Kunst und Wirklichkeit

Joelina

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Im Zusammenhang mit einer andern Frage machte ich mir so meine Gedanken und fragte mich dann, wie wohl Kunst und Wirklichkeit zusammenhängen. NImmt man das 19. Jahrhundert, sieht man, dass vieles im Umbruch ist. Die Welt wird langsam technisiert (Telefon, Eisenbahn, Photographie, um nur einige zu nennen), Kriege finden statt wohin man schaut, was sich auch in einer Vielfalt in der Kunst niederschlägt - so meint zumindest NOrbert Wolf in seinem Buch "Kunst-Epochen. 19. Jahrhundert. Eine Richtung der damals aktuellen Kunst ist ja der Neubarock. Nun frage ich mich, wenn doch die Zeit die Kunst prägt, ist nun die Zeit ähnlich wie damals, als Barock aktuell war? Oder wünscht man sich solche Zeiten heran, so dass man die Kunst der damaligen Zeit wiederholt, im Sinne von Schillers Idee, dass die Kunst das SPielfeld ist für die Erlernung des sittlichen Lebens, für den Ernstfall? Oder hängt das alles gar nicht zusammen, sondern man fand einfach plötzlich wieder Gefallen an dem, was mal war?
 
Nun..., ich bin keiner der Kunstexperten hier *¡also halt die Klappe, Quijote!*, aber wo Du gerade Barock und Zeit erwähnst: im Barock sind ja vielfach Stundenuhren und Skelette, verblühte Rosen und andere Symbole für die Vergänglichkeit des Seins bildhauerisch etc. eingesetzt worden, mit der Botschaft: carpe diem! Vielleicht kam der Neobarock gerade deshalb in den Zeiten des ~plötzlichen~ technischen Fortschritts auf, weil es in den Augen einiger Künstler besonders nötig wurde, den Zeitgenossen mitzuteilen, die Zeit zu nutzen. (Wann kommt der Neoneobarock?)
 
Joelina schrieb:
Eine Richtung der damals aktuellen Kunst ist ja der Neubarock. Nun frage ich mich, wenn doch die Zeit die Kunst prägt, ist nun die Zeit ähnlich wie damals, als Barock aktuell war? Oder wünscht man sich solche Zeiten heran, so dass man die Kunst der damaligen Zeit wiederholt, im Sinne von Schillers Idee, dass die Kunst das SPielfeld ist für die Erlernung des sittlichen Lebens, für den Ernstfall? Oder hängt das alles gar nicht zusammen, sondern man fand einfach plötzlich wieder Gefallen an dem, was mal war?

zum Neobarock der wilhelm. Epoche habe ich den Verdacht , daß dieser nicht Schillers Idee vom Erlernen sittlicher Inhalte inspiriert war, sondern von der Lust
des zu Geld gekommenen Bürgertums, des Geldadels ..an der Nacharmung der sog."besseren Kreise" , die mit feudalistischer Einrichtung assoziiert wurde.
Auch der kleine Mann auf der Straße hatte plötzlich gefallen am neobarocken Teelöffeln etc...schimmert doch auch für ihn dadurch etwas von der großen Welt in sein bescheidenenes Heim. Der ganze Eklektizismus der Zeit spiegelt die Wert-und Kunstvorstellung des Bürgertums wieder. Die Wohnungen sahen aus wie vollgestellte Opernbühnen ...viel Pappmachee, Flitterkram , unechte Bäume und was das Kitsch- Herz noch so begehrte.
Schiller hatte man eher auf deutsch-national verbogen und getrimmt wie die Architekten ihre dicken Neo-Renaissance-und barock Paläste von Banken, Museen und anderen Schaustücken identitätsstiftender Natur.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich denke auch nicht, dass der Neubarock von der Idee inspieriert war, dass also die Menschen dahin gingen und sich sagten, dass Schiller das geschrieben hat und sie es nun umsetzen wollen, ich dachte eher an eine unbewusste Sache, an ein Suchen nach Anknüpfung an eine bessere Zeit (wenn sie denn besser war).

Die Frage, die sich mir einfach stellt ist: Schafft die Zeit die Kunst? Da sind sich viele einig, dass es so ist. Die Frage, die sich dann stellt ist, wie sie das macht. Muss die Kunst DInge kompensieren oder ist sie Ausdruck dessen, was da ist. Oder kann man das gar nicht so pauschal sagen, weil es mal so, mal anders ist?

Du hast recht, Arcimboldo, mit dem, was du zum Neubarock sagst, es war ein Wirtschaftsboom nach dem Ende des Detusch-Französischen Krieges, worauf die Bürgerwohnungen gross ausgestattet wurden. Das würde die erste These bekräftigen, dass eben der äusserliche Reichtum "Reichtum" in der Kunst hervorruft, ist doch der Neubarocke Stil gepärgt von Schnörkeln und dergleichen. Nur, ist das immer so? Und: Kann KUnst so schnell wechseln? Sprich, sind die Anfänge des STils nicht schon vor dem Aufschwung da, entspringt er also nicht eher der kargen Zeit und die Zeit wechselte dann - qausi der Kunst folgend - auch?
 
Ich glaube man sollte Kunst von Begriffen wie Stil, Mode oder Kunsthandwerk trennen und unterscheiden.
Jede Epoche, auch - oder besser sogar: vor allem - die unsere ist von rasch wechselnden Moden geprägt. Die drückte sich nicht nur in Bekleidung sondern auch in Dekor von Möblen aber auch Architekturen aus. Und nicht alles, was dabei geschaffen wurde, ist "Kunst" (was Kunst ist zu definieren wäre ein ganzes Diskussionsforum wert....).
Ich möchte beim Beispiel Neobarock bleiben, zu erst möchte ich gleich dazu anmerken dass vieles, dass als Neobarock bezeichnet wird eigentlich Neo-Rokoko ist und als solches sich aus zwei Quellen speisst:
Dem Stil der Restauration - in deutsch-sprachigen Landen Biedermeier - versucht die starren Linien des "revolutionären" Empire durch die Schnörkel des Rokoko (als Stil des Ancien Regime) zu ersetzen. Ab ca. 1840 werden dann ganze Zimmerfluchten wieder a la 18. Jhdt. ausgestattet, nur für den Experten vom Original zu unterscheiden. Napoleon III. erhebt das zweite Rokoko dann zum Stil seiner Epoche und eigentlich hört diese Rokoko-Rezeption bis weit ins 20. Jahrhundert, eigentlich bis heute nicht auf.
Im Neo-Rokoko entsteht das Corporate Design der Habsburger, das bis heute die Representation der Nachfolgestaaten der Monarchie, vor allem Österreichs bestimmt:
Roter Ananas-Damast und weisses Holzumrahmungen (bzw. Sessel) mit Goldverzierungen. Man glaubt, dass sei Maria-Theresia-Stil (wir auch so genannt), ist aber alles 19. Jahrhundert.
Und auch das wilhelminische Deutschland beginnt unter KWII sich wieder ala Rokoko auszustatten.
Wir haben also eine Stil-Rezeption die von 1830 an bis weit ins 20. Jhdt. anhält und auch heute gelegentlich fröhliche Urständ feiert. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dazu sind natürlich grundsätzlich unterschiedlich, weisen auch kaum Parallelen auf.
Und was in der Kunstwelt in diesen Zeitrahmen abläuft ist natürlich gealtig: , Präraffaeliten, Realismus, Impressionismus, Expressionismus, Symbolismus, Kubismus, Dadaismus, und etliche weiter Ismen....

Es gibt Kunst die gesellschaftliche Umbrüche, Zustände, Moden widerspiegelt, vorankündigt, nachinterpretiert und es gibt Kunst, die das gar nicht tut.
Scio nescio....:scheinheilig:
 
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Rovere schrieb:
Es gibt Kunst die gesellschaftliche Umbrüche, Zustände, Moden widerspiegelt, vorankündigt, nachinterpretiert und es gibt Kunst, die das gar nicht tut.
Scio nescio....:scheinheilig:

Zuerst sollte man einmal den Begriff "Kunst" definieren.
Ist Kunst ein Spiegel ihrer Zeit? Oder spiegelt sich die Zeit in der Kunst wieder?
Dein letzter Satz gefällt mir. Er drückt schon fast alles aus.
Ist zB. Graffity Kunst? Für manche ja, für viele Sachbeschädigung.
Ich denke, jeder hat seinen persönlichen Geschmack, nur ist der Mensch an Zeitidealen gebunden. Da kommt keiner dran vorbei. Um mitzuhalten in der Gesellschaft, muss man sich anpassen.
Was gerade inn ist, muss ich auch haben?
Ich kann nicht so fabulieren, wie ihr, ich hoffe, der Sinn kam an.
 
Nehmen wir mal die Impressionisten. ALs sie malten, waren sie ausgestossen von der von der Konvention bestimmten Ausstellung, sie verkauften nichts, weil sie eben nicht dem Massengeschmack entsprachen. Sie darbten ihr Leben in Armut, einige liessen sich dadurch bekehren und wandten sich ab. Im Nachhinein sind die Bilder bekannt und beliebt, teuer zu erstehen. Waren sie also Vorreiter? Kann man eine solche Kunst durch die Zeit bestimmt nennen, wenn sie eigentlich der Zeit (dem Grossteil davon) nicht entsprach, nicht gefiel? War es nur ein Auflehnen einer Minorität gegen eine übermächtige Majorität, aus welchen Gründen auch immer?
 
Ich meine, man sollte den Kunstbegriff nicht immer so überstrapazieren. Gerade in Deutschland erwarten wir, dass die Kunst sich mit dem Wahren, Schönen und Guten, also ewigen Werten beschäftigt.
Für mich bedeutet Kunst in einer Epoche etwas, auf dessen Kunstsein man sich geeinigt hat. Dazu gehört auch Kunstdesign und ein durchgängiges Innendesign ( dazu gehören auch Bilder).
Mit Sicherheit ist Kunst in diesem Sinne Ausdruck eines bestimmten Lebensgefühls.
Es kann schon sein, dass die aufsteigenden Neureichen sich ein wenig wie absolute Herrscher fühlten.
Vielleicht wollten sie aber auch einfach keinen Stilfehler begehen, als sie auf Altbewährtes zurückgriffen. Schliesslich war man ja neu in den besseren Kreisen...
Ausdruck eines bestimmten Lebensgefühls ist Kunst allemal.
 
Dann ist Kunst also Konvention, will man deiner Theorie folgen, dass sie etwas ist, worauf man sich geeinigt hat? Wer einigt sich?

Heute ist ja ein Stuhl in einem Raum Kunst...ist das Kunst? Sind sich da alle einig? Oder müssen sich nur einige einig sein? Oder muss nur der Künstler denken, es sei KUnst?
 
Ich möchte vielleicht noch einmal auf die Worte von Rovere hinweisen
was Kunst ist zu definieren wäre ein ganzes Diskussionsforum wert....

Wenn ihr Kunst definieren wollt dann kann das lange dauern.
Hier geht es aber, wenn ich es richtig verstanden habe darum wie Kunst und Wirklichkeit zusammen hängen.

So, da ergibt sich aber auch bei dem Wort "Wirklichkeit" das Problem.
Was genau ist wirklichkeit.
Die WIrklichkeit nimmt jeder anders war, und erfassen wir wirklich die Wirklichkeit.
Eine genau so ewige Diskussion.
Aber all das sollte nicht von dieser DIskussion an sich abhalten, eben den Zusammenhängen zwischen der Kunst und der Wirklichkeit.
Denn damit will ich die Diskussion weiß Gott nicht totschlagen. ;)

Ich denke alles was wir als Kunst erkennen spiegelt in dem was wir darin sehen unsere eigene Wirklichkeit wieder.
Vorgegebene Interprätationen was ein Kunstwerk zu bedeuten hat lehne ich von Grund auf ab, da es kein universelles Bild gibt in welchen jeder das selbe erkennen könnte, schon alleine weil jeder anderes Erlebt hat.

Was man zu erkennen glaubt kann auch sehr Stimmungsabhängig sein, denn eine andere Stimmung offenbart einem eine andere Wirklichkeit.

Ein beispiel für mich persönlich für soetwas sehe ich z.B. in Pachelbels Kanon,
an manchen Tagen empfinde ich die Musik als fröhlich, an anderen als traurig.

Kurzum meiner Meinung nach, zeigt einen Kunst stets die eigene Wirklichkeit auf.
Welchen Teil der Wirklichkeit, ist bei jedem verschieden.
 
Joelina schrieb:
Dann ist Kunst also Konvention, will man deiner Theorie folgen, dass sie etwas ist, worauf man sich geeinigt hat? Wer einigt sich?

Heute ist ja ein Stuhl in einem Raum Kunst...ist das Kunst? Sind sich da alle einig? Oder müssen sich nur einige einig sein? Oder muss nur der Künstler denken, es sei KUnst?

Ohne die Diskussion ins unendliche weiterführen zu wollen nur ganz kurz:
1. es ist eine Konvention
2. die Sammler von Kunst (privat wie öffentlich), oder wirtschaftlich ausgedrückt: der Kunstmarkt.

Zu der Frage: Kunst ist zu seiner Zeit immer Ausdruck eines Lebensgefühls. Zu dem Zeitpunkt besonders populäre Kunst demnach Ausdruck eines mehrheitlichen Lebensgefühls.
 
Wie ich es verstanden habe (korrigier mich, wenn dem nicht so ist, Joelina), zielt die Frage darauf, ob und inwieweit Kunst vom Zeitgeist beeinflusst ist und wenn ja, wie das geschieht.
Ich bin keine Expertin, und was ich zu sagen habe, sind Ergebnisse persönlicher Auseinandersetzungen mit solchen Fragen.
Kunst wird von Menschen geschaffen, und Menschen werden sowohl durch die Zeit, in der sie aufwachsen und leben, als auch durch die Zeit davor geprägt, und umgekehrt wird die Zeit durch sie geprägt – ein komplexer Sachverhalt, den man nicht einfach dadurch darstellen kann, dass man gedanklich einen Pfeil von da nach dort zieht.

(was Kunst ist zu definieren wäre ein ganzes Diskussionsforum wert....)
... und bei dem Versuch, das erschöpfend zu klären, dürfte sich die Erschöpfung vor der Klärung einstellen.;)

Es gibt Kunst die gesellschaftliche Umbrüche, Zustände, Moden widerspiegelt, vorankündigt, nachinterpretiert und es gibt Kunst, die das gar nicht tut.

Gefällt mir sehr gut, aber bezüglich der letzten Worte: „und es gibt Kunst, die das gar nicht tut“ wage ich zu bezweifeln, ob das wirklich möglich ist. Denn selbst jemand, der sich entscheidet, in die Wildnis zu gehen, fortan als Eremit zu leben und nur noch Höhlenbilder zu malen (extremes Beispiel), handelt doch aus einer Auseinandersetzung mit seiner Zeit, seinem Umfeld heraus – auch wenn er sich mit seiner Reaktion weit vom Durchschnitt entfernt - ob ihm das nun bewusst ist oder nicht.
Wenn ich dem Kunstbegriff wirklich nahe kommen will, ist für mich eine andere Frage, nämlich, wodurch sich Kunst von Handwerk unterscheidet, von zentraler Bedeutung, was aber ein anderes Thema wäre und nicht so recht hierher gehört.
 
Einer der größten (wenn nicht der größte überhaupt) Umstürtzler in der Kunstgeschichte war Marcel Duchamp. Ich würde sogar so weit gehen zu sagen dass VOR Marcel Duchamp es relativ leicht war zu sagen was ist Kunst. Kunst war ein Gemälde, ein Bauwerk, eine Statue, die Komposition bzw. Wiedergabe von Musik, ein Gedicht, ein Roman, ein Drama usw.

Aber was machte Duchamp? Er nahm einen Flaschentrockner, signierte diesen und stellte ihn auf ein Podest in einer Galerie. Das war im Jahre 1914 (!). Duchamp sagte, er habe diese Kunst wiedergefunden. Der Flaschentrockner sei ein wunderbares Objekt und er habe ihn als Kunst erkannt. Dieser Prozess, in einem Objekt die Kunst zu erkennen, mache ihn zum Künstler und das Objekt zur Kunst.

Duchamp nahm den großen Beuys vorweg, dessen "erweiterter Kunstbegriff" die Kunstwelt nachhaltig predigte. Wenn man ein Werk von Beuys betrachtet, erlebt oder wie in Kassel sogar durchwandert (all die Allee-bäume in der Stadt sind Teil des Beuys-schen Gesamtwerks) denkt man sich sofort "das könnte ich auch". Aber nur weil man etwas kann ist es noch lange nicht Kunst.

Kunst wird subjektiv wahrgenommen, ergo braucht Kunst ein Publikum (und seis nur eine Person) um Kunst zu sein. Oder auch nicht. Oder doch schon.....
Die Kunst ist jedenfalls ein gar seltsam Ding, das wohl zu überraschen weiss. Sich veschenken tut sie sich jedenfalls nicht.....
 
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So offen gesehen ist Kunst natürlich alles, was nicht Natur ist, alles, was vom Menschen erschaffen oder dargestellt oder zumindest in Szene gesetzt wird, ist Kunst.

Ich hatte bei meiner Ausgangsfrage zwar in der Tat an bildende Kunst gedacht, dies aber, ich gebe es zu, zu wenig klar gesagt. Der von dir nun dargestellte Begriff von Kunst ist in der Tat sehr weit und da noch EInflüsse zu finden ist schwer. Sie liegen wohl in dem, was man Erkenntnistheorie und Wahrnehmungstheorie nennt, begraben, irgendwie.
 
Rovere schrieb:
Wir haben also eine Stil-Rezeption die von 1830 an bis weit ins 20. Jhdt. anhält und auch heute gelegentlich fröhliche Urständ feiert. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen dazu sind natürlich grundsätzlich unterschiedlich, weisen auch kaum Parallelen auf.

Da sehe ich durchaus noch Parallelen;
wenn es hier um gesellschaftl. Wirklichkeit geht, die die Kunst einer Zeit beeinflußt und einen (ihren ) Kunstgeschmack bildet ,so haben wir durchaus eine Zeit heute, inder es zunehmend zu einer Neofeudalisierung der Gesellschaft kommt mit vergleichbarer Stil-und "Geschmacksvielfalt" in jedermanns Nachbarschaft. Da steht z.B. das der traditionellen Bauweise sich einfügende Haus neben dem Loireschloß aus dem Katalog des zu Geld gekommenen Nachbarn, der sich ja irgendwie absetzen muß und auch zeigen will, daß er dazugehört - zu den Gewinnern.
Erinnert an den Bürgerkönig Louis-Phillipe:" enrichez-vous !": bereichert euch ! Sogleich feudalisierte sich diese Gesellschaft auch geschmacklich , wie Rovere schon beschreibt.
Das Loireschloß des Nachbarn zeigt also m.E. die ganze Bandbreite des ästhetischen Anspruchs einer Zeit , die nun der Hausherr darstellen möchte, wenn er mit seiner Limouisine der Oberklasse durch das neobarock- schmiedeeiserene Tor hindurch fährt und sich hinter ihm das infrarot gesteuerte Garagentor senkt. Er steigt aus und unterhält sich mit seinen reizenden Partygästen über die neusten Trends auf dem Kunstmarkt. Er kann mitreden, da er sich rechtzeitig ein bonbonfarbiges Werk der neue "Leipziger Schule " für nur 60.000 € gesichert hat , welches er mit stolz geschwellter Kennerbrust seinen neidvoll dreinschauenden Oberklasse - Kunstfreunden präsentieren kann.
Seht ihr, sagt er, wer zu spät kommt straft das Leben und erhält für dieses Bonmot einhändig-dünnen Applaus, da die andere Hand kaum das Champagnerglas und den gerade noch ergatterten Lachshappen greifen kann.
Ja, die Bilder Leipziger Schule werden bereits pränatal als Aktie gehandelt.
Sie werden auf Bestellung gekauft, da sie aufgrund der großen Nachfrage leider erst nächstes Jahr zu liefern sind.Die perfekte Marktwirtschaft . Art follows gerne money, bzw. Kunst spiegelt die Gesellschaft und diese sich in ihr.-Das war schon immer so und das wird sicher so bleiben. :devil:
 
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Hallo!

Ich denke, grundlegend für den Fortschritt der Kunst (erst mal nur im chronologischen Sinne) ist die zunehmende Freiheit von der Illusion.

Zuerst war das Bild primär eine Tafel, sozusagen, um Geschichten zu erzählen oder ein Abbild von Macht zu demonstrieren. Vielleicht teilweise auch (im Mittelalter) einfach als eine Art Photographie. Das alles war Illusion, man erfand Wirklichkeit nicht, sondern stellte sie dar. Letztlich war der letzte Grund immer ein Mythos (zum Beispiel Christus und bibnlische Erzählungen).

Dann, mit der Zeit befreite sich die Wahrnehmung immer mehr. Es wurde denkbar und handelbar, was vorher unmöglich schien.
Der letzte Schritt war dann die Erfindung gänzlich neuer Wahrnehmungsarten auf Leinwand, zum Beispiel als abstrakte Kunst.
Also für mich eine Sache der Befreiung von Wahrnehmung. In der Musik sehen (bzw. hören) wir dasselbe: Undenkbar, dass man im 18. Jahrhundert (zB MOzarts Zeit) einen schiefen Ton spielt! Mit Schönberg (zB) änderte sich das und es wurde nicht mehr die Struktur der Musik hervogehoben (Rythmus zB), sondern jetzt ging es bevorzugt um das "neue" Klangerlebnis.

Lg
Skjern
 
Skjern schrieb:
Hallo!

Ich denke, grundlegend für den Fortschritt der Kunst (erst mal nur im chronologischen Sinne) ist die zunehmende Freiheit von der Illusion.

Zuerst war das Bild primär eine Tafel, sozusagen, um Geschichten zu erzählen oder ein Abbild von Macht zu demonstrieren. Vielleicht teilweise auch (im Mittelalter) einfach als eine Art Photographie. Das alles war Illusion, man erfand Wirklichkeit nicht, sondern stellte sie dar. Letztlich war der letzte Grund immer ein Mythos (zum Beispiel Christus und bibnlische Erzählungen).

Dann, mit der Zeit befreite sich die Wahrnehmung immer mehr. Es wurde denkbar und handelbar, was vorher unmöglich schien.

Um deine Gedanken besser zu fassen, wäre ein Hinweis hilfreich, was du im "chronologischen Sinn " verstehst. :)
Wann setzt deine Einordnung an ? Die Antike war stilist.für das gesamte MA vorbildhaft und prägend.
Die MA - Kunst wurde zunächst durch klerikale und klösterl. Auftraggeber befördert. Abbildungen sollten für die nichtlesen-und schreibende Bevölkerung
Veranschaulichen. Die Motive und " Legenden" waren in diesem Sinne keine "Illusion " .
 
Hallo!

Also im ganz einfachen forlaufenden Sinne der Zeit von Anfang an bis heute.
Ich wollte damit klar stellen, dass ich nicht den qualitativen Aspekt eines Forschritts meinte.

Die Illusion, ja... - was ich damit meinte: Es wird ja etwas auf der Leinwand dargestellt: Die "Illusion der Wirklichkeit". Auch als Legende oder Erzählung: das ist ja auch nicht DIE Wirklichkeit, wie sie stattfand.
Wenn es Probleme bereitet mit dem Wort Illusion, naja, mir fällt leider kein anderes Wort ein, aber ich meine es im Sinne von Abbildung, aber Illusion gefällt mir besser, weil es IST eine Illusion. Das was dargestellt wird ist nicht wirklich (und auch wahrscheinlich nie so passiert wie es letztlich dargestellt wird, egal wie getreu man versucht die Wirklichkeit abzubilden).

Im Gegensatz dazu sind heutige Bilder der Kunst ja oft gar nicht mehr von dieser Absicht getragen, eine Wirklichkeit abzubilden! Heute wird mehr erfunden. Das war mein Kerngedanke.

Allerdings ist es schwierig, tatsächlich bis zu den Anfängen zurück zu gehen, weil es die Frage aufwirft, was für ein Weltbild die damaligen Künstler (Maler, Schöpfer von Wirklichkeiten) hatten. Wenn sie zum Beispiel eine "heilige Ikone" darstellten. Oder nehmen wir die Felsmalereien. Man kann hier fragen, welchen Zweck diente das? Und da kommt man (ich zumindest) nicht sehr weit. Mythen sind zu dieser Zeit wohl keine Mythen wie wir sie heute verstehen, gewesen, sondern ein umfassendes Erklärungsmodell der Wirklichkeit, will sagen: lebensnahe Erklärung der Wirklichkeit. Und vor allem Instrument um Sinn zu geben. Aber trotzdem bleibt das Illusion, sogar die zutreffendste! Es gab diese Heiligen vielleicht wirklich, genau wie die Stiere auf Felsmalereien.

Aber in dem Bild, was geschaffen wurde, "erschauten" die Betrachter wahrscheinlich eine Wirklichkeit, die sich von einer heutigen Betrachtung von Kunstwerken sehr unterscheidet. Ich will damit andeuten, dass die Kunst damals am Anbeginn sehr viel mehr zu den Leuten sprach, in einem Dialog zwischen Bild und Betrachter. Sie schauten das Bild und es war viel mehr als nur ein Bild. Ich kann das leider nicht genau ausdrücken.
Jedenfalls: es wäre eine irrige Vorstellung, davon auszugehen, sie hätten damals die Bilder in der Weise betrachtet, als wie wir es heute tun. Wir hinterfragen es.
Von diesem Punkt aus kann man dann den Begriff "Illusion" verwenden. Mit der Zeit, wo die Kunst durch die Jahrhunderte sich fort entwickelte, wurde diese Illusion immer mehr hinterfragt bis zu dem Punkt, wo man begann, keine Illusion mehr erzeugen zu wollen und einfach nur ein ERLEBNIS zu schaffen. Natürlich hat sich die Tradition der Illusion nicht aufgelöst und es werden immer noch Landschaften gemnalt. Aber damals wäre es nciht möglich gewesen, nicht denkbar, so etwas wie zum Beispiel Kandinsky zu machen. Es hätte keine Bedeutung, es hätte die Leute verwirrt. Sie hätten an dem Verstand des Künstlers gezweifelt.

Den zentrale Begriff Illusion muss man erst mal fassen, und genau das ist mir schwer darzustellen, weil ich zwar weiss, was ich darüber empfinde und denke, aber wenn ich es darstelle, fehlen mir einfach die Worte. Es ist eben nicht nur eine Sache der WAHRNEHMUNG, sondern auch der (vielleicht auch unbewussten) Bedeutungsgebung.
Damals war die Bedeutung eigentlich gleichzusetzen mit dem Bild, heute sehen wir darin eine Illusion. Die Illusion an sich gab es damals nicht. Denn da gab es nur das Bild. Ich will nicht sagen, dass die Leute glaubten, das, was dargestellt ist, sei wirklich, aber es war ein kleines Mysterium vielleicht.

Tut mir leid, wenn ich das eher verwirre, soll eine Anregung sein. Und vielleicht ist es auch gar nicht so stimmig. Aber Tatsache ist: Mit dem Fortlauf der Zeit wurden die Möglichkeiten einfach grösser.

Lg
Skjern
 
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Skjern, du sprichst mir aus der Seele. Kunst (im Sinne eines schöpferisch gestalteten Werkes, nicht etwa seines Marktwerts, seiner repräsentativen oder dekorativen Wirkung) ist (m. E.) grundsätzlich das Schaffen einer Bedeutung:
- als Aussage (wenn sich z. B. der König als siegreichen Feldherr darstellen lässt)
- als Symbol (die heilige Jungfrau Maria als der Interpretation offenes Zeichen von Weiblichkeit, Milde, Erbarmung etc.)
- als Erzählung (in Passionsbildern der Gotik und Frührennaissance sind alle Stationen der Kreuzigungsgeschichte auf Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund verteilt)
- als Reflektion auf den Betrachter (moderne Kunst will mitunter den Betrachter zu Fragestellungen provozieren, die sich aus ihrer Form und Platzierung ergeben)

Illusion und "Wirklichkeitsnähe" sind Stilfragen, die sich dem Geschmack der Zeit anpassen. Gerade hier können wir aber einen Bogen zur Ausgangsfrage schaffen: wie kommt es, dass der Kunststil einer Zeit in kompletten Kontrast zu ihrer politischen und ökonomischen Entwicklung tritt? Die Frage ist soziologisch zu beantworten: ausgelöst durch Zukunftsschock.
Große ökonomische und soziale Umwälzungen haben in der Regel eine Bugwelle aus Negierung und Konservatismus, sei es die "Flucht in den Ritterroman" des Don Quixote und seiner Zeitgenossen (keine Ähnlichkeit mit dem anwesenden El) oder "Kini" Ludwig 2. mit Neuschwanstein. Der Kampf des preussischen Adels mit der Bürger- und Arbeiterklasse im 19. Jh. z. B. führte zu einer Massengründung von repräsentativen Kirchen im neogotischen und neoromanischen Stil; eindeutiges Wunschdenken hinsichtlich der Rükkehr zu gottgewollten, gottgelenkten stabilen Ordnungen von unten und oben.

Unser modernes Kunstverständnis hat den intellektuellen Diskurs um "hohe Kunst" von der eigentlich bezeichnenden Populärkultur abgetrennt, mit dem Erfolg einer weiteren Kulturebene, mit der man sich befassen sollte, aber nicht muss (Zumindest rennt nicht die ganze Bevölkerung ins Museum, um sich Fragen zu stellen). Zeichen eines verdrängten Zukunftsschocks kann man auch bei uns z. B. in den populären Werken vom "Herrn der Ringe" oder "Star Wars" sehen; beides Sagen, deren identitätsstiftende Kraft aus der Verdrängung aktueller und verherrlichung antiquierter Zustände resultiert.
 
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