"Lebensraum im Osten" - und noch viel weiter?

T

Tekker

Gast
In den Weiten des Internets bin ich über zwei Karten gestolpert, die mich zu diesem Thema angeregt haben.

Auch hier im Forum liest man oft "Vernichtungskrieg im Osten", u.a. um den vom nationalsozialistischen Deutschland angestrebten "Lebensraum im Osten" zu schaffen. Doch ist diese vielfach verwendete "Floskel" recht schwammig. Was bedeutete das konkret? Welche Pläne hatte man mit welchen Gebieten bei siegreichem Ausgang des Krieges - und wie weit muß man sich das territorial vorstellen? Bis zum Ural? Sollten diese riesigen Gebiete komplett entvölkert werden um eine "arische" Besiedlung zu ermöglichen? Und was war mit den östlich angrenzenden Gebieten? Abhängiger Lieferant von Rohstoffen?

Die von mir gefundenen Karten zeigen zum einen die "Reichskommissariate" Ostland, Ukraine, Kaukasus und Moskau, ohne eine weiter östlich gelegene (geplante) Administration. Zum anderen sind konkret angedachte Siedlungsgebiete verzeichnet, die zu meiner Überraschung eben nicht ein solches Ausmaß annehmen, wie vielfach suggeriert wird.

Hier die Karten:


:confused:
 
Karte1 scheint mir ein Schreckgespenst von finnischen Europa-Kritikern zu sein, Karte 2 ist ziemlich korrekt sofern ich das beurteilen kann.
 
Deckt sich aber mit dem, was ich auch schon andernorts sah. Was besseres konnte ich im Netz noch nicht finden. :fs:

Also zu irgendwelchen Gedankenspielen der NS-Oberen kann ich dir keine Karten liefern (ich bin mir auch nicht sicher, ob die Gedanken wirklich so ausgereift waren, daß man sich vor Kriegsende schon einig über die genauen Grenzen war), aber im Deutschen Schulatlas von 1942 wurde den Kindern schon recht detailliert ein zukünftiges Siedlungsgebiet in Kartenform dargestellt. Hast du den? Ist antiquarisch für ca. 50-70€ zu bekommen.
 
Welche Pläne hatte man mit welchen Gebieten bei siegreichem Ausgang des Krieges - und wie weit muß man sich das territorial vorstellen? Bis zum Ural?

Die Frage wäre, was man als Plan ansieht. Dafür könnte man Äußerungen+vorläufige Organisationen im Verlauf des Krieges heranziehen.

Zum Westen:
Die Angliederung der Schweiz und Belgiens ist von Hitler bereits vor dem Westfeldzug angesprochen worden.

Ähnliches darf man sich mit Norwegen (Dänemark sowieso) vorstellen, zu dem es Äußerungen Hitlers gibt, es nicht wieder herzugeben. Dafür spricht auch der dortige Aufbau der Rüstungsindustrie.

Frankreich stellte man sich wohl im Ergebnis des Krieges als einen abhängigen Trabanten D. vor, territoriale Forderungen bezogen sich auf Elsaß-Lothringen und Teile Nordfrankreichs.

Für den "Siedlungsraum im Osten", sozusagen als letzten Stand, würde ich diese Juli-Konferenz 1941 heranziehen. Vorgesehen waren Aufteilungen, sowie speziell Teile der Südukraine/Krim, die "Wehrkolonie" im Kaukasus/Baku, und Baltikum als größeren zusammenhängenden Neu-Siedlungsraum.
Der Raum um Leningrad war dagegen für die Finnen vorgesehen, nach der Vernichtung der Stadt. Die übrigen Gebiete kann man sich als bewachte Überschussproduzenten vorstellen, daneben als Ausbeutungsterritorium deutscher Unternehmen (auch extra neugegründeten, siehe zB die Diskussion um Kautschuk und Öl). Die Gebiete hätten Nahrungsmittel, Rohstoffe und Produkte abliefern müssen. Zum Vernichtungsplan gehörte ebenso, die "Zuschussgebiete" im Osten gewaltsam zu entvölkern.

Die vorgeschobene Grenze im Osten sollte dann durch bewegliche Kräfte der Wehrmacht gesichert werden.
 
Zum anderen sind konkret angedachte Siedlungsgebiete verzeichnet, die zu meiner Überraschung eben nicht ein solches Ausmaß annehmen, wie vielfach suggeriert wird.

Also ich finde schon, dass die Siedlungspläne ein enormes Ausmaß haben - immerhin wurde in der Planungsphase von einer Siedlung bis zum Ural ausgegangen.

Die verlinkten Karten scheinen korrekt zu sein - sie decken sich mit den Karten, die im Zusammenhang mit dem "Generalplan Ost" entworfen worden sind. Eine Rekonstruktion dieser Karten gibt es hier:
Karte 1: DFG - Ausstellung: Wissenschaft, Planung, Vertreibung. Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten.
Karte 2: DFG - Ausstellung: Wissenschaft, Planung, Vertreibung. Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten.
 
Die von mir gefundenen Karten zeigen zum einen die "Reichskommissariate" Ostland, Ukraine, Kaukasus und Moskau, ohne eine weiter östlich gelegene (geplante) Administration.

Diese Kommissariate und ganz grob die Grenzen aus der ersten Karte kommen so in diesem Roman vor: Vaterland (Roman) – Wikipedia

Spielt in den 60ern, nachdem das 3. Reich den den Krieg gewonnen hat. Kannst ja mal beim Autor Robert Harris nachfragen, aus welchen Quellen der geschöpft hat, ich weiß es nicht.
 
Also ich finde schon, dass die Siedlungspläne ein enormes Ausmaß haben - immerhin wurde in der Planungsphase von einer Siedlung bis zum Ural ausgegangen.

Man sollte unterscheiden, was mit den Gebieten bebsichtigt war:

"Siedlungs-"Gebiete waren nur Baltikum, Schwarzmeerküste/Krim mit Theoderichhafen sowie Kaukasusteile um Baku.

Der Rest der Reichskommissariate stellte Ausbeutungsgebiet mir beherrschter Bevölkerung (zB eben weite Teile der Ukraine) und deutscher Verwaltung dar oder menschenleer zu machende frühere "Zuschuß"gebiete (zB weite Teile Weißrußlands).

Als Hinweis noch Eichholtz in "Wir sind die Herren dieses Landes", hrsg. von Babette Quinkert, 2002.
 
Man sollte unterscheiden, was mit den Gebieten bebsichtigt war:.

Ich stecke da zwar nicht sooo tief im Thema, aber ich meine auch, daß man das trennen muß. Also zwischen "beherrschen" und "besiedeln". Die NS-Ideologen haben sich zwar viel Größenwahn zurechtgesponnen, aber daß ein Gebiet bis zum Ural erst menschenleer und dann voll deutscher Siedler gepackt werden kann, glaubte da auch keiner ernsthaft.

Selbst in den "Siedlungsräumen" wurde ja meines Wissens ein System geträumt, wonach deutsche "Herrenmenschen" über ein Helotenvolk herrschen. Flappsig ausgedrückt: so daß quasi jeder SS-Pensionär zum Gutsherren werden sollte, dessen Hauptaufgabe in eifriger Fortpflanzung bestehen sollte... :S

Das wurde übrigens sogar im Spielfilm als Zukunftsaussicht eingeflochten.
 
Vielen Dank für die zahlreichen Antworten! :yes:

...daß ein Gebiet bis zum Ural erst menschenleer und dann voll deutscher Siedler gepackt werden kann, glaubte da auch keiner ernsthaft.

Eben deswegen kam ich auf das Thema. Die totale "Entvölkerung" war also offenbar nicht das erklärte Ziel. Und was war nun mit den "Restgebieten" der SU, z.B. Sibirien? :confused:
 
Vielen Dank für die zahlreichen Antworten! :yes:



Eben deswegen kam ich auf das Thema. Die totale "Entvölkerung" war also offenbar nicht das erklärte Ziel. Und was war nun mit den "Restgebieten" der SU, z.B. Sibirien? :confused:
Ob die Nazis für Sibirien bereits konkrete Ziele hatten, weiß ich jetzt auch nicht so genau. Einerseits weiß ich, daß die Eroberung und Beherrschung des asiatischen Raumes das erklärte Ziel der Japaner war, andererseits habe ich in Dokus im Fernsehen auch mal gehört, daß ein Vordringen der deutschen Truppen bis nach Afghanistan angedacht war.
(im Netz hab ich jetzt auf die Schnelle nichts dazu gefunden)
 
Einerseits weiß ich, daß die Eroberung und Beherrschung des asiatischen Raumes das erklärte Ziel der Japaner war, andererseits habe ich in Dokus im Fernsehen auch mal gehört, daß ein Vordringen der deutschen Truppen bis nach Afghanistan angedacht war.

Auf irgendeiner Karte hatte ich vor Urzeiten mal die Grenze der Interessengebiete verzeichnet gesehen, ging mitten durch Sibirien und um den ganzen Globus. :grübel:

Und Afghanistan, na ja, hat zwar was länger gedauert, aber mittlerweile sind wir ja angekommen... =)

Ups. :still:
 
Ob die Nazis für Sibirien bereits konkrete Ziele hatten, weiß ich jetzt auch nicht so genau. ... andererseits habe ich in Dokus im Fernsehen auch mal gehört, daß ein Vordringen der deutschen Truppen bis nach Afghanistan angedacht war.
(im Netz hab ich jetzt auf die Schnelle nichts dazu gefunden)

Zufällig habe ich vor ein paar Jahren eine "Korps-Führungskarte" gefunden: Baku-Batum, verteilt im Sommer 1942. Die wurden sicher nicht zum Spaß gedruckt.

Nach 1941 stellte man sich am Ural, an den Osträndern des Reichskommissariate Moskau und Kaukasus, eine "Wehrgrenze" vor, über die dann und wann und ggf. Panzerdivisionen etc. in Raids nach Osten vorstoßen, um die dortigen Kraftzentren klein zu halten und östlich gelegene Rüstungsindustrie zu zerstören.
 
Ob die Nazis für Sibirien bereits konkrete Ziele hatten, weiß ich jetzt auch nicht so genau.

Konkrete Ziele wohl eher nicht. Himmler hielt z. B. das Gebiet bis zum Ural für ausreichend, um das Bevölkerungswachstum in der ersten Hälfte des Tausendjährigen Reiches aufzunehmen:

"Dieser germanische Osten bis zum Ural muß ... die Pflanzstätte germanischen Blutes sein, damit in 4 bis 500 Jahren ... statt 120 Millionen 5 bis 600 Millionen Germanen vorhanden sind."
Heinrich Himmler, 1942
vor SS- und Polizeiführern in der Ukraine
Nach: DFG - Ausstellung: Wissenschaft, Planung, Vertreibung. Der Generalplan Ost der Nationalsozialisten.
 
In Anbetracht der heutigen Bevölkerungsexplosion wäre DAS auch in wesentlich kürzerer Zeit zu schaffen gewesen! Der Reichsheinrich wollte zu diesem Zwecke auch mittelfristig die Polygamie wiedereinführen.
Wenn ich mir vorstelle, was jetzt wäre, wenn wir gewonnen hätten: ein Volk bestehend aus vegetarisch lebenden Polygamisten die zudem auch noch äußerst konservativ eingestellt sind. Brrrr!
 
Zuletzt bearbeitet:
Zurück
Oben