Ludwig XVI und der "Zug der Marktweiber"

maki

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Liebe Geschichtsfreundinnen und -freunde

Für einmal nervt ein Lehrer und nicht ein Schüler mit einer Frage; aber aus meiner Sicht wird sie in keinem gängigen Onlineartikel beantwortet. Aber auch in den verschiedenen Geschichtsbüchern, die ich hier gerade greifbar habe, kann ich keine Antwort finden.

Durch das lange Recherchieren kann ich die Frage zwar inzwischen selber beantworten, möchte sie aber hier gerne im Sinne einer Hypothese zur Diskussion stellen:

Eine Kollegin fragte mich, warum Ludwig XVI beim Erscheinen der Marktweiber in Versailles nicht einfach nach dem Schweizer Garderegiment gerufen habe um sich gegen seine "Entführung" nach Paris zu wehren.

Die anderen Truppenteile wurden nach dem 14. Juli von Paris bzw. Versailles abgezogen. Die französischen Garden wurden zur Nationalgarde. Also wären dem König die ca. 2000 Schweizer geblieben. (Sofern sie überhaupt in Versailles lagen, da bin ich mir nicht ganz sicher)
Für mich gibt es zwei Antworten. Neben den Marktweibern waren auch einige 1000 Nationalgardisten nach Versailles gekommen, sodass an erfolgreiche Gegenwehr nicht zu denken war.
Zum andern wird Ludwig einerseits als zögerlich andrerseits als "sentimental" dargestellt, sodass er eine Gegenwehr gar nicht ins Auge gefasst hätte.
Obschon hier bin ich mir nicht ganz sicher, ob das noch dem Stand der Forschung entspricht oder ob hier eher eine anti-Marie-Antoinette Haltung zum Ausdruck kommt, die den König als lieb und nett und die Königin als bösartig und tyrannisch darstellen wollte.
Mit Sicherheit hat der König mit seinem Wohnungswechsel die Initiative definitiv aus der Hand gegeben, da man nun behaupten konnte, die Marktweiber hätten ihm ihren Willen aufgezwungen. Und dies musste ihm zumindest bewusst gewesen sein.
Aber vielleicht hat jemand von Euch ja eine bessere Erklärung.

Mit freundlichem Gruss

maki
 
Eine Kollegin fragte mich, warum Ludwig XVI beim Erscheinen der Marktweiber in Versailles nicht einfach nach dem Schweizer Garderegiment gerufen habe um sich gegen seine "Entführung" nach Paris zu wehren.
Dafür sollte man sich den Ablauf der Ereignisse vor Augen führen. Eine Abordnung aus Fischweibern in Begleitung von Jean Joseph Mounier wird zu Louis XVI vorgelassen. Die Begegnung verläuft gut. Louis verspricht Mehl bereit zu stellen. Problematisch wird es, als ein Teil der Menge durch ein unbewachtes Tor in den Palast eindringt. Damit hat die Maison du Roy natürlich nicht gerechnet. Man kann sich vorstellen, was dann für ein Chaos bei den Gardetruppen los war. Dafür spricht auch, dass einige kleine Posten in der Folge von der Menge überrannt und massakriert wurden.

Die Kaserne der Gardes Suisses lag übrigens in Paris. Das wird meist im Bezug auf den Tuileriensturm erwähnt, da einige Reste der Gardes Suisses versucht haben von den Tuilerien zurück zu ihrer Kaserne zu kommen und einige in der Kaserne verbliebene Gardisten dort verhaftet wurden.

In Versailles waren Definitiv keine 2000 Soldaten der Gardes Suisses anwesend, vermutlich eher verschiedene Einheiten der Maison du Roy. Die Geschehnisse dauerten außerdem zwei Tage. Es gab verschiedene Wachschichten, dementsprechend dürfte nur ein Teil der Soldaten zum Zeitpunkt des Angriffs auf den Palast auf Posten gewesen sein.

Interessant sind auch die Biographien von Louis Augustin d'Affry und Pierre Victor de Besenval:
http://de.wikipedia.org/wiki/Louis_Augustin_d%E2%80%99Affry

http://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Viktor_von_Besenval

Zumindest d'Affry scheint nicht besonders zum Einsatz von Gewalt geneigt zu haben.
 
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Wann wurde denn das flandrische Regiment von Versailles entfernt? Im Zusammenhang mit diesem kam es doch zu dem Vorfall, als die Kokarde mit Füßen getreten wurde, was ja auch einer der Auslöser war. Anlässlich eines Banketts soll "Ô Richard, ô mon Roi" von Grétry (aus dessen Oper "Richard Cœur-de-Lion") durch die Offiziere gesungen worden sein. Die "Haft" des Königs wurde also schon voraus geahnt.

Deutlich detailierter ist der franz. Wikipediaartikel:
Journées des 5 et 6 octobre 1789 - Wikipédia
 
Laut Regimentsgeschichte auf wiki.fr war das régiment de Flandres am 5. und 6. Oktober anwesend. Die Wachtruppen waren also verstärkt.
Ich hab mal einfach Flandres bei der Anne S.K. Brown Collection eingegeben et voilà:
http://dl.lib.brown.edu/catalog/getimage.php?image_id=1162260729374125.jp2

"Fraternité des Soldats de la Garde Parisienne, des Dragons et du Regiment de Flandres avec les Gardes du Corps lors de leurs arrivée de Versailles a Paris le 6 Octobre 1789"

Auf Seiten des Königs wären demnach die Gardes du Corps, das Régiment de Flandres und Dragoner anwesend gewesen.
 
Zum andern wird Ludwig einerseits als zögerlich andrerseits als "sentimental" dargestellt, sodass er eine Gegenwehr gar nicht ins Auge gefasst hätte.

Er war sicher nicht der entscheidungsfreudigste aller französischen Herrscher... und das ist sehr milde gesagt.
Er war im Grunde gar nicht fähig, eigene Entscheidungen zu treffen, besonders, wenn sie eine so große Tragweite hatten. Er sah sich lieber an, was da so vor sich ging, und ließ den Dingen ihren Lauf.

Von daher würde es mich nicht verwundern, wenn er von den Geschehnissen dieser zwei Tage überrascht wurde und einfach "gelähmt" war - und somit einfach nicht früh genug entscheiden konnte, was zu tun ist...
 
Liebe Alle

Herzlichen Dank für die vielfältigen Antworten.:yes:

Ich habe inzwischen noch mit anderen Leuten darunter einem grossen Kenner der französischen Geschichte gesprochen. Er teilt die Meinung von rinoabutzile und fügt eine Anekdote aus der Jugend Ludwigs an; Als dieser davon erfahren haben soll, dass er König würde (damals war er aber höchstens 10 eher sechs Jahre alt), sei er in Tränen ausgebrochen, aus Kummer um die Verantwortung.

Gleichzeitig könnte man auch vermuten, Ludwig hätte gehofft durch seine Popularität, die ihm anlässlich des Zuges auch vor Augen geführt worden sein soll, in Paris mehr Einfluss über seine Untertanen zu haben als von Versailles aus...

Jedenfalls nochmals herzlichen Dank für die vielen Antworten. Als Schweizer sind mir natürlich die Tuillerien und der Heldenhafte Kampf der Garde eher ein Begriff. :D

lg

maki
 
Er teilt die Meinung von rinoabutzile und fügt eine Anekdote aus der Jugend Ludwigs an; Als dieser davon erfahren haben soll, dass er König würde (damals war er aber höchstens 10 eher sechs Jahre alt), sei er in Tränen ausgebrochen, aus Kummer um die Verantwortung.
Ähnlich soll er sich auch geäußert haben, als er erfuhr, dass der König gestorben war und er nachfolgen sollte. Bezeichnenderweise stellte sich Louis XVI sogleich 1774 unter die Fuchtel eines Mentors - Maurepas. Neben ihm gab es noch Malesherbes. Dieser Maurepas wird bisweilen als älterer weiser Mann und manchmal als alter Trottel hingestellt. Charakteristisch für Malesherbes ist allerdings, dass er es war, der sich der Reform von Louis XV von 1771 widersetzt hatte. Deswegen war er v.a. entlassen worden. Derjenige, welcher also der Adelsopposition in den Parlamenten das Wort redete, wurde nun von Louis XVI wieder zurück berufen. Man kann darin vielleicht schon einen Ursprung des ganzen Debakels, das bis hin zur Revolution führte, sehen.
 
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Er war sicher nicht der entscheidungsfreudigste aller französischen Herrscher... und das ist sehr milde gesagt.
Er war im Grunde gar nicht fähig, eigene Entscheidungen zu treffen, besonders, wenn sie eine so große Tragweite hatten. Er sah sich lieber an, was da so vor sich ging, und ließ den Dingen ihren Lauf.

Von daher würde es mich nicht verwundern, wenn er von den Geschehnissen dieser zwei Tage überrascht wurde und einfach "gelähmt" war - und somit einfach nicht früh genug entscheiden konnte, was zu tun ist...


Ui....und das nur wegen ein paar "Fischweibern". Die müssen ja gotterbärmlich gerochen haben:pfeif:Kein Wunder, dass die Revolution sich durchgesetzt hat:D


Interessant die Ausführungen einer Augenzeugin, der Marquise de la Tour du Pin:

"Am 4. Oktober fehlte das Brot bei verschiedenen Bäckern in Paris, und es entstand ein großer Tumult. Einer dieser Bäckermeister wurde auf dem Platz erhängt, trotz der Bemühungen Herrn von Lafayettes und der Nationalgarde. Auch jetzt beunruhigte man sich nicht in Versailles. Man glaubte, dieser Aufstand sei denjenigen ähnlich, welche bereits stattgefunden hatten, und dass die Nationalgarde, deren man sich sicher wähnte, genügen würde, um das Volk im Zaume zu halten. Einige Berichte, welche den König und den Präsidenten der Kammer erreichten, hatten so gut verstanden, die Gemüter zu beschwichtigen, dass sich Ludwig XVI. am 5. Oktober um zehn Uhr morgens auf die Jagd begab ...

Plötzlich bemerkten wir einen Herren, der im gestreckten Galopp an uns vorbeiritt. Es war der Herzog von Maillé, der uns zurief: "Paris kommt mit Kanonen hierher marschiert!""

Ich übergehe die Vorbereitungen auf den Zug auf Paris.

"Endlich gegen drei Uhr kam der König mit seinem Gefolge die große Allee hinauf geritten. Anstatt Halt zu machen und einige gute Worte an das schöne Regiment aus Flandern zu richten, an welchem ihn sein Weg vorbei führte, und aus dessen Reihen der Ruf ertönte: "Es lebe der König!", wusste der unglückliche Fürst nichts zu sagen ...

Die Soldaten begannen zu murren und erklärten, sie wollten nicht auf das Volk schießen...
Allmählich erschien die aus aus drei- bis vierhundert Frauen bestehende Aventgarde und verbreitete sich in den Alleen. Viele dieser Frauen drangen in die Versammlungen ein und behaupteten, sie seien gekommen, um Brot zu holen sowie die Deputierten mit sich nach Paris zurückzuführen. Eine große Anzahl von ihnen, betrunken und sehr müde, nahmen die Rednertribüne und einige der Bänke im Innern des Saales in Beschlag Es wurde Nacht und mehrere Gewehrschüsse ertönten...

Mein Schwiegervater und Herr von Saint-Priest vertraten die Ansicht, dass der König sich mit seiner Familie nach Rambouillet zurückziehen solle, um dort die Vorschläge der Aufrührer von Paris und der Nationalversammlung abzuwarten. Der König erklärte sich zuerst mit diesem Plan einverstanden...

In diesem Augenblick entdeckten die zwei- bis dreihundert Frauen, die seit einer Stunde um die Schlossgitter herumgestrichen waren, eine kleine Tür, welche Zutritt hatte zu einer Geheimtreppe, die in das Hauptgebäude des Schlosses, wo wir wohnten, hinabführte...

Der König, immer schwankend vor einem Entschluss, wollte plötzlich nicht mehr nach Rambouillet fahren. Er fragte alle Welt um Rat. Die Königin, ebenso unentschlossen, vermochte sich nicht zu dieser nächtlichen Flucht zu überwinden. Mein Schwiegervater warf sich dem König zu Füßen und flehte ihn an, seine Person und seine Familie in Sicherheit zu bringen, während die Minister bleiben würden, um mit den Aufrührern und der Versammlung zu verhandeln. Aber dieser gute Fürst, der ständig wiederholte: "Ich will keinen Menschen Unannehmlichkeiten aussetzen oder kompromittieren!" vergeudete die kostbare Zeit..."

Nach Mitternacht zu Lafayette:
"Der König fragte: "Was will denn das Volk?" Herr von Lafayette erwiderte: "Das Volk verlangt Brot, und die Garde möchte ihre alten Posten in der Nähe Eurer Majestät wieder besetzen." "Nun, mögen sie diese Posten wieder besetzen.""

Dann trat Ruhe in Versailles ein:
"Das Volk von Paris hatte während dieser Zeit die Zugänge des Schlosses verlassen und sich in der Stadt und den Schenken verstreut. Eine große Anzahl menschlicher Wesen, erschöpft von Müdigkeit und durchnässt bis auf die Knochen, hatte in den Stallungen und Remisen einen Unterschlupf gefunden. Die Frauen, welche in die Ministerien eingedrungen waren, lagen in den Küchen auf dem Boden und schliefen, nachdem sie alles gegessen hatten, was man ihnen verschaffen konnte. Viele von ihnen weinten und sagten, man hätte sie zum Laufen gezwungen, und sie wüßten gar nicht, weshalb sie gekommen seien...
Der König, welchem man berichtet hatte, dass die größte Ruhe in Versailles herrsche, was ja auch tatsächlich der Fall war, verabschiedete sämtliche Personen, die sich noch im Wartezimmer oder in seinem Kabinett befanden." [1]

Es ist wohl nicht überliefert, ob die Frauen nach Fisch gerochen haben, egal, der Modergeruch der Monarchie wird hingegen überdeutlich. Ich bin immer wieder erstaunt, wie fahrlässig der König und seine Umgebung die Macht aus den Händen gegeben haben. Kein Plan, keine Idee, nicht einmal die geringsten Möglichkeiten der Psychologie/Propaganda werden benutzt.

Grüße
excideuil

[1] Tour du Pin, Marquise de la: Tagebuch einer Fünfzigjährigen 1778 – 1815, Rascher Verlag, Zürich und Leipzig, 1937, Seiten 77-82
 
Danke excideuil!
Das ist wirklich in vielerlei Hinsicht ein erhellender Bericht! Den könnte man als Quelle für den Unterricht gebrauchen.

lg

maki
 
"Die Soldaten begannen zu murren und erklärten, sie wollten nicht auf das Volk schießen..."
Der Historiker Samuel Scott bezeichnet die Befehlverweigerung des régiment de Flandes während des Zugs der Marktweiber in Bezug auf Insubordination in der königlichen Armee im Sommer und Herbst 1789 als "most famous and consequential such incident".
Da stellt sich die Frage ob die Soldaten überhaupt den Befehl erhalten haben zu schießen oder ob es sich um vorrauseilenden Ungehorsam handelte?
 
Da stellt sich die Frage ob die Soldaten überhaupt den Befehl erhalten haben zu schießen oder ob es sich um vorrauseilenden Ungehorsam handelte?

Einen Befehl zu schießen habe ich nicht gefunden, weder bei Tour du Pin noch bei Michelet. Dafür dies:

"Gleichzeitig wandte er (Oberstleutnant Lecointre) sich an das flanderische Regiment und fragte die Offiziere und Soldaten, ob sie schießen würden. Diese wurden schon durch einen viel gewichtigeren Einfluß gedrängt. Frauen hatten sich unter sie gedrängt und baten sie, dem Volk nichts Böses zu tun. Eine von ihnen erschien damals zuerst, die scheinbar nicht im Straßenkot mit den anderen marschiert war, sondern zweifellos viel später kam und sich sofort mitten unter die Soldaten mischte. Es war das hübsche Fräulein Théroigne de Méricourt ... Théroigne de Méricourt ? Wikipedia
Originell, fremdartig mit ihrem Amazonenhut und ihrem roten Überrock, den Säbel an der Seite, sprach sie, aber mit großer Beredsamkeit, einen Mischmasch, französisch und den Jargon von Lüttich durcheinander. Man lachte, aber man gab ihr nach. Stürmisch, bezaubend, überwältigend, kannte sie kein Hindernis....
Théroigne war also auf das flanderische Regiment losgestürmt, verdrehte ihm den Kopf, gewann es für sich und entwaffnete es so völlig, dass es brüderlich seine Patronen der Nationalgarde von Versailles auslieferte. [1]

Was den Befehl zu schießen generell angeht: Da die Szene sich in Versailles abgespielt hat, dürfte wohl letzlich der König seine Zustimmung gegeben haben müssen. Und das darf wohl bezweifelt werden, dass dieser sich dazu durchgerungen hätte. Es kann daher wohl davon ausgegangen werden, dass es ihn nicht gegeben hat.

Ergänzung zur Haltung des Königs:

"Ludwig rief (in Erwartung des Pariser Volkes) sein Kabinett zusammen. Necker schlug wieder einmal vor, dem Volk in allem nachzugeben; Saint-Priest meinte, der König sollte sich selbst an die Spitze seiner Truppen stellen und die Brücke von Sèvres verteidigen. Wieder andere schlugen den Rückzug in eine königstreue Provinz vor. Ludwig entschied sich weder für das eine noch das andere, sondern wartete in aller Ruhe auf die Menge und befahl der Leibwache, auf keinen Fall zu schießen." [2]

Grüße
excideuil

[1] Michelet, Jules: „Geschichte der französischen Revolution“, bearb. Und herausgegeben von Friedrich M. Kircheisen, Gutenberg-Verlag Christensen & Co., Wien Hamburg Zürich,o.J. Bd. 1 Seite 243
[2] Cronin, Vincent: “Ludwig XVI. und Marie-Antoinette”, Claasen, Hildesheim, 1993, Seite 395
 
Zuletzt bearbeitet:
Auf Seitern der Marktweiber marschierte am 5. Oktober außerdem Pierre Marie Félicité Dezoteux Baron de Cormatin. [1] Der Baron war ein Veteran des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs und diente als Aide de Camp des Generals Vioménil. Desweiteren war er Ritter des königlichen Saint-Louis Ordens (!). Am 5. Oktober dürfte de Cormatin warscheinlich den Rang eines Majors oder höher gehabt haben.
Anfangs ein Unterstützer der Revolution, wechselte de Cormatin auf die Seite der Royalisten. Er unterstützte die Flucht von Louis XVI, emigrierte nach dem Scheitern der Flucht und kehrte 1794 nach Frankreich zurück. Diesmal um das Kommando über Truppen der konterrevolutionären Chouans zu übernehmen.
"Théroigne war also auf das flanderische Regiment losgestürmt, verdrehte ihm den Kopf, gewann es für sich und entwaffnete es so völlig, dass es brüderlich seine Patronen der Nationalgarde von Versailles auslieferte."
Damit sollte sich die Ausgangsfrage geklärt haben, selbst wenn ein Wille zum Widerstand bei Louis XVI dagewesen wäre, hätte er außer den Gardes du Corps keine Truppen direkt verfügbar gehabt. Das Regiment scheint wohl nicht die beste Wahl gewesen zu sein in Sachen Loyalität.

[1] Scott, Samuel: From Yorktown to Valmy. The Transformation of the French Army in an Age of Revolution, Colorado 1998, S. 155
(Scott schreibt Cormartin falsch, bei ihm wird daraus Comartin. Tatsächlich kommt de Cormatin aus Cormatin in Burgund. War da schon einige male im Urlaub, hübsch mit einem großen Schloss: http://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Cormatin )
 
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Interessant die Ausführungen einer Augenzeugin, der Marquise de la Tour du Pin:

"(...)Viele von ihnen weinten und sagten, man hätte sie zum Laufen gezwungen, und sie wüßten gar nicht, weshalb sie gekommen seien... (...)"

Also das finde ich, ist ja mal ein starkes Stück.

Vorab die Frage: Kann man der Marquise jedes Wort glauben oder sollte man eher kritisch sein und sich den Aspekt des Aufpolierens der Erinnerungen stets vor Augen halten?

Denn wenn es so wahr wäre, wie sie sagt, müssten doch einige Karten neu gemischt werden.
Die Unkenntnis und der Zwang setzen vorraus, dass einige der Frauen von anderen geschickt wurden.
Ich stelle es mir recht unwahrscheinlich vor, dass ein Anteil die Arbeit Arbeit sein lies und mit nach Versailles zog, nur weil ein paar empörte Weiber ein Tamtam veranstalteten. Es brauchte doch Überzeugungskraft.
Wer hat sie dann geschickt? Gab es einen anderen oder einen weiteren Grundgedanken, als das fehlende Brot?
 
Ich denke am Anfang war die Empörung und Hysterie sicher gross aber es war ja nicht so gutes Wetter (es soll in Strömen gegossen haben) und der Weg ist doch recht lang. Ich nehem an, da mussten die Agitatoren dann einige etwas dazu überreden, nicht in die Trockene Wohnung zurückzukehren...
oder sehe ich das falsch? Quellenkritik ist hier aber sicher angebracht. Wenn eine der Frauen gesagt hat sie sei gezwungen worden, werden es in der Erinnerung dann plötzlich einige. (?)

lg

maki
 
Also das finde ich, ist ja mal ein starkes Stück.

Vorab die Frage: Kann man der Marquise jedes Wort glauben oder sollte man eher kritisch sein und sich den Aspekt des Aufpolierens der Erinnerungen stets vor Augen halten?

"Die Marquise de la Tour du Pin hat mit berühmten und führenden Persönlichkeiten der damaligen Welt: Marie Antoinette, Napoleon, Talleyrand, Frau von Staël und vielen anderen, in freundschaftlicher beziehung gestanden, was ihren Erinnerungen großes Interesse und hohen Wert verleiht" [1] schreibt die Herausgeberin ihrer Tagebücher, "mit der Marquise verschwand eine der letzten Spuren der ersten Gesellschaft aus der Zeit vor der Revolution" [1] resümiert der französische Herausgeber. Die gebildete Aristokratin war zur Zeit der Revolution in Versailles, musste später nach Amerika ausweichen, später finden wir sie wieder in Paris an der Seite ihres Mannes, eines Diplomaten, der u.a. auch beim Wiener Kongress war.

Natürlich sind ihre Tagebücher ein subjektiver Blick, der einer Aristokratin, auf die Geschehnisse, keine Frage und als solche müssen sie auch betrachtet werden. Dazu gehört sicher auch die Wortwahl oder die Benennung von Zahlen, wenn es z.B. um die Anzahl der Frauen geht.

Reißt man der Satz: "Viele von ihnen weinten und sagten, man hätte sie zum Laufen gezwungen, und sie wüßten gar nicht, weshalb sie gekommen seien..." aus dem Zusammenhang, dann wirkt er natürlich stark, weil man den Eindruck gewinnen könnte, er beziehe sich auf alle anwesenden Frauen in Versailles. Nimmt man den vorausgehenden Satz hinzu: "Die Frauen, welche in die Ministerien eingedrungen waren, lagen in den Küchen auf dem Boden und schliefen, nachdem sie alles gegessen hatten, was man ihnen verschaffen konnte.", relativiert sich das Bild. Nicht auf alle Frauen bezieht sich die Aussage, sondern auf nur einen sehr eingeschränkten Kreis. Hinzu kommt das psychologische Moment: Der schwere Marsch nach Versailles, das schlechte Wetter, Hunger, die erlebten Emotionen, dann die Wärme der Küchen, etwas zu essen, dennoch die wohl völlige Erschöpfung und Überreiztheit... Wer hält das emotional durch? Ist es da nicht menschlich, dass es Zusammenbrüche, Stimmungsschwankungen gab und solche Äußerungen?

Gleichwohl, die Marquise bringt sich in Widerspruch zur Geschichtsschreibung. Dort wird eher vermittelt, dass die Frauen eine homogene Masse waren die diese Idee einte: "Es ist kein Brot da, holen wir uns den König; man wird schon dafür sorgen, dass immer Brot da ist, wenn er bei uns ist. Holen wir 'den Bäcker'!" [2]

Aber kann diese Auffassung denn wirklich stimmen? Würde das nicht bedeuten, dass alle Frauen gleich gewesen wären in ihren Anschauungen, in ihrem Charakter, in ihrer Lebensweisheit, und nicht zuletzt in ihren Zielen. Kann man das wirklich unterstellen?

Nehmen wir den spontane Entstehung des Marsches. Bei Mignet lesen wir: "Seit dem 4. kündigte alles einen Aufstand an: dumpfe Gerüchte, Aufforderungen zur Gegenrevolution, Besorgnisse vor Verschwörungen, Erbitterung gegen den Hof, zunehmender Schrecken vor Hungersnot; schon richtete die Menge ihre Blicke gen Versailles. Am 5. brach die Insurrektion (Aufruhr, bewaffneter Aufstand, exci) auf eine heftige und unwiderstehliche Weise los; der gänzliche Mangel an Mehl gab das Zeichen dazu. Ein junges Mädchen ging in ein Wachhaus, nahm hier eine Trommel und durchzog wirbelnd mit dem Rufe: Brot! Brot! durch die Straßen; bald wurde es von einer Menge Frauen umringt. Der Haufe nahm den Weg zum Stadthause und vergrößerte sich reißend; er drang durch die Wachen zu Pferd vor den Türen des Gemeindehauses in das Innere und forderte Brot und Waffen; er bricht die Türen auf, bemächtigt sich der Waffen, zieht die Sturmglocke und schickt sich an, nach Versailles zu marschieren." [3]

Die Spontanität schließt weitgehend einen organisierten Marsch aus. Die Spontanität schließt m.A.n. aber ein, dass sich eine gewisse Anzahl Frauen darunter befanden, die nicht der o.g. Idee anhingen. Sei es, weil die größte "Kodderschnauze" einer Straße bestimmt hatte: "Marie, und du Therese, ihr kommt auch mit!", sei es, weil es es auch Abenteuerinnen, Taschendiebinnen etc. in Paris gab. Oder ist diese Ansicht so ausgeschlossen?

Historisch betrachtet haben diese Differenzierungen aber keine Bedeutung. Das Ereignis, den König nach Paris zu holen, fand eindrucksvoll statt, und darum muss die Historie auch nicht umgeschrieben werden.

Grüße
excideuil

[1]Tour du Pin, Marquise de la: Tagebuch einer Fünfzigjährigen 1778 – 1815, Rascher Verlag, Zürich und Leipzig, 1937, Seite V und 305
[2] Michelet, Jules: „Geschichte der französischen Revolution“, bearb. Und herausgegeben von Friedrich M. Kircheisen, Gutenberg-Verlag Christensen & Co., Wien Hamburg Zürich, o.J. Bd. 1, Seite 226
[3] Mignet, François-Auguste-Marie-Alexis: „Geschichte der französischen Revolution“, Nenger’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1842 , Seiten 97 -98
 
Ergänzung zur Haltung des Königs:

"Ludwig rief (in Erwartung des Pariser Volkes) sein Kabinett zusammen. Necker schlug wieder einmal vor, dem Volk in allem nachzugeben; Saint-Priest meinte, der König sollte sich selbst an die Spitze seiner Truppen stellen und die Brücke von Sèvres verteidigen. Wieder andere schlugen den Rückzug in eine königstreue Provinz vor. Ludwig entschied sich weder für das eine noch das andere, sondern wartete in aller Ruhe auf die Menge und befahl der Leibwache, auf keinen Fall zu schießen." [2]

[2] Cronin, Vincent: “Ludwig XVI. und Marie-Antoinette”, Claasen, Hildesheim, 1993, Seite 395

Ergänzung zu Ergänzung:

Bei Cronin findet sich keine Quelle zum Befehl des Königs. Daher als Ergänzung die Aussage einer Zeitzeugin: "Madame Elisabeth", die jüngere Schwester des Königs, schrieb am 13. Oktober 1789 an Mme. de Bombelles:

"Ich erfuhr vor meiner Abreise, zweitausend mit Stricken, Hirschfängern usw. bewaffnete Frauen kämen nach Versailles. Um fünf Uhr waren sie da. Sie verlangten Brot, das es in Paris überhaupt nicht gibt, wie sie sagten. Sie kamen zum König, ihn darum zu bitten. Seine Antwort schien sie zu befriedigen. Sie ließen sich im Ständesaal nieder. Man war immer noch in Ungewißheit, ob Truppen kämmen oder nicht ... Da der König verboten hatte zu schießen tat es auch niemand ..." [1]

Grüße
excideuil

[1] Pernoud, Georges; Flaissier, Sabine (Herausgeber): „Die Französische Revolution in Augenzeugenberichten“, Deutsche Buch-Gemeinschaft, Berlin, Darmstadt, Wien, 1964, Seite 73
 
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