Matriarchate - Mythos oder Wirklichkeit?

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Ich meine jetzt nicht Gesellschaften in denen die Verwandtschaft nach der Mutterlinie weitergegeben wird, das gibt (gab) es glaube ich in vielen Gesellschaften.
Ich definiere als Matriarchat eine Gesellschaft in der die politische Macht von Frauen ausgeübt wird.
Nur sehe ich nicht wie das jemals möglich gewesen sein soll: Männer sind deutlich agressiver als Frauen, mehr an Macht interssiert und körperlich überlegen.
Wie soll es da jemals möglich gewesen sein dass die politische Macht Frauensache war?
Allerdings gibt es da die Minoische Kultur, nur scheint nicht sicher zu sein wie die Gesellschaft der Minoer aufgebaut war:
Zweifellos differenzierte sich die minoische Gesellschaft auf dem Weg zur Hochkulturphase sozial, was zum Beispiel aus unterschiedlichen Grabausstattungen geschlossen wird. Ebenso ist eine ausgeprägte Spezialisierung feststellbar: Es gab Fischer, Ruderer, Kapitäne, Soldaten, Schreiber, Töpfer, Maler, Bauarbeiter, Architekten, Musiker etc. Ungeklärt bleibt aber, worin die soziale Stellung begründet und ob sie erblich war und ob zwischen Freien und Sklaven unterschieden wurde.
Die prominente Darstellung von Frauen, zumindest Priesterinnen, in der minoischen Kunst – typischerweise mit unbedeckter Brust – hat zu Spekulationen über ein Matriarchat Anlass geboten. Unzweifelhaft hatten Frauen – etwa als Priesterinnen – gesellschaftlich wichtige Funktionen. Aber auch wenn die griechische Überlieferung für eine sehr einflussreiche Position minoischer Frauen spricht, muss die Frage nach der Stellung minoischer Frauen und des Verhältnisses der Geschlechter zueinander mangels wirklich aussagefähiger Quellen unbeantwortet bleiben.
Dann kenne ich noch Çatalhöyük, eine Siedlung in der heutigen Türkei von der manche behaupten es habe dort eine matriarchale Gesellschaft existiert.

Weiß jemand mehr?
Irgenwelche Buchempfehlungen?
 
Nehmen wir mal an, in 1000 Jahren würden Archäologen in einer Wohnung auf eine Sammlung von Erotikheftchen (Playboy etc.) stoßen: Wäre die Interpretation unserer Kultur als matriarchalisch nicht ziemlich schräg?

Ohne ausreichende literarische Überlieferung sind Behauptungen über die Organisation einer Gesellschaft immer aus den Fingern gesogen. Sie spiegeln einen partiellen Zeitgeist wieder, partiell, weil nicht jeder derselben Ideologie angehört.
 
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[...]
1.Nur sehe ich nicht wie das jemals möglich gewesen sein soll: Männer sind deutlich agressiver als Frauen, mehr an Macht interssiert und körperlich überlegen.

2.Wie soll es da jemals möglich gewesen sein dass die politische Macht Frauensache war?[...]

1. Da bist du mir anscheinend noch nie im Straßenverkehr begegnet, oder wenn ich Hunger hab. :) Körperlich überlegen bin ich da noch immer nicht, aber, wenn sich jemand zwischen mich und den Kühlschrank stellt, finde ich Wege das zu kompensieren...

2. Auch in patriarchalischen Gesellschaften waren hin und wieder Frauen an der Macht. Wie soll das möglich gewesen sein? Oder war England zu Zeiten Elizabeths I. deswegen plötzlich Matriarchat? Nö. Aber falls du dich mit solchen Fragen abseits der Geschichte, und eher im Bereich der Ethnologie beschäftigen möchtest, schau dir doch mal die Mosuo in China an. Da kriegst du einige Denkansätze und Kontroversen, zum Thema Matriarchat.

Ansonsten stimme ich El Quijote zu, daß hier ausreichendes Quellenmaterial fehlt, und man bestenfalls interpretieren, und spekulieren kann, wobei jedoch diese Interpretationen, und Spekulationen, immer durch das eigene Umfeld und den Wissensstand geprägt sind.
 
Im Prinzip wirst Du da auf Quellen und biographische nEinzelbeispiele angewiesen sein. Ob die aber Rückschlüsse auf die Gesamtgesellschaft zulassen ist,wie die Beispiele Mathilde von Tuscien,Eleonore von Aquitanien oder Elizaeth I von England zeigen eher fraglich..
 
Ich habe schon einige Modelle zum Matriarhat gelesen.

Schräg ist das sich alle Modelle wiedersprechen.

Das sie meistens auch nicht sehen, dass patriarchalische Gesellschaften auch immer von Frauen getragen werden. Sei es die Mütter die ihre Söhne zur Blutrache ausbildet und zum Familienpatriarchen oder die Gentialverstümelung in Afrika die nur von Frauen begangen wird.
 
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Ich habe schon einige Modelle zum Matriarchat gelesen.
Schräg ist, dass sich alle Modelle wiedersprechen.

Könntest du das bitte erläutern? Und handelt es sich wirklich um Matriarchatsmodelle oder wird da Matrilinerarität mit in einen Topf geworfen?

Dass sie meistens auch nicht sehen, dass patriarchalische Gesellschaften auch immer von Frauen getragen werden. Sei es, dass die Mütter die ihre Söhne zur Blutrache ausbilden und zum Familienpatriarchen oder die Gentialverstümmelung in Afrika, die nur von Frauen begangen wird.

Ich will mich hier nur kurz zur Genitalverstümmelung äußern. Es ist korrekt, dass diese von Frauen an Frauen vorgenommen wird, es handelt sich dennoch nicht um ein alleiniges Frauenproblem, sondern ein gesamtgesellschaftliches, welches durch sozialen Druck aufrecht erhalten wird. Wenn nämlich Männer Frauen mit einer intakten Klitoris nicht heiraten, dann bilden sie einen Teil der Bedingungen, in denen Genitalverstümmelung vorgenommen werden kann. Und deshalb kann man dieses Problem nicht auf die Frauen alleine abwälzen. Zur Matriarchats- oder Patriarchatsfrage trägt das allerdings wenig bei.
 
Gerda Lerner beispielweise definierte in den 1980er Jahren "Matriarchat als Spiegelbild des Patriarchats" und schlußfolgert, daß es eine matriarchale Gesellschaft nie gegeben hat." (Gerda Lerner, Die Entstehung des Patriarchats.Kp. 1) Die Autorin diskutiert auch neolithischen Ausgrabungsstätten, ferner freilich die Vertreter der Matriarchatsidee und Gründe für ihre Popularität; insofern würde ich das Buch - trotz des gegenteiligen Titels durchaus empfehlen.
 
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Kleine Ergänzung zu einem Satz in dem Text, den der Korinther verlinkt hat, und der als zentrale Grundannahme in der Matriarchatsdiskussion immer wieder mitschwingt:

"Die Frau erweist sich somit als das moralisch überlegene Geschlecht."

Hierzu hat Christoph Kucklick ein interessantes Buch geschrieben, "Das unmoralische Geschlecht. Zur Geburt der Negativen Andrologie." Er stellt hier die These auf, die Moderne kultiviere "ein Problem mit Männern, ein Unbehagen an Männlichkeit, des früheren Epochen gänzlich unbekannt war. (...) Am Mann zerfällt die Gesellschaft, am Weib heilt sie." (S. 9) Die Art der modernen Gender-Debatte sei von dieser psychologischen Dichotomie des zerstörerischen Mannes und der wiederaufbauenden Frau ganz zentral beeinflusst, einschließlich der von uns denkbaren Gesellschaftsmodelle. Kucklick hat Teile seiner Kernthese neulich auch als Artikel veröffnentlicht.

Das fiel mir ein weil Hartmann in ihrem Text Johann Jakob Bachofen als Urvater der Matriarchatsidee identifiziert, und nach ihrer Beschreibung seiner Einsteckung ist er ein Textbuchbeispiel für Kucklicks "Unbehagen." In Bachofens Vier-Epochen-Modell der menschlichen Entwicklung findet sich z.B. von Phase 1 zu Phase 2 die Idee des zerstörerischen Mannes, der erst von der Frau geheilt werden muss, damit nach und nach die zivilisierte Gesellschaft möglich wird.

Das Matriarchat wird damit zum ideengeschichtlichen Zwischenschritt, um den barbarischen, rückständigen Mann vom zivilisierten Mann zu unterscheiden. Interessant ist das insofern, als dass gerade im Kolonialismus eine oft genannte Rechtfertigung für das Ersetzen vorhandener Machtstrukturen die ist, dass diese Barbaren ihre Frauen so schlecht behandeln. Richard Slotkin und Roy Harvey Pearce erwähnen das z.B. in ihren Arbeiten immer mal wieder, aber es kommt auch in Diskussionen der Barbareskenstaaten vor.

Also vielleicht doch kein Zufall, dass Bachofen gerade im 19. Jahrhundert gelebt hat.
 
Ich meine jetzt nicht Gesellschaften in denen die Verwandtschaft nach der Mutterlinie weitergegeben wird, das gibt (gab) es glaube ich in vielen Gesellschaften.
Ich definiere als Matriarchat eine Gesellschaft in der die politische Macht von Frauen ausgeübt wird.
Nur sehe ich nicht wie das jemals möglich gewesen sein soll: Männer sind deutlich agressiver als Frauen, mehr an Macht interssiert und körperlich überlegen.
Wie soll es da jemals möglich gewesen sein dass die politische Macht Frauensache war?
Allerdings gibt es da die Minoische Kultur, nur scheint nicht sicher zu sein wie die Gesellschaft der Minoer aufgebaut war:

Zunächst einmal ist schon umstritten, was der Begriff "Matriarchat" im einzelnen enthalten soll. Falls eine Frauenherrschaft damit gemein ist, so konnte das bislang nirgendwo schlüssig nachgewiesen werden.

Anders sieht es mit der Matrilinearität aus, also ein System, dass die verwandtschaftlichen Verhältnisse und das Erbrecht über die mütterliche Linie definiert. Das gibt es gegenwärtig noch bei einigen kleinen ackerbauenden Ethnien, wird aber von der feministischen Matriarchatsforschung noch für andere vor- und frühgeschichtliche Kulturen in Anspruch genommen.

Sie vermutet z.B., dass das Neolithikum - also die frühen ackerbauenden Kulturen - matricharchal geprägt seien. Die Hypothese geht von der Annahme aus, dass sammelnde Frauen im 9. Jahrtausend v. Chr. das Aussamen und Neuentstehen von Wildgetreide entdeckten und in der folge den revolutionären Anbau von Pflanzen einleiteten. Sie säten mithilfe des Grabstocks aus, pflegten die Ackerflächen, ernteten und trugen so in wesentlichem Maße zur Existenzsicherung des Clans bei - mehr als die Männer mit ihrer Jagd. Das führte - so die Hypothese - zu einer außerordentlich günstigen Stellung der Frau, die Positionen als Dorfvorsteherin einnahm und gesellschaftlich und sozial auf gleicher oder sogar höherer Stufe als der Mann stand. Das änderte sich erst, als der schwere Hakenpflug den Grabstock ablöste, den der Mann führte, der dann auch Aussaat und Ernte betreute.

Dass das alles nicht beweisbar ist, muss nicht betont werden. Dennoch handelt es sich um eine interessante Hypothese, bei der es sich lohnt, den Grad der Wahrscheinlichkeit abzuklopfen.
 
Wobei Lesezeichens letzte Frage ja eher nach der Linearität und nicht nach der "Archie" forschte. Eine patriarchale Gesellschaft kann durchaus matrilinear organisiert sein,
 
Sie vermutet z.B., dass das Neolithikum - also die frühen ackerbauenden Kulturen - matricharchal geprägt seien. Die Hypothese geht von der Annahme aus, dass sammelnde Frauen im 9. Jahrtausend v. Chr. das Aussamen und Neuentstehen von Wildgetreide entdeckten und in der folge den revolutionären Anbau von Pflanzen einleiteten. Sie säten mithilfe des Grabstocks aus, pflegten die Ackerflächen, ernteten und trugen so in wesentlichem Maße zur Existenzsicherung des Clans bei - mehr als die Männer mit ihrer Jagd. Das führte - so die Hypothese - zu einer außerordentlich günstigen Stellung der Frau, die Positionen als Dorfvorsteherin einnahm und gesellschaftlich und sozial auf gleicher oder sogar höherer Stufe als der Mann stand. Das änderte sich erst, als der schwere Hakenpflug den Grabstock ablöste, den der Mann führte, der dann auch Aussaat und Ernte betreute.

Das ganze Konstrukt krankt aber an einem inneren Widerspruch. Um durch die Aussaat von Getreide den wesentlichen Anteil der Ernährung einer Sippe zu gewährleisten, muß dieses ja schon ertragreich sein, mehr, als es normalerweise das Wildgetreide abwirft. Das heißt, daß man seßhaft würde in der Hoffnung, daß die Aussaat von Getreide irgendwann soviel abwirft, daß die Sippe davon leben kann. Das ist natürlich nicht der Fall, also wird das Getreide wohl eher nebenher kultiviert worden sein, woraus dann aber eben nicht gefolgert werden kann, daß diejenigen, die sich darum kümmerten, dadurch eine tragende Rolle in der Gemeinschaft übernommen haben, ganz abgesehen davon, daß die Prämisse, daß dies eben die Frauen waren, vollkommen unbewiesen ist.

Wenn die Frage nach einer Herrschaftsstellung des Geschlechtes an der Vorrangstellung des Nahrungserwerbes festgemacht werden soll, ist sowieso zu hinterfragen, inwieweit der mehr zufällige Erfolg bei der Großwildjagd den kontinuierlichen Erfolg beim Sammeln oder auch bei der Jagd nach Kleinwild - Hasen, Gefügel und anderes Kleintier, die ja auch von Frauen und Halbwüchsigen gejagt werden konnten - überwogen haben soll.
 
Wurde nicht auch bei den alten Griechen Verwandschaft nach der Mutter gerechnet?

Einige Vorredner haben ja schon den patriarchalischen Charakter der griechischen antiken Gesellschaft erwähnt, wobei man bedenken muß, daß diese gesellschaft nicht homogen war, die Stellung einer Frau war im 7. Jh. anders als im 4 Jh. und in Athen anders als in Sparta.

Wenn man die Bedeutung der Mutter im rechtlichen Rahmen sucht, dann kann man zum Beispiel im 5. Jh. in Athen die Gesetze heranziehen, nach denen ein attischer Bürger Sohn eines attischen Vaters und einer attischen Mutter sein mußte.
 
Wenn die Frage nach einer Herrschaftsstellung des Geschlechtes an der Vorrangstellung des Nahrungserwerbes festgemacht werden soll, ist sowieso zu hinterfragen, inwieweit der mehr zufällige Erfolg bei der Großwildjagd den kontinuierlichen Erfolg beim Sammeln oder auch bei der Jagd nach Kleinwild - Hasen, Gefügel und anderes Kleintier, die ja auch von Frauen und Halbwüchsigen gejagt werden konnten - überwogen haben soll.

Ich kann dir leider nicht sagen, wie die feministische Matriarchatsforschung die oben von mir bruchstückhaft vorgestellte Hypothese im einzelnen begründet. Zentral ist die Überlegung, dass sammelnde Frauen erstmals Aussamung und Neuwuchs entdeckten, bzw. eine Verbindung herstellten. Das führte zum Anbau und zur Selektion des Wildgetreides, schließlich auch zur Kultivierung anderer Speisepflanzen, was alles unter der Obhut von Frauen geschah, da die Männer der Jagd treu blieben. Das führte dann zu einer allmählichen Verschiebung des Gleichgewichts der Geschlechter, da die Frauen ab einem bestimmten Zeitpunkt mehr zur Existenzsicherung der inzwischen sesshaft gewordenen Menschengruppen beitrugen.

Welche Ungereimtheiten diese Hypothese mit sich bringt, hast du schon beschrieben. Wie feministische Matriarchatsforscherinnen das im einzelnen zu entkräften versuchen, ist mir nicht bekannt.

Geschichte der Matriarchatstheorien ? Wikipedia

Matriarchat ? Wikipedia

Eine äußerst umstrittene Vorkämpferin all dieser Hypothesen (Große Göttin, Matriarchat) ist Heide Göttner-Abendroth.

Heide Göttner-Abendroth ? Wikipedia
 
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