Maßnahmen nach dem 30.01.1933 und das Reichsgericht?

rrttdd

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Ich frage mich gerade, ob damals der Versuch gemacht wurde, Maßnahmen, die das "Kabinett Hitler" und Hindenburg 1933 beschlossen und durchgeführt haben, durch die Gerichtsbarkeit wie das Reichsgericht in Leipzig kontrollieren zu lassen.

Wenn man den entsprechenden Wikipedia-Artikel durchgeht:

Die war in diesem Umfang bestimmt nicht 100% WRV-konform.

  • 4. Februar 1933:
    • Göring ordnet als kommissarischer preußischer Innenminister die zwangsweise Auflösung sämtlicher Gemeindevertretungen Preußens zum 8. Februar und Neuwahlen für den 12. März an, gleichzeitig wurden Gemeindeorgane wie Räte und Bürgermeister reichsweit unter Gewaltandrohung aufgelöst bzw. Personen inhaftiert
Womit wurde die Auflösung der demokratisch gewählten Gemeindevertretungen begründet? Ist ja ein immenser Eingriff in die Demokratie. Waren alle formalen und materiellen Voraussetzungen gegeben? Mit welcher rechtlichen Begründung wurden langjährige Mandatsträger verhaftet?


  • 22. Februar 1933:
    • 50.000 SS-/SA-Mitglieder werden zu bewaffneten „Hilfspolizisten“ ernannt
Auf Basis welcher Rechtsgrundlage? Wie verhielt sich die WRV zum Gewaltmonopol des Staates?

Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass dies durch die WRV und die Rechtsprechung in Leipzig gedeckt gewesen sein soll.

  • 28. Februar 1933:
    • Verordnung des Reichspräsidenten gegen Verrat am Deutschen Volke und hochverräterische Umtriebe[2]
Dito.

  • 5. März 1933:
    • Neuwahlen: die Nationalsozialisten erringen zusammen mit den Konservativen (DNVP) eine knappe Mehrheit, die anderen Parteien wurden durch die NSDAP, die die erwünschte absolute Mehrheit um 6,1 Prozentpunkte verfehlt hatte, massiv behindert
Wahlbehinderung war sicher auch in der Weimarer Republik ein justiziables Vergehen. Gab es Wahlbeobachter? Gab es Beschwerden? Wie haben die Wahlleiter reagiert?

  • 8. März 1933:
    • die von der KPD gewonnenen Reichstagsmandate werden dieser aberkannt; diese Parlamentssitze gelten als erloschen (auf diese Weise wird zugleich die für das Ermächtigungsgesetz erforderliche Zweidrittelmehrheit gesichert)
Ein megaschwerer Eingriff gegen gewählte Mandatsträger. Wie wurde die Aberkennung begründet? Hat sich die KPD juristisch gewehrt? Wieso wurde die KPD nicht von den Wahlen vom 5. März ausgeschlossen? Waren "erloschene Mandate" in der WRV vorgesehen, und wenn ja unter welchen Rahmenbedingungen? Wer war für die Aberkennung der Mandate zuständig? Lese ich das richtig, dass man damit auch faktisch den Reichstag verkleinert hat?

  • 23. März 1933:
    • der Reichstag, nach dem Brand im Februar in der Krolloper tagend, stimmt im Beisein von bewaffneten SA- und SS-Einheiten über das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich („Ermächtigungsgesetz“) ab, das die legislative Gewalt in die Hände der Reichsregierung legen soll, die Reichstagsabgeordneten der KPD können an der Abstimmung nicht mehr teilnehmen, da sie zuvor festgenommen wurden beziehungsweise aufgrund Todesdrohungen untertauchen mussten, trotz dieser Umstände stimmen die anwesenden Abgeordneten der SPD, auch hier fehlen einige wegen Festnahme oder Flucht, gegen das Gesetz, während die Abgeordneten aller anderen Parteien dafür stimmen
Wie wurde es mit der parlamentarischen Immunität der Abgeordneten gehalten, die ja sicher auch durch die WRV garantiert wurde. Bekamen besonders exponierte Abgeordnete und Minister in der Weimarer Republik eigentlich Personenschutz? Und sah die Geschäftsordnung des Reichstags vor, dass dort zusätzlich Mitglieder der Organisationen einer Partei in der Sitzung anwesend sein können?

[...]
Einparteienstaat und Parteiverbote aller anderen Parteien ausser der Einen=WRV-konform?

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Ich überlege mir gerade folgendes. Es heisst immer, unser Grundgesetz wäre wegen der Lehren aus Weimar so entstanden. Allerdings frage ich mich, wie gut das GG im Ernstfall halten würde, wenn man es ähnlich mit Füßen treten und Verstöße nicht sanktionieren würde, wie es 1933-35 mit der WRV geschehen ist. Der Weg von der Demokratie zum Führerstaat wurde doch teilweise auch deswegen möglich, weil grundlegende Prinzipien der Verfassung missachtet wurden und weil die vorgesehenen Kontrollorgane Hitler dabei gewähren ließen. Wo kein Kläger da kein Richter.

Beim nochmaligen durchgehen der Liste scheinen mir die dubiosen Vorgänge um die KPD und ihre Mandate im März 1933 der kritische Punkt an der ganzen Angelegenheit zu sein.

Letztenendes läuft es aber wieder auf die Demokratie ohne Demokraten raus...
 
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"Ich frage mich gerade, ob damals der Versuch gemacht wurde, Maßnahmen, die das "Kabinett Hitler" und Hindenburg 1933 beschlossen und durchgeführt haben, durch die Gerichtsbarkeit wie das Reichsgericht in Leipzig kontrollieren zu lassen."

Meines Wissens nicht. Die letzte RG - Entscheidung solcher Natur war diejenige zum "Preußenschlag" 1932, als Otto Braun durch reichsgerichtliche Entscheidung rehabilitiert wurde.
 
Meines Wissens nicht. Die letzte RG - Entscheidung solcher Natur war diejenige zum "Preußenschlag" 1932, als Otto Braun durch reichsgerichtliche Entscheidung rehabilitiert wurde.

Die Entscheidung war bestenfalls halbherzig und brachte der Regierung Braun im Grunde nichts. Die Minister blieben formal Minister, hatten aber keine Regierungsbefugnis mehr.

"Die Verordnung des Reichspräsidenten vom 20. Juli 1932 zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet des Landes Preußen ist mit der Reichsverfassung vereinbar, soweit sie den Reichskanzler zum Reichskommissar für das Land Preußen bestellt und ihn ermächtigt, preußischen Ministern vorübergehend Amtsbefugnisse zu entziehen und diese Befugnisse selbst zu übernehmen oder anderen Personen als Kommissaren des Reiches zu übertragen. Diese Ermächtigung durfte sich aber nicht darauf erstrecken, dem preußischen Staatsministerium und seinen Mitgliedern die Vertretung des Landes Preußen im Reichstag, im Reichsrat oder gegenüber anderen Ländern zu entziehen."

http://www.saarheim.de/Entscheidungen/RGundStGH/StGH in RGZ 138, Anh 1.pdf


Mit der Rechtsordnung nahm es das Reichsgericht nicht so genau, da hatte es schon vorher erstaunliche Urteile gegeben:
„Der Grundsatz, dass das Wohl des Staates in seiner Rechtsordnung festgelegt sei und sich in deren Durchführung verwirkliche, ist abzulehnen“.

http://www.ev-akademie-boll.de/fileadmin/res/otg/520507-Mueller.pdf

"Olden verdanke ich auch den Hinweis auf ein anderes, heute in Vergessenheit geratenes Beispiel dafür, wie gewissenlos das Reichsgericht die Autorität der damaligen Rechtsordnung untergrub: Die rechtliche Bewertung der „Schlacht von Pillkallen“wie sie in Kreisen preußischer Junker genannt wurde. Pillkallen war eine kleine Kreisstadt mit einem Amtsgericht im nordöstlichen Ostpreußen,1938 in Schloßberg umbenannt, heute heißt sie Dobrowolsk. In Folge der Abgelegenheit Ostpreußens, aber auch wegen anhaltender Misswirtschaft, kam es in der Gegend zu zahlreichen Insolvenzen von Landwirten. Nachdem mehrmals Zwangsversteigerungen – immerhin Vollstreckungen rechtskräftiger Zivilurteile – beim örtlichen Amtsgericht gesprengt worden waren, forderte der Amtsrichter Polizeischutz an. Die daraufhin aus dem nahen Gumbinnen an gerückten Gendarmen und die Gerichtspersonen wurden beim nächsten Versteigerungstermin von einem Überfallkommando, das die Gutsbesitzer zusammengestellt hatten, krankenhausreif geschlagen. Die Straftäter verurteilte das Landgericht Gumbinnen wegen Hausfriedens- und Landfriedensbruch, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie Körperverletzung zu milden Freiheitsstrafen. Aber auch diese hob das Reichsgericht im Frühjahr 1931 auf und sprach die Täter frei, da sie in rechtfertigendem Notstand (damals hieß das noch übergesetzlicher Notstand) gehandelt hätten."
 

Mit der Rechtsordnung nahm es das Reichsgericht nicht so genau, da hatte es schon vorher erstaunliche Urteile gegeben:
„Der Grundsatz, dass das Wohl des Staates in seiner Rechtsordnung festgelegt sei und sich in deren Durchführung verwirkliche, ist abzulehnen“.

Das ist natürlich eine Steilvorlage.

Dennoch sind der Kontext, die Ursachen und Motive kompliziert. Das hat mit einer uralten juristischen Kontroverse zu tun, deren Eskalation wiederum (reaktiv) mit den Krisen 1918/33 eng verbunden ist. Dass dies (hier) letztlich als Ausfluss der Annahme von überpositivistischem Recht zugespitzt wird, hat wiederum Licht und Schatten. Beides wurde schließlich im NS je nach Nutzen gespiegelt: Benutzung und Bekämpfung.
 
Das Reichsgericht hatte keine wirkliche Macht, denn selbst wenn es Urteile gegeben hätte – es hätte sie genauso wenig durchsetzen können wie unser Verfassungsgericht heutzutage: Wenn das Parlament aufgrund der Mehrheitsverhältnisse verfassungswidrige Gesetze beschließt und die Urteile des Verfassungsgerichts ignoriert, gibt es wohl keine demokratische Mittel, dagegen vorzugehen.

Das können wir gerade in Polen beobachten. Die Regierung sagt einfach: Das Volk ist der eigentliche Souverän und der Wille des Volkes steht über dem Recht. Und solange das Volk stillhält und die Regierung in ihrem ungesetzlichen Tun gewähren lässt, sind die Verfassung und die Gesetze des Papiers nicht wert, auf dem sie geschrieben.
 
Das Reichsgericht hatte keine wirkliche Macht, denn selbst wenn es Urteile gegeben hätte – es hätte sie genauso wenig durchsetzen können wie unser Verfassungsgericht heutzutage: Wenn das Parlament aufgrund der Mehrheitsverhältnisse verfassungswidrige Gesetze beschließt und die Urteile des Verfassungsgerichts ignoriert, gibt es wohl keine demokratische Mittel, dagegen vorzugehen.

Der Vergleich mit unserem Verfassungsgericht ist irreführend; tatsächlich hatte die Weimarer Reichsstaatsgerichtsbarkeit nicht die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts.
Wenn das Bundesverfassungsgericht ein vom Parlament beschlossenes Gesetz für verfassungswidrig erklärt, dann ist dieses Gesetz im Regelfall nichtig:

"Ein verfassungswidriges Gesetz erklärt das Bundesverfassungsgericht im Regelfall für nichtig. Die Nichtigkeit wirkt auch in die Vergangenheit und führt rechtlich gesehen zu einem Zustand, als ob das Gesetz niemals erlassen worden wäre. In bestimmten Fällen erklärt das Bundesverfassungsgericht eine Rechtsnorm lediglich für unvereinbar mit dem Grundgesetz und legt fest, ab wann sie nicht mehr angewendet werden darf."

Bundesverfassungsgericht - Wirkung der Entscheidungen

"Die Weimarer Reichsverfassung brachte in Form der Reichsstaatsgerichtsbarkeit eine Wiederanknüpfung an die Paulskirchenverfassung und die Staatsgerichtsbarkeit der Länderverfassungen. Aber sie enthielt empfindliche verfassungsgerichtliche Lücken:

- Keine Verfassungsbeschwerde des Bürgers gegen Hoheitsakte im Falle der Verletzung verfassungsmäßiger Rechte;
- Keine Organstreitigkeiten zwischen Reichsorganen;
- Keine Konzentrierung der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen beim Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich;
- Keine Überprüfung völkerrechtlicher Verträge."

Verfassungsgerichtsbarkeit zwischen Recht und Politik

Zur Behebung dieser Lücken wurde 1926 ein "Entwurf eines Gesetzes über die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Vorschriften des Reichsrechts" eingebracht. Das Gesetz wurde jedoch nie verabschiedet.
 
Was in den 20ern auch wieder im Kontext des weiten Verständnisses von Positivismus steht, und die Reformbestrebungen als Kritik dazu.

„durchsetzen“ ist außerdem dehnbar. Jede Gerichtsentscheidung wie auch die Verfassung setzt voraus, dass die Gewaltenteilung noch funktioniert.
 
Der Vergleich mit unserem Verfassungsgericht ist irreführend;
Finde ich nicht: Jede Judikative kann zwar Urteile sprechen, aber wenn die Executive bzw. die Legislative sie nicht umsetzen, bleiben sie wirkungslos. Es ist daher nicht verwunderlich, dass alle Parteien, die der Diktatur das Wort reden, zuerst das Innenministerium für sich beanspruchen. Danach ist die Judikative selbst dran, gefolgt von der Gleichschaltung bzw. der Drangsalierung der Presse, etc. Hitler hat es vorgemacht, Putin, Orbán und Kaczyński folgten – und das alles (zunächst) unter dem Mantel der parlamentarischen Demokratie.
 
Mit den Möglichkeiten die das BVG hat, in Zusammenarbeit der Opposition, währe der Marsch durch die Instanzen auf dem Weg ins 3. Reich nicht möglich gewesen.
Das mit der Opposition stimmt nur theoretisch, denn bereits im vergangenen 18. Deutschen Bundestag wäre es der Opposition nicht möglich gewesen, „die Verfassungsmäßigkeit eines von der die Regierung stützenden Mehrheit beschlossenen Gesetzes oder völkerrechtlichen Vertrags prüfen zu lassen“, weil diese Opposition nicht ein Viertel der Mitglieder des Bundestages umfasste.

Wie leicht die Opposition praktisch ausgeschaltet werden kann, zeigen derzeit die zweifellos demokratisch gewählten Machthaber in Ungarn und Polen.
 
Das Deutsche Grundgesetz ist auf den Erfahrungen der Weimarer Republik aufgebaut und ihrem scheitern. Dadurch ist das Verfassungsgericht deutlich stärker als in der Weimarer Republik. Sogar jeder Bürger der Bundesrepublik kann das Verfassungsgericht anrufen.

Verfassungsbeschwerde – Wikipedia

Was in Ungarn oder Polen gerade passiert ist hier aussen vor, weil Tagespolitik.
 
Was in Ungarn oder Polen gerade passiert ist hier aussen vor, weil Tagespolitik.
Es geht in diesem Diskurs auch um die Frage, ob wir heute besser gerüstet sind gegen die Aushöhlung und die Abschaffung der Demokratie, wie sie in Deutschland im Jahre 1933 stattfand.

Die Geschehnisse in Ungarn und Polen – beide Staaten fungieren nach wie vor als Demokratien – zeigen uns, wie schnell das auch heute noch gehen kann, wenn das Wahlvolk mehr oder weniger stillhält.
 
Bin auch über den Wiki-Artikel "gestolpert".

Ein wichtiger Unterschied zur Weimarer Republik ist, dass das BVG in der Lage ist, selber Gesetze zu erlassen. Also in begrenztem Umfang die Rolle der Legislative einnehmen kann. Was sie in der BRD zwar selten (1 Mal) getan hat, weil es das Prinzip der Gewaltenteilung auflöst, aber sie ist in der Lage, es zu tun (ich beziehe mein oberflächliches Wissen in diesem Fall lediglich aus Wiki)

Und somit ist sie in der Lage, Gesetze zu erlassen, entsprechende Haftbefehle auszustellen und die Exekutive zum Handeln zu veranlassen. Unabhängig davon ist das GG in Teilen in seiner Formulierung nicht beliebig modifizierbar, auch nicht durch Mehrheitsentscheidungen.

Es mag schon zutreffen, dass eine Exekutive, die sich gegen den Staat stellt, einen Putsch gegen Legislative und Judikative durchführen kann. Aber dagegen gibt es kein direktes Mittel, lediglich das langfristig wirksame Mittel der politischen Erziehung zur Zivilcourage.

Ansonsten ist die Situation von Weimar bisher in ihren Grundlagen und in ihrem Entwicklungsprozess nicht korrekt dargestellt worden. U.a. beschreibt McElliott den Prozess der Erosion als einen kontinuierlichen Prozess. Die Situation von 1933 kann nicht gedacht werden ohne die Situation von 1917/18 zu berücksichtigen und vor allem auch die danach folgende Phase des Bürgerkriegs. In der die Justiz angesichts der Dominanz der Exekutive und der "Warlords" wenig Interventionsmöglichkeit hatte. Und Kirchheimer hatte bereits 1930 die These vertreten, dass sie eine einseitige Interessenorientierung in der Weimarer Republik wahrnehmen würde und somit ein Instrument des fortgesetzten Klassenkampf sei.

Allerdings muss man berücksichtigen, dass bereits zum Startpunkt der Weimarer Republik, zum Zeitpunkt des "Bierhallen Putsches" von Hitler und Co., Bayern sich aus der Jurisdiktion des Reichs verabschiedet hatte. Und die Putschisten davon profitieren konnten, dass der Prozess in München ein "Schaulaufen" der rechtsextremen Szene wurde.

Die Justiz in Weimar war zum einen selber für die Erosion des Rechtssystems verantwortlich, teilweise war sie mit einem Umbruch im Rechtsverständnis konfrontiert, das traditionelle Vorstellungen der "harten Justiz" in Frage stellte und als Ergebnis definierte sie sich zunehmend als überfordert.

Teilweise ist das auch richtig, da die Probleme einer Gesellschaft durch die Gesellschaft und durch die Politik zu lösen sind. Und nicht durch die Justiz.

Kirchheimer, Otto (1930): Weimar … und was dann? Entstehung und Gegenwart der Weimarer Verfassung. Berlin: Laub (Jungsozialistische Schriftenreihe).
McElligott, Anthony (2014): Rethinking the Weimar Republic. Authority and authoritarianism, 1916 - 1936. London: Bloomsbury.
 
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Ich hatte mich auf folgenden Beitrag bezogen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Gewaltenteilung

In "Situation in Deutschland" wird folgendes ausgeführt:

Eine weitere Brechung des Gewaltenteilungsprinzips ergibt sich durch die sehr starke Stellung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses gehört eindeutig der Judikative an, kann aber Entscheidungen mit Gesetzeskraft erlassen, vgl. Art. 94 Abs. 2 GG. Damit greift ein Teil der Judikative in den Bereich der Legislative ein. Trotz dieser Machtfülle des Bundesverfassungsgerichts hat es bisher, von wenigen Ausnahmen abgesehen (z. B. Entscheidung über Schwangerschaftsabbruch nach § 218 StGB in der Form der so genannten Fristenregelung am 25. Februar 1975), durch den so genannten judicial self-restraint keine allzu großen tatsächlichen Verwerfungen im System der Gewaltenteilung gegeben.

Ob allerdings, nachdem ich mir den Art. 94 Abs. 2 GG durchgelesen habe, die Begründung und die Ausführung korrekt sind, bin ich mir im Moment nicht ganz sicher. In diesem Fall könnte es nicht korrekt sein, was Wiki schreibt.
 
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So halb und halb trifft es.

H. M. ist Folgendes:

„Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist unbestritten kein Gesetz im formellen Sinn, d.h. kein Akt eines gesetzgebenden Organs, der in dem von der Verfassung vorgeschriebenen Gesetzgebungsweg ergeht. Sie ist aber auch kein Gesetz im materiellen Sinn, d.h. kein Akt, der allgemein verbindliche (generelle) Rechtssätze erzeugt und enthält. Die Entscheidung ist also weder ein Gesetz im formellen noch im materiellen Sinn. Sie ist gesetzesähnlich, bleibt aber Urteil...
Die Gesetzesähnlichkeit besteht in der Allgemeinverbindlichkeit über den Kreis der Beteiligten und ihrer Rechtsnachfolger hinaus, aber auch über den Kreis der Behörden und Gerichte hinaus. Wenn der Verfassunggeber und der Gesetzgeber allerdings lediglich erklärt hätten, bestimmte Entscheidungen seien für jedermann bindend, dann wären wahrscheinlich weniger Mißverständnisse entstanden, als durch den Ausdruck „Gesetzeskraft“.„

Maunz/Düring, GG, Tz. 19ff. zu Art. 94 GG.

Schließlich ist dies eine Ermächtigung, konkretisiert durch § 31 BVerfGG:

beschränkt
- auf die Fälle der abstrakten Normenkontrolle
- der konkreten Normenkontrolle auf Richtervorlage
- der Eigenschaft einer Regel des Völkerrechts als Bestandteil des Bundesrechts ebenfalls auf Richtervorlage - des bestrittenen Fortgehens von Recht als Bundesrecht
- bei Verfassungsbeschwerde, wenn ein Gesetz durch die Entscheidung als mit dem Grundgesetz vereinbar oder unvereinbar oder für nichtig erklärt
- oder bei Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil, das aufgehoben wird, weil es auf einem verfassungswidrigen Gesetz beruht.

MaW sind dies Vorbedingungen, formuliert durch die in Anspruch genommene grundgesetzliche Ermächtigung des Gesetzgebers.
 
Es geht in diesem Diskurs auch um die Frage, ob wir heute besser gerüstet sind gegen die Aushöhlung und die Abschaffung der Demokratie, wie sie in Deutschland im Jahre 1933 stattfand.
Da sind zwei Ebenen zu unterscheiden:
- Welche Verfassung war besser gerüstet?
- Welche Gesellschaft war besser gerüstet?

Auf beiden Ebenen lassen sich wichtige Unterschiede feststellen. Was die Verfassung betrifft, hatten wir bereits die Rolle des Bundesverfassungsgerichts. In der Weimarer Verfassung wird für den Fall, dass die Legislative verfassungswidrige Gesetze beschließt, überhaupt keine Vorsorge getroffen. Nach dem Grundgesetz von 1949 kann jedes Gericht eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erzwingen (Artikel 100). Ein weiterer ganz wesentlicher Punkt betrifft die Rolle des Reichspräsidenten, dem die Weimarer Verfassung umfassende Kompetenzen in die Hände legte. Der Reichskanzler konnte jede beliebige Person zum Kanzler ernennen. (Der Bundeskanzler wird hingegen in jedem Fall vom Parlament gewählt. Der Bundespräsident hat lediglich ein Vorschlagsrecht, er kann jedoch nur den vom Bundestag Gewählten zum Kanzler ernennen.)
Besonders verhängnisvoll war § 48 der Weimarer Verfassung, die es dem Reichspräsidenten erlaubte, nach Gutdünken eigene Maßnahmen durchzusetzen:
"Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen".
Unter Berufung auf diesen Artikel wurde seit 1930 mit "Notverordnungen" regiert, unter Berufung auf diesen Artikel wurde die am 20. Juli 1932 die preußische Regierung entmachtet ("Verordnung des Reichspräsidenten vom 20. Juli 1932 zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Gebiet des Landes Preußen"; ohne diese Verordnung hätte es keinen kommissarischen Innenminister Göring gegeben!), unter Berufung auf diesen Artikel wurden der Regierung Hitler Anfang 1933 umfassende Machtmittel in die Hand gegeben, insbesondere durch die "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat" vom 28. Februar 1933.
Solche Verordnungen konnten vom Reichstag aufgehoben werden. Nur hatte der Reichspräsident bereits am Tag nach Hitlers Ernennung zum Reichskanzler den Reichstag aufgelöst, wozu er nach der Verfassung jederzeit berechtigt war- § 25: "Der Reichspräsident kann den Reichstag auflösen, jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlaß."
Auch am 20. Juli 1932 gab es keinen Reichstag. Der war am 8. Juni 1932 aufgelöst wurde. Die Reichstagswahlen fanden am 31. Juli 1932 statt. Bereits zur ersten regulären Sitzung am 6. September 1932 lag eine erneute Auflösungsorder vor.



Sogar jeder Bürger der Bundesrepublik kann das Verfassungsgericht anrufen.
Allerdings in der Regel nur dann, wenn er seine Rechte verletzt sieht.
Andere Möglichkeiten gibt es nur in Hessen ("Volksklage") und Bayern ("Popularklage").
 
Art. 48 sist hier schon einige Male diskutiert worden. Er sollte ebenfalls nicht ohne Kontext gesehen werden.

Die Rückgriffe auf 48 als „Reserveverfassung“ häuften sich erst, (Gusy) als das parlamentarische Regierungssystem als „Normalsystem“ sein Fundament einbüsste.

Am Anfang stand der Übergang zum Minderheitenkabinett.
Die Abstimmungen über Brünngs Notverordnung sanktionierte den faktischen Übergang zum Präsidialsystem. Der Reichstag ging (mit Zustimmung großer demokratischer Parteien) zur Tagesordnung über und vertagte sich: Einleitung des Tolerierungskurses. Daraus gab es eine Historikerdebatte, mit dem 18.10.1930 das Ende der Weimarer Republik anzusehen, welche sich zum Konsens abschwächte, hier den Wendepunkt einer (unvollendeten?) Demokratie anzusehen, im Übergang zum permanenten Notstand.
Die Zementierung des Notstandssystems stand außerdem unter verfassungspolitischen Zielsetzungen wesentlicher Akteure. Brüning deutete dies außenpolitisch im Kontext der Abschaffung des VV, innenpolitisch als Ersetzung der Demokratie (durch Monarchie) plus Bundesstaatsreform mit weiterer Zentralisierung. Unter diesen starren Zielsetzungen „verbrauchten“ die Akteure nach der verschwundenen Normalkompetenz auch die Reservekompetenz der Verfassung, den Ausnahmezustand war der Normalzustand „abhanden gekommen“, aus der Politikkrise wurde eine Staatskrise (Gusy, Weimarer Reichsverfassung, 410).

Nebenbei ging die Dynamik abhanden, die evt. noch einen Ausweg geboten hätte oder hätte kreieren können: es scheiterte die jahrelang diskutierte Verfassungsreform (siehe oben die Hinweise zum Rechtspositivismus-Streit).
Am Ende standen standen die (aus Verfassungssicht) „negativen Minderheiten“.

http://www.geschichtsforum.de/thema/reichskanzler-in-der-weimarer-republik.49394/page-2#post-727775
http://www.geschichtsforum.de/thema/weimarer-verfassung.39928/#post-606515
 
Wenn ich noch etwas zum Vergleich Weimarer Republik / Bundesrepublik sagen darf:
Nach dem Grundgesetz von 1949 kann jedes Gericht eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erzwingen (Artikel 100).
Erzwingen? In dem Art. 100 GG steht nur: „… das Gericht (hat) die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.“ Wenn das Bundesverfassungsgericht sich weigert, eine Entscheidung zu fällen, dann hat’s sich das mit dem Einholen.


Ein weiterer ganz wesentlicher Punkt betrifft die Rolle des Reichspräsidenten, dem die Weimarer Verfassung umfassende Kompetenzen in die Hände legte. Der Reichskanzler konnte jede beliebige Person zum Kanzler ernennen. (Der Bundeskanzler wird hingegen in jedem Fall vom Parlament gewählt. Der Bundespräsident hat lediglich ein Vorschlagsrecht, er kann jedoch nur den vom Bundestag Gewählten zum Kanzler ernennen.)
Ich sehe hier keinen wesentlichen Unterschied, denn Hitler wurde in den Reichstag gewählt und der Reichspräsident hat ihn erst zum Kanzler ernannt, als sich die beteiligten Parteien in den Koalitionsverhandlungen auf Hitler als Reichskanzler geeinigt haben. Das heutige Verfahren ist nicht sehr viel anders.


Besonders verhängnisvoll war § 48 der Weimarer Verfassung, die es dem Reichspräsidenten erlaubte, nach Gutdünken eigene Maßnahmen durchzusetzen:
"Der Reichspräsident kann, wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wird, die zur Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nötigen Maßnahmen treffen, erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten. Zu diesem Zwecke darf er vorübergehend die in den Artikeln 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 festgesetzten Grundrechte ganz oder zum Teil außer Kraft setzen".
Auch die Notstandgesetze der Bundesrepublik erlauben der Bundesregierung im Fall eines inneren Notstands unter Umgehung des Bundestages Notstand auszurufen. Eine der Konsequenzen daraus kann der Einsatz einer bewaffneten Macht (Bundespolizei und Bundeswehr) sein. Dann gibt es noch den Art. 81 GG, nach dem die Bundesregierung zusammen mit dem Bundesrat Gesetze unter Ausschaltung des Bundestages beschließen kann.

Auf dem Papier ist die Bundesrepublik Deutschland gut gegen eine Machtübernahme von Böswilligen gerüstet, aber praktisch nicht: Bei einer Konstellation wie derzeit in Polen, wo sich die Regierung auf eine absolute Mehrheit im Parlament und den „eigenen“ Staatspräsidenten stützen kann, sähe auch bei uns düster aus: Man müsse sich dazu anstelle des „eigenen“ Bundespräsidenten nur den „eigenen“ Bundesrat (d.h. die Mehrheit der Bundesländer) vorstellen und schon kann man einen inneren Notstand ausrufen und danach nach Belieben regieren.
 
Selbstverständlich wird eine Entscheidung bei der konkreten Normenkontrolle durch Gerichtsvorlage „erzwungen“, nämlich, weil zu entscheiden ist.

Die Entscheidung hat zunächst die Prüfung auf Zulässigkeit zu passieren (wenn Vorlage zur Normenkontrolle unzulässig, dann lautet die Entscheidung auf Verwerfen oder Aufhebung der betreffenden Vorbehaltsurteile), sodann ist in der Entscheidung die Begründetheit oder Unbegründetheit festzustellen.

Entschieden wird damit in jedem Fall, nach üblichen rechtstaatlichen Kriterien.

Erzwingen? In dem Art. 100 GG steht nur: „… das Gericht (hat) die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.“ Wenn das Bundesverfassungsgericht sich weigert, eine Entscheidung zu fällen, dann hat’s sich das mit dem Einholen.
Mit „verweigern“ einer Entscheidung hat das nullkommanichts zu tun, weil nämlich rechtstaatlich entschieden wird. Vermutlich soll damit umgspr. Abweisung wegen Unzulässigkeit/mangelnder Zulässigkeit bei richterlicher Vorlage zur Normenkontrolle gemeint sein.
 
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