Noch einmal zurück zur ursprünglichen Fragestellung
Obwohl sich die Diskussion inzwischen von der ursprünglichen Thematik entfernt hat, will ich ein paar Anmerkungen machen, da mein indirektes und äußerst umstrittene Zitat Auslößer für die hier stattfindende Debatte war.
Zweifellos ist eine strikten Ablehnung rationaler Kriterien bei der Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen Verbrechen keine probate Herangehensweise, da die Ursachenforschung in Ansätzen stecken bleiben würde und Rückschlüsse auf die gebotene Umgangsform mit präsentischen neonazistischen Bedrohungen nur schwerlich zu ziehen wären. Nur bei Kenntnis der historischen Hintergründe und bei einer über die Reduktion auf ein Irrationales Element hinausgehenden Analyse nationalsozialistischer Verbrechen kann die Hofnung auf ein "Lernen aus der Geschichte" in Erfüllung gehen.
Da dieser Punkt relativ unstrittig sein dürfte, konzentriere ich mich auf die von Bernd Ullrichs Artikel Forderung nach einer Analyse der Geschehenisse des Dritten Reiches unter Berücksichtigung eines partiellen bzw. hohen Grad der Irrationalität, vor allem in Bezug auf den Holocaust, der sich unserem rationalem Verständnis
weitesgehend entzieht.
Die Frage,die sich stellt, ist auf der einen Seite, warum ein Gedenken an den Holocaust eine abseits der Vernunft stehende Dimension erfordert und welche positiven Effekte sich aus ihr ergeben.
Auf der anderen Seite muss nach den Gefahren einer rein rationalen Betrachtung der Geschichtsforschung gefragt werden.
Zunächst zu möglichen Gefahren einer rein rationalen Rezeption nationalsozialistischer Gewaltverbrechen aus denen sich zugleich die Bedeutung eines teilweisen irrationalen und unerklärlichen Elements in der Auseinandersetzung ergibt.
M.E. ist der rein rationale Umgang mit historischen Verbrechen ein Charakteristikum der absoluten Abgeschlossenheit eines historischen Prozesses, die eine Abstinenz politischer Gefährdung in Form einer Instrumentalisierung historischer Ereignisse für tagespolitische Interessen impliziert. Beispielsweise dürfte die Hexenverbrennung des Mittelalters wohl kaum in irgendeiner Form politisch instrumentalisiert bzw. für individuelle Zwecke missbraucht werden.
Im Gegensatz dazu sind die nationalsozialistischen Verbrechen in keiner Weise reine Historie, sondern werfen einen Schatten auf unser gegenwärtiges Handeln und auf den gesamten politischen Prozess. (Verhältnis zu Israel, Gefahr des Rechtsextremismus u.a.)
Rationalisierende Betrachtung irrationaler Verbrechen birgt neben denen im 2. Abschnitt beschriebenen Chancen zugleich immer die Gefahr, die mit der Metapher von einem Exponat in einem Museum beschrieben werden kann, das vom Besucher zwar als ein (im negativen Sinne) bedeutendes Erbe der Historie erscheinen mag, das jedoch keine konkrete Bedeutung für seinen eigen Alltag besitzt. Die Geschichte des Nationalsozialismus und insbesondere die Geschichte verschiedener Verbechen an der Menschlichkeit darf niemals zu einem rein akademischen Streit verkommen, sondern betrifft uns alle. Dies gilt umso mehr, als dass mit der NPD eine Bewegung auf dem Vormarsch ist, die sich durch die Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus auszeichnet.
Eine ausschließlich rationale Auseinandersetzung mit dem Holocaust, die nicht verstört und die nicht betroffen macht, kann dem Rechtsradikalismus insofern als Sprungbrett dienen, als dass seine Argumentation in einem mit der Rationalisierung von NS-Verbrechen einhergehenden Trend einer abnehmenden Singularität nur als eine Facette der öffentlichen Meinung erscheint.
Man mag hier einwenden, dass gerade die rationale Auseinandersetzung mit den Verbrechen Hitlers, deren Singularität noch hervorhebt und gerade der Versuch einer vernunftgelenkten Erklärung die Irrationalität hervortreten lässt. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe bleibt, deren Verankerung in der Gesellschaft nur dadurch bewahrt bleibt, dass die Grausamkeit und Irrationalität des Regimes immer wieder hervorgehoben und betont werden und nicht zu einer abseits der Öffentlichkeit geführten akademischen Debatte verkommt, welcher die Neonazis ihr eigenes Erklärungsmodell entgegenhalten, das aufgrund seiner Einfachheit und fehlenden Differenziertheit von historisch unzureichend gebildeten Kreisen adaptiert werden könnte.
Meiner Meinung nach schafft der Charakter des Unerklärlichen eine Verknüpfung zwischen Gegenwart und Vergangenheit, die unbedingt gewahrt bleiben sollte und die einen der Grundpfeiler unserer demokratischen Existenz darstellt. Wo, wenn nicht in der Abgrenzung zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen liegt die Basis unseres demokratischen Rechtsstaats sowie von Pluralität und Freiheit.
mfg, Christoph