Ich interressiere mich vorallem für die Politik (also Regierung, macht der Adligen, aussenbeziehungen) der einzelnen Ländern.
Diese Frage ist nach wie vor allzu offen gestellt. :grübel:
Was die Politik angeht, so bietet sich spätestens ab dem Hochmittelalter (aufgrund der zunehmenden Institutionalisierung von Macht) eine Analogie zu unserer Zeit an: Frankreich ist eine semipräsidentielle, Deutschland eine parlamentarische Demokratie. Großbritannien hat ebenfalls die parlamentarische Demokratie, ist aber keine Republik, sondern eine Monarchie. Ich will damit sagen, die politischen Strukturen in den Reichen des europäischen Hochmittelalters waren so unterschiedlich wie heute auch, trotz aller Gemeinsamkeiten.
Die Macht des Adels reichte je nach betrachtetem Herrschaftsgebiet verschieden weit, doch auch hier besteht die Gemeinsamkeit, dass der Adel selbstverständlich die dominierende Schicht darstellte. In einem eher zersplitterten Gebilde wie dem HRRDN oder dem Königreich Frankreich an der Grenze zum Hochmittelalter hatten die Fürsten i.d.R. faktisch mehr Macht als der regierende Monarch; z.B. auf den britischen Inseln herrschte der Monarch jedoch bis ins Hochmittelalter hinein nahezu unangefochten.
Nur in Sachen Außenbeziehungen entfernen wir uns von der Analogie zu unserer Zeit. Wie etwa zwei Königreiche zueinander standen, beruhte auf vier Säulen:
- Gemeinsame Interessen,
- Lehens- und anderweitig rechtliche Beziehungen,
- Familienbande,
- außerdem, ob die jeweiligen Souveräne einander leiden konnten.
Die letzten beiden Punkte könnte man m.E.n. in einem Atemzug nennen, denn spätestens mit dem 11. Jahrhundert setzt sich das Knüpfen von Allianzen durch Heirat auch auf transregionaler Ebene durch — soll heißen, es verheirateten nicht mehr nur Nachbarn ihre Nachkommen, sondern man ging in ganz Europa auf Brautschau. Recht bald war beinahe jeder Souverän mit einem anderen verwandt oder verschwägert, doch hinderte dies niemanden, bei persönlicher Antipathie Beziehungen abzubrechen oder Krieg zu führen. Generell galt jedoch das Recht des Stärkeren. Kam es einem Souverän in den Sinn, Krieg gegen seinen langjährigen Verbündeten zu führen, konnten moralische Bedenken ihn nicht immer stoppen.
Überhaupt steckte das, was wir Außenbeziehungen nennen, in den Kinderschuhen. Ständige Gesandtschaften existierten nur wenige, oft wurden sie sogar als Anmaßung empfunden (als An-die-Leine-legen). Eine mittelalterliche Entsprechung zum modernen Völkerrecht ist nur schwer zu erblicken. Wo diplomatische Kontakte bestanden, beruhten sie auf den Normen und Werten des Adels und der Ritterlichkeit. Das Gebot der Ritterlichkeit regierte auch den Krieg, der in der Tat einen der häufigsten "außenpolitischen" Kontakte darstellte, doch zeigen die zahlreichen Kriege des Mittelalters, wieviel von seiner Allgemeingültigkeit zu halten ist. Einige wenige kirchliche oder gewohnheitsrechtliche Gebote konnten sich behaupten, wurden aber ggf. um der eigenen Interessen willen auch ignoriert.
Im Grunde dominierten also nur zwei Aspekte die politischen Verflechtungen: das Ansehen als wichtigste Währung des Hochmittelalters, und zweitens der Grundsatz "Was du nicht willst, das man dir tu'", mithin der Präzedenzfall… denn selten anerkannte eine regional herrschende Klasse Normen, die sie nicht selbst erlassen hatte, es sei denn, dass sie auf ihre Anerkennung u.U. selbst angewiesen war.
Ein König, der nicht wollte, dass sein linker Nachbar bei ihm einfiel, zögerte, den rechten Nachbarn zu überfallen. Der Ritter, der lieber gefangen genommen werden, statt auf dem Feld den Todesstoß erhalten wollte, zögerte, einen besiegten Ritter zu töten, statt ihn auf ein Lösegeld gefangen zu nehmen.
Allgemein muss man sagen, dass Prinzipien wie Rechtssicherheit, Verlässlichkeit usw. Erfindungen der Moderne sind. Selten kam es vor, dass ein Bündnis oder ein Gesetz denjenigen überlebte, der es geschlossen bzw. erlassen hatte. Scheinbar wurde dies auch als natürlich angesehen, gehörte es doch nach verbreiteter Auffassung zu den gottgegebenen Rechten des Souveräns, jede Entscheidung selbst zu treffen, also auch ggf. die Entscheidungen seiner Vorgänger umzustürzen. Überparteiliche Autorität, bspw. der Papst (in der Theorie; in der Praxis war das Papsttum oft genug voreingenommen) wurde nur selten anerkannt, weswegen Schiedssprüche oftmals nur wenige Jahre hielten.
Ein Bonmot hierzu: Deutschlands Teilnahme an der europäischen Einigung seit 1951 ist das langlebigste offiziell verkündete und vertraglich kodifizierte Bündnis, das zwischen diesem Land und allen seinen Vorgängerstaaten einerseits und einer ausländischen Macht andererseits jemals bestanden hat. Niemals zuvor hatte sich ein deutscher Souverän auf so lange Zeit ein und derselben Außenpolitik verbindlich unterworfen. Ich denke, das sagt eine Menge.