Müssen Nazi-Verbrechen "unerklärlich" sein?

kann sich einer von euch vorstellen, dass es damals leute gab, die keine zeitung lasen, weil sie ihnen zu teuer war? dass es hunderte dörfer in deutschland gab, in denen es keine jüdischen geschäfte oder jüdischen mitbewohner gab? und dass diese dorfbewohner nicht ohne weiteres in die nächste stadt kamen, um plünderungen mitzuerleben? das nicht zehn menschen aus der nachbarschaft verschwanden, sondern vielleicht nur einer? das man vielleicht wusste, dass es lager/gefängnisse gab, aber man sich nicht vorstellen konnte, was darin vor sich ging?

die nazis haben anfangs nicht verschwiegen, wie sie mit ihren politischen gegnern umgingen. damit wurde otto normalverbraucher und lieschen müller eingeschüchtert.

sie haben auch nicht die ausschreitungen im november 38 verschweigen können, ganz im gegenteil, sie wurden ja propagandistisch ausgeschlachtet.

aber sie haben geschwiegen zu dem, was sie in auschwitz und anderswo machten, dazu gibt es auch belege, wie die hier schon erwähnte himmlerrede. selbst gegenüber den opfern verschwieg man ja, dass die transporte in die kz gingen.

deshalb glaube ich meinen eltern (1925/27), dass sie davon nichts wussten.
 
Das alles moegliche bekannt war, dass ist unbestritten denke ich, aber was die Leute damit angefangen haben, was sie sich dann darunter vorgestellt haben, das ist was ganz anderes. Wenn man bedenkt, was in unserer hochinformierten, vom Fehrnsehn live dauerberiselten Gesellschaft fuer abstruse Vorstellungen ueber mache Dinge grassieren, wird das damals nicht viel anders gewesen sein.

Die Wahrheit wird hier wie immer irgendwo in der Mitte liegen, zwischen nix gewusst und alles gewusst und ueber die Bevoelkrung verteilt, wird es alle moeglichen Abstufungen von Wissen und Vorstellung gegeben haben.
 
manganite schrieb:
Das alles moegliche bekannt war, dass ist unbestritten denke ich, aber was die Leute damit angefangen haben, was sie sich dann darunter vorgestellt haben, das ist was ganz anderes. Wenn man bedenkt, was in unserer hochinformierten, vom Fehrnsehn live dauerberiselten Gesellschaft fuer abstruse Vorstellungen ueber mache Dinge grassieren, wird das damals nicht viel anders gewesen sein.

Die Wahrheit wird hier wie immer irgendwo in der Mitte liegen, zwischen nix gewusst und alles gewusst und ueber die Bevoelkrung verteilt, wird es alle moeglichen Abstufungen von Wissen und Vorstellung gegeben haben.

dem ist kann ich nichts mehr hinzufügen
 
Noch einmal zurück zur ursprünglichen Fragestellung

Obwohl sich die Diskussion inzwischen von der ursprünglichen Thematik entfernt hat, will ich ein paar Anmerkungen machen, da mein indirektes und äußerst umstrittene Zitat Auslößer für die hier stattfindende Debatte war.

Zweifellos ist eine strikten Ablehnung rationaler Kriterien bei der Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen Verbrechen keine probate Herangehensweise, da die Ursachenforschung in Ansätzen stecken bleiben würde und Rückschlüsse auf die gebotene Umgangsform mit präsentischen neonazistischen Bedrohungen nur schwerlich zu ziehen wären. Nur bei Kenntnis der historischen Hintergründe und bei einer über die Reduktion auf ein Irrationales Element hinausgehenden Analyse nationalsozialistischer Verbrechen kann die Hofnung auf ein "Lernen aus der Geschichte" in Erfüllung gehen.

Da dieser Punkt relativ unstrittig sein dürfte, konzentriere ich mich auf die von Bernd Ullrichs Artikel Forderung nach einer Analyse der Geschehenisse des Dritten Reiches unter Berücksichtigung eines partiellen bzw. hohen Grad der Irrationalität, vor allem in Bezug auf den Holocaust, der sich unserem rationalem Verständnis
weitesgehend entzieht.
Die Frage,die sich stellt, ist auf der einen Seite, warum ein Gedenken an den Holocaust eine abseits der Vernunft stehende Dimension erfordert und welche positiven Effekte sich aus ihr ergeben.
Auf der anderen Seite muss nach den Gefahren einer rein rationalen Betrachtung der Geschichtsforschung gefragt werden.

Zunächst zu möglichen Gefahren einer rein rationalen Rezeption nationalsozialistischer Gewaltverbrechen aus denen sich zugleich die Bedeutung eines teilweisen irrationalen und unerklärlichen Elements in der Auseinandersetzung ergibt.

M.E. ist der rein rationale Umgang mit historischen Verbrechen ein Charakteristikum der absoluten Abgeschlossenheit eines historischen Prozesses, die eine Abstinenz politischer Gefährdung in Form einer Instrumentalisierung historischer Ereignisse für tagespolitische Interessen impliziert. Beispielsweise dürfte die Hexenverbrennung des Mittelalters wohl kaum in irgendeiner Form politisch instrumentalisiert bzw. für individuelle Zwecke missbraucht werden.
Im Gegensatz dazu sind die nationalsozialistischen Verbrechen in keiner Weise reine Historie, sondern werfen einen Schatten auf unser gegenwärtiges Handeln und auf den gesamten politischen Prozess. (Verhältnis zu Israel, Gefahr des Rechtsextremismus u.a.)

Rationalisierende Betrachtung irrationaler Verbrechen birgt neben denen im 2. Abschnitt beschriebenen Chancen zugleich immer die Gefahr, die mit der Metapher von einem Exponat in einem Museum beschrieben werden kann, das vom Besucher zwar als ein (im negativen Sinne) bedeutendes Erbe der Historie erscheinen mag, das jedoch keine konkrete Bedeutung für seinen eigen Alltag besitzt. Die Geschichte des Nationalsozialismus und insbesondere die Geschichte verschiedener Verbechen an der Menschlichkeit darf niemals zu einem rein akademischen Streit verkommen, sondern betrifft uns alle. Dies gilt umso mehr, als dass mit der NPD eine Bewegung auf dem Vormarsch ist, die sich durch die Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus auszeichnet.

Eine ausschließlich rationale Auseinandersetzung mit dem Holocaust, die nicht verstört und die nicht betroffen macht, kann dem Rechtsradikalismus insofern als Sprungbrett dienen, als dass seine Argumentation in einem mit der Rationalisierung von NS-Verbrechen einhergehenden Trend einer abnehmenden Singularität nur als eine Facette der öffentlichen Meinung erscheint.
Man mag hier einwenden, dass gerade die rationale Auseinandersetzung mit den Verbrechen Hitlers, deren Singularität noch hervorhebt und gerade der Versuch einer vernunftgelenkten Erklärung die Irrationalität hervortreten lässt. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe bleibt, deren Verankerung in der Gesellschaft nur dadurch bewahrt bleibt, dass die Grausamkeit und Irrationalität des Regimes immer wieder hervorgehoben und betont werden und nicht zu einer abseits der Öffentlichkeit geführten akademischen Debatte verkommt, welcher die Neonazis ihr eigenes Erklärungsmodell entgegenhalten, das aufgrund seiner Einfachheit und fehlenden Differenziertheit von historisch unzureichend gebildeten Kreisen adaptiert werden könnte.

Meiner Meinung nach schafft der Charakter des Unerklärlichen eine Verknüpfung zwischen Gegenwart und Vergangenheit, die unbedingt gewahrt bleiben sollte und die einen der Grundpfeiler unserer demokratischen Existenz darstellt. Wo, wenn nicht in der Abgrenzung zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen liegt die Basis unseres demokratischen Rechtsstaats sowie von Pluralität und Freiheit.

mfg, Christoph
 
Ulukai schrieb:
Zweifellos ist eine strikten Ablehnung rationaler Kriterien bei der Auseinandersetzung mit nationalsozialistischen Verbrechen keine probate Herangehensweise, da die Ursachenforschung in Ansätzen stecken bleiben würde und Rückschlüsse auf die gebotene Umgangsform mit präsentischen neonazistischen Bedrohungen nur schwerlich zu ziehen wären. Nur bei Kenntnis der historischen Hintergründe und bei einer über die Reduktion auf ein Irrationales Element hinausgehenden Analyse nationalsozialistischer Verbrechen kann die Hofnung auf ein "Lernen aus der Geschichte" in Erfüllung gehen.

Hier kann ich dir zustimmen...


Ulukai schrieb:
Meiner Meinung nach schafft der Charakter des Unerklärlichen eine Verknüpfung zwischen Gegenwart und Vergangenheit, die unbedingt gewahrt bleiben sollte und die einen der Grundpfeiler unserer demokratischen Existenz darstellt. Wo, wenn nicht in der Abgrenzung zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen liegt die Basis unseres demokratischen Rechtsstaats sowie von Pluralität und Freiheit.

...aber in dieser abschließenden Konsequenz nicht. Die Basis unserer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hat erheblich mehr Wurzeln, auf die sich sich berufen kann. Das fängt mit dem antiken Griechenland an, geht über Stationen wie die Aufklärung und die Ideale der französischen und deutschen Revolution und andere Errungenschaften der Geschichte. Wenn die Abgrenzung zum NS-Staat das allein Tragende oder auch nur der stärkste Grundpfeiler unseres Staates wäre - wäre unsere Gesellschaft arm. Diese Reduktion unserer gesellschaftlichen Basis will ich nicht erkennen.
 
Arne schrieb:
Darf ich mal helfen? Also ich schätze heinz meint, daß es ganz allgemein in ihrem Viertel keine(kaum welche?) Ausschreitungen gegen Juden zu beobachten gab...? :grübel:

Du hast recht lieber Arne,
in ein Arbeiterviertel trauten sich auch zur Nazizeit die Nazis nicht ohne weiteres rein, höchstens mit Verstärkung. Selbst nach dem Krieg bekam die KPD dort immer mehr als 5%. Anscheinend wurden in unseren Viertel keine Menschen abgeholt, da es zu viele Kommunisten und keine Juden gab. Da es keine freie Presse oder freien Rundfunk gab, sind anscheinend die Untaten der Nazis in den KZ nicht überall bekannt geworden. :(
Ich bin 1941 geboren worden, kann mich nur noch in plötzlich auftauchenden Bildern, an die Flucht aus Pommern und die letzten Bombenangriffe erinnern. :(
 
Ulukai schrieb:
....Meiner Meinung nach schafft der Charakter des Unerklärlichen eine Verknüpfung zwischen Gegenwart und Vergangenheit, die unbedingt gewahrt bleiben sollte und die einen der Grundpfeiler unserer demokratischen Existenz darstellt. Wo, wenn nicht in der Abgrenzung zu nationalsozialistischen Gewaltverbrechen liegt die Basis unseres demokratischen Rechtsstaats sowie von Pluralität und Freiheit.....

mfg, Christoph

:hoch: , :hoch:

daher lohnt sich z.B ein Blick in unser: http://www.geschichtsforum.de/forumdisplay.php?f=60

da sind viele Themen angerissen, die eine Verknüpfung in die Vergangenheit der dt. Geschichte aufzeigen. Die Entwicklung der Nationalstaaten und des Nationalismus in Deutschland des 19. Jahrh. steht in ursächlichem Zusammenhang für die hist. Entwicklung der dt. Politik des 20. Jahrh.
Nachdem hier von der rationalen und empirischen Seite her vieles schon angesprochen ist ,
könnte die Beschäftigung mit der Entwicklung des Bürgertums ins 20. Jahrh. hinein die "irrationalen " Verknüpfungen beleuchten, als kulturelles Phänomen....
 
Vielen Dank für die Kritik; in diesem Punkt war meine Argumentation vielleicht ein wenig missverständlich oder reduzierend.

"[...] die einen der Grundpfeiler unserer demokratischen Existenz darstellt."

Ich wollte keineswegs auf diesen Aspekt reduzieren, sondern auf dessen besondere Bedeutung hinweisen. Die Tasache, dass die Abgrenzung zu NS-Verbechen einen Grundpfeiler unserer demokratischen Ordnung darstellt, heißt doch nicht, dass keine anderen Wurzeln und Anknüpfungspunkte existieren.
 
Die unterschiedlichen Ansätze den Holocaust zu historisieren beschreibt Nicolas Berg: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker (Göttingen 2003).

"Berg geht es um den Einfluss der Erinnerung auf die Forschungen zum Holocaust seit 1945. Insbesondere thematisiert er die Erinnerungskonflikte zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Wissenschaftlern. Dabei fragt er gerade nach der Bedeutsamkeit solcher Konflikte für die historische Forschung und die Entwicklung historischer Kontroversen. Welche Diskurse über den Holocaust konnten sich etablieren und welche nicht? Wer durfte autoritativ sprechen und wem wurde diese Autorität aberkannt? Welche Selektionsmechanismen bedingt die jeweils andere Erinnerung? Wie verbinden sich spezifische Interessen und der Kampf um die Erinnerung? Solche Fragen stehen im Zentrum von Bergs diskursgeschichtlich fundierter Gedächtnisgeschichte, der es vor allem um die Interaktion von Erinnerung und Gegenerinnerung geht." Quelle

Das Forum zum Buch bei H-Soz-u-Kult
 
collo schrieb:
die nazis haben anfangs nicht verschwiegen, wie sie mit ihren politischen gegnern umgingen. damit wurde otto normalverbraucher und lieschen müller eingeschüchtert.


deshalb glaube ich meinen eltern (1925/27), dass sie davon nichts wussten.


Die Existenz von KZs oder was darin ablief? Ich hätte das Wissen, dass es KZs gab mit 100% der Bevölkerung taxiert. Das Wissen, was detailliert dort passierte, Genozid, Massenmord etc. steht dann auf einem anderen Papier. Aber das hab ich schon oben erwähnt.
Und ich akzeptiere Angst, Feigheit, Dummheit, Oberflächlichkeit, Ignoranz, Überzeugtheit oder sonstwelchen Motive als Ausreden. Nicht aber Ahnungslosigkeit.
 
In der FAZ von heute ist ein sehr interessantes ganzseitiges Interview über die frühe Zeit Hitlers mit der deutsch-österreichischen Historikerin Brigitte Hamann. Sie meint, dass in seiner Frühzeit nichts Ungewöhnliches auf seine spätere Entwicklung hindeutee und er in Wien sogar jüdische Freunde hatte.
Wen's interessiert, ich habe den Artikel als pdf-Datei.

Fingalo
 
Apropos Brigitte Hamann, habe ein sehr gutes Buch von ihr "Hitlers Wien", eine Biographie des jungen Hitlers, in diesem Buch wird brilliant beschrieben welche Idelogien und Menschen Adolf Hitler in seiner Jugend prägten.
 
fingalo schrieb:
Sie meint, dass in seiner Frühzeit nichts Ungewöhnliches auf seine spätere Entwicklung hindeutee und er in Wien sogar jüdische Freunde hatte.


Das deckt sich ja in etwa mit allen Biographien. Zumindest waren die Lebensumstände nicht ungewöhnlicher als für viele andere eben auch. So gesehen bekommt auch hier Hannah Arendts "Banalität des Bösen" die entsprechende Bedeutung.
 
Ich möchte die Aufmerksamkeit noch einmal auf den Ursprung unserer Diskussion lenken, und in diesem Zusammenhang die Problematik anschneiden, wie Jugendlichen der Nationalsozialismus und die Schrecken des Holocaust vermittelt werden können. Vor dieser Frage stehe ich zusammen mit einigen Schulbuchautoren immer wieder und wandele dabei auf dem schmalen Grat zwischen rationalen Erklärungsmustern und dem Versuch, auch emotionale Betroffenheit zu wecken.

Für das Thema Nationalsozialismus gilt in besonderer Weise, dass die Verarbeitung und "Bewältigung" der Vergangenheit ein unabgeschlossener Prozess ist. Die historische Fachwissenschaft erschließt neue Perspektiven und Sachverhalte wie z.B. die durch den Nationalsozialismus ausgelösten gesellschaftlichen Umwälzungen. Hinzu kommt, dass sich der Zugang zu diesem Thema bei den nachwachsenden Generationen ändert. Die unmittelbare Erfahrung des Nationalsozialismus ist in der Familie und auch bei Lehrerinnen und Lehrern immer weniger oder gar nicht mehr vorhanden. Betroffenheit und ein Bewusstsein von der Bedeutung des Nationalsozialismus und seiner Folgen kann also nicht mehr a priori vorausgesetzt werden.

Für die Darstellung des Krieges und des Mordes an den europäischgen Juden gilt, dass eine abstrakte, statistische Zahlen präsentierende Darstellung zu kurz greift. Parallel zur sachlichen Erläuterung des historischen Prozesses ist also eine emotionale Sensibilisierung unverzichtbar, was z.B. durch Zeitzeugen, Film- und Tondokumente oder den Besuch von Gedenkstätten geleistet werden kann. Nur so lässt sich - um auf den Ausgang zurückzukommen - die Erfahrung von Tod, Zerstörung und Leid verdeutlichen.
 
Dieter schrieb:
Ich möchte die Aufmerksamkeit noch einmal auf den Ursprung unserer Diskussion lenken, und in diesem Zusammenhang die Problematik anschneiden, wie Jugendlichen der Nationalsozialismus und die Schrecken des Holocaust vermittelt werden können. Vor dieser Frage stehe ich zusammen mit einigen Schulbuchautoren immer wieder und wandele dabei auf dem schmalen Grat zwischen rationalen Erklärungsmustern und dem Versuch, auch emotionale Betroffenheit zu wecken.

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Dieter..

ich denke, ich verstehe worauf du anspielst. Schoen, dass es dann doch noch 'Grosse' gibt, die den 'Kleinen' ein Kapitel wie dieses sinnvoll nahebringen wollen; nicht zu behutsam, aber auch nicht zu reisserisch.
Ich persoenlich bin vom gesamten Thema '3. Reich' waerend meiner ersten 10 Schuljahre unglaublicherweise so gut wie voelligst verschont geblieben, was ich selbstredend als extrem negativ empfinde. Soweit ich mich entsinnen kann, gab es weder Tests noch Referate zum Thema zu bewaeltigen; kein Bildmaterial, keine Augenzeugen-Berichte, ganz zu schweigen natuerlich vom 'vor-Ort-Erlebniss' Buchenwald, das, wie ich spaeter herausfinden sollte, ja an vielen Schulen Pflicht ist.
Sowohl ich, als auch meine Mitschueler haetten dieses sicher als beeindruckend und ums hundertfache lehrreicher gefunden, als sich mit im Lauf der Jahre stueckchenweise selbst zusammengesammelte Information ein Bild zu machen. Ueberhaupt finde ich, dass das deutsche Schulsystem bis zur Sekundarstufe II deutsche Geschichte im Allgemeinen zu sehr vernachlaessigt.
 
Dieter schrieb:
Vor dieser Frage stehe ich zusammen mit einigen Schulbuchautoren immer wieder und wandele dabei auf dem schmalen Grat zwischen rationalen Erklärungsmustern und dem Versuch, auch emotionale Betroffenheit zu wecken.

Hmm..ich ärgere mich über das "Lernziel: Betroffenheit".
Mal ganz bewußt provokativ: Mir war nicht bekannt, daß das in den Lehrplänen für den Geschichtsunterricht steht. Wird das auch im Zusammenhang mit der Inquisition, den Indianerkriegen, dem 30-Jährigen Krieg oder der spanischen Eroberung Südamerikas als Ziel gesehen? Und wie wird das benotet? Wer das traurigste Gesicht macht? :mad:
 
Arne schrieb:
Hmm..ich ärgere mich über das "Lernziel: Betroffenheit".

Vom 'Lernziel Betroffenheit' hat Dieter aber gar nichts gesagt, soweit ich sehen kann.
Und was ist falsch daran, im Unterricht sozusagen als Nebenprodukt echte Betroffenheit zu wecken? Fuer viele Schueler (je nachdem um welche Altersstuffe es sich handelt) koennte dies das erste Mal ueberhaupt sein..
 
parago schrieb:
Vom 'Lernziel Betroffenheit' hat Dieter aber gar nichts gesagt, soweit ich sehen kann.
Und was ist falsch daran, im Unterricht sozusagen als Nebenprodukt echte Betroffenheit zu wecken? Fuer viele Schueler (je nachdem um welche Altersstuffe es sich handelt) koennte dies das erste Mal ueberhaupt sein..

Er erwähnt aber, daß per Unterrichtsmaterial gezielt versucht wird Betroffenheit zu erwecken.

Ich kann mir das nur vor dem Hintergrund erklären, daß in der Schule halt keine Studenten oder Historiker sitzen, sondern Kinder, die nicht nur in Fakten unterwiesen werden sollen, sondern auch erzogen werden. Das ist ja wohl auch ein Auftrag der Schule, die man ja auch als "Erziehungsanstalt" tituliert.

Vielleicht reagiere ich über, aber als Erwachsener schwillt mir der Kamm, wenn ich in meinem Denken und meinen Gefühlen per Programm manipuliert werden soll. Zum Glück bin ich nicht mehr schulpflichtig und kann ich mir heute aussuchen, wem ich zuhöre.
 
parago schrieb:
Und was ist falsch daran, im Unterricht sozusagen als Nebenprodukt echte Betroffenheit zu wecken?

Hallo Parago,

ich gebe Dir recht: am Wecken echter Betroffenheit ist wirklich nichts auszusetzen. Was aber falsch - oder genauer gesagt bedenklich - ist, ist das "Einimpfen-Wollen" von Betroffenheit von außen, da dies die fatale Folge von Abwehrhaltung haben kann, was letztendlich zum gegenteiligen Effekt führt.
Eine solche Forcierung des Weckens von Betroffenheit - noch dazu unter ganz und gar ideologischen Gesichtspunkten - kenne ich nämlich noch aus meiner Schulzeit (DDR 1977/89). Übrigens kenne ich auch aus meinem damaligen Schulumfeld die o.a. gegenteiligen Effekte - was zwar nicht zwangsläufig Neonazismus meint, aber eben eine sehr bedenkliche Emotionslosigkeit bezüglich dieses Themas. Und um gleich dem Einwand vorzubeugen, daß dies sicher Einzelfälle sind: ja, es sind natürlich "nur" Einzelfälle, aber meiner Meinung nach ist jeder Einzelfall hier schon einer zu viel :grübel:

In diesem Sinne

Timo
 
Man kann mit Bestimmtheit sagen, dass die Lehrpläne aller Bundesländer heutzutage sowohl fachlich als auch didaktisch sehr anspruchsvoll ausformuliert sind. In diesem Zusammen wird ständig zur kritischen Hinterfragung aufgefordert, was natürlich auch Themen wie Kolonialismus, Inquisition, 30-jähriger Krieg oder die Ausrottung der nordamerikanischen Indianer betrifft. Bei keinem dieser und anderer Themen reicht es aus, lediglich Faktenwissen zu vermitteln. Ein guter Pädagoge wird stets versuchen, auch einen emotionalen Zugang zu eröffnen, denn allein mit dem Verstand lässt sich häufig nicht die hanze Dimension eines Geschehens erfassen.

Ob freilich die Lehrerinnen und Lehrer stets in der Lage, diese didaktischen und fachhistorischen Ansprüche zu erfüllen, sei dahingestellt. Zu Gunsten der Lehrerschaft möchte ich aber anfügen, dass die überwiegende Mehrzahl bemüht ist, diesen Vorgaben mit Engagement Rechnung zu tragen.
 
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