Lebenstandard und Armut in Afrika heute und damals

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Gast

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Ich unterhielt mich vorhin mit jemandem, der meinte, den Menschen in Afrika gehe es heute zwar dreckig, aber dies sei nicht Folge des globalen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Vielmehr, so meinte er, befände sich Afrika in einem steinzeitlichen Zustand. Hat er Recht? Ich habe das heftigst bestritten und meinte, ich habe Texte aus der Kolonialzeit Afrikas gelesen, wo es den Leuten in Afrika besser ging als heute. Die damaligen ureinwohner Afrikas hatten Gemeineigentum und freie Einteilung ihrer Arbeitszeit. Natürlich wusste ich nicht mehr, wo ich das gelesen hatte. Aber was sagt ihr?

Ich verglich die Entwicklung Afrikas mit der Modernisierungsgeschichte Eurpas, wo es im Mittelalter auch noch ein relativ freies Bauerntum gab mit Gemeineigentum, welcher aber Ende des Mittelalters in Leibeigenschaft geriet aufgrund von Enteignungen und Privatisierungen, die sich durch die gesamte Neuzeit hinziehen (sogenanntes Bauernlegen, Einhegungen, Gemeinheitsteilungen etc.).
 
Ich glaube der Vergleich mit dem Mittelalter war, wenn du es denn genauso gesagt hast, weniger angebracht, schlicht falsch.
Gerade am Anfang des Mittelalters war die Leibeigenschaft eine wichtige Machtbasis des feudalen Adels und hätte man damals einen Bauern, der den größten Teil seines Gewinns seinem Frohnherrn abgeben, nach Gemeingut gefragt, hätte man höchstens Unverständniss erwarten können.
Auch dass du mit der Globalisierung.

Ob es den Ureinwohnern Afrikas zur Zeit der Kolonialisierung ist wohl eine Behauptung, über die sich streiten lässt. Ich bezweifle, dass es ihnen gefallen hat, dass ein paar Engländer oder Franzosen, oder Holländer ihnen ihr Land wegnahmen, sich als ihre Herren aufspielten, und Aufstände gegen die Fremdherrscher blutig niederschlugen.
 
Das hilft zwar nicht viel weiter, aber vielleicht doch ein bisschen: Jürgen Bähr schrieb in seiner Bevölkerungsgeographie (Berlin 1992), dass 1770 das BSP in den heutigen Entwicklungsländern sich nicht von dem in den heutigen Industrieländern unterschied, heute aber in letzteren 22 mal so hoch ist. Wie Bähr diese Zahlen ermittelt hat weiß ich nicht, da ich sie aus einem Buch von Walter Gorenflos (Keine Angst vor der Völkerwanderung) habe.
 
El Quijote schrieb:
dass 1770 das BSP in den heutigen Entwicklungsländern sich nicht von dem in den heutigen Industrieländern unterschied, heute aber in letzteren 22 mal so hoch ist.

Gemeint ist wohl 1970?
Aber auch dann kann die Angabe so nicht stimmen.
 
Nee, 1770 ist schon richtig.

"Einer wissenschaftlichen Untersuhung zufolge [in der Fußnote nennt Gorenflos das oben zitierte Werk] soll sich noch um 1770 das BSP pro Kopf in Europa kaum von dem in Asien, Afrika und Lateinamerika unterschieden haben. Für 1870 wird bereits ein Verhältnis von 3:1 ermittelt. Heute is das Pro-Kopf-BSP in den Industrieländern zweiundzwanzigmal so groß wie in den Entwickungsländern." Gorenflos, S. 78. 1995.

Edit: Also da mir nicht vorliegende Werk von Jürgen Bähr, Bevölkerungsgeographie soll nach der Fußnote von Gorenflos diese Daten auf seiner 194. Seite nennen.
 
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El Quijote schrieb:
"Einer wissenschaftlichen Untersuhung zufolge [in der Fußnote nennt Gorenflos das oben zitierte Werk] soll sich noch um 1770 das BSP pro Kopf in Europa kaum von dem in Asien, Afrika und Lateinamerika unterschieden haben. Für 1870 wird bereits ein Verhältnis von 3:1 ermittelt. Heute is das Pro-Kopf-BSP in den Industrieländern zweiundzwanzigmal so groß wie in den Entwickungsländern."

Da würde mich schon interessieren, mit welchen Methoden das BSP ermittelt wird. Das Buch von Bähr schaue ich mir gelegentlich mal an.
 
Früehr wurden sie von Ausländen ausgebeutet und heute z.T. von ihren eigenen, hmm. Also Jürgen Kuczynski(?) behauptet, dass die Armut größer heute ist als vor 500 jahren, aber ob das für Afrika gilt? Man muss eh aufpassen, so Länder wie Botswana sind schon nich sehr dolle arm dran,da is die medizin. VErsorgung sogar kostenlos, aber Äthiopien oder Tansania is scon böse. Der Dokufilm "Darwins Albtraum" zeigt zumindest die böse Seite Afrikas
 
Gast schrieb:
Ich unterhielt mich vorhin mit jemandem, der meinte, den Menschen in Afrika gehe es heute zwar dreckig, aber dies sei nicht Folge des globalen Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Vielmehr, so meinte er, befände sich Afrika in einem steinzeitlichen Zustand. Hat er Recht?

Der Kapitalismus des 21.Jhds. ist sicherlich nicht schuld. Die Misere der "Dritten Welt" ist früheren Ursprungs. Ich versuche immer folgendermaßen zu argumentieren:

1. Mit Fremdherrschaft übernimmt man Verantwortung über ein Gebiet und seine Menschen. Die USA dürfen sich nicht wundern, wenn sie für die Missstände im Irak verantwortlich gemacht werden, denn sie sind die Herren im Haus. Wer die Macht an sich nimmt, muss eben auch für Sicherheit, Ordnung und Wohlergehen sorgen.

Die Kolonialherren von damals hatten - gewollt oder ungewollt - auch diese Verantwortung übernommen, die in vielen Fällen kaum oder nicht wahrgenommen wurde, bzw. für ihre Interessen sogar aufgegeben wurde: Sklaverei, Raubbau und politische Willkür gehörten zum System.

Auch die Infrastruktur wurde nicht an die Bedürfnisse der Menschen angepasst, sondern denen der "weissen" Interessen.

2. Mit der Kolonialisierung verbindet sich ein Kultur- und Mentalitätswandel, der nicht unerheblich ist. Technologie und Fortschritt kamen, ohne dass den Völker Zeit gegeben wurde, sich diese in ihrem Kontext anzueignen. Aus erfolgreichen Ackerbauern wurden Gleisarbeiter oder Plantagenhelfer. Urbane Räume entstanden, die es vorher nicht gegeben hatte. Staatswesen wurden nach der Unabhängigkeit ins Leben gerufen, die ohne ausgebildete Verwalter auskommen mussten.

3. Der Kalte Krieg tat sein Übriges. Stellvertreterkriege verwandelten viele Länder in Katastrophengebiete, Marionettenregime egal welcher Couleur sorgten für brutale Ordnung, nicht für Wohlstand und Gerechtigkeit.

Habe leider wenig Zeit, um tiefer zu steigen. Das muss erstmal reichen.
 
Pope schrieb:
Der Kapitalismus des 21.Jhds. ist sicherlich nicht schuld. Die Misere der "Dritten Welt" ist früheren Ursprungs.
Damit begeben wir uns in den Grenzbereich des im Forum erwünschten, aber dennoch: man unterscheidet, wenn man vom Kolonialismus spricht, zwischen formeller und informeller Herrschaft. Zwar übt Europa heute in Afrika zwar nirgends mehr (außer Ceuta und Melilla) formelle Herrschaft aus, aber informelle schon. Ich denke da z.B. an Shell in Nigeria, den Abbau von Rohstoffen im Kongo und ähnliche Geschichten. Ergo trägt der postkoloniale Kapitalismus zumindest eine Mitschuld daran, dass Afrika wirtschaftlcih nciht auf die Beine kommt. Einen anderen Teil trägt die Enwticklungshilfe, das würde aber wirklich zu weit führen.
 
@Entwicklungshilfe: ich denke, man kann nicht generell der Entwicklungshilfe die Schuld geben, sie wird nur meist falsch verteilt/eingesetzt.


@Topic: Auch auf die Gefahr hin, dass die Mods mir böse werden: Wenn man sich die Entwicklung in einzelnen Staaten Afrikas genauer ansieht, so kann man feststellen, dass jene Staaten, die in den letzten Jahren liberalere Politik eingeführt haben und marktwirtschaftliche Systeme fördern ein größeres Wachstum haben als jene, die z.b. noch unter Diktaturen und anderen Regiemen stehen.
Verständlich, wenn man der Kapitalismustheorie glaubt, aus der sich ableiten lässt, dass Auslandsinvestitionen nur getätigt werden, wenn politische Stabilität besteht, ein funktionierendes Rechtssystem anzutreffen ist etc.
Wie man aus der afrikanischen Geschichte weiss war diese nunmal unschönerweise sehr oft von Regimen, Bürgerkriegen, Unterdrückungen & co. heimgesucht, etwas das auch heute noch längst nicht allerorts überwunden ist - kein Wunder dass die Wirtschaft nicht hochkommen kann, welcher Investor sollte denn sein Geld in ein Land investieren, in dem ihm womöglich aus Willkür oder beim nächsten Umsturz in 5 Jahren alles enteignet wird?
Sicher nur eine arg vereinfachte Darlegungsweise, jedoch würde sonst eh wieder alles in eine Diskussion über "das beste Marktsystem" verfallen :rofl:
 
Es ist festzustellen, dass die afrikanischen Menschen heute nicht mehr oder nur indirekt von den ehemaligen Kolonialmächten ausgebeutet werden. Heute beuten Afrikaner, Afrikaner aus. Es gibt auch Rassismus, der von den Afrikanern ausgeht und sich nicht nur gegen Weiße wendet, sondern wie in Kenia die Inder aus dem Land vertrieben hat.:grübel:
 
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El Quijote schrieb:
Nee, 1770 ist schon richtig.

"Einer wissenschaftlichen Untersuhung zufolge [in der Fußnote nennt Gorenflos das oben zitierte Werk] soll sich noch um 1770 das BSP pro Kopf in Europa kaum von dem in Asien, Afrika und Lateinamerika unterschieden haben. Für 1870 wird bereits ein Verhältnis von 3:1 ermittelt. Heute is das Pro-Kopf-BSP in den Industrieländern zweiundzwanzigmal so groß wie in den Entwickungsländern." Gorenflos, S. 78. 1995.

Edit: Also da mir nicht vorliegende Werk von Jürgen Bähr, Bevölkerungsgeographie soll nach der Fußnote von Gorenflos diese Daten auf seiner 194. Seite nennen.

Jetzt habe ich das Buch von Bähr (die Daten habe ich auf S. 134 gefunden), allerdings hat auch Bähr keine wissenschaftliche Untersuchung angestellt, sondern die Zahlen lediglich abgeschrieben. Er selbst spricht übrigens nicht von "wissenschaftlicher Untersuchungen", sondern lediglich von "Schätzungen". (Wenn einer vom anderen abschreibt, mutieren Vermutungen gelegentlich zu erwiesenen Tatsachen...)

Bährs Quelle lautet:

P. Bairoch, Les Ecarts des Niveaux de Développement Economique entre Pays Développés et Pays Sous-développés de 1770 à 2000, in: Tiers Monde 12, S. 497-514.

Mal sehen, ob sich das mit vertretbarem Aufwand besorgen läßt.
 
hyokkose schrieb:
Jetzt habe ich das Buch von Bähr (die Daten habe ich auf S. 134 gefunden), allerdings hat auch Bähr keine wissenschaftliche Untersuchung angestellt, sondern die Zahlen lediglich abgeschrieben. Er selbst spricht übrigens nicht von "wissenschaftlicher Untersuchungen", sondern lediglich von "Schätzungen". (Wenn einer vom anderen abschreibt, mutieren Vermutungen gelegentlich zu erwiesenen Tatsachen...)

Der Klammersatz gehört zu den wichtigsten Tips in "Regeln zur Analyse wissenschaftlicher Texte", die irgendwann mal niedergeschrieben werden sollten. ;) Das ist ein Phänomen, was scheinbar ständig wieder auftaucht. Eigentlich bei der Vielzahl von Elaboraten kein Wunder, denn die wenigsten bringen wirklich neue Erkenntnisse, sondern stellen nur alten Kram wieder neu zusammen...:mad:
 
Nina79

Das hier ist ein Geschichtsforum wo wir über historische Ereignisse diskutieren und nicht über tagespolitische Themen. Wenn du über die heutige Situation in Afrika diskutieren möchtest dann musst du in ein anders Forum und zwar in ein Politikforum. Wie wir es dir via PN schon mitgeteilt haben.

Über die Geschichte und den Kolonialismus kannst du aber jederzeit diskutieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Warum sollen wir denn jetzt wieder die Schuldigen sein?
Auch vor der Kolonialisierung von außerhalb war es in den meisten Teilen Afrikas Gang und Gäbe, dass Stämme untereinander Krieg geführt haben. Der Verlierer wurde entweder unterworfen und ausgebeutet, oder wurde einfach verdrängt. Davon zeugen auch die vielen Völkerwanderungen, die es vor dem Auftauchen der Weißen gab. Rechtmäßiger Eigentümer des Landes war der, der es erobern und halten konnte. Grundbesitz wie wir ihn kennen war für die größtenteils nomadisch lebenden Stämme sowieso unbekannt. Das die schwarze Bevölkerung vor den Weissen Anspruch auf das Land hat, diese Idee stammt ironischer Weise nicht von den Schwarzen sondern von den Weissen selbst.
Trotz der Kolonialisierung, hat sich, seit dem Mittelalter, eigentlich nicht viel auf dem Kontinent getan, außer vielleicht, dass die Kalaschnikow den Speer abgelöst hat. Dabei könnte Afrika, bei all den Recourcen, Europa, wirtschaftlich in kürzester zeit ebenbürtig sein.

Aber statt die gefragten Bodenschätze zu einem angemessenen Preis in Infrastruktur und Bildung zu investieren wird lieber so billig wie möglich und massenweise veraltetes Kriegsgerät importiert.

Und in dem man die Weissen aus dem Land vertrieben hatte, hat man es in kürzester Zeit geschafft aus Rhodesien, der Kornkammer Südafrikas, mit dem größten Wirtschaftswachstum ganz Afrikas, Simbabwe, einen der größten Lebensmittelimporteuere der Region zu machen in dem ein Großteil der Bevölkerung am Hungertuch nagt.

Warum sollen wir schuld sein an dieser Unfähigkeit und Korruption?
 
Die meisten, wenn nicht nahezu alle Konflikte in Afrika sind direkt oder indirekt ein Resultat der Kolonialzeit. Das ist natürlich nicht unsere Schuld, so, wie wir hier an unseren Rechnern sitzen und diskutieren, aber es lässt sich wohl nicht von der Hand weisen, dass die Einflussnahme, Kolonisierung und schlussendlich Staatengründung europäischer Mächte Afrika wie es heute dasteht entscheidend geprägt hat.

Wie Du schon festgestellt hast, gab es in Afrika in vorkolonialer Zeit keine Staaten, die unserer Vorstellung entsprechen. Allerdings gab es sehr wohl politische Entitäten, v.a. Königreiche mit beweglichem Einflussbereich. In Afrika ging es in vorkolonialer Zeit weniger um Macht über Territorium, als um Macht über Menschen. Dass sich Afrikaner aus primitiveren Gründen als die lieben Europäer die Köpfe eingeschlagen haben sollen, halte ich für ein Gerücht. Es ist keineswegs so, dass auf dem afrikanischen Kontinent wildes Chaos herrschte, bis die gnädigen Kolonialherren ankamen und den Afrikanern die Zivilisation brachten. (Die ersten Großreiche der Menschheitsgeschichte entstanden auf afrikanischem Boden, und damit meine ich NICHT nur Ägypten. Schau Dir doch mal den Thread über das Königreich von Kusch als ein Beispiel von vielen an!)

Als einen Grund für die derzeitigen Probleme in vielen afrikanischen Staaten sehe ich die Künstlichkeit dieser staatlichen Gebilde. Da werden völlig unterschiedliche Gruppen, Kulturen und Ethnien in einen Topf geworfen, um künstlich territoriale Grenzen zu schaffen, die da vorher nie waren. Und das IST ein Resultat der Kolonialzeit. Die Entwicklung von Nationalstaaten ging in Afrika völlig künstlich vonstatten, das musste schiefgehen bzw. wird sicher noch Zeit brauchen.

Das liegt aber garantiert nicht daran, dass alle Afrikaner blöde und unfähig sind :grübel:

LG
Die_Schweigende
 
Wo bitte gibt es denn in (Schwarz-) Afrika Nationalstaaten? Hättest du da mal ein Beispiel zur Hand?

Sorry, falscher Begriff :still:

Man versucht in vielen Staaten so etwas wie ein Nationalbewusstsein zu schaffen, beispielsweise durch Einführung von "Nationalsprachen" - funktioniert aber leider nicht. Ich bin kein Politwissenschaftler, sondern Linguist und Historiker, daher weiß ich gerade nicht, wie ich ausdrücken soll, was ich meine.

Hmmm ... jedenfalls bin ich der Meinung, dass die erzwungene Staatenbildung in Afrika in nahezu allen Fällen derart künstlich vonstatten ging, dass nationale Einheit gar nicht erst entstehen konnte, niemand so etwas wie Nationalbewusstsein entwickelt, und in vielen Ländern von vorneherein bürgerkriegsähnliche Zustände vorprogrammiert waren. So, wie ich das sehe, ist das aber nicht die Schuld der Afrikaner oder ihrer Unfähigkeit, sondern ein mehr oder minder direktes Resultat der Kolonialherrschaft.

LG
Die_Schweigende
 
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