Militärputsch in Chile 1973

Carlita

Neues Mitglied
Hallo an alle :winke:
Ich finde dieses Forum sehr interessant und lese schon seit längerem hier und da mit. Jetzt habe ich mich auch endlich mal registriert, da ich nun auch ein Anliegen habe.

Und zwar steht bei mir nächstes Jahr die Präsentationsprüfung für mein Abitur an und ich sollte mich langsam für ein Thema entscheiden. Da ich kein Thema nehmen wollte, was schon viele vor mir hatten, und ich selber mal in Chile gelebt habe, würde ich gerne den Militärputsch in Chile behandeln, als Pinochet gewaltsam die Regierung von Salvador Allende stürzte.

So, zu meinem Problem. Bei der Prüfung geht es ja nicht um eine Nacherzählung der Geschichte/eine Aufzählung von Fakten, sondern es sollte eine Problemfrage behandelt werden mit einem Fazit zum Schluss. Und hier bin ich jetzt ziemlich ratlos. Obwohl ich stundenlang herumrecherchiert habe, komme ich auf keinen guten Gedanken, welche Fragestellung interessant ist und viel hergibt und auch wissenschaftlich belegt werden kann (sprich, keine Verschwörungstheorien o.ä.)

Da ich ungern meinen Geschichtslehrer fragen würde, weil das gleich einen schlechten Eindruck macht, habe ich mich an dieses Forum erinnert und ich dachte, ich frage mal hier, ob jmd. eine gute Idee hat.
Also, fällt jemandem eine Problemfrage zu dem Thema ein? Ich habe schon überlegt, mich auf die Frage zu konzentrieren, inwieweit die USA involviert war, aber erstens bin ich unsicher, ob das so viel hergibt und zweitens ist das ja immer noch keine Fragestellung, denn DASS die USA ihre Finger im Spiel hatte, ist ja eigentlich unumstritten...

Ich wäre wahnsinnig dankbar, wenn ich einige Anregungen bekäme :)
Carla
 
Eine kritische Sichtweise auf den Putsch wäre, in Anlehnung an die Thesen von Klein, die Bedeutung des Putsches als Teil einer übergeordneten außenpolitischen Strategie einzuordnen.

“Die” Schock-Strategie: der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus - Naomi Klein, Hartmut Schickert - Google Bücher

Eine pro-Putsch-Sichtweise (sofern man gerne den Advocatus Diabolus spielt:devil:), würde sich auf die wirtschaftliche Gesundung Chiles konzentrieren.

Wirtschaft Chiles ? Wikipedia

Oder man stellt beides dar und demonstriert, wie man ein Problem von unterschiedlichen Seiten betrachten kann und kann sich fragen, welcher Zweck welche Mittel heiligt und damit hast Du en passant, Machiavelli mit ins Spiel gebracht und die Frage der politischen Moral:pfeif:
 
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Eine pro-Putsch-Sichtweise (sofern man gerne den Advocatus Diabolus spielt:devil:), würde sich auf die wirtschaftliche Gesundung Chiles konzentrieren.

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Du machst Witze.

Pinochet und seine "Chicago Boys" haben erst einmal Staatlichen Firmen unter den Freunden verteilt, vor allem die profitablen. Dann, nach 9 Jahren Regierung, stand es wie folgt:

"1982 brach die Wirtschaftsleistung um 14,2 % ein und die Arbeitslosigkeit sprang im folgenden Jahr auf 30 %. Ein Drittel der Bevölkerung war unterernährt, Chile hatte rund 25 % Arbeitslose und über 50 % lebten unter der Armutsgrenze. 1982 kam es in vielen chilenischen Städten zu „Hungermärschen“ und Protesttagen (Dias de protesta). Ihre Forderung lautet: „Brot, Arbeit, Gerechtigkeit und Freiheit“. Viele Beobachter rechneten mit einem Sturz Pinochets. Doch durch die Ausrufung des Ausnahmezustandes 1983 konnten die Proteste unter Kontrolle gebracht werden.
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Die Regierung musste die Schulden zahlreicher privater Banken übernehmen, um einen Zusammenbruch des Bankensektors und einen Bank Run zu verhindern. In der Folge stieg die Staatsquote über 34 % und damit weit höher als unter dem Sozialisten Allende.
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Schon bald stabilisierte sich die Wirtschaft und Mitte der 1980er Jahre begann ein enormer Aufschwung, der bis Ende der 1990er Jahre anhielt. Die Wirtschaft wuchs um Durchschnitt jährlich um 7,9 %, ist also zwischen 1986 und 1999 auf das Zweieinhalbfache gewachsen. Auch deshalb war Pinochet (wie die meisten Beobachter) überrascht, als die Chilenen ihn 1988 in einem Referendum abwählten. Trotz allen Erfolges waren die Reallöhne 1988 immer noch 10 % niedriger als 1970."


Da kann man sich nun trefflich darüber streiten, was man als "wirtschaftliche Erfolge" bezeichnet, wenn nach 18 Jahren die Leute immer noch weniger verdienen als vorher.


Das mit der "wirtschaftlichen Gesundung" und dem "Chilenischen Tiger" ist ein hartnäckiges Mithos aus der Neoliberalen Ecke. Man muss nur die Entwicklung parallel zu den restlichen Südamerikanischen Staaten sehen, um festzustellen dass sie in Chile unter Pinochet nicht besser war.

Auf der ersten Graphik sieht man die Entwicklung des Chilenischen Bruttoinlandproduktes pro Kopf in den Jahren der Diktatur. Nach den Putsch fiel es erst einmal, dan stieg es stark bis zum Crash von 1982, um danach genau im selben Rithmus wie das restliche Lateinamerika zu wachsen. Erst mit den steigenden Rohstoffpreisen in den 90.ern (der enorme Kupferbedarf des Asienbooms) hob dann Chile etwas steiler ab. Dieses aber mit einer sehr großen Ungleichheit. Das kann man auf der zweiten Graphik betrachten.

Beides (Text und Graphiken) aus der von Dir zitierten Wikipediaseite.
 

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Da ich ungern meinen Geschichtslehrer fragen würde, weil das gleich einen schlechten Eindruck macht

Halla Carla,

darum würde ich mir keine Sorgen machen, das gibt es bis in die allerhöchsten Weihen der Wissenschaft, dass man sich Rat bei anderen sucht. Neben öffentlichen Geschichtsforen, wie unserem hier gibt es z.B. auch geschlossene Foren, in denen Wissenschafter mit Fachkollegen Forschungsfragen diskutieren. Und es ist absolut nicht unüblich, dass Studenten, von der ersten Hausarbeit bis zur Doktorarbeit, Fragestellung und These mit dem jeweiligen Dozenten bzw. Prüfer bzw. Doktorelternteil besprechen. Was keinen guten Eindruck macht ist, wenn man unvorbereitet in ein solches Gespräch geht.

Eine pro-Putsch-Sichtweise (sofern man gerne den Advocatus Diabolus spielt:devil:), würde sich auf die wirtschaftliche Gesundung Chiles konzentrieren.


Aber genau das, was Thanepower aufführt sind ja - bis heute!!! - die Argumente der Putschisten und ihrer Adepten: Die Unidad Popular hätte das Land in den wirtschaftlichen Ruin und ins Chaos geführt.
Der Ansatz ist also gar nicht mal so schlecht, sich mit den Argumenten der Putschisten auseinanderzusetzen und sich zu fragen, was davon einen echten Hintergrund hat und was schlichte Propaganda. Und dann kann man sich am Ende noch die ethische Fragestellung stellen.
 
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Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in Chile seit dem Putsch ist sicherlich ein gutes Thema für dich, wenn du mit wirtschaftshistorischen Themen etwas anfangen kannst. Wenn nicht würde ich mir einmal das chilenische Bildungssystem (va. im Hochschulbereich) ansehen. Ich spare mir dazu einmal einen Beitrag, weil er politisch-ideologisch bei mir mit der Tagespolitik verknüpft ist und ich nicht gegen die Forenregeln verstoßen möchte.
 
Danke für alle eure Antworten! Ich bin wirklich sehr positiv überrascht, denn das war schon wahnsinnig hilfreich und ich bin mir jetzt umso sicherer, dass sich aus dem Thema was machen lässt :)
Zu der Diskussion zum wirtschaftlichen Aufschwung Chiles: Ehrlich gesagt hatte ich bisher auch immer gedacht, es sei eine Tatsache, dass es Chile danach wirtschaftlich besser ging (eben zu einem sehr hohen menschlichen Preis). Dann muss ich wirklich noch der Frage genauer nachgehen, wie sich die Wirtschaft danach entwickelte. Diese von Bdaian zitierten Graphiken sind ja schon ein guter Hinweis. Es wäre sicher auch eine gute Leitfrage, wenn man nach den Vor- und Nachteilen für das Land nach dem Putsch fragt (natürlich irgendwie schöner formuliert). Nachteile liegen ja eigtl. auf der Hand, und bei den Vorteilen dann eben die wirtschaftliche Frage.

Die Idee von thanepower, da Macchiavelli reinzubringen, ist insofern für mich interessant, weil man bei der Präsentationsprüfung ja immer ein Referenzfach braucht - ich hatte bisher an Politikwissenschaften gedacht, aber so gesehen könnte man es auch mit Philosophie verbinden.

Halla Carla,

darum würde ich mir keine Sorgen machen, das gibt es bis in die allerhöchsten Weihen der Wissenschaft, dass man sich Rat bei anderen sucht. Neben öffentlichen Geschichtsforen, wie unserem hier gibt es z.B. auch geschlossene Foren, in denen Wissenschafter mit Fachkollegen Forschungsfragen diskutieren. Und es ist absolut nicht unüblich, dass Studenten, von der ersten Hausarbeit bis zur Doktorarbeit, Fragestellung und These mit dem jeweiligen Dozenten bzw. Prüfer bzw. Doktorelternteil besprechen. Was keinen guten Eindruck macht ist, wenn man unvorbereitet in ein solches Gespräch geht.

Du hast recht, ich werde bei der nächsten Geschichtsstunde mal fragen, was er davon hält. Jetzt habe ich ja schon einige Gedankenansätze mehr und somit was handfesteres.

Wenn nicht würde ich mir einmal das chilenische Bildungssystem (va. im Hochschulbereich) ansehen.
Ehrlich gesagt hatte ich bisher noch nicht viel konkretes darüber gefunden, inwieweit Pinochet das Bildungssystem beeinflusste. Da muss ich mich noch mehr reinhängen. Ist aber ein gutes Thema, falls ich mich als Bezugsfach dann doch für Politikwissenschaften entscheide, denn dann könnte man die heutige politische Situation, was die Bildung angeht, als Folge vom Putsch darstellen.
 
Zum Militärputsch in Chile von 1973 fallen mir als erstes die Menschenrechtsverletzungen ein, die unter Pinochet begangen worden sind. Mir hat ein Chilene vor vielen Jahren erzählt, daß er nach dem Militärputsch verhaftet wurde, auf einem Kriegsschiff oder Militärhafen interniert wurde und gefoltert (ich erinnere mich an die Erwähnung von Scheinhinrichtungen) wurde. Später kam er frei und mußte emigrieren und landete nach mehreren Zwischenstationen in Deutschland (vor 10 Jahren ging er wieder nach Hause). Sein "Vergehen" bestand darin, daß er einer kommunistischen Gruppierung angehörte.

Putsch in Chile 1973 ? Wikipedia

Valech-Kommission ? Wikipedia



Und zwar steht bei mir nächstes Jahr die Präsentationsprüfung für mein Abitur an und ich sollte mich langsam für ein Thema entscheiden. Da ich kein Thema nehmen wollte, was schon viele vor mir hatten, und ich selber mal in Chile gelebt habe, würde ich gerne den Militärputsch in Chile behandeln, als Pinochet gewaltsam die Regierung von Salvador Allende stürzte.

dann kannst Du ja sicherlich Spanisch:
http://es.wikipedia.org/wiki/Violac..._de_la_Dictadura_Militar_en_Chile_(1973-1990))

Ein anderer, interessanter Aspekt ist die Rolle der USA bei dem Militärputsch.
 
Hey Carla,
für eine Abi-Prüfung wäre es sicherlich sinnvoll wenn du deine Fragestellung anhand von Beurteilungskategorien entwickelst, die in Geschichte oder Politik verwendet werden.
Das könnten z.B. die Kategorien Macht, Legitimation, Effizienz, Fortschritt (den du dann natürlich definieren müsstest) sein.
Eine Fragestellung die in eine oben angedeutete Richtung weist: der Putsch von 1973 - ein notwendiges Mittel zur Rettung der Wirtschaft? würde ich vermeiden, denn dieser wäre aus meiner Sicht zu einfach, inhaltlich falsch und vor allem moralisch problematisch.
Eher ging es um die Frage, ob die sozialistische Politik die bürgerlichen Mittelschichten Chiles zu stark verucsicherte, dann käme z.B. so etwas als Frage raus: Der Putsch von 1973 - Ergebnis einer tiefgreifenden Verunsicherung der Mittelschichten? In Richtung Politik gedacht: Darf ein Staat (USA) seine wirtschaftlichen Interessen derartig durchsetzen (Legitimität), dass er zu Destabiliserung eines souveränen Staates beiträgt? (Chile). Dann könntest du auch einen kleinen vergleichenden Blick auf andere Beispiele legen und hättest damit die Politikwissenschaft integriert (Stichwort Souveränität, Wirtschaftsinteressen)
Ebenfalls denkbar: Der Sturz Allendes - Folge der Politik der Vereinigten Staaten? Dann könntet du differenziert ausführen, welche Rolle die USA hatten, welchen Anteil die sozialistische Politik hatte, welchen Anteil Pinochet und das Militär...dann ein kleines Wertuerteil anfügen, was du am bedeutsamsten findest...und du bist raus aus der Sache...
Viel Erfolg!
 
Eine große Liberalisierung setzte unter Pinochet ein welche sich durch eine private Rentenversicherung, hohe Kosten für weiterbildende Schulen, niedrige Staatsquote und sehr geringe Sozialleistungen in Chile bis heute kennzeichnet.

Das Militär bekam sehr viele Privelegien so bekommt es noch immer 5 % der Kupfererlöse.
 
Dass der westdeutsche Geheimdienst BND auch in dem Putsch verwickelt war, ist ja bekannt, neu für mich allerdings war die Tatsache, das auch der ostdeutsche Geheimdienst MfS eine Rolle gespielt hat:

Chile: Wie die DDR den prominentesten Sozialisten vor der Junta rettete | MDR.DE

Eine besondere Ironie ist, dass man sich die Technik für den Schmuggel eines Menschen über eine bewachte Grenze von Flüchtlingen aus der DDR abgeschaut hat.

Der von der DDR gerettete Carlos Altamirano kam nach einigen Zwischenstationen in die DDR, von wo aus er später nach Frankreich ging:

Nachdem er von den politischen Verhältnissen in der DDR desillusioniert war, zog er 1980 nach Paris, wo er eine enge Beziehung zu Francois Mitterrand pflegte. Von Frankreich aus koordinierte er die Bemühungen seiner Partei, eine Einigung mit der Christdemokratischen Partei zu erzielen, um eine Niederlage Pinochets beim Referendum von 1988 zu erzielen.​

Carlos Altamirano – Wikipedia
 
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