Mauerfall 1989 Revolution oder Zusammenbruch?

yunjae

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Hallo, ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit dem Mauerfall und mir stellt sich nun die Frage, ob es eine Revolution oder ein Zusammenbruch war. Einerseits deuten viele Situationen bzw. Ereignisse auf eine Revolution hin. Dennoch behaupten Zeitzeugen, es sei lediglich ein Zusammenbruch gewesen und die Deutsche Wiedervereinigung war eigentlich gar nicht gewollt. Ich stehe grade ein wenig vor einem Zwiespalt, vielleicht habt ihr ja noch Ideen dazu?

LG
 
1. Es war eine durch Perestroika und Solidarnocs beschleunigter politischer Niedergang

2. In seiner politischen Wirkung war es eine Revolution. Dabei ist anzumerken. dass der Erfolg von Revolutionen in der Regel auf der Schwäche des zusammenbrechenden politischen Systems basiert und auf der relativen Fähigkeit zur Mobilisierung eines zielgerichteten Umsturzes.

3. Wer wann die "Vereinigung" beider deutschen Staaten gewünscht hat ist ein anderes Thema. Und es gab innerhalb der DDR unterschiedliche Vorstellungen bei den Gruppen, die den politischen Wandel vorangetrieben haben und der Bevölkerung der DDR, wie sich an den ersten Wahlen nach dem Zusammenbruch auch zeigte.
 
Das war eindeutig eine Revolution und zwar eine friedliche Revolution.
Proteste waren die Vorläufer.

Und klar war auch, an den Zeitpunkt wo die Mauer fällt, fällt die DDR.
Dass das friedlich blieb, verdanken wir einzig und allein Herrn Gorbatschow.

Hätten die Sowjets unter Gorbatschow damals signalisiert ihre Panzer auf die Straßen der DDR zu schicken, wäre
das Ganze sicher anders verlaufen (chinesische Lösung).

Und das Verhalten von Herrn Gorbatschow...
Da erinnere ich mich an Herrn Kohl. Sinngemäß sagte er damals, Gorbatschow hat in seine Bücher geschaut und hat festgestellt, er ist pleite.

1953 (17.06) hatten wir eine andere Situation.
Stalin war gerade verstorben. Er starb ja im März 1953.
N. S. Chruschtschow wurde ja erst ab 14.09. der 1. Sekretär der KPdSU.

In den Monaten wo es in der DDR drunter und drüber ging, war ja G.M. Malenkow, der „Säuberer“ von Weißrussland und Armenien, dh. Stalins Vertrauter am Ruder.

Und Chruschtschows Aktivitäten mittels seines Schwiegersohn Alexander Adschubej 1963/1964 zum Verkauf der DDR, endeten mit der Entmachtung von Chruschtschow (offiziel verfehlte Landwirtschaftspolitik).

An seine Stelle kam ja dann ab 14.10.1964 Leonid Iljitsch Breschnew. Er blieb bis 1984.

Unser Glück, denn wäre der noch am Ruder gewesen wären 1989/1990 in der DDR sicher russische Panzer grollt. Der hatte ja Erfahrung aus dem Prager Frühling 1968.
 
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1. Es war eine durch Perestroika und Solidarnocs beschleunigter politischer Niedergang
Sicher hat Solidarność (@yunjae: eine polnische katholische (Werftarbeiter-)Gewerkschaft, die in der Zeit des Kriegsrechts, welches der polnische Ministerpräsident Jaruzelski ausgerufen hatte die Opposition unter ihrer Führung versammelte und die autoritäre Regierung zu Verhandlungen zwang) so etwas wie eine Vorreiterrolle gespielt. Die Ereignisse in Polen waren so etwas wie ein Katalysator.
Ob Glasnost und und Perestroika (@yunjae: Öffnung und Umgestaltung) den Niedergang beschleunigten, weiß ich nicht. Gorbatschow hat ja bei uns einen guten Leumund, in seinem Heimatland ist er relativ unbeliebt, weil man ihm und seiner Politik vorwirft, dass die Sowjetunion zerfallen ist. Ich würde sagen: Er hat mit Demokratisierung und Modernisierung des Landes versucht, diese Zerfallsprozesse aufzuhalten und ggf. sogar umzukehren, weil die Zustände in der SU einfach nicht mehr haltbar waren.

3. Wer wann die "Vereinigung" beider deutschen Staaten gewünscht hat ist ein anderes Thema. Und es gab innerhalb der DDR unterschiedliche Vorstellungen bei den Gruppen, die den politischen Wandel vorangetrieben haben und der Bevölkerung der DDR, wie sich an den ersten Wahlen nach dem Zusammenbruch auch zeigte.
Es gibt da interessante Bilder von Großdemonstrationen im Dezember 1989, da war von Wiedervereinigung schon die Rede und man sieht, wie friedlich Leute mit Transparenten für eine Wiedervereinigung neben Leuten stehen, die auf ihren Transparenten einen Umbau der DDR zu einem demokratischen Sozialismus fordern, befreundet mit Westdeutschland, mit Reisefreiheit und allem, aber eigenständig. Letztlich war das die Fortführung der Ideen von vor dem 9. November, die aber bei vielen schnell vergessen waren, als die Macht des DDR-Staatsapparats schneller erodierte, als man sich hätte vorstellen können. Ich glaube, dass einer der Verdienste von Helmut Kohl war - bei allen ungehaltenen Versprechen und allen Fehlern, die damals gemacht wurden - dass er ziemlich gut begriffen hat, was er da für eine Gelegenheit hatte und diese sehr schnell beim Schopfe griff. Kohl ist ja auf Staatsbesuch in Warschau von den Berliner Ereignissen überrascht worden - gleichwohl ja seit dem Sommer etwas in der Luft lag, spätestens seit Prag (ich meine Genschers berühmten Auftritt auf dem Balkon der Botschaft) - und war ziemlich schnell in Berlin.
 
Dass das friedlich blieb, verdanken wir einzig und allein Herrn Gorbatschow.
Hätten die Sowjets unter Gorbatschow damals signalisiert ihre Panzer auf die Straßen der DDR zu schicken, wäre
das Ganze sicher anders verlaufen (chinesische Lösung)

Ich denke auch, dass es eine friedliche Revolution war. Allerdings denke ich nicht, dass man es allein Gorbatschow zu verdanken hat, dass alles friedlich blieb - zu einem großen Teil gewiss, aber eben nicht allein. Du bringst selbst das Beispiel China und das Tian'anmen-Massaker, das ja auch ohne sowjetische Panzer stattfand. Gut, China und die damalige UdSSR waren 1989 nicht gerade enge Verbündete.
Das Rumänien Ceaușescus ist ein besseres Beispiel für eine gewaltsame Revolution in einem Land des Warschauer Paktes. Auch dort rollten keine sowjetischen Panzer, dennoch floss viel Blut. Wenn die Stasi sich wie die rumänische Securitate verhalten hätte, wäre auch in der damaligen DDR ein Blutbad möglich gewesen.
 
Ich denke auch, dass es eine friedliche Revolution war. Allerdings denke ich nicht, dass man es allein Gorbatschow zu verdanken hat, dass alles friedlich blieb - zu einem großen Teil gewiss, aber eben nicht allein. Du bringst selbst das Beispiel China und das Tian'anmen-Massaker,
Und die mehrere SED-Funktionäre, am bekanntesten Egon Krenz, haben der chinesischen Führung ihre brüderliche Verbundenheit ausgesprochen. Nicht den Massakrierten, sondern den Massakrierenden. Ein Grund mehr, dankbar zu sein, dass die friedliche Revolution am Ende so friedlich verlief.
 
In Rumänien lagen die Sachverhalte anders.
1965 wurde Nicolae Ceaușescu Generalsekretär der PMR (Partidul Muncitoresc Român). PMR ab 1948.
Sein Förderer der Generalsekretär der PMR
Gheorghiu-Dej verstarb ja am 19.03.1965.
Die SR Rumänien hatte schon lange keine Rote Armee mehr auf ihrem Teritorium.
Diese Streitkräfte hatten bereits 1958 das Land verlassen.

Rumäniens–Ceaușescu war auf sich allein gestellt als dann am 16.12.1998 in Timișoara, Bukarest und anderen Städten die Unruhen begannen. Diese Unruhen waren ja der Beginn einer Revolution, nur im Unterschied zur DDR waren dies blutig und mit Opfern verbunden.
Nicolae Ceaușescu und seine Frau Elena wurde sogar hingerichtet (25.12.1989 in Tîrgoviște, der alten Hauptstadt der Walachei.
E. Honecker hatte ja ein sehr freundschaftliches Verhältnis zu Nicolae Ceaușescu.

Ich glaube bald wäre dies nicht gewesen, wäre das Urlaubsland Rumänien gestrichen wurden und nach Bulgarien wäre es dann nur noch per Flugzeug gegangen. Also in beide Länder keine Privatreisen per PKW und Zug.

Und Polen...
Da lagen die Sachverhalte auch ganz anders.
Hätte Wojciech Witold Jaruzelski im Gremium des Warschauer Vertrage nicht klar gesagt er bekommt das mit Lech Wałęsa und dessen Solidarność in Griff (Kriegsrecht in Polen ab 13.12.1981), hätten wir Anfang der 80iger eine zweite CSSR erlebt.
Um es polnisch zu sagen: „To jest pewne amen w pacierzu“.
Hier im Polen waren ja im Gegensatz zu Rumänien Truppen der Roten Armee stationiert. Anfangs 300.00 Soldaten, dann ab 1956 66.000 Soldaten.

Und nicht auszudenken. In Polen Kampfhandlungen sowjetischer Truppen und NVA Truppen. Auch die NVA war ja damals in Bereitschaft/Alarmzustand.
In der Breschnew Ära haben wir ja den Beginn, den Aufschwung und das Erstarken der Solidarność.
Damaliger Generalsekretär der KPdSU, Leonid Breschnew von 1964 – 1984.
Auf polnischer Seite, als die Solidarność - Bewegung entstand, war ja Edward Gierek an der Macht. Er wurde nach Entstehung der Solidarność – Bewegung , sicher auch auf betreiben von Leonid Breschnew, dann im September 1980 abgesetzt. Er war sogar unter dem späteren Jaruzelski interniert worden.
Es folgte Stanisław Kania. Der bekam die Solidarność auch nicht im Griff und wurde im Oktober 1981 wieder abgesetzt (September 1980 – Oktober 1981).
Und dann eben der bereits genannte Wojciech Witold Jaruzelski. Er blieb fast bis zum Ende der Volksrepublik.
Man darf aber bei der Beurteilung Polens auf keinen Fall Johannes Paul II. (bürgerlich: Karol Józef Wojtyła) vergessen.
Als Jaruzelski das Kriegsrecht verkündete, waren in der DDR viele Menschen unruhig. M.E. sogar unruhiger als zu Zeiten der CSSR August 1968.
Nach dem anfangs blutigen Unruhen entwickelte sich dann in Folge alles friedlich.

Unter den letzten Ministerpräsidenten Mieczysław Franciszek Rakowski gab es dann 1989 wie auch in der DDR einen „Runden Tisch“. Das Land wurde vom kommunistischen Polen in ein demokratisches Polen umgewandelt.
Also hier auch eine friedliche Revolution.
 
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Zur Frage des Widerstands gegen eine deutsche Vereinigung eine hilfreiche Dokumentensammlung von Blanton, Savranskaya und Zubok. Deutlich wird vor allem anhand der Dokumente der aktive Widerstand von Thatcher gegen eine deutsche Vereinigung, gegen die sie aktiv bei Gorbatschov im "Namen des Westens" polemisiert hatte. Und im Gegensatz dazu die als doppelt positiv zu bewertende Rolle von Gorbatschow. Zum einen, indem er bereit war, zentrale politische Positionen der UdSSR friedlich aufzugeben und zum anderen weil er einer gewaltsamen Eindämmung der sich abzeichnenden Veränderungen durch sowjetische Panzer eine Absage erteilte.

In den Beiträgen von Schweizer wird die Rolle von Reagan zudem deutlich. Die Politik seiner Administration war ebenfalls zentral für die entstandene Zuspitzung, die eine Lösung erforderte.

Dass es eine friedliche Lösung werden sollte und das sie als Implosion stattfand war von vielen Experten nicht erwartet oder prognostiziert worden.

Blanton, Thomas S.; Savranskaya, Svetlany; Zubok, Vladislav M. (2011): Masterpieces of history. The peaceful end of the Cold War in Eastern Europe, 1989. Budapest, New York: Central European University Press

National Security Archive

Schweizer, Peter (Hg.) (2000): The Fall of the Berlin Wall. Reassessing the causes and consequences of the end of the Cold War. Stanford, Calif., Wash., DC: Hoover Institution Press;
 
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