Lepra - Erst Gottesstrafe, dann heilige Krankheit

SRuehlow

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In Frankreich gibt es um 1225 mehr als 2000 sogenannnte Leprosorien, Häuser für Aussätzige, die an der Lepra erkrankt sind. Im Zeitalter der Kreuzzüge scheint sich die Lepra wie eine Volksseuche in ganz Mitteleuropa auszudehnen und zu verbreiten. Doch ein Großteil der mit "Aussatz" heimkehrenden Kreuzritter leidet vermutlich nicht unter Lepra, sondern unter dem "heilbaren Aussatz", der Syphillis. Die Zahl der tatsächlichen, an Lepra, Erkrankten ist daher nicht ganz so groß, wie es die vielen Leprosorien, die zum Teil mehr als ein Dutzend Patienten beherbergen, vermuten lassen.
Die Bezeichnung Aussatz umfaßt im Mittelalter nicht nur die Lepra, sondern ist auch Sammelbezeichnung für alle möglichen Infektionskrankheiten, die sich vor allem durch Hautveränderungen auszeichnen. Der abstoßende Anblick dieser Erkrankten führt zu ihrer Aussetzung, d. h. ihrer Ausgliederung aus der Gemeinschaft; derher der Begriff Aussatz. Eindeutig nachweisbar sind die Symptome der Lepra, die im Mittelalter auch Miselsucht, Mezel, Mesel oder Misel (vom lat. misselus - arm, elend) gennannt wird, erst seit dem 12./13. Jahrhundert.
Neben dem rationalen anmutenden Erklärungsversuch, Lepra sei auf den Genuß von verdorbenem Wein oder schlechtem Schweinefleisch zurückzuführen, überwiegt vor allem im frühen und hohen Mittelalter die religiös motivierte Vorstellung, dass die Krankheit eine Bestrafung für eine begangene Sünde sei. Der Kranke gilt deshalb als unrein und gefährlich und wird aus der Gemeinschaft ausgeschlossen. Als Ausgestoßener verliert der Lepröse seine angestammten Rechte und zum Teil auch den Schutz der Gemeinschaft. Die üblichen sozialen Kontakte werden weitgehend unterbunden. Alleinstehende Lepröse dürfen nicht heiraten und Verheiratete müssen ihre Familien verlassen. Sogar die Totenmesse wird für sie gelesen, denn sie gelten gesellschaftlich als tot, obwohl sie noch leben.
Eine Reihe von Lepra-Vorschriften legen die rituellen Formen dieser Ausgliederung fest. So müssen sich Lepröse zum Beispiel durch eine besondere Kleindung zu erkennen geben und Handschuhe tragen, um körperliche Berührungen zu vermeiden.
Im hohen Mittelalter werden besondere Häuser errichtet, die obengenannten Leporsorien oder Siechenhäuser. Hier bilden sie eine Art Bruderschaft und geloben, eine Gütergemeinschaft zu leben. Aus ihrer Mitte wird ein Leprorienmeister gewählt. Ihre Leprosenordnung schreibt Gleichheit von Verpflegung und Kleidung vor.
Als auch Kreuzfahrer an Aussatz erkranken wird die Lepra weniger als Folge einer Sünde, denn als eine "heilige" Krankheit aufgefaßt. Den Kranken soll nun in christlicher Nächstenliebe geholfen werden. Die Totenmessen für die Leprösen werden abgeschaft und das 3. Laterankonzil von 1179 beschließt, dass Lepra kein Scheidungsgrund mehr ist. Der um 1120 in Jerusalem gegründete St.-Lazarus-Orden befaßt sich speziell mit der Pflege von Aussätzugen in "Lazaretten".

Das Auftreten der Lepra ist Mittelalter meldepflichtig. Zuständig ist zumeist der Priester, dem bei der Unterlassung der Meldung binnen einer festgesetzten Frist (sechs Wochen) die Exkommunikation droht. Seit dem 13. Jahrhundert werden Kranke vor der Aufnahme in ein Leprosorium von einer Kommision von Ärzten und Chirurgen "besehen", die in der Regel von den jeweiligen Stadträten eingesetzt sind, gleich einem Gerichtsprozess. Der Beschuldigte wird vorgeladen und be- bzw. verurteilt. Wird er als krank befunden, so wird er im Siechenhaus eingewiesen; ist er rein und unschuldig, wird er freigesprochen. In Zweifelsfällen erfolgt eine erneute Vorladung. Das Urteil wird in einer Urkunde festgehalten, die beim Eintritt ins Siechenhaus vorzulegen ist. Insbesondere im späten Mittelalter soll dieses Dokument verhindern, dass vagabundierende Arme in den Leprahäusern Unterschlupf und Verpflegung finden. Die Krankheitssymptome sind in einem speziellen Katalog niedergelegt. Es handelt sich um 16 Punkte, die zu überprüfen sind.
1. harte und gehöckerte Muskeln, 2. ausgetrocknete Haut, 3. Haarausfall, 4. Muskelschwund, 5. Unempfindlichkeit und Krämpfe, 6. Hautausschläge wie Krätze, Schuppen und Geschwüre, 7. körnige Anschwellungen unter der Zuge, an den Augenlidern und hinter den Ohren, 8. Brennen an der Haut, 9. Gänsehaut beim Anblasen der Haut, 10. Schweißbildung, 11. Fieber, 12. betrügerisches und zorniges Wesen, 13. Alpträume, 14. schwacher Puls, 15. schwarzes und körniges Blut, 16. weißer Urin.

Im 14. Jahrhundert geht die Lepra weitgehend zurück. Ursache hierfür ist warscheinlich die Pest, die auch die Leprösen dahinrafft. Die Maßnahmen der sozialen Ausgliederung und die Stigmatisierung der Lepraerkrankten als Unreine bleiben jedoch bis in die Neuzeit erhalten. Die Lepra ist heute noch in zahlreichen Entwicklungsländern, vor allem in Zentralafrika in Indien, ein Massenproblem und taucht hin und wieder auch vereinzelt in Mitteleuropa wieder auf.
 
Dazu natürlich der Hinweis, dass der Lazarus-Orden von Lepra befallene Ritter aus anderen Orden aufnahm und aus ihnen einen der gefürchtetsten Truppenteile formte ... menschliche Biowaffen sozusagen.
 
Die Ritter vom Lazarus-Orden waren als "lebende Tote" bei den Sarazenen gefürchtet.
Der an Lepra erkrankte König, Balduin IV. "der Aussätzige", machte sie sogar zu seiner Leibgarde.
Sie kämpften mit ihm in der siegreichen Schlacht von Montgisard, 1177, gegen Saladin.
 
Ich hatte noch überlegt, ob ich Balduin IV. erwähnen soll, aber habs dann rausgelassen.
Merkwürdig fand ich Punkt 12. aus der Katalogsliste - warum hielt man Lepröse für betrügerisch und zornig? Das halte ich für ein allgemeines Gerücht! Die Lepra hat andere Ausprägungen als die Sypillis, bei der ja bekannt ist, dass sie mit einer Gemüts- und Wesensveränderung einhergeht... Ich glaube, dass Punkt 12 eine böswillige Unterstellung ist, um den Kranken noch mehr oder gerade deshalb aus der Gesellschaft auszugrenzen und zu isolieren.
 
Ein Kuriosum ist, dass nicht in den Gebieten mit hoher Leprosenzahl sondern ausgerechnet Gerhard H. Armauer Hansen (1841-1912) 1873 in Bergen / Norwegen, das Mycobacterium leprae, den Erreger der Lepra, entdeckte.

Die Lepraforschung des Arztes Eduard Arning auf Hawaii 1883-1886 beinhaltete auch Menschenversuche, mit denen er nachwies, dass Lepra ansteckend ist.
 
fingalo schrieb:
Ein Kuriosum ist, dass nicht in den Gebieten mit hoher Leprosenzahl sondern ausgerechnet Gerhard H. Armauer Hansen (1841-1912) 1873 in Bergen / Norwegen, das Mycobacterium leprae, den Erreger der Lepra, entdeckte.
Bergen war im 19. Jahrhundert eine Leprahochburg - und diente dem englischen Arzt Hutchinson als Beweis für seine Theorie, Lepra werde durch den Verzehr von Fisch auf den Menschen übertragen (Fischhochburg = Leprahochburg).

Hansen arbeitete in den 70-er Jahren in einem Pflegestift für Aussätzige (St. Jören) und hatte dort reichlich Gelegenheit, Blut- und Gewebeproben zu untersuchen. Aufgrund seiner Untersuchungen beschloss man 1877 in Norwegen die Isolierung umherziehender lepröser Bettler und im Jahr 1885 die strenge Isolierung sämtlicher Leprakranker. Die Zahl der Leprösen ging signifikant zurück und Bergen war nicht mehr Mittelpunkt der Lepra, obwohl es nach wie vor Mittelpunkt des Fischhandels blieb.

:fisch:
 
Ich bin heute morgen auf einen interessanten Abschnitt gestoßen, der zwar mit der Neuzeit zu tun hat, aber nicht weniger uninteressant ist:
In Tokyo wurden ab 1907 Leprakranke zwanksisoliert. Viele japanische Ärzte gaben den verschreckten und verängstigten Eltern den Rat, lieber ihre Söhne ins Bordell oder zu Protituierten zu schicken, als sie masturbieren zu lassen. Darin sahen die Ärzte nämlich die eigentliche Ursache der Lepra. Selbst die Homosexuallität sei ein Auslöser für die angeblich unheilbare Erkrankung...
:autsch:
 
Um noch einmal aufs Mittelalter, insbesondere das Hochmittelalter, zurückzukommen, und weil außerdem der Lazarusorden bereits zur Sprache kam...
Anm.: Bitte seht es mir nach, daß ich mich mit einiger Verzögerung in das Thema einmische.

Die mittelalterliche Medizin konnte Lepra zwar sehr genau diagnostizieren, allerdings nicht heilen - weswegen auch die Absonderung der von der Krankheit Befallenen das einzig probate Mittel darstellte (welches zudem übrigens bereits in der Antike gebräuchlich gewesen war).
Daß diese Krankheit nicht geheilt werden konnte, lag vor allem darin begründet, daß die für die Übertragung der Krankheit maßgeblichen Bedingungen nicht bekannt waren.
Dieses Wechselspiel zwischen detaillierter Kenntnis der Symptome und Unkenntnis der Ansteckungs- und Übertragungswege wird in der Sichtweise offenbar, daß Lepra/Aussatz einerseits als verstümmelnd und unheilbar, andererseits aber auch als ansteckend und erblich galt.

Die Absonderung der Aussätzigen erfolgte einmal gesellschaftlich, da sich die Erkrankten durch bestimmte Kleidung bzw. Verhüllung sowie durch akustische Signale - meist mit einer Klapper oder Rassel - zu erkennen geben mußten. Da zudem die Krankheit auch die Stimmbänder angreift, waren sie ebenso angehalten, sich durch Rufen bemerkbar zu machen - wo dann die schrille, verzerrte Stimme entsprechend wirkte.
Die angesprochenen Leprosorien bzw. Leprosenhäuser waren der zweite Aspekt zur Absonderung und Isolierung der Kranken, denn diese Häuser befanden sich außerhalb der Stadt bzw. der Städte. Natürlich ging es hierbei primär um die Vorbeugung gegen die Ausbreitung der Krankheit; und dies war im medizinischen Sinne auch durchaus richtig.

Der Ritterorden von St. Lazarus wiederum nahm am Aussatz erkrankte Ritter anderer Orden auf, wenn - und das ist entscheidend dabei - diese Orden selbst keine Hospitalsorden waren.
Hospitalsorden - wie bspw. die Johanniter - verfügten nämlich selbst wiederum über Leprosorien, in welchen auch am Aussatz erkrankte Brüder des eigenen Ordens unterkamen.

Für Literatur verweise ich exemplarisch - wieder einmal - auf Wilhelm Volkert "Adel bis Zunft. Ein Lexikon des Mittelalters" - C.H. Beck München, 1991
Und zum weiteren Lesen fand ich folgende Seiten ganz interessant:
http://www.lehnswesen.de/page/html_krankheiten.html
http://www.muenster.org/lepramuseum/02s01b.htm
http://www.muenster.org/lepramuseum/doku-thu.htm
 
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