Leben griechischer Priesterinnen

Lidija

Neues Mitglied
Hallo miteinander,
ich weiß, daß ein ähnliches Thema hier schon einmal diskutiert wurde, doch hoffe ich, daß das Wissen von einigen vielleicht noch ein wenig weiter ins Detail geht.
Ich interessiere mich für das Leben griechischer Tempeldienerinnen und Priesterinnen. Welche Aufgaben hatten sie zum Beispiel, mussten sie jungfräulich bleiben und wie könnte ihr Leben im Alltag ausgesehen haben?

Ich danke vorab schonmal für Antworten
 
Hallo,

"Rein soll die Priesterin sein von folgendem: mit schmutzigem soll sie in keinerlei Weise in Berührumg kommen, an einem Heroenmahl (Totenmahl) soll sie nicht teilnehmen, ein Grabmal soll sie nicht betreten, in ein Haus soll sie nicht gehen, in dem eine Frau eine glückliche oder eine Fehllgeburt gehabt hat, innerhalb drei Tage nach der Genurt auch, soll sie nicht in ein Haus gehen, in dem ein Mensch gestorben ist, innerhalb dreier Tage, nach der Bestattung des Toten, vom Aas <und von verreckten und erstickten Tieren> soll sie nichts essen."

(Reinheitsvorschriften der Priesterin Demeter Olympia auf Kos)

die genaue Quelle, kann ich nicht entziffern, ist aus dem Lesebuch von Martin Nilsson.
 
Wobei man solche Vorschriften nicht generalisieren darf, die werden sich von Tempel zu Tempel unterschieden haben.
 
Stimmt. "Die" Priesterinnen gab es nicht, die Aufgaben und Lebensweise hingen vom Tempel und Kult ab. Die Quellenlage ist leider auch nicht sonderlich berauschend. Wir haben im Wesentlichen nur verstreute Einzelnotizen über Priesterinnen in verschiedenen Heiligtümern.

Ich habe ein paar Beispiele (hauptsächlich bei Pausanias) zusammengesucht:
- Die Priesterinnen (und Priester) der Artemis waren in der Regel tatsächlich zu einem Leben in Keuschheit verpflichtet. Eine Ausnahme war das Heiligtum der Artemis Hymnia bei Orchomenos (nicht das in Böotien, sondern das in Arkadien): Priesterin durfte nur eine Frau werden, die keine Jungfrau mehr war, sondern sie sollte im Gegenteil bislang ein eher "wildes" Leben geführt haben.
- In Patrai in Achaia gab es ein Heiligtum der Artemis Laphria, bei dem jährlich ein Fest gefeiert wurde, in dessen Rahmen es auch eine Prozession gab, bei der die Priesterin auf einem Wagen fuhr.
- In Hyperesia in Achaia gab es ein Heiligtum der Artemis Agrotera. Ihre Priesterin war ein Mädchen, das den Job aber nur machte, bis sie das heiratsfähige Alter erreichte. Ebenso verhielt es sich mit der Priesterin des Poseidon in seinem Heiligtum auf der Insel Kalaureia.
- In Epiros gab es einen dem Apollon geweihten Hain, in dem Schlangen gehalten wurden, die von einer Priesterin, die Jungfrau sein musste, gefüttert wurden. Diese Schlangen dienten als Orakel: Wenn sie gierig fraßen, prophezeiten sie damit Wohlstand und Gesundheit, andernfalls das Gegenteil.
- In der Nähe von Mykene gab es ein Heraheiligtum, das Heraion. Dort gab es auch einen Bach, dessen Wasser die Priesterinnen für Reinigungsrituale verwendeten. Vor dem Eingang standen Statuen ehemaliger Herapriesterinnen.
- In Aigion in Achaia gab es einen Hain der Hera, in dem sich ein Herabild befand, das nur ihre Priesterin sehen durfte.
- Die Priesterinnen der Athene Polias in Athen durften keinen Käse aus Attika essen.
- Irgendwo gab es ein Demeterheiligtum, dessen Priesterin vor allem die Aufgabe hatte, frischvermählten Ehepaaren das Eheleben zu erklären.
 
Allgemein lässt sich sagen, dass für Priester und Priesterinnen mindestens die gleichen Regeln wie für alle anderen Besucher des Heiligtums oder Tempels galten (wobei es allein bei den allgemeinen Regeln schon gravierende Unterschiede gibt). Im Gegensatz zu den Römern gab es aber selten besondere Tabus. Priester und Priesterinnen hatten jedoch die rituelle Befleckungen mehr zu meiden als andere Menschen.
Zu den allgemeinen, in den meisten Tempeln geltenden Vorschriften, gehören u. A. das Tragen sauberer weißer Kleidung. Weiterhin mussten auch alle Knoten (Haare, Gürtel etc.) gelöst sein, da jeder Knoten eine Blockierung der magischen Ströme darstellte.

Natürlich gab es von der Regel auch Ausnahmen und einige Priesterinnen hatten zusätzliche Regeln zu befolgen. Hier mal zwei Beispiele:

Die Vorschriften für die Artemispriesterinnen in Orchomenos galten z. B. als besonders streng. Es war den Priesterinnen u. A. verboten dieselben Bäder wie andere Frauen zu benutzen und das Haus eines Privatmannes zu betreten. Lebenslange Keuschheit gehörte natürlich auch zu ihrem Pflichtprogramm.

Die Zeuspriesterinnen auf Kos war es verboten mit Hekate in Berührung zu kommen. Auch das Betreten von Gräbern war untersagt. Häusern in denen jemand gestorben war oder in denen eine Frau niedergekommen war, waren ebenso für eine gewisse Zeit ein Tabu.


Interessant ist, dass die so gut wie überall verlangte Reinheit nicht unbedingt nur mit körperlicher Sauberkeit zu tun hat. "Die Reinheit besteht in heiligen Gedanken." so lautet eine bekannte Innschrift aus einem Heiligtum in Epidauros.
(Um mal ein Beispiel aus dem römischen Raum zu nehmen: Eines der wenigen Sakralgesetze aus der Kaiserzeit besagt z. B., dass der Besucher eines bestimmten Aeskulaptempels mindestens drei Tage lang keinen Kontakt, zu einem Barbier oder einem öffentlichen Bad gehabt haben durfte.)
 
- Die Priesterinnen (und Priester) der Artemis waren in der Regel tatsächlich zu einem Leben in Keuschheit verpflichtet. Eine Ausnahme war das Heiligtum der Artemis Hymnia bei Orchomenos (nicht das in Böotien, sondern das in Arkadien): Priesterin durfte nur eine Frau werden, die keine Jungfrau mehr war, sondern sie sollte im Gegenteil bislang ein eher "wildes" Leben geführt haben.
Die Vorschriften für die Artemispriesterinnen in Orchomenos galten z. B. als besonders streng. Es war den Priesterinnen u. A. verboten dieselben Bäder wie andere Frauen zu benutzen und das Haus eines Privatmannes zu betreten. Lebenslange Keuschheit gehörte natürlich auch zu ihrem Pflichtprogramm.
Na klasse ... Ich frage mich gerade, wie man diese beiden Angaben unter einen Hut bringen kann. Beide beziehen sich auf das Heiligtum der Artemis Hymnia beim arkadischen Orchomenos, und beide basieren auf Stellen von Pausanias, meine 8,5, Deine 8,13.
 
Na klasse ... Ich frage mich gerade, wie man diese beiden Angaben unter einen Hut bringen kann. Beide beziehen sich auf das Heiligtum der Artemis Hymnia beim arkadischen Orchomenos, und beide basieren auf Stellen von Pausanias, meine 8,5, Deine 8,13.

Vielleicht dachte man einfach, dass den Frauen die (künftige) lebenslange Keuschheit leichter fallen würde, die sich ihr "Lebensquantum" Sex schon vorher gegönnt hatten. :D
 
Schon klar, das wäre eigentlich auch mein Gedankengang, aber bei Pausanias ist die Rede davon, dass sie auf Lebenszeit rein sein mussten - zumindest so wie ich die Stelle verstehe, mein Altgriechisch hat leider schon arg gelitten:
τούτοις οὐ μόνον τὰ ἐς τὰς μίξεις ἀλλὰ καὶ ἐς τὰ ἄλλα ἁγιστεύειν καθέστηκε τὸν χρόνον τοῦ βίου πάντα, καὶ οὔτε λουτρὰ οὔτε δίαιτα λοιπὴ κατὰ τὰ αὐτά σφισι καθὰ καὶ τοῖς πολλοῖς ἐστιν, οὐδὲ ἐς οἰκίαν παρίασιν ἀνδρὸς ἰδιώτου.
 
Ich habe eine mögliche, wenngleich nicht übermäßig wahrscheinliche, Lösung für die Diskrepanz gefunden: Die Stelle 8,13 beginnt so: "Im Land der Orchomenier, zur Linken des Weges von Anchisiai, liegt auf dem Abhang des Berges das Heiligtum der Artemis Hymnia. Die Mantineier haben daran Anteil, eine Priesterin und einen Priester." Dann folgen die Bestimmungen über die Keuschheit und Reinheit. Die Stelle könnte so zu verstehen sein, dass die Reinheitsvorschriften für die von Mantineia gestellten Priesterin und Priester gelten, hingegen eine weitere Priesterin von Orchomenos gestellt wird, für die die Vorschrift gilt, dass sie vor ihrer Bestellung ausreichend Sex gehabt haben muss.
Welchen Sinn diese unterschiedlichen Anforderungsprofile gehabt haben könnten, weiß ich auch nicht. Die Sage (8,5) besagte, dass die Priesterin mit dem Sex ursprünglich auch Jungfrau sein musste, aber als dann einmal eine vergewaltigt wurde, sei die neue Vorschrift eingeführt worden.
Ein Problem dieser Erklärung ist auch, dass der Text zwischen "Die Mantineier haben daran Anteil" und "eine Priesterin und einen Priester" möglicherweise eine Lücke enthält, sodass nicht sicher ist, ob wirklich gesagt wird, dass der Priester und die Priesterin von Mantineia gestellt werden.
 
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