Motivation der Männer des 20.Juli

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Agenta0815

Gast
Ich habe eine Frage zur Bewertung des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944. Die Bundesrepublik erinnert jedes Jahr an die Menschen, die durch das Felschlagen des Staatsstreiches ihr Leben ließen. Viele der "Verschwörer" hatten ja hohe Funktionen innerhalb der Wehrmacht inne und waren schon von 1933 an an der Aufrüstung der Wehrmacht beteiligt. Natürlich gab es auch Leute wie z.B. Leber, die wir als Demokraten bezeichnen dürfen, aber die Mehrzahl der Widerständler gehörten der konservativen Fraktion an und ihr Ziel war ja weniger die Gründung eines demokratischen Staates auf dem Boden des Reiches, sondern vielmehr zunächst ein Waffenstillstand mit den Alliierten. Welche Staatsform schwebte den führenden Köpfen der Männer des 20. Juli vor? Wäre es nicht sinnvoller, Menschen wie etwa die Geschwister Scholl viel stärker hervor zu heben, wenn es darum geht des Widerstandes im 3. Reich zu gedenken? Schließlich waren sie frei von persönlicher Schuld an den Verbrechen, die - etwa die Wehrmacht - bis zum Zeitpunkt des Attentats im Namen der Nationalsozialisten beganngen hatte.
 
Die Männer des 20. Juli wollten keine Demokratie wie sie nachdem Krieg entstanden ist, sondern ihre Ideen gingen auf die Zeit vor dem Nationalsozialismus zurück, als man in ihren Kreisen nach Alternativen zum parlamentarischen System der Weimarer Republik suchte. Sie vertraten im Wesentlichen eine oligarchische und autoritäre politische Vorstellung, die stark auf korporativistische und neokonservative Ideen aus der Weimarer Zeit beruht. Dazu gehören selbstverwaltete Gemeinden, ein beschränktes Wahlrecht und eine Erneuerung der christlichen Familienwerte.

Es gibt gute Literatur darüber:

Hans Mommsen, Gesellschaftsbild und Verfassungspläne des deutschen Widerstands​
Hermann Gramls, die aussenpolitischen Vorstellungen des deutschen Widerstands​

Hermann Graml, Widerstand im Dritten Reich​
Peter Hofmann, Widerstand gegen Hitler und das Attentat vom 20. Juli 1944, Probleme des Umsturzes​
Gerd R. Ueverschär, der 20. Juli 1944, Bewertung und Rezeption des deutschen Widerstands gegen das NS-Regime​

Jan Kersaw schreibt zum Widerstand und der Geschichtsschreibung folgendes:
„Die wesentlichen Schwerpunkte, wissenschaftlicher Ansätze und Interpretationen hat sich – meistens parallel zum Wandel des politischen kulturellen und intellektuellen Klimas der Bundesrepublik- seit 1945 mehrfach beträchtlich verschoben und geändert. (…) Wie kaum anders zu erwarten dienten die ersten der in Deutschland zum Widerstand des Dritten Reich veröffentlichen Arbeiten dazu, den kruden Vorstellungen etwas Positives entgegenzusetzen. Erklärtes Ziel dieser Publikationen war es, sowohl gegenüber dem eigenen Volk als auch gegenüber den ehemaligen Feinden die Existenz des anderen Deutschlands zu zeigen“. Da eignete sich der militärische Widerstand viel besser als der Widerstand der Weissen Rose. Die ja keine Bombe legten, sonder „nur“ Flugblätter verteilten. Die durch das harte Gerichtsurteil und ihrer Jugend berühmt wurden. Wie viel die Geschwister Scholl von den Wehrmachtsverbrechen wussten ist mir nicht bekannt Ich weiss aber das Hans Scholl und Willi Graf als Wehrmachtsangehörige an der Ostfront waren.
Es gibt aber noch viele andere Widerstandsgruppen denen man gedenken sollte:
Rote Kapelle
Edelweisspiraten (Fritz Theilen war siebzehn Jahre alt, als man ich öffentlich hinrichtete)
 
Dem 20.Juli wird auch mehr Öffentlichkeit geschenkt, weil die Personen es wirklich in der Hand hatten, die Herrschaft des Totalitarismus zu beenden. Mit einem einseitigen Waffenstillstandsangebot der deutschen Wehrmacht, hätte man mit Sicherheit den Krieg vorzeitiger beenden und Leid ersparen können.
 
Ich glaube, dass man auch bei diesen Männern das viel differenzierter sehen muss, als das oft geschieht. Da waren Männer dabei, die Hitler anfangs treu ergeben waren, aber auch welche, die sehr früh eine ablehnende Haltung eingenommen haben.

Bei manchen haben die Gräuel des Kriegs und des verbrecherischen Mordens ein Umdenken bewirkt, bei anderen die Ansicht, dass Deutschland vernichtet würde, wenn man den Krieg nicht beenden könnte.

Viele von den frühen Gegnern Hitlers waren auch nur "gegen" Hitler, weil sie in seinen Kriegsplänen eine zu große Gefahr für Deutschland sahen. Sie waren nicht generell gegen einen Krieg, glaubten aber, dass Hitler (schon bzgl. der Tschechoslowakei) mit viel zu großem Einsatz spielte (Ludwig Beck gehörte zu dieser Gruppe, vgl. Christoph Kleßmann, "Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland", in: Widerstand und Exil 1933 - 1945).


Es waren auch tatsächlich vor dem geplanten Einmarsch in's Sudetenland Widerstandsaktionen geplant, aber als England, Italien, Frankreich im Münchner Abkommen Hitler die "Erlaubnis" zur Besetzung des Sudetenlandes gaben, fehlte den Widerständlern der Mut, ihre Aktion durchzuziehen - sie glaubten (wohl zu Recht), dass die Bevölkerung sie nicht unterstützen würde und damit wäre das Vorhaben wohl zum Scheitern verurteilt gewesen. Ähnliches galt bzgl. des Einfalls in Polen.

Es gab seit 1939 mehrere geplante und auch erfolglos durchgeführte Attentate.
 
Es gab seit 1939 mehrere geplante und auch erfolglos durchgeführte Attentate

z.B. George Elser der am 8. Nov, 1939 im Bürgerbräukeller in München eine Bombe detonieren lies. Die Bombe ging um 21.20 Uhr in die Luft, zehn Minuten vorher hatte Hitler den Bürgerbräukeller verlassen.
Elser wurde noch vor der Explosion, in der Annhame er sei ein Fahnenflüchtling, von Zollbeamten verhaftet. Er wollte sich in die Schweiz absezten und dem Nachrichtendienst Aufzeichnungen von Munitionsbestellungen und Rüstungsfabriken in Deutschland übergeben. Mit dabei hatte er eine Ansichtskarte des Bürgerbräukellers und Mettalteile eines Zünders. Als die Meldung vom Attentat einging wurde Elser der Sonderkommission übergeben und nach München gebracht. Da man nicht glaubte das Elser alleine war, wurde er der Gestapo übergeben. Die konnten auch mit den verschärften Vernehmungen keine Hintermänner aus ihm heraus pressen, weil es keine gab. George Elser wurde ohne Gerichtsurteil ins KZ Sachsenhausen überstellt und von dort dann ins KZ Dachau wo er am 9. April 1945 hingerichtet wurde.
 
Stimmt, allerdings bezog sich meine Aussage auf geplante und veruchte Attentate aus dem Kreis der Männer des 20. Juli, nicht auf Einzeltäter wie Elser ...
 
Papa_Leo kannst Du mir bitte die Namen geben die solche Attentate vorbereitet haben von den Männern des 20. Juli. Es ist mir nicht bekannt, dass sie schon 1939 solche geplant hätten.
Der Widerstand ist mein Schwerpunktsthema in der mündlichen ZP Prüfung und da bin ich für alle Infos sehr dankbar.
 
Na, da hat Titus ja schon geholfen.

Aber auch von mir noch Infos:

Im August 1938 entwarfen Militärs (u.a. Generalstabschef v. Halder) den ersten Plan zum Staatsstreich für den Fall, dass Hitler tatsächlich den Befehl um Angriff auf die Tschechoslowakei geben sollte. Generale Witzleben, von Brockdorff, Hoeppner, der Polizeipräsident von Berlin (Graf von Helldorf) und Ludwig Beck (der als Generalstabschef des Heeres schon zurückgetreten war) wollten sich beteiligen. Oberst Hans Oster, der Chef der Zentralabteilung der militärischen Abwehr, nahm Kontakt mit Churchill auf, um England zu einer harten Haltung zu bewegen, der englische Außenminister Halifax wurde ebenfalls von den Plänen unterrichtet. Aber Großbritannien fühlte sich nicht kriegsbereit und sah in Hitler den rechtmäßigen Regierungschef, immer noch getäuscht von seiner scheinbar friedlichen Revisionspolitik. Der Staatsstreich wurde durch den Triumph, den das Münchner Abkommen für Hitler brachte, verhindert.

Die weitere Kette der Erfolge ließ an einen Staatsstreich zunächst nicht denken.
Mit dem Überfall auf Polen reaktivierten Halder und Oster die Pläne für einen Umsturz und versuchten, von England und Frankreich Friedensgarantien zu erhalten, für den Fall, dass Hitler gestürzt würde.

Aber nach dem Attentat Elsers im Bürgerbräukeller wurden die Sicherheitsvorkehrungen für Hitler so verschärft, dass weitere Attentate ungeheuer schwierig wurden.
ALs die Vorbereitungen für den Angriff auf Frankreich liefen, schmiedeten Halder und Oster erneut Attentatspläne. Oberstleutnant Helmuth Groscurth, General Heinrich von Stülpnagel und General Erwin von Witzleben und Wilhelm von Leeb waren bereit, sich anzuschließen, aber wichtige andere Generäle (mit Ausnahme von Leebs die anderen Heeresgruppenleiter) verweigerten sich und so wagte Halder den letzten Schritt nicht.

Wirkliche Versuche gab es dann erst ab 1942:
- 13. März 1943: Henning von Tresckow und Schlabrendorff bringen eine Sprengladung in Hitlers Flugzeug, als dieser von der Ostfront nach Deutschland zurückfliegt, aber der Zünder versagt

- Oberst Freiherr von Gersdorff will sich zusammen mit Hitler beim Besuch einer Ausstellung im Berliner Zeughaus in die Luft sprengen, aber Hitler verließ die Ausstellung früher als vorgesehen (März 43)

- Axel von dem Bussche und Ewald von Kleist wollen ebenfalls 1944 Hitler anläßlich der Vorführung neuer Uniformen ermorden. Aber (glaube ich mich zu erinnern) in der Nacht wird das Gebäude durch einen Fliegerangriff getroffen und die Vorführung entfällt.

- Rittmeister Breitenbuch, Ordonnanz des Generalfeldmarschall Busch, will Hitler am 11. März 1944 bei einer Besprechung erschießen, die SS-Wachen verweigern den Ordonnanzen aber den Zutritt zu dieser Besprechung.
 
Hallo Ursi,


zu den Edelweißpiraten hätte ich u.U. eine Hausarbeit zu bieten. Nur ob ich sie in meinem Chaos finden werde....(ist schon 7 Jahre her und ich bin seither 2x umgezogen). In Hamburg gabs dann noch die Swing-Jugend. Allerdings wurden sowohl die Edelweißpiraten als auch die Swing-Jugend viel eher in eine oppositionelle getrieben. Ich würde jetzt nicht behaupten, dass sie im Kern tiefpolitisch waren (die Edelweißpiraten noch eher). Widerständler gab es auch noch in der Kirche (siehe Bonhoeffer) und nicht zuletzt blieben die Kommunisten und Sozialdemokraten (wenngleich eher aufs Exil reduziert und stark geschwächt). Und auch Adenauer hat sowas wie Widerstand nach seinen begrenzten Möglichkeiten betrieben.
Fängt ja alles im kleinen an....
 
Also wenn ich die Attentatsversuche so lese, erweckt das bei mir den Eindruck, so richtig gewollt sind die nie gewesen.
 
Hurvinek schrieb:
Also wenn ich die Attentatsversuche so lese, erweckt das bei mir den Eindruck, so richtig gewollt sind die nie gewesen.

Ich habe mich auch schon häufiger darüber gewundert, dass in so kurzer Zeit (März 1943 bis März 1944) so viele, im wahrsten Sinne des Wortes "bombensichere", Attentatsversuche so gründlich daneben gingen.
Da kann sich schon die Frage stellen, ob es Schicksal war, ob diese Attentatsversuche (s. Zitat) nicht so richtig gewollt waren oder ob diese Attentatsversuche in der Retrospektive übertrieben oder verfälscht dargestellt wurden.
Meine Überlegung: Gibt es für diese Attentatsversuche seit März 1943 irgendwelche Beweise, außer mündliche Überlieferung?
 
Gute Frage (die nach der Verifizierbarkeit). Immerhin hat Hitler mitunter auch auf die gescheiterten Attentate zurückgegriffen, um seinen "Mythos der Unbesiegbarkeit" zu begründen....
 
Zunächst einmal wären die Attentäter ja schön dämlich, Beweise für misslungene Attentate so einfach zurückzulassen.
Auch kann man die "mündliche Überlieferung" nicht abqualifizieren, denn wenn unabhängig voneinander mehrere Personen, die nicht unmittelbar beteiligt waren (Familienangehörige, die z.T. damals noch Kinder waren) das Gleiche berichten, dann ist das schon ein Anhaltspunkt.
Dazu kommt, dass die misslungenen Attentate bei den Prozessen gegen die Männer des 20. Juli z.T. zur Sprache kamen, in der Anklage auftauchten und diesen Punkten von den Beschuldigten nicht widersprochen wurde. Ich denke nicht, dass von den Angeklagten jemand ein Attentat zugegeben hätte - was seine Situation vor Gericht ja verschlimmert hätte - wenn das aus der Luft gegriffen worden wäre.
 
Leopold Bloom schrieb:
Hier hab ich mal einen Link zu Titus Buchtipp mit einer genaueren Aufzählung.....naja ob da immer das dahinter steckt.....klingt mir manchmal etwas sehr wage....


http://www.fortunecity.de/lindenpark/goldring/267/homepage.htm

(siehe "42 Attentate")

Das mit den 42 mag etwas übertrieben sein - aber für einen Teil der Liste gibt es durchaus auch Literatur von anerkannten Historikern (Hans Mommsen, Alternativen zu Hitler; oder der Sammelband Widerstand und Exil 1933-1945 und daraus besonders der Aufsatz von Manfred Messerschmidt: "Verschwörer in Uniform").
 
Ich möchte gar nicht der "ketzerischen" Idee nachgehen, diese Attentatsversuche seien reine Erfindungen gewesen.
Es ist aber doch auffällig, dass bspw. das Elser-Attentat und natürlich auch die Geschehnisse des 20. Juli einfach deswegen nachweisbar sind, weil - wieder einmal im wahrsten Sinne des Wortes - die Bomben hochgegangen sind. Für die genannten Versuche gibt es hingegen außer mündlicher Überlieferung wohl keine Belege.

Zumindest Aussagen von Familienangehörigen (erst recht von Kindern) bieten m.E. doch Möglichkeit, in Zweifel gezogen zu werden.

Und auch die Aussagen der Verschwörer des 20. Juni sind es wert, in Bezug auf andere Attentatsversuche hinterfragt zu werden. Stauffenberg selbst hat schließlich als eine seiner Motivationen diejenige genannt, dass der Welt schließlich klargemacht werden müsse, dass es den Widerstand gegeben und man es wenigstens versucht habe. Warum nicht, als das Attentat (wieder einmal) gescheitert war, dieser Welt die anderen Attentatsversuche freimütig präsentieren? Vor Freislers Volksgerichtshof hatte keiner der Angeklagten etwas für sich selbst zu gewinnen.

Ich betone noch einmal: Ich ziehe diese Attentatsversuche nicht in Zweifel, sondern überlege und spekuliere nur ein wenig. Ich meine, auch dazu ist diese Form geeignet.
 
Ich halte das schon für wahrscheinlich. Wobei in der Aufzählung (Link und der Titus-Buch-Link) einiges sehr fragwürdiges dabei ist...."10 Attentate"...keiner weiß wie und warum und durch wen...


Letztlich sind die Attentate der Verschwörer des 20.Juli noch am wahrscheinlichsten. Wo fängt denn Attentatsversuch an? Mit Bombe im Flieger die nicht hochgeht? Sicherlich. Nur ist jeder halblebige Versuch (und ich denke nicht, dass der 20.07. halblebig war) von Strasser und weiß ich wem nun gleich ein Attentatsversuch?
 
Leopold Bloom schrieb:
Nur ist jeder halblebige Versuch (und ich denke nicht, dass der 20.07. halblebig war) von Strasser und weiß ich wem nun gleich ein Attentatsversuch?

Das ist das, was auch ich mich frage. Ich möchte bei v. Tresckow und v. Schlabrendorff die tatsächliche Durchführung des genannten Flugzeug-Attentats keinesfalls in Abrede stellen.
Bei einem Rittmeister Breitenbuch hingegen frage ich mich schon, ob nicht in der Retrospektive der Plan zu einem Attentat in einen Attentatsversuch umgemünzt worden ist - von wem auch immer.
Mir erscheint es zu simpel, einfach behaupten zu können, ein Offizier habe versucht, Hitler zu erschießen und sei gescheitert, weil Ordonanzen keinen Zugang hatten.
Was ist mit dieser Geschichte auch gewonnen? Leute, die den deutschen Widerstand gegen den NS kleiner reden wollen, als dieser war, nehmen eine solche Facette mit Lust auseinander. Als Paradebeispiel des deutschen Widerstandes jedoch taugt Rittmeister Breitenbuch sicherlich auch nicht - zumindest nicht im Vergelich zu Elser und den Männern des 20. Juli.
 
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