Luther und der Thesenanschlag (Video)

Nach Gerhard Prause " Niemand hat Kolumbus ausgelacht ", hat es keinen Thesenanschlag an der Kirche zu Wittenberg gegeben. Diese Legende ist eine Erfindung von Melanchton .
 
Das stimmt, Philipp Melanchton hat den Bericht über den Thesenanschlag erst Jahrzehnte später verfasst und hielt sich am 31. Oktober 1517 auch nicht in Wittenberg auf. Luther hat wohl zuerst einen Brief an Albrecht von Brandenburg, den Erzbischof von Mainz und einen zweiten an den zuständigen Ortsbischof Hyronimus Schulz von Brandenburg geschrieben. In dem Brief beklagte er gar nicht mal den Predigtstil der Ablassprediger, den er nicht gehört habe, sondern das "falsche Verständnis...welches das Volk daraus erlangt. Die Leute meinen nämlich, wenn sie Ablasssbriefe lösen, seien sie ihrer Seligkeit gewiß...." Luther forderte den Erzbischof auf, die Ablaßprediger notfalls zu einem anderen Predigtstil zu zwingen, damit nicht "vielleicht einer auftrete, der die Ablassinstruktion widerlege, zur höchsten Schmach Eurer durchlauchtigsten Hoheit."

Der letzte Satz war durchaus eine Herausforderung. Luther fügte dem Brief seine 95 Thesen hinzu, um seine Beschwerde wissenschaftlich-theologisch zu untermauern und einen Weg zu eventuellen Meinungsverschiedenheiten zu weisen. Er war zwar sehr selbstsicher und davon überzeugt, dass seine Thesen richtig seien, hatte aber doch großen Respekt vor hohen kirchlichen Würdenträgern. Die Reformation begann nicht mit wuchtigen Hammerschlägen eines herausfordernden Revolutionärs, denn das war Luther eigentlich nicht, sondern mit der bedächtigen Sorge eines Theologen und Seelsorgers, der seine Kirche in aller Bescheidenheit auf Misstände und Irrtümer aufmerksam machen wollte.

Mit etwas Entgegenkommen und Kulanz hätte sich die Diskussion um den Ablasshandel ohne weiteres innerkirchlich regeln lassen können. Albrecht von Brandenburg ging aber auf Luthers Herausforderung nicht ein. Das war nicht nur Unterschätzung des Theologieprofessors aus dem provinziellen Wittenberg. Als Brandenburger stand Albrecht in Konkurrenz zu den Wettinern und was noch wichtiger war, Albrecht hatte großes Interesse, dass das Ablassgeschäft reibungslos ablief. Der gerade erst 27 Jährige hatte sich durch Ämterkauf vor älteren und verdienteren Kandidaten die reichste Pfründe im Heiligen Römischen Reich gesichert und war noch dazu, gegen kanonisches Recht Erzbischof von Magdeburg und Administrator von Halberstadt geworden. Ämterhäufung war eigentlich streng verboten. Albrecht hatte einen Kredit der Fuggerbank bekommen und durch Vermittlung von Johannes Zink, Cheflobbyist der Fuggerbank im Vatikan, gegen 24.000 Dukaten in Gold die Pfründen erworben. Albrecht konnte die hohen Dispensgebühren nicht aufbringen und stand auch noch beim Kaiser in der Kreide. Da man in Rom nicht warten wollte, bis das Geld durch Ablässe aufgebracht war, hatte das Bankhaus Fugger gegen hohe Zinsen 29.000 Dukaten vorgeschossen- ein gigantischer Betrag. Diese Ämterkummulation benötigte eine Sondergenehmigung der Kurie. Rom und Mainz waren schließlich überein gekommen, dass ein Ablass am besten geeignet war, das Geld aufzubringen. Albrecht von Brandenburg wurde zum päpstlichen Ablasskommissar für das Heilige Römische Reich ernannt und sollte die Hälfte der Einnahmen aus dem Ablasshandel behalten dürfen.
Mit Zinsen musste Albrecht mehr als 50.000 Fl. aufbringen, um seine Schulden bei Jakob Fugger begleichen zu können. Er hatte natürlich großes Interesse daran, dass die Ablassgeschäfte nicht gestört wurden.

Von diesen Geschäften hatte Luther aber keine Ahnung, er sah als Theologe nur die seelsorgerischen Probleme und wusste nichts von den Geflechten personeller, fiskalischer und politischer Natur, die mit dem Deal verbunden waren. Als dann eine Antwort aus Mainz ausblieb, gab Luther seine 95 Thesen an Bekannte weiter, um deren Meinung zu hören. Diese waren es, die ohne sein Wissen die Thesen publizieren ließen. Als dann in Leipzig, Basel und Nürnberg Druckfassungen der Thesen erschienen, wurde der Witttenberger Theologe rasch Gegenstand einer öffentlichen Diskussion, die weit über Theologenkreise hinausging. Was mit etwas Entgegenkommen innerkirchlich hätte geregelt werden können, wurde so zum Tropfen, der das Fass überlaufen ließ und die Reformation in Gang brachte.

Heinz Schilling, Aufbruch und Krise Deutschland 1517-1648 S. 100- 103
 
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