Mesopotamische Wirtschaft und Gesellschaft

Babylonia

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In losen Beiträgen folgen Streifzüge über Wirtschaft und Gesellschaft in Mesopotamien




Quellen für diese Reihe:
B. Hrouda, Der Alte Orient, Bertelsmann, München, 2003
H. Uhlig, Die Sumerer, Bastei Lübbe, 1992, §. Aufl. 2002
M. Jursa, Die Babylonier, C. H. Beck Wissen, München 2004
M. Bau, Der Fruchtbare Halbmond, Glock und Lutz, Nürnberg 1975
A.Caubet, P. Pouysseggur, Der Alte Orient, Komet, Frechen 2001
M. V. Locquin, Chronik der Vor- u. Frühgeschichte, Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig, 1998
Bildatlas Weltgeschichte, Otus Verlag, St. Gallen 2004


Anfänge in Sumer – Teil 1
Die um die Mitte des 4. vorchristlichen Jahrtausends in das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris im heutigen Irak eingewanderten Sumerer lösten mit ihrem Ideenreichtum eine regelrechte „technische Revolution“ aus, die in dieser Intensität ihresgleichen erst wieder in Europa des 19. Jahrhunderts finden sollte.
Mit großer Energie verwirklichten die Sumerer ihre Ideen von Religion, Staatswesen und Verwaltung, Kunst, Schrift und Literatur, Mathematik, Medizin, Recht, Handel, Technik und Handwerk – kurz Zivilisation genannt. Damit bestimmten sie in einem weit über das Zweistromland hinaus gehenden Raum die Entwicklung aller Lebensbereiche. Sie erfanden alles, was ihre Arbeit effektiver und leichter, was ihr tägliches Leben sicherer, komfortabler und freudiger werden ließ. Und das alles in einem so ungeheueren Tempo, dass manche Wissenschaftler geneigt sind anzunehmen, die Sumerer seien aus ihrem unbekannten Herkunftsgebiet mit einer fertigen Kultur ins Zweistromland gekommen. Ende des 4./ Anfang des 3. vorchristlichen Jahrtausends erfanden die Sumerer die Schrift (rechnen konnten sie schon früher, siehe Pfad Pressenachrichten „Wo alles anfing“) und leiteten damit den Übergang von der Frühgeschichte zur Geschichte der Menschheit ein.
Vor fünftausend Jahren hatten die Sumerer einen Wohlstand erreicht, wie er im heutigen Mesopotamien nicht allen zuteil wird. In Gemeinschaftsarbeit dämmten sie Flüsse ab und bauten raffinierte Bewässerungsanlagen, die Ihre Felder und Plantagen mit dem nötigen Wasser versorgten oder das überschüssiges Wasser dort leiteten, wo es gebraucht wurde. Es gab Kanäle, z.T. unterirdische, durch die das Wasser aus den Flüssen in die Städte gelangte. Manche ihrer Metropolen hatten Häfen und waren auf dem Seeweg mit dem Rest der damaligen Welt verbunden. Allerdings lag der Persische Golf damals ca. 80 Kilometer weiter nördlich als heute. Sie bauten prächtige, planmäßig angelegte Städte mit monumentalen, weitläufigen Tempeln und Palästen sowie Privathäuser, die beim Adel oft mit mehreren Zimmern und Bad ausgestattet waren. Es gab regelrechte Manufakturen (z.B. Textil-) und Schmelzöfen, in denen hohe Hitzegrade erreicht wurden. Gießereien garantierten die Herstellung großer Bronzegefäße und so nützlicher Dinge wie Spaten, Eggen und einen mit Sätrichter kombinierten Pflug. Sie benutzten das Rad, was die Darstellung eines Karrens mit Scheibenrädern bezeugt. Städte waren zunehmend durch „Postdienst“ miteinander verbunden und ihre Handelsbeziehungen reichten weit.
 
Teil 2
Die Erfolge der Sumerer als Begründer der ältesten Hochkultur der Erde sind nicht nur Früchte ihrer Klugheit und ihres Fleißes, sonder resultieren auch aus der Rohstoffarmut ihres Landes. Um in den Besitz von Materialien zu gelangen, die sie zwar zu bearbeite verstanden aber nicht besaßen, musste ein gut funktionierender Handel in Gang gebracht werden. Da die sumerischen Importbedürfnisse größer waren als ihre Exportmöglichkeiten (Getreide, Datteln, Sesamöl, Schlachtvieh, Felle, Wolle, Gewänder) entwickelten sie frühzeitig eine Veredelungsindustrie. Zedernstämme kamen aus dem Libanon, Zypressen aus dem armenischen Bergland, Buchsbaum und Ebenholz aus dem fernen Nubien (1. Katarakt des Nils im heutigen Südägypten und Nordsudan). Daraus wurden Möbel, Türen, Gefäße, Paneelen, Intarsien, Musikinstrumente und Handwerksgeräte hergestellt. Auch Metalle, die nachweisbar schon Ende des 4. vorchristlichen Jahrtausends verarbeitet worden sind, mussten importiert werden, da sie im Zweistromland völlig fehlten. Kupfer wurde aus Elam und Kleinasien, Silber aus dem Taurusgebirge und Gold aus Indien und Ägypten herangeschafft. Die meisterhafte, kunstvolle Bearbeitung der Edelmetalle weckte bald auch die Nachfrage nach Edelsteinen, aus denen kostbare Einlegearbeiten und Schmuckgegenstände gearbeitet wurden. Der tiefblaue, gold gesprenkelte Lapislazuli aus Pamir und dem Hindukusch erfreute sich neben Jaspis, Karneol, Beryllen und Türkis bei den Sumerern großer Beliebtheit. Lapislazuli findet sich in jedem Königs- und Priesterschmuck, an Musikinstrumenten, Waffen (Dolchen) und Grabbeigaben. Wahre Meisterstücke davon fanden die Ausgräber unter Sir Woolley in den Königsgräbern von Ur aus der Zeit um 2500 v. Ch.
Sicher ist, dass Handelskarawanen schon 3000 v. Ch. in die o.g. fernen Gebiete gezogen sind. Es sind Eselkarawanen gewesen; Belege für die Domestikation von Kamelen gibt es erst ab dem 1. vorchristlichen Jt. Unter anderem aufgrund der Tatsache, dass der sumerische Export in den Anfängen aus leicht verderblichen Gütern bestand, die nicht weit transportiert werden konnten, entstanden im Lauf der Zeit auf den langen und oft gefährlichen Strecken Warenumschlagplätze und Handelsunternehmungen, wo alles zu tauschen war, was begehrt wurde. So organisiert war auch der Warenaustausch mit Ägypten und Syrien (Syrien war im Altertum der Raum zwischen Taurus im Norden, der Mittelmeerküste bis zum Sinai, der im Irgendwo verlaufenden Grenze zur arabischen Wüste und der zuweilen wechselnden Grenze zu Mesopotamien; heute also außer Syrien auch Jordanien, Libanon, Israel, Palästina, der Sinai und dem seit 1939 türkischen Sandschak- Alexandrette). Sumerische Inschriften aus der Mitte des 3. vorchristlichen Jahrtausends erwähnen außerdem auf dem Seeweg nach Osten drei Warenumschlagplätze: Tilmun (das heutige Bahrein), Makkan (Insel vor Abu-Dhabi?) und Meluhha (Indusmündung?). In der zweiten Hälfte des 3. vorchristlichen Jahrtausends wurden direkte Fernkontakte sumerischer Städte wieder seltener, Exporteure und Aufkäufer hatten ihren Sitz in Tilmun, wo der größte Teil des sumerischen Handels auf dem Seeweg erfolgte.
In den sumerischen Städten entwickelte sich eine Luxusindustrie, die Sumers Reichtum schnell wachsen ließ. Aus „aller Welt“ kamen die Bestellungen für Schmuck, Elfenbeinarbeiten, Rollsiegel, Textilien sowie für Schminke, Parfüms und Räucherwerk- Erzeugnisse, die am ägyptischen Pharaonenhof genauso geschätzt wurden wie von der Oberschicht der jungen Städte im Industal. Ein Zufallsfund mehrer Nelken in Terqa, einer Stadt am Mittleren Tigris, in einer Ausgrabungsschicht der altbabylonischer Zeit, deuten auf Handelskontakte bis nach Ostasien, wahrscheinlich sogar bis zu den Molukken hin.
Die weit reichenden Handelsbeziehungen bewirken auch einen regen geistig- kulturellen Austausch und die wechselseitigen Einflüsse auf allen Gebieten waren enorm.
Die mesopotamischen Herrscher haben früh erkannt, dass ihre Macht, der Reichtum ihrer Metropolen, die Pracht ihrer Paläste und Tempel, aber auch der Erfolg ihrer Kriegszüge auf einem soliden Fundament gründeten- dem der Handwerker. Sie scheuten nicht davor zurück, die Besten aus allen Himmelsrichtungen in ihr Land zu holen, auch mit Gewalt. Ein Beispiel dafür lieferte später der babylonische König Nebukadnezar, der 587 v. Ch. unter anderen alle Handwerker aus Jerusalem nach Babylon deportierte – und das war keine Ausnahme.
Quellen: s. Teil 1
 
Landwirtschaft und Ernährung

Landwirtschaft und Ernährung



Südmesopotamien, jener Teil des heutigen Iraks das südlich von Samarra liegt und im Altertum die Heimat zunächst der Obed- Leute, dann der Sumerer, Akkader und Babylonier war, bekam seine charakteristische Prägung durch die beiden Flüsse Euphrat und Tigris verliehen. Sie durchfließen mäandrierend eine außerordentlich flache, nur im Norden schwach reliefierte Schwemmlandebene. Besonders der langsamer fließende Euphrat, dessen Bett durch Sedimentablagerungen über dem Umland liegt, neigt im Frühjahr zur Überschwemmungen. In tiefer liegenden Gebieten, wo das Wasser nicht abfließen konnte, bildeten sich Sümpfe. Die Schilfsümpfe beheimateten eine reiche Flora und Fauna, sonst war die natürliche Vegetation spärlich. Entlang der Flüsse und Kanäle wuchsen Weiden und Pappeln, aber auch Sträucher und Buschwerk. Weidemöglichkeiten in der Steppe waren dürftig



Ackerbau

Der Ackerbau bildete den Rückgrad der mesopotamischen Wirtschaft. Um unter diesen Bedingungen leben zu können, entwickelten die Sumerer schon Ende des 4. vorchristlichen Jt. ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem, das von den nachfolgenden Akkadern und Babyloniern übernommen wurde. Sie bauten Dämme um ihre Felder vor Überschwemmungen zu schützen, legten Kanäle an und zogen Gräben von den Flüssen zu den Äckern und leiteten das überschüssige Wasser aus den Sümpfen dorthin, wo es gebraucht wurde. Ihre lang gestreckten Felder legten sie längs der Schmalseite an einen Kanal, was die übliche Furchenbewässerung erleichterte. Das Wasser wurde dabei in tiefe, parallel zu den Längsseiten verlaufende Furchen geleitet und floss dank eines geringen Gradienten bis zum kanalfernen Ende des Feldes. Diese Bewässerungstechnik sorgte für eine gleichmäßige Wasserverteilung und verringerte die Verdunstung. Eine solche Bewässerungstechnik führte aber zur Versalzung der Böden und es mussten neue Felder angelegt werden; Land war ausreichend vorhanden. Die salzresistente Gerste war das wichtigste Getreide, der weniger resistente Weizen spielte eine untergeordnete Rolle. Der beträchtliche wirtschaftliche Erfolg war neben dem Klima und der Bewässerungstechnik auch der „ingeniösen“ Erfindung des Saatpflug zu verdanken. Dieser war mit einem Trichter versehen, durch den das Saatgut direkt hinter der Pflugschar in die Furche eingebracht werden konnte. Das ermöglichte eine sehr arbeits- und ressourceneffiziente Feldbestellung und erstaunlich hohe Erträge in Relation zum eingesetzten Saatgut. Ernten vom 24- fachen des Saatguts waren nicht ungewöhnlich, was Wirtschaftstexte aus dem 3. und 2. vorchristlichen Jahrtausend belegen (im Mittelalter wurden durchschnittlich dreifache Erträge im Verhältnis zum Saatgut erzielt). Eine noch intensivere Form der Landwirtschaft war der Dattelgartenbau. Hier waren sowohl die Erträge als auch der Arbeitseinsatz noch wesentlich höher als bei dem extensiven Ackerbau. Je größer die Städte wurden und je näher das Land an die städtischen Zentren rückte, desto häufiger wurden Dattelgärten angelegt. Das lag an der besseren Verfügbarkeit von Arbeitskräften und den geringeren logistischen Schwierigkeiten bei der Vermarktung. Die sehr salz- und hitzeresistente Dattelpalme bedarf reichlicher und regelmäßiger Bewässerung, weswegen die Dattelgärten immer an Kanälen lagen; Getreidefelder wurden zunehmend ins Hinterland verlegt und durch Gräben bewässert, die durch die Dattelgärten hindurch führten. Wie Wirtschaftstexte aus babylonischer Zeit belegen, wurden auch Versuche unternommen, unter den Dattelpalmen andere Nutzpflanzen zu kultivieren, z.B. Feigen. Ebenso Gemüse, vor allem Lauch, wurde im großen Stil angebaut – Lauch hatte für den babylonischen Markt eine Sonderstellung, weil er in der Ernährung der Babylonier eine wichtige Rolle spielte.



Viehzucht:

Bei den Babyloniern im 2. Jt. v. Ch. waren Rinder wegen ihrer Zugkraft in der Landwirtschaft unentbehrlich und ein Pflugochse war der wertvollste Besitz eines Bauern. Pfluggespanne bestanden meist aus zwei bis sechs Ochsen. Im 3. vorchristlichen Jahrtausend, bei den Sumerern, waren es noch Esel oder Kreuzungen zwischen Haus- und Wildesel. Pferde wurden in der Landwirtschaft gar nicht eingesetzt. Bauernfamilien hatten in der Regel nur wenige Rinder, weil ihre Ernährung schwierig und teuer war, besonders in der Trockenheit des Sommers. Große Herden gehörten dem Tempel und zwar vor allem aus religiösen Gründen: Sie waren die wertvollsten Tieropfer, die den babylonischen Göttern dargebracht werden konnten. Als Milch-, Fleisch- und Hautlieferant spielten sie eine untergeordnete Rolle. Auch Esel wurden nicht oft in großen Herden gehalten. Sie dienten als Reit- und Packtiere, hatten aber in Südmesopotamien keine so große Bedeutung als in Nordmesopotamien, wo oft von großen Eselkarawanen berichtet wird. Dank des umfangreichen Kanalnetzes waren Boote hier eine wesentlich billigere und einfachere Alternative für den Massengütertransport.

Dagegen stellte die Schaf- und Ziegenzucht einen wesentlichen Bestandteil der Landwirtschaf dar. Kleinere Herden verblieben immer in der Nähe der Städte. Diese Tiere dienten als Milch- und Fleischlieferanten, waren aber gleichsam unentbehrlich als religiöse Tieropfer und für die Vorzeichenwissenschaft, die sich mit der Interpretation von Omina beschäftigte, welche aus den Eingeweiden von Opferschafen gelesen werden konnten. Diese Herden grasten im Sommer an den Rändern der Felder oder auf den Brachflächen, im Winter in der Steppe. Große Herden, die sich aus Tieren verschiedener Eigentümer (Tempel, Paläste, Privatleute) zusammensetzten, mussten auf der Suche nach Nahrung über weite Strecken getrieben werden. Bevorzugte Weideplätze lagen in Nordmesopotamien - bis zum Zagrosgebirge. Die Hirten trafen mit den Herden in der Regel nur einmal im Jahr, im Frühjahr, zur Zeit der Schur, für die Abrechnung mit den Eigentümern in den Heimatorten ein.

Das wichtigste Produkt der Kleinviehhaltung war die Wolle, auf der die Textilproduktion aufbaute.



Grundnahrungsmittel in Babylon:

Die Ernährung der Babylonier setzte sich hauptsächlich aus Gerste, Sesam, Datteln, Gemüse (Lauch, Bohnen), Fleisch und im eingeschränkten Maße aus Milchprodukten, wie Käse, zusammen. Reiche Fisch- und Vogelbestände boten außerdem die Sümpfe, Auch Pilze und Beeren bereicherten den Speisezettel. Gerste wurde gedroschen und entweder geröstet oder gequetscht zu einem Brei verarbeitet oder von Hand zwischen zwei flachen Steinen gemahlen; daraus wurde gesäuertes oder ungesäuertes Brot gebacken. Aus Gerstenmalz wurde das wichtigste Getränk der Babylonier gebraut – ein schwach alkoholisches Bier. Dafür wurde die gemälzte Gerste zu einem „Bierbrot“ gebacken, in Stücke gebrochen, manchmal gewürzt und mit Mehl (auch Grieß) und Wasser versetzt, gegoren. Bier spielte auch eine bedeutende Rolle als Opfergabe. Im 1. Jt. v. Ch. wurde auch ein Bier aus vergorenen Datteln gebraut. Den überwiegenden Teil des Fettbedarfs deckte das Sesamöl. Dazu kam gelegentlich Schaf- und Ziegenfleisch auf den Tisch. Delikatessen, wie Wein oder Honig, mussten aus dem syrisch- palästinischen Raum importiert werden und waren der Oberschicht vorbehalten.



Quellen:

M. Jursa, Die Babylonier, C. H. Beck Wissen, München 2004

H. Uhlig, Die Sumerer, Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach, 2002















 
Grundstrukturen der südmesopotamischen Gesellschaft

Unser Bild von der mesopotamischen Gesellschaft ist heute lückenhaft, weil schriftliche Belege über weite Bevölkerungsschichten fehlen und dürftige Aussagen darüber nur auf „Umwegen“, z.B. anhand von Wirtschaftstexten aus Palästen, Tempeln und Privathaushalten der Bourgeoisie sowie von Gesetzesbestimmungen jener Zeit gemacht werden können.

Für die Bewohner Mesopotamiens waren Städte primär religiöses Zentrum und Herrschaftssitz. Aus der anfänglich klassen- und besitzlosen Gesellschaft des 4. vorchristlichen Jahrtausend, als das Eigentumsrecht an Grund und Boden bei Gott, d.h. in den Händen der Tempelverwaltung lag, entwickelte sich mit dem Wachstum der städtischen Zentren und dem steigenden Wohlstand im 3. vorchristlichen Jahrtausend ein immer differenzierter werdender Ständestaat. Ab Mitte der 3. vorchristlichen Jahrtausends machte sich eine Entwicklung bemerkbar, die schließlich zum Entstehen eines unabhängigen Königtums führte Es gab eine deutliche Verschiebung vom institutionellen zum privaten wirtschaftlichen Sektor. Die mesopotamische Gesellschaft bestand aus Tempel – und Palasthaushalten, der Ober – und Mittelschicht (vollfreie Bürger), den freien aber wirtschaftlich und sozial von den Tempel – oder Palasthaushalten Abhängigen, der Landbevölkerung (Sesshafte, Halbnomaden, Nomaden) und aus Unfreien (Sklaven).
Ein Tempel war von frühester Zeit an ein wesentlicher Kristallisationspunkt der mesopotamischen Stadt. Oberster Herr war die Stadtgottheit, vertreten durch den Priester. Die Versorgung der Gottheit mit notwendigen Opfern begründete die Existenzberechtigung des Tempelhaushaltes. Ein Tempelhaushalt war ein autarkes ökonomisches Unternehmen - alles, was innerhalb des Tempelhaushalts verbraucht wurde, wurde auch innerhalb des Tempelhaushalts produziert. Die Aktivitäten des Tempelhaushalts erstreckten sich über eine einzelne Stadt, das Hinterland der Stadt, die Steppe und die Sümpfe, die auch die Infrastruktur und Voraussetzung für Verwaltung und Handwerk, Acker – und Gartenbau, Viehzucht, Jagd und Fischfang boten.

Seit dem Entstehen des Königtums bestimmte die Zweiteilung (Dichotomie) zwischen Palast und den Tempeln das wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschehen im Lande. Der mesopotamische Herrscher bezog seine Legitimation aus seiner Abstammung und aus einer behaupteten Erwählung durch den Stadtgott des beherrschten Stadtstaates oder den obersten Gottes des Pantheon. Ein König war nicht nur Herrscher einer Stadt, sondern auch Herrscher eines Stadtstaates oder Reiches. Alle Einwohner eines Stadtstaates, ungeachtet ihrer sozialen Stellung, waren Untertanen des Königs. Der Palasthaushalt war in vieler Hinsicht strukturell und ökonomisch dem Tempelhaushalt vergleichbar.
Die schriftliche Dokumentation über die urbane Bevölkerung stammt vorwiegend von der Mittel- und Oberschicht Babylons. Es wurden umfangreiche Privatarchive auf Tontafeln gefunden, die Einblicke in das Leben einer solchen Familie gewähren. Hauptsächlich beinhalten diese Dokumente Informationen über Besitztitel für Immobilien und die Sklaven in der Hand der Familie, familienrechtliche Urkunden über Heirats- , Mitgift- und Adoptionsverträge, Erbeinsätzungen und Testamente, Schuldurkunden und Quittungen, manchmal auch administrative Notizen und Briefe.

Bis Ende des 3. Jahrtausends v. Ch. war die landwirtschaftliche Produktion weitgehend Aufgabe institutioneller Haushalte. In altbabylonischer Zeit (2000 – 1600 v. Ch.) begann eine Individualisierung: Ein erheblicher Teil der Bevölkerung war weiterhin den institutionellen Haushalten dienstverpflichtet, wurde aber zunehmend nicht durch Naturalrationen entlohnt, sondern bekam ca. sechs Hektar große Felder zur Sicherung des Lebensunterhalts zugewiesen. Außerdem wurden umfangreiche Flächen an Einzelpersonen verpachtet, wobei die Pacht in Form von landwirtschaftlichen Produkten für die zentralen Aufgaben des Palast- oder Tempelhaushalts sorgte. Schließlich wurden große Flächen an Mitglieder der Oberschicht vergeben.

Immer besaß eine Familie der Mittel- oder Oberschicht mindestens ein Haus und einen Dattelgarten in der Nähe der Stadt sowie einige Sklaven. Auch Gemüsegärten größeren Stils und oft beachtliche Kleinvieherden bildeten die Lebensgrundlage der mesopotamischen Bourgeoisie. Größere Ländereien in Besitz der Reichen wurden verpachtet, sie wurden in der Regel nicht vom eigenen Personal bewirtschaftet. Für verpachtete Äcker musste der Pächter im ersten Jahr nichts zahlen, ab dem dritten Jahr hatte er ein drittel seiner Erträge an den Eigentümer abzuführen. Konnte die Pacht (oder andere Schulden) nicht bezahlt werden, mussten Teile der Familie des Pächters für eine bestimmte Zeit, oft drei Jahre, als Sklaven die Verbindlichkeiten abarbeiten. Neben der Landwirtschaft betrieben die wohlhabenden Städter vor allem Handel verschiedener Art und Geldverleih. Geld- und Naturalienverleih gegen Zinsen war Anfang des 2. vorchristlichen Jahrtausends vorwiegend eine Domäne der Kaufleute, weil nur sie über das freie Kapital verfügten; später wurden die Geschäfte mit dem Verleih allgemein auch in der Mittel - und Oberschicht üblich. Zinsen von 20% auf Silber und 33 1/3 % für Naturalien machten den Verleih zu einer lukrativen Einnahmequelle für die Verleiher (die Höhe der Zinsen blieb durch die ganze babylonische Zeit relativ konstant - sie beruhte auf von der Metrologie beeinflusstem Gewohnheitsrecht und erlaubte bei den verwendeten Maßeinheiten und den üblichen Zahlen- und Kalendersystemen einfache Berechnungen von Monats- und Jahreszinsen).
Die alteingesessene Oberschicht bildete auch das Rückgrad der Tempelverwaltungen und stellte die wichtigsten Kultfunktionäre, wobei die Verschränkung von Amtsgeschäften und den privaten Geschäftsunternehmungen bei Funktionären dieser Art oft beträchtlich war.
Die Mitwirkung der Mittel- und Oberschicht an den Opfer- und sonstigen Ritualen wurde über die Vergabe von Tempelpfründen geregelt, d.h. über Rechte auf Einkommen aus dem Tempelbereich und durch Vergabe von bestimmten Versorgungsbereichen. Typische Pfründenberufe waren Bäcker, Brauer und Schlächter sowie Sänger und Beschwörer als Kultpersonal.

Es bestanden auch Verbindungen, wenn auch nicht so enge, zwischen der Oberschicht und dem Königshof. Die Oberschicht versuche eher von außen Einfluss auf die königlichen Entscheidungen zu nehmen. Bekannt ist die Funktion von Privatleuten als Franchisennehmer, die gegen vereinbarte Zahlungen die Führung von einzelnen wirtschaftlichen Operationen des Palastes (auch Tempels) auf eigene Rechnung unternahmen.

Freie Handwerker finden sich in der Regel nicht unter den Mitgliedern der Mittelschicht, sie waren den Tempeln und Palästen verpflichtet, es ist deswegen nur wenig über sie und ihre Familien bekannt. Es scheint aber sicher zu sein, dass institutionell gebundene Handwerker auch privat, auf eigene Rechnung, ihrem Beruf nachgingen.

Quellen: siehe Teil 2











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Zuletzt bearbeitet:
Teil 2
Sklaven, eine treffendere Bezeichnung ist Unfreie, stammten vorwiegend aus den nordöstlich von Mesopotamien liegenden Bergländern oder rekrutierten sich aus Kriegsgefangenen und mitunter auch aus Einheimischen, die dauerhaft oder zeitweilig versklavt wurden. In Babylonien hat Sklavenbesitz nie Ausmaße wie im klassischen Athen des 5.- 4. Jh. v. Ch. oder in Rom der späten Republik (2.- 1. Jh. v. Ch.) und Kaiserzeit (1.- 3.Jh. n. Ch.) erreicht. Selbst reiche Familien verfügten normalerweise nur über eine kleine Anzahl an Sklaven, der bezeugte Fall von über einhundert Sklaven im Besitz einer babylonischen Familie dürfte eine Ausnahme sein. Häufig berichten Quellen, dass Sklaven ein Handwerk oder sonst eine wirtschaftliche Tätigkeit für ihre Besitzer relativ selbständig ausübten, z.B. wurden Sklaven mit Handelsgütern ausgestattet, die sie oft über weite Strecken zu befördern hatten, um diese anderswo gegen vom Eigentümer begehrte Waren einzutauschen. Sklavinnen, als ein typischer Bestandteil der Mitgift, wurden Frauen als Hilfen oder Gefährtinnen mitgegeben, wenn sie aus dem Haushalt ihres Vaters in den Haushalt ihres Mannes wechselten.
Über die Landbevölkerung gibt es nur wenige gesicherte Informationen, da die schriftliche Dokumentation fast ausschließlich städtischen Ursprungs ist. Zu allen Zeiten war die Bevölkerung des Hinterlandes der Städte und des freien Lands zweigeteilt – es gab einen sesshaften und einen nicht oder nur bedingt sesshaften Bevölkerungsteil. Ursprünglich (4. Jt. v. Ch.) war die künstliche Bewässerung auf der Ebene dörflicher Siedlungen organisiert, bis sie durch Dienstverpflichtungen in die institutionelle Wirtschaft der Städte eingegliedert wurden. Die Nomaden und Halbnomaden bildeten ein wichtiges Bindeglied zwischen der urbanen Welt und der nichtsesshaften Bevölkerung Mesopotamiens. An den Rändern des bewässerten Schwemmlandes Südmesopotamiens und des Regenfeldbaugebietes in Nordmesopotamien fanden sie ideale Voraussetzungen für eine halbnomadische Lebensweise als Kleinviehzüchter, die nach Regenfällen auch Ackerbau betrieben. Konflikte zwischen den sesshaften und den nomadisierenden Bevölkerungsschichten gab es selten und nur dann, wenn sehr große Gruppen versuchten in das Kernland einzudringen, wie das Ende des 3. Jahrtausends der Fall war, als Amurriter das Reich der 3. Dynastie von Ur bedrängten oder als Babylonien Anfang des 2. Jt. v. Ch. einer Einwanderung von Aramäern ausgesetzt war.
Die babylonische Stadt war „Sitz im Leben“ und die städtischen Quellen tendieren stark zu einer Marginalisierung nichtstädtischen Lebens. Für die urbanen Babylonier bedeutete allein Stadtleben zivilisiertes Leben, der Nomade wurde als Barbar bezeichnet und verachtet. Umgekehrt existieren im Stadtarchiv von Mari (Stadt am mittleren Eüphrat, an der Grenze zu Syrien) Selbstzeugnisse von Amurritern, die sich stolz zu ihrem nomadischen Ethos bekennen: „Wenn ich auch nur einen Tag in einem Haus bleibe, bin ich betrübt, bis ich hinauskomme und (wieder) frei atmen kann“. Ökonomisch verkehrten die Städter mit den Nomaden dann, wenn Nomaden mit der Betreuung der Herden beauftragt wurden, die den Städtern oder urbanen Institutionen gehörten.
Gegen Ende der sumerischen Zeit um 2000 v. Ch. war die Entwicklung dieser gesellschaftlichen Grundstrukturen weitgehend abgeschlossen, sie blieben im 2. und 1. vorchristlichen Jahrtausend weitgehend unverändert.

Quellen:
M. Jursa, Die babylonier, C. H. Beck Wissen, München 2004
H. Uhlig, Die Sumerer, Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 1992, 3. Aufl. 2002
E. Cancic- Kirschbaum, Die Assyrer, C. H. Beck Wissen, München 2003
B. Hrouda, Der Alte Orient, Bertelsmann, München 2003
M. Bau, Der Fruchtbare Halbmond, Glock und Lutz, Nürnberg 1975
 
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