Munition/Düngemittel: Das Manhattan-Projekt des 1. Weltkrieges

"Zucker schien bei Kriegsausbruch mehr als reichlich vorhanden. Die Behörden empfahlen daher Ende 1914 eine Einschränkung des Zuckerrübenanbaus, und in den besetzten Gebieten Belgiens und Polens wurde der Anbau überhaupt verboten." Ergebnis: Rückgang der Erzeugung um 40 %.

Dass zeigt doch die laienhaften Vorstellungen und Steuerungsversuche.

Ausgangspunkt war die (richtige) Beobachtung, dass man Exportüberschüsse hatte. Den Bedarf, in gewissen Grenzen "Kalorien" zu substituieren, sah man nicht vorher.

Die Eingriffe belegen allerdings die Engpässe (Dünger, Personal), aufgrund derer überhaupt die Eingriffe erfolgte. Nebenbei noch: das Flächenbewirtschaftungs-Programm, bei denen - wo irgend möglich - von/in den Städten große Flächen quasi als "Schrebergärten" kostenlos zur Verfügung gestellt wurden, um die Kleinerzeugung zu stimulieren, Produktion für den Eigenbedarf.
 
Daß die kriegswirtschaftliche Regulierung im I. WK chaotisch und nicht vorbereitet war, klar.

Ich finde, daß der olle Mottek dieses mit folgendem Zitat, weil kurz und treffend, auf den Punkt brachte:

"...stand die deutsche Wirtschaft den ökonomischen Anforderungen dieses bis dahin größten und verheerendsten aller Kriege, wenn man den Erkenntnisstand über die ökonomische Kriegsvorbereitung zugrunde legt, relativ gut, den tatsächlichen Anforderungen des Krieges an die Wirtschaft aber nahezu unvorbereitet gegenüber." (1)

Vergl. Mottek, Band 3, S. 198, 2. Auflage, Bln. 1975.

Ich meine, kurz und klar.

Das KRA hat natürlich chaotisch und situativ auf aktuelle ökonomische "Krisen" in der Kriegsproduktion reagiert und das KEA später dann natürlich auch.

Die Förderung von Subsistenzwirtschaft ist in allen "Mangelwirtschaften", natürlich jeseits von ideologischen Grenzen, eher normal.

@silesia

In einem Posting warst Du so freundlich und botest die Einstellung von Statistiken an. Der erste Schritt, um die eventuelle "kriegswirtschaftliche Fehlsteuerung" durch das KEA, inkl. Vorgängerbehörden (problematisch die bundesstaatliche Organisation) "belegen" zu können, wären m.E. agrarische Produktionsstatistiken ab 1914 bis ca. 1919/20 und die Ankaufpreise des KEA (statistisch relevant ab ca. Ende 1916/Anfang 1917). Sollte sich dabei bereits eine Retadierung in Bezug auf Ankaufspreispolitik und Produktionsergebnisableiten lassen, wäre das mal schon ein Anfang.

M.
 
Zuletzt bearbeitet:
Der erste Schritt, um die eventuelle "kriegswirtschaftliche Fehlsteuerung" durch das KEA, inkl. Vorgängerbehörden (problematisch die bundesstaatliche Organisation) "belegen" zu können, wären m.E. agrarische Produktionsstatistiken ab 1914 bis ca. 1919/20 und die Ankaufpreise des KEA (statistisch relevant ab ca. Ende 1916/Anfang 1917).
Der Hinweis zu Preiseinflüssen bezog sich auf die Fleischerzeugung.

Ich greife das aber auf und stelle zunächst einmal die Produktivitätsentwicklung der Landwirtschaft dar, am Beispiel Weizen.

Hektarerträge in der Entwicklung der Landwirtschaft während der Industrialisierung waren durch den Personaleinsatz (sinkend), durch Düngemitteleinsatz und durch Mechanisierung gekennzeichnet.

Hektarerträge Weizen in kg:

1850/1860: zwischen 761 kg (Mißernte 1855) und 1272 kg (1857)
1860/1970: zwischen 1012 kg und 1437 kg
1870/1880: zwischen 1169 kg und 1495 kg
1880/1890: zwischen 1270 kg und 1650 kg
1890/1900: zwischen 1390 kg und 1910 kg
1900/1910: zwischen 1580 kg (Mißernte 1901) und 2040 kg
1911: 2060 kg
1912: 2260 kg
1913: 2350 kg
1914: 1990 kg
1915: 1930 kg
1916: 1830 kg
1917: 1520 kg
1918: 1720 kg

1921: 2050 kg
1930: 2270 kg
1935: 2410 kg
1950: 2680 kg

Der Verlauf zeigt (iVm dem Düngemitteleinsatz 1880-1914), dass
1. die Hektarproduktivität entscheidend durch den Düngemitteleinsatz, hier insbesondere Kali- und Stickzufuhr gesteigert werden konnte
2. das Problem der Mobilisierung und der Ernteeinbringung 1914
3. den Verzehr der Düngemittelreserven und die Folgen für die Bodennutzung 1915/1916 bis zum Tiefstand 1917
4. den Wiederanstieg, nachdem ausreichend Ammoniak durch 1918 durch das Hochfahren der Produktion und den Steigerung der Kaliproduktion zur Verfügung standen.

Weiterhin:
5. die extensive Produktivität der deutschen Landwirtschaft mit ihrer Düngemittel-Sensibilität (unter Beachtung der Höchststände 1913 und 19135 im Vergleich, und der weiteren Steigerung erst nach dem Zweiten Weltkrieg - ohne diese Düngung war die Produktivitätsentwicklung nicht denkbar)
6. die Unterschiede in der Produktivität durch Düngemittel, Personal- und Maschineneinsatz im Ländervergleich, zB Hektarerträge Weizen 1912:
Deutsches Reich: 2260 kg
Rußland 690 kg
Österreich-Ungarn zwischen 1270 und 1500 kg
Frankreich 1380 kg
Kanada 1370 kg
USA 1070 kg
Argentinien 930 kg
Indien 870 kg

Das Problem der großen Unterschiede der Statistik zu 6. ist die Bodenqualität. Daher der Vergleich bei Roggen:
Deutsches Reich: 1850 kg
Rußland: 900 kg
Frankreich: 1430 kg
USA: 1070 kg

und Kartoffeln:
Deutsches Reich: 15030 kg
Rußland: 8170 kg
Kanada: 11580 kg
USA: 7620 kg.

Als Darstellung-Problem ergibt sich die zugrunde gelegte Flächengröße gerade bei den großen Staaten, bei denen große Flächen ohne Düngung bzw. mit geringerer Düngung betrieben wurden. Wichtig ist hier nur die Abblidung der Tendenz und die Düngemittel-Sensibilität im nationalen, volkswirtschaftlichen Rahmen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das deutsche Quasi-Monopol auf Abraumsalze (Kalisalze) für die Düngung. Der Vorkriegs-Export von rd. 1,2 bis 1,3 Mio. Tonnen p.a. ging mit rd. 150.000 Tonnen in die Landwirtschaft der Niederlande, mit rd. 650. - 700.000 Tonnen in die der USA, daneben jeweils 50. -70.000 Tonnen nach Frankreich, Großbritannien, Rußland, Ö-U.
 
Bei den Tieren habt Ihr nach den Schlachttieren geguckt. Soweit so gut. Wie sah bei den Pferden, Eseln und Maultieren aus, welche ja im 1. WK noch zwingend in der Landwirtschaft benötigt wurden. Von meinem Vater habe ich gehört, das das Militär noch im 2. WK Pferde beschlagnahmt hat, um Geschütze und ähnliches zu ziehen. Die werden dann natürlich auch auf den Äckern gefehlt haben. Ohne Bodenvorbereitung wie Pflügen, Eggen usw. geht die Ernte auch den Bach hinunter. Gesät wurde auch mit dem Pferd.

Apvar
 
Bei den Tieren habt Ihr nach den Schlachttieren geguckt. Soweit so gut. Wie sah bei den Pferden, Eseln und Maultieren aus, welche ja im 1. WK noch zwingend in der Landwirtschaft benötigt wurden. Von meinem Vater habe ich gehört, das das Militär noch im 2. WK Pferde beschlagnahmt hat, um Geschütze und ähnliches zu ziehen. Die werden dann natürlich auch auf den Äckern gefehlt haben. Ohne Bodenvorbereitung wie Pflügen, Eggen usw. geht die Ernte auch den Bach hinunter. Gesät wurde auch mit dem Pferd.

Apvar

In den letzten Julitagen 1914 gab es eine große "Pferde-Musterung". Die Pferde wurden "eingezogen" wie die wehrpflichtigen Männer.
Aus der großen Beute in Ostpreußen, gerade auch an Pferden, konnten dann von Landwirten vereinzelt wieder Pferde gekauft werden. Die russ. Pferde entsprachen 1914 nicht den deutschen Heeresvorstellungen.

Aber der Zugtiermangel war in der Landwirtschaft über den ganzen Krieg sehr fühlbar.
Was sich aber wiederum nicht auf Deutschland beschränkt, Ford hat seinen Traktor "Fordson" entwickelt und in großen Stückzahlen nach England und Frankreich geliefert, um den Zugtiermangel zu beheben.
 
OT:
Habe ich gestern, Tag des offenen Denkmals" eine Ortschronik über die Jahre 1945-50 gekauft.
Gestern Abend reingeschaut, was lese ich da über die Ernteaussichten 1945:
"die Böden haben seit Jahren keinen Kunstdünger gesehen"

Daraus wage ich den Schluss zu ziehen, dass auch 39-45 neben der Munitionsproduktion her, viel zu wenig Dünger produziert werden konnte.
Was auf Grund der Ausplünderung Europas zuerstmal nicht auffällt.
 
OT:
Habe ich gestern, Tag des offenen Denkmals" eine Ortschronik über die Jahre 1945-50 gekauft.
Gestern Abend reingeschaut, was lese ich da über die Ernteaussichten 1945:
"die Böden haben seit Jahren keinen Kunstdünger gesehen"

Daraus wage ich den Schluss zu ziehen, dass auch 39-45 neben der Munitionsproduktion her, viel zu wenig Dünger produziert werden konnte.
Was auf Grund der Ausplünderung Europas zuerstmal nicht auffällt.
Was "vielleicht" nicht auffällt allerdings in der Standartliteratur zu Kriegswirtschaft durchaus angegeben ist.
 
Der Hinweis zu Preiseinflüssen bezog sich auf die Fleischerzeugung.

Ich greife das aber auf und stelle zunächst einmal die Produktivitätsentwicklung der Landwirtschaft dar, am Beispiel Weizen.

Hektarerträge in der Entwicklung der Landwirtschaft während der Industrialisierung waren durch den Personaleinsatz (sinkend), durch Düngemitteleinsatz und durch Mechanisierung gekennzeichnet.

Hektarerträge Weizen in kg:

1850/1860: zwischen 761 kg (Mißernte 1855) und 1272 kg (1857)
1860/1970: zwischen 1012 kg und 1437 kg
1870/1880: zwischen 1169 kg und 1495 kg
1880/1890: zwischen 1270 kg und 1650 kg
1890/1900: zwischen 1390 kg und 1910 kg
1900/1910: zwischen 1580 kg (Mißernte 1901) und 2040 kg
1911: 2060 kg
1912: 2260 kg
1913: 2350 kg
1914: 1990 kg
1915: 1930 kg
1916: 1830 kg
1917: 1520 kg
1918: 1720 kg

1921: 2050 kg
1930: 2270 kg
1935: 2410 kg
1950: 2680 kg

Der Verlauf zeigt (iVm dem Düngemitteleinsatz 1880-1914), dass
1. die Hektarproduktivität entscheidend durch den Düngemitteleinsatz, hier insbesondere Kali- und Stickzufuhr gesteigert werden konnte
2. das Problem der Mobilisierung und der Ernteeinbringung 1914
3. den Verzehr der Düngemittelreserven und die Folgen für die Bodennutzung 1915/1916 bis zum Tiefstand 1917
4. den Wiederanstieg, nachdem ausreichend Ammoniak durch 1918 durch das Hochfahren der Produktion und den Steigerung der Kaliproduktion zur Verfügung standen.

Weiterhin:
5. die extensive Produktivität der deutschen Landwirtschaft mit ihrer Düngemittel-Sensibilität (unter Beachtung der Höchststände 1913 und 19135 im Vergleich, und der weiteren Steigerung erst nach dem Zweiten Weltkrieg - ohne diese Düngung war die Produktivitätsentwicklung nicht denkbar)
6. die Unterschiede in der Produktivität durch Düngemittel, Personal- und Maschineneinsatz im Ländervergleich, zB Hektarerträge Weizen 1912:
Deutsches Reich: 2260 kg
Rußland 690 kg
Österreich-Ungarn zwischen 1270 und 1500 kg
Frankreich 1380 kg
Kanada 1370 kg
USA 1070 kg
Argentinien 930 kg
Indien 870 kg

Das Problem der großen Unterschiede der Statistik zu 6. ist die Bodenqualität. Daher der Vergleich bei Roggen:
Deutsches Reich: 1850 kg
Rußland: 900 kg
Frankreich: 1430 kg
USA: 1070 kg

und Kartoffeln:
Deutsches Reich: 15030 kg
Rußland: 8170 kg
Kanada: 11580 kg
USA: 7620 kg.

Als Darstellung-Problem ergibt sich die zugrunde gelegte Flächengröße gerade bei den großen Staaten, bei denen große Flächen ohne Düngung bzw. mit geringerer Düngung betrieben wurden. Wichtig ist hier nur die Abblidung der Tendenz und die Düngemittel-Sensibilität im nationalen, volkswirtschaftlichen Rahmen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist das deutsche Quasi-Monopol auf Abraumsalze (Kalisalze) für die Düngung. Der Vorkriegs-Export von rd. 1,2 bis 1,3 Mio. Tonnen p.a. ging mit rd. 150.000 Tonnen in die Landwirtschaft der Niederlande, mit rd. 650. - 700.000 Tonnen in die der USA, daneben jeweils 50. -70.000 Tonnen nach Frankreich, Großbritannien, Rußland, Ö-U.


@silesia

Wahrscheinlich eine Frechheit. :pfeif:

Du warst so freundlich und hast die statistischen Werte für die "Weizenerträge" eingestellt und noch einige andere rudimentären statistischen Angaben zur pflanzlich-agrarischen Produktion.

Bei den Hektarerträgen hast Du auch die Variationsbreite markiert. Nur kommen wir allein mit den "Weizenerträgen" der formulierten These, daß das KEA eine verfehlte Ankaufspreispolitik betrieb nicht weiter.

M.E. benötigen wir statistische Angaben über die gesamte "Getreideproduktion". Weizen war in Deutschland zu dieser Zeit und ist es auch heute nicht, das sog. "Brotgetreide". Es fehlen Angaben zur Roggen-, Hafer- und Gersteproduktion. Hinzu kämen Angaben zu Substituierungsprodukten wie Kohlrüben, Zuckerrüben und der gärtnerischen Produktion etc. - so überhaupt "robust" beschaffbar.

Erst wenn ich diese "Produktionskurven" gleichsam übereinanderlege und z.B. für 1914 einen Produktivitätsabfall konstatieren könnte, wäre es möglich, in diesem Beispiel von einem "Mobilisierungsknick" zu sprechen, obwohl der anzunehmen ist.

Und weiter.

Es könnte ja sein, daß das KEA die Aufkaufspreise für Weizen bewußt niedrig hielt, um den Anbau anderer Getreidesorten ("Brotgetreide") bzw. pflanzlicher Substitutionsprodukte zu fördern (?) - ernährungspolitische oder andere kriegswirtschaftliche Zielsetzungen.

Und dann.

Die Ankaufspreise, inkl. eventueller Kontigentierungen (für WK I.) fällt mir da nichts ein, des KEA.

Ich meine, erst dann könnten wir statistisch abgesichert an der oben erwähnten These "weiterbasteln".


M. :winke:


P.S.: "Mechanisierungsschub" in der Landwirtschaft während 1914-1919 (?), da fiele mir auch nichts ein.
 
Zuletzt bearbeitet:
@silesia

ich muß aus meinem Beitrag #50 etwas relativeren, und zwar:

"Es könnte ja sein, daß das KEA die Aufkaufspreise für Weizen bewußt niedrig hielt, um den Anbau anderer Getreidesorten ("Brotgetreide") bzw. pflanzlicher Substitutionsprodukte zu fördern (?)"

Dieses läßt sich aus Deinen Angaben, da Du ja Hektarerträge und keine absoluten Produktionsmengen eingestellt hast nicht prima facie herauslesen, sondern wäre der "dritte" Schritt vor dem "ersten", nämlich ein eventuelles Steuerungsergebnis des Düngemitteleinsatzes durch die Aufkaufspreispolitik. Sorry, wegen der Unschärfe.


M.
 
@silesia
Wahrscheinlich eine Frechheit. :pfeif:
Du warst so freundlich und hast die statistischen Werte für die "Weizenerträge" eingestellt und noch einige andere rudimentären statistischen Angaben zur pflanzlich-agrarischen Produktion.

Nein, keinesfalls, lieber Kollege :friends:

Die Daten sind vorhanden; ich überlege noch ein bißchen an diesem und jenem herum, u.a. in der Kombination Kali-Stickstoff für die Landwirtschaft, aber auch an den Preisen.

Zum Verlauf habe ich mir inzwischen den Huegel besorgt, außerdem zufällig eine sehr interessante Detailstudie zum Herzogtum Braunschweig 1914-18 gefunden, in der vom "Schweinemord" bis zur Landwirtschaft so ziemlich alles dargestellt wird.
 
@silesia

Das mit den Preisen ist natürlich immer ein Problem; wenn die nicht z.B. auf 1913 als Index 100 abstellen, gibt es natürlich sofort "Feuer".

Will sagen, die seinerzeitigen Aufkaufspreise während des Krieges sollten auf die Preise möglichst von 1913 zurückgerechnet sein, oder wir müssten das anhand einer Inflationstabelle selbst machen, auch nicht schlimm. Auf den letzte Pfennig kommt es dabei auch nicht an.

Detailstudien sind immer gut, nicht nur wegen der Literaturangaben, sondern auch wegen der Methodik und Quellenauswertung. Da im Verlaufe des Krieges die Reichsbehörden immer mehr bundesstaatliche Kompetenzen an sich zogen bzw. bundesstaatliche Behörden gleichsam "überregulierten", könnte das eine "Folie" sein.


M. :)
 
Das mit den Preisen ist natürlich immer ein Problem; wenn die nicht z.B. auf 1913 als Index 100 abstellen, gibt es natürlich sofort "Feuer".

Selbstverständlich. Eine Indexierung ist wohl auch nicht das Problem :pfeif:

Die Preise ("Höchstpreispolitik") merken wir uns aber bitte noch vor. Ich würde gern noch eine interessante Statistik dazwischen schieben, die direkt auf Repos Ausgangsfragen zielt und die ich nun gefunden habe:

"Der Mangel an Düngemitteln und seine Bekämpfung" in: Der Einfluß des Krieges auf die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland, S. 40ff. Die Statistik ist ganz erhellend, und trifft die Probleme direkt:

Stickstoffzufuhr durch Düngung in der Landwirtschaft (Erntejahre) - reiner Stickstoff:
1913/14: 210.000 to.
1914/15: 98.000 to.
1915/16: 73.000 to.
1916/17: 80.000 to.
1917/18: 92.000 to.
[Mengen an gebundenen reinem Stickstoff in Düngemittel; Tonnage des verwendeten Düngers müßte entsprechend hochgerechnet werden]

Auch der erzielte Mehrtrag wird bzgl. Stickstoffdünger angegeben: auf 100kg Stickstoffdüngerzufuhr kann der Mehrertrag beim Getreide mit 300 bis 350 kg, bei Zuckerrüben von 1200 bis 1400 kg überschlägig berechnet werden, also Faktor 3 - 14 der Tonnage in Düngemitteln.

Der Mangel an Stickstoffdünger wurde versucht auszugleichen, indem vermehrt Kalidüngesalze zugeführt worden sind (1914: 483.627 to., 1917: 834.381 to.), um die Stickstoffentnahme der Böden zu optimieren und die Auslaugung des Bodens in gewissen Grenzen zu verlangsamen.

Die Düngungstonnagen (die man iVm dem Anstieg der Ernteerträge sehen muß) zeigt folgende Statistik:

Superphosphat: 1890/ 500.000 to; 1913/ 2.000.000 to.
Thomasmehl: 1890/ 400.000 to.; 1913/ 2.200.000 to.
Chilesalpeter: 1890/ 247.815 to.; 1913/ 560.000 to.
Schwefelsaures Ammoniak: 1890/ 60.000 to.; 1913/ 400.000 to.
Kalisalze: 1890/ 219.553 to.; 1913/ 3.013.000 to.

S.42: "Nichts beanspruchte der Krieg in so großen Massen und in so radikaler Weise wie Salpeter und Ammoniak für die Sprengstoffgewinnung. Gerade diese Stickstoffverbindungen sind es aber auch, welche man als den wichtigsten Motor einer intensiv zugeschnittenen Landwirtschaft bezeichnen muß. Die Erträge einer solchen Landwirtschaft mußten daher arg zusammen schrumpfen, wenn diese Quelle plötzlich größtenteils versiegt. Tatsächlich wurden bald nach Kriegsausbruch alle noch im Lande vorhandenen Vorräte an Chilesalpeter und die ganze Produktion der Kokereien und Gasanstalten an schwefelssaurem Ammoniak für die Sprengstoffindustrie mit Beschlag belegt. Aber schon allein für die Sprengstoffindustrie hätte diese Vorräte nicht weit gereicht, wenn sie nicht eine Ergänzung durch die aus dem Luftstickstoff gewonnenen Stickstoffverbindungen erfahren hätte. ... Bald stellten die im Krieg erbauten Ammoniakwerke die Produktion der Kalkstickstoffwerke in den Schatten. Trotzdem gelang es doch nicht, die Produktion der Stickstofffabriken derart zu steigern, dass neben der Heeresversorgung die Landwirtschaft auch nur einigermaßen ausreichende Mengen davon erhalten konnte"

Wenn die Düngemittelausfälle mit 2,5 bis 3,5 Mio. Tonnen berechnet werden können, würde sich daraus allein ein Ernteausfall von 7,5 Mio. bis > 20 Mio. Tonnen (je nach Anbau, von Getreide über Kartoffeln bis Zuckerrüben) ergeben.
Ein anschauliches Beipiel mit Prämisse 12-13 Mio. to. in der Mischung: das würde einem pflanzlichem Nahrungsmittelausfall von 200kg/pro Kopf/pro Jahr entprechen, also anschaulich 500 -600 Gramm Kartoffeln, Brot und Zucker pro Tag. Die Mangelernährung aus Düngermangel dürfte damit wohl transparent werden.
 
"Der Mangel an Düngemitteln und seine Bekämpfung" in: Der Einfluß des Krieges auf die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland, S. 40ff. Die Statistik ist ganz erhellend, und trifft die Probleme direkt:
de vorhandenen Vorräte an Chilesalpeter und die ganze Produktion der Kokereien und Gasanstalten an schwefelssaurem Ammoniak für die Sprengstoffindustrie mit Beschlag belegt. Aber schon allein für die Sprengstoffindustrie hätte diese Vorräte nicht weit gereicht, wenn sie nicht eine Ergänzung durch die aus dem Luftstickstoff gewonnenen Stickstoffverbindungen erfahren hätte. ... Bald stellten die im Krieg erbauten Ammoniakwerke die Produktion der Kalkstickstoffwerke in den Schatten. Trotzdem gelang es doch nicht, die Produktion der Stickstofffabriken derart zu steigern, dass neben der Heeresversorgung die Landwirtschaft auch nur einigermaßen ausreichende Mengen davon erhalten konnte"

Die Mangelernährung aus Düngermangel dürfte damit wohl transparent werden.


Was zu beweisen war.:yes:
(Musste vor 40 Jahren am Ende der Mathe-Lösung stehen)

Klasse, danke Silesia.
Ist lässig 5 grüne Wert!
 
Zuletzt bearbeitet:
Preise, Getreide und Schweine

Kurzer Abriss der Ernährungslage, dargestellt am ländlich orientierten Herzogtum Braunschweig (-> Ludewig, Das Herzogtum Braunschweig im Ersten Weltkrieg):


1. In den ersten Kriegstagen: Hamsterkäufe und starker Preisanstieg für Nahrungsmittel.

2. Gesetz vom 4.8.1914 (Höchstpreisbestimmungen), Ausführungsregelungen für Höchstpreise bei Kleinverkäufen wird den lokalen Behörden überlassen. Die Preise normalisieren sich, die Ernte 1914 verhieß einen guten Verlauf.

3. Erste Engpässe im September 1914 in der Kornversorgung; vor allem Großmühlen kauften rücksichtslos die Erntemengen auf, wieder starke Preisanstiege.

4. Oktober 1914: Gesetzentwurf für Höchstpreise bei Brotgetreide. Geplantes Verfütterungsverbot für Roggen, dann auch Brotgetreide und Mehl. Stärkeres Ausmahlgebot und Vorschrift zur Streckung von Roggenbrot durch zugesetzte Kartoffeln ("K-Brot"). Zurückhaltung der Kartoffelernte bei den Bauern wegen der erwarteten Preissteigerungen. Kartoffelmangel.

5. Steigende Getreidepreise sorgen für Zurückhaltung des Angebots, Getreide kommt nicht mehr auf den Markt. Gründung Reichsgetreidegesellschaft zum Ankauf. Großmühlen und Händler umgehen die Höchstpreise durch "Zusatzvergütungen". Zwangs-Erfassungsmaßnahmen führen zu ersten Protesten.

6. Als auch das Heer nicht mehr beliefert werden konnte, und die Versorgungslage zugespitzt ist, ergeht die Bewirtschaftungsverordnung für Brotgetreide und Mehl am 25.1.1915. Erzeuger dürfen nur geringe Mengen für Eigenbedarf zurückhalten. Mehlverbrauch pro Kopf wird regional festgesetzt.

7. Einrichtung von Brotkartenstellen im März 1915: zugeteilte Menge 2 kg pro Kopf und Woche, Kinder die Hälfte. Verpflichtung der Gemeinden, sich einen "Fleischvorrat" zuzulegen. Darauf (und die Erwartung künftig unzureichender Futtermittel) reagieren die Bauern mit vermehrten Schweineschlachtungen (ca. 1,5-2 Mio. zusätzlich zur üblichen Jahresmenge von rd. 18 Mio. Schlachtungen). Der "Schweinemord" führt kurzfristig zum Überangebot von Fleisch, das ab Juli 1915 in einen Fleischmangel und stark steigende Fleischpreise übergeht. Die Nachzucht wird stark eingeschränkt wegen der Futtermittelknappheit.

8. Im September werden regional Preisprüfungsstellen eingerichtet, da Fleisch kaum mehr oder sehr teuer zu erhalten ist.

9. Im Herbst 1915 ergeht eine Flut von Höchstpreisverordnungen für Butter, Milch, Schweinefleisch, Obst und Gemüse, Honig und Kunsthonig, die kurzfristig zur Preisberuhigung führen. Es ergeht ein Sahneverbot. Ausreichende Lebensmittel können sich nur vermögende Bürger beschaffen, Dienstkräfte (mehrere Millionen im Reich) werden zu Hamsterkäufen und Warteschlangen geschickt. In mehreren Städten gibt es Unruhen in Markthallen. Kartoffeln, Butter und Fleisch geraten zu Mangelwaren, große Bestände von Fleisch werden außerdem von Konservenfabriken für die Heeresversorgung aufgekauft.

10. Gegenmaßnahmen in Städten: Bei gewerblichen Schlachtungen sind 20% der Fleisch- und Wurstmenge gegen Markthöchstpreis (!!) zwangsweise an die Städte abzuführen; Bundesratsverordnung vom 31.1.1916 verbietet schließlich die gewerbsmäßige Herstellung von Fleischkonserven. Inwischen ist der Rinderpreise den emporschnellenden Schweine-Höchstpreisen nachgefolgt; Schweine kamen nicht mehr genug zu Schlachtungen auf den Markt, es begann der Sturm auf das Rindfleisch, Rinderhandel wurde Spekulationsgeschäft. Im März 1916 werden Rinder-Höchstpreise verordnet. Danach werden die Märkte nicht mehr mit Rindern beliefert.

11. Für die Fleischbewirtschaftung wird nun die "Reichsfleischstelle" eingerichtet. Die Viehmengen werden lokal zugeteilt. Da die Städte nun versuchen, die Schlachtungen gegen Proteste der Fleischerbetriebe an sich zu ziehen, kommt es zu Massenschlachtungen auf dem Land im Umfang von 2 Jahres-Volumina. Im Mai 1916 - unter Zusammenbruch des Marktes mit gesetzten Höchstpreisen - gehen die lokalen Behörden zur Fleischbewirtschaftung über, mit Ausgabe städtischer Fleischkarten (Juni 1916). Die Einführung wird von schweren städtischen Unruhen und von Streiks begleitet, Lebensmittelgeschäfte werden geplündert. Es werden Maßnahmen gegen das zunehmende Hamstern angekündigt. Es werden Volksküchen eingerichtet.

12. Die Engpässe in der an sich für Versorgung günstigen Jahreszeit sorgen für Besorgnis. Ab September 1916 erfolgen Beschlagnahmen von Obst. Das wiederum sorgt für weitere Unruhen, da Marmeladenaufstrich wegen des Fettmangels zu begehrtem Brotaufstrich geworden war und die Bevölkerung die Selbstversorgung nun gefährdet sah. Um den staatlichen Aufkäufern zu entgehen, unterblieben große Teile der Obsternte, beim Kriegsernährungsamt wurde kaum Obst abgeliefert. Teile der Ernte verfaulten auf den Bäumen. Die Beschlagnahmegebote für Obst werden daraufhin weiter verschärft. Die Kartoffelversorgung bricht im Herbst 1916 zusammen. Die Landeskartoffelstelle ersucht daraufhin die Behörden, Militär zur Beschlagnahme aufs Land zu schicken. In den Städten greifen Unruhen gegen die Bauern um sich. Ausreichende Versorgung ist nun noch denjenigen möglich, die Schwarzmarkt bzw. Höchstpreise bezahlen können. Aufgrund des drastischen Kartoffelmangels (daneben der Brotgetreidemangels, des Fleisch- und Obstmangels) werden Kohl- und Steckrüben zur Hauptnährungsquelle.

Nahrungsmittelzuteilung pro Woche/Erwachsener, Winter 1916/17:
1750 g Kartoffeln (größtenteils durch Steckrüben ersetzt)
1900 g Brot (gestreckt durch Zusätze), dann auf 1500 g reduziert.
250 g Fleisch, in manchen Wochen 180 g
80 g Butter
100 g Käse, soweit vorhanden
Magermilch (Nur für Kinder: 1 l Milch täglich bis zu 2 Jahren, bis 6 Jahre 0,5 Liter)
Zuckermarken unregelmäßig (ca. 180 g)
250 g Nudeln oder Haferflocken
1- 2 Heringe
100 g Marmelade oder Kunsthonig.
 
Zuletzt bearbeitet:
So noch ein Nachspiel des Haber-Bosch-Verfahrens nach dem 1. WK.

Durch den 1. Weltkrieg bedingt sind die Segelreisen von Point Lizzard nach Valpariso um Guano zu holen abgerissen. Die Deutschen Schiffe wurden in Chile interniert.
Ein Teil der Schiffe konnte wieder zurückgeholt werden nach dem Weltkrieg. Sie wurden dann zum Teil auch wieder in der Salpeterfahrt eingesetzt. Die Landwirtschaft brauchte ja den Dünger.
Nur wurden nach dem Krieg die Anlagen der Ammoniakwerke langsam auf Düngemittelproduktion umgestellt. Des weiteren wurden neue Ammoniakwerke in betrieb genommen, auch in anderen Ländern als Deutschland. Dadurch fielen die Frachtraten der Großsegler auf der Strecke Point Lizzard - Valpariso - Point Lizzard. Damit wurden die Schiffe auf der Strecke unrentabel. Und wurden entweder verschrottet, verkauft oder zu Schulschiffen umgebaut.
Die Guano-Minen in Chile haben damit auch ihre Kunden verloren, ebenso die Stauer, welche den Guano geladen haben.

Apvar
 
Sehr interessant. Hast Du dazu vielleicht aus chilenischer Sicht einen Hinweis auf Darstellungen, oder wird das nur randläufig für die Zeit 1919ff. aufgegriffen?

Waren das chilenische Reedereien oder deutsche?

Nachtrag:

Timo Baumann, Giftgas und Salpeter - chemische Industrie, Naturwissenschaft und Militär von 1906 bis zum ersten Munitionsprogramm 1914/15, Dissertation 2011

verfügbar:
DissOnline Katalog

Zitat:
Die Dissertation befaßt sich mit der Frage, wie eine seit etwa 1900 hochindustrialisierte Chemie erstmals Teil der Kriegsführung wurde: im Ersten Weltkrieg. Dazu stellt sie einleitend den ersten Chlorgasangriff am 22. April 1915 bei Ypern vor und zeigt, daß alle Chlorgaswolken aus militärischer Perspektive wenig Sinn ergaben. Generalstabschef Falkenhayn stand ihnen wegen der Windabhängigkeit reserviert gegenüber.
Dies verweist auf einen Zusammenhang zwischen Giftgaskrieg und Kriegswirtschaft an der Heimatfront. Insbesondere der Chemiker Fritz Haber war auf beiden "Kriegsschauplätzen" aktiv. Zusammen mit anderen Naturwissenschaftlern beriet er die Gaspioniere, die chlorgefüllte Druckflaschen in die Gräben einsetzten, verhandelte aber auch für das preußische Landwirtschaftsministerium mit Firmen über Produktionssteigerungen bei Stickstoffdüngern (Stickstofffrage) sowie für das preußische Kriegsministerium über Kunstsalpeter (Salpeterfrage).
Wie die Arbeit zunächst darstellt, war die Kriegswichtigkeit beider Bereiche in Deutschland schon Jahrzehnte vor dem Krieg bekannt und unter den Vorzeichen "feindlicher Einkreisung" diskutiert worden. Die Stickstoffverbindung Salpeter (Natriumnitrat) mußte aus Chile importiert werden. Sie wurde im Frieden zumeist als Dünger verwendet, bildete aber auch Rohstoffgrundlage für Salpetersäure, welche u.a. für die Sprengstoffproduktion unabdingbar war. Zur Angst vor einer Ernährungskrise kam die Befürchtung, Deutschland müßte einen längeren Landkrieg aus Mangel an Sprengstoffen einstellen. Eine kleine Fabrik gewann dann aber seit 1906/08 Nitrate aus Ammoniak. Während das Reich das Kriegsernährungsproblem noch bis 1912 mittels seiner Seestreitkräfte "bewältigen" wollte, fuhren Forscher (wie Haber) und Chemiefirmen mit der Entwicklung synthetischer Rohstoffe fort.
Mit Kriegsbeginn erfolgte, wie anschließend gezeigt wird, eine Intensivierung der zuvor rudimentären Kooperation von chemischer Industrie, Naturwissenschaftlern und Militär. Dies betraf Waffen und Rohstoffe. ...
 
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Die Salpeterfahrer waren meist Europäische Schiffe. Bekannt sind die französische Reederei "Antoine Dominique Bordes et Fils" ( A.D. Bordes) sowie die Salpeterfahrer der Reederei F.Laeisz (Flying-P-Liner).
Die Stauarbeiten wurden meist von Chilenischen Arbeitern durchgeführt.
Meine Quelle ist "Die Flying P-Liner" von Peter Klingbeil.2. Auflage. Erschienen beim Verlag die Hanse in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Schiffahrtsmuseum, Bremerhaven.
Sehr aufschlussreich ist das Kapitel" Der Erste Weltkrieg und die Folgen" ab Seite 32.

Apvar
 
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