebücher von privater Seite, i.d.R. von lokalen Zeitungen oder historischen Vereinen, also mit professionellen/historischen Hilfen veröffentlicht. Inzwischen sind noch mehr im Netz erreichbar und die meisten berichten davon. Mehrheitlich unterscheiden die Schreiber erkennbar zwischen vermeintlichen Franktireur-Beschuss durch eigene dt. Truppenteile, Gerüchten/Irrtümern und mehrheitlich kann man erschließen, ob eigenes Erleben der Franktireur-Überfälle den Notaten zugrunde liegt.

Dass damit natürlich neue alte Fragen aufgeworfen werden, ist mir klar - in nennenswertem Umfang müssten 'Franktireure' als Verwundete oder Getötete irgendwie in diversen Quellen auftauchen, beispielsweise.
 
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