Motivlage ist ein gutes Stichwort. In Anlehnung an Herwig soll mit Lebow die spezifische Motivation gerade der großen Monarchien Deutschland, Russland und Österreich-Ungarn betont werden.
Bei den Entscheidung für den Krieg, so Herwig und Hamilton geht es u.a. darum: "that the decision makers of the major powers sought to save, maintain, or enhance the power and prestige of the nation." In Anlehnung an Lebow (S. 340-348) argumentieren sie, "we overlooked the powerful influence of honor, closely linked to the continuing power of the aristocracy everywhere in continental Europe." Und es ist durch einen dritten Strang der Motivlage in Anlehnung an Strachan (S. 101) zu ergänzen: "By July 1914 each power, conscious in a self-absorbed way of its own potnetial weakness, felt it was on its mettle taht its status as a great power would be forfeit if it failed to act."
Diese Stimmungslage bzw. dieser Set an Motiven ist am deutlichsten in Wien im Juli 1914 ausgeprägt. Am 7.7. 1914 fand ein Ministerrat in Wien statt. Williamson fasst das Ergebnis zusammen: "Finally, the probability of Russian intervention got attention, but there was no discussion whether St. Peterburg might be persuaded to stand aside. The risks of a wider war were clear....This attitude reveals how determined most of the Habsburg ministers were to strike at Serbia regardless of the consequences." (S. 199)
Den Entscheidern in Wien war klar, dass sie im Rahmen eines Krieges gegen Serbien das massive "Süd-Slawen" Problem der Doppelmonarchie lösen wollten und auch mußten, um die aufstrebende Regionalmacht Serbien zu begrenzen und die eigene Position auf dem Balkan zu festigen. Durch den Krieg gegen Serbien konnten sinnvolle und realpolitisch wünschenswerte innen- und außenpolitische Ziele erreicht werden, die die Position der Großmacht Ö-U stabilisieren konnten.
In diesem Sinnen war der Krieg gegen Serbien DER Krieg von Conrad und er konnte als überzeugter Monarchist seinem Land dienen und auch sich selber "Ruhm" verschaffen.
Auf der anderen Seite war ein Krieg gegen Russland wenig aussichtsreich und Ö-U wollte ihn vermeiden, da er kostspielig war und keine "Gewinne" versprach. Russland galt es nicht besiegbar.
Vor diesem Hintergrund ist erklärlich, dass Conrad den Echelon B, der im Plan R für den Krieg gegen Russland eigentlich auch vorgesehen war und dort dringend in den ersten Wochen gebraucht worden wäre, um einen - erhofften - Mobilisierungsvorsprung gegenüber Russland zu nutzen, so einsetzte, als wenn der alternative Plan B, also primär ein Krieg gegen Serbien anstand.
Das war eine politische Entscheidung im Geiste des Treffens vom 7.7.1914 in der - irrealen - Hoffnung, in einem kurzen Zeitfenster von 2 bis max 4 Wochen, den Krieg erolgreich beenden zu können. Irreal, weil in vorausgegaangenen "Kriegsspielen" - erstaunlicherweise - die serbische Seite gewonnen hatte, nicht zuletzt, weil sie den Raum nutzen konnte und das Potential des "Kleinen Krieges".
Folgt man der Darstellung (Karte) bei Rauchensteiner (Der Tod, S. 145) dann operierte der Echelon B im Norden Serbiens aus dem Raum Belgrad. Das ist einerseits sinnvoll im Hinblick auf die "Scharnierfunktion" und der Redislozierung nach Galizien zur Unterstützung des Echelon A. Zieht man die interessante Darstellung (Chart 4) von Naresuan hinzu dann sieht man aber auch dass die Leistungsfähigkeit der Einsenbahninfrastrusktur auf die Unterstützung der Front in Galizien ausgerichtet ist. Also primär das "Dreick" Wien, Galizienfront und Budapest mit einem leistungsstarken Ausbau unterstützte. Angelehnt an die Festungen in Krakow und in Przemyl (vgl. Tunstall)
Und es wird auch deutlich, dass gerade die Eisenbahn-Infrastruktur aus dem Großraum Belgrad einen Abtransport an die Front Richtung Russland nicht unterstützt. Ein Problem, dass deutlich wurde nachdem Einheiten des Echelon B an die Front in Galizien gelangten und dort nicht als komplette Armee angriffen, sondern teils aus isolierten Positionen heraus und teils empfindliche Niederlagen einstecken mußten.
Den Echelon B / Staffel B im Sinne des Plan B aufmarschieren zu lassen, obwohl klar war, dass der Plan R zu initieren war, das ist der kardinale Fehler der Aufmarschplanung von Conrad gewesen. Und diesen Fehler kann er nicht irgendwelchen anderen Offizieren in die Schuhe schieben.
Dabei kann man noch einiges zum Eisenbahntransport und der Möglichkeit zur "Umleitung" sagen. Es war ein KW II. der zu einem gewissen Zeitpunkt der Juli-Krise seine Militärs fragte, ob der Aufmarsch nicht im Osten und nicht gegen Frankreich möglich wäre. Die Militärs winkten müde ab, vergiss es, weil zu komplex.
Google Scholar
Herwig, Holger (2011): “Military Doomsday Machine”? The Decisions for War 1914. In: Journal of Military and Strategic Studies 13 (4).
Lebow, Richard Ned (2008): A Cultural Theory of International Relations. Cambridge: Cambridge University Press.
Strachan, Hew (2003): The First World War: . Volume 1: To Arms. Oxford: Oxford University Press UK.
Tunstall, Graydon A., JR (2016): Written in Blood. The Battles for Fortress Przemyl in WWI. Bloomington, IN: Indiana University Press
Williamson, Samuel R. (1991): Austria-Hungary and the origins of the First World War. 1st ed. Houndmills, Basingstoke, Hampshire: Macmillan