Mysteriöse Flugzeuge über Australien oder Die Hysterie im Kriege

kwschaefer

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Am 24. Februar 1918 kehrte der deutsche Hilfskreuzer SMS Wolf (FKpt. Nerger) nach einer Kaperfahrt von 451 Tagen in den Heimathafen Kiel zurück. An Bord des Hilfskreuzers befand sich ein Schwimmerflugzeug Friedrichshafen FF.33, das auf der Reise häufig zum Einsatz gekommen war, um mögliche Prisen aufzuspüren. Die Fahrt hatte SMS Wolf im Juli 1917 in die Gewässer südlich und östlich von Australien geführt. Dort hatte SMS Wolf mehrere Schiffe aufgebracht; andere waren auf ausgebrachte Minensperren gelaufen und gesunken.

Am 16. März 1918 machten die großen australischen Tageszeitungen mit der Meldung auf, ein deutscher Seeoffizier der Besatzung von SMS Wolf habe damit geprahlt, dass Wölfchen, so der Spitzname des Bordflugzeuges, frühmorgens den Hafen von Sidney überflogen habe, sodass man an Bord über die dortigen Schiffsdispositionen informiert gewesen sei.

In der Folge häuften sich in Australien die Meldungen über mysteriöse Schwimmerflugzeuge, die nachts, aber durchaus auch tagsüber bei hellem Licht beobachtet worden sein sollten und über die die Presse ausführlich berichtete. Die detaillierte Untersuchung dieser Flugzeugsichtungen durch Polizei und Militär, die daraufhin erfolgten, zeigt, dass man solche Beobachtungen nicht a priori für unglaubwürdig und nicht plausibel hielt. Es gab in Neuseeland eine Flugschule, deren Maschinen man als Ursache ausschließen konnte, in Australien waren keinerlei Flugzeuge, die in Frage kamen.

Die Häufung der Meldungen und der Presseberichte darüber hatte einen selbstverstärkenden Effekt. Man schloss aus der Zahl der Sichtungen, dass bis zu vier deutsche „Raider“ vor der australischen Küste operierten. In Australien wurden für einige Monate die wenigen Küstenbatterien wieder mobilisiert und einige Forts bemannt. Die deutschen Kriegsgefangenen und Zivilinternierten aus dem Lager Trial Bay an der Küste von New South Wales wurden in das große inländische Lager Holsworthy verlegt, wo zwischen 4000 und 5000 deutsche und österreichisch-ungarische Kriegsgefangene und Zivilinternierte untergebracht waren. Man fürchtete an der Küste die Befreiung der Gefangenen durch das Landungskommando eines deutschen Hilfskreuzers.

Das einzige in Südaustralien verfügbare Militärflugzeug, eine Royal Aircraft Factory F.E.2b, wurde, unterstützt durch eine zivile Farman MF.11, bis Ende April 1918 für Aufklärungsflüge vor der Küste eingesetzt.

Noch am 23. April 1918 wurde die Unruhe der Bevölkerung durch eine Meldung verstärkt, die in den Zeitungen erschien:

“Within the past 48 hours information has come to hand which points to the probability that the realities of war will soon be brought before Australians in a most convincing fashion. Steps have been taken by the Defence authorities to cope with a situation which may at any moment assume grave proportions. More than this cannot be said for the present“. Advertiser (Adelaide) - nachgedruckt in mehreren anderen Tageszeitungen.

So löste der tatsächliche Überflug des Hafens von Sidney am 29. April 1918 höchsten Alarm aus, bis bekannt wurde, dass es sich den Testflug eines neu eingetroffenen Militärflugzeugs handelt.

In den folgenden Monaten beruhigte sich die Atmosphäre in Australien und Neuseeland wieder, aber der Vorfall zeigt, dass die Hysterie und der Verfolgungswahn, die 1914 für alle europäischen Kriegsführenden und ihre Bevölkerung belegt sind, nicht an Europas Grenzen Halt machten und nicht auf den Kriegsbeginn beschränkt waren.
 
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Danke für diese interessanten Details. Ein wenig erinnert das an die Hysterie an der amerikanischen Westküste 1942 über eine japanische Invasion/Luftangriffe bzw. an den U-Boot-scare der Ostküste 1942 (wobei der ja einen handfesten Hintergrund hatte).

Vielleicht passt dieses Ereignis 1914 noch dazu:

Discovered: Pictures of Madras after Emden struck - The Hindu
When Emden Bombed Madras - The Hindu
When Madras was bombarded by the Germans - The New Indian Express

Auch hier breitete sich eine Hysterie über die ganze indische Küste aus, nachdem Madras (Chennai) von der "Emden" beschossen worden ist.
 
Naja, auch an der US-Westküste gab es, im Gegensatz zu Australien 1918, einen handfesten Hintergrund.

Immerhin waren japanische U-Boote ab Dezember 1941 mit Unterbrechungen bis nach 1943 hinein vor der Küste auf Patrouille, wenn auch ihre Versenkungserfolge sich sehr in Grenzen hielten.
Und besonders regte sich die Bevölkerung über den Beschuss von Fort Stevens durch I-25 und den Beschuss von Ellwood Field durch I-17 auf. Die sog. Battle of Los Angeles in der darauffolgenden Nacht hatte also durchaus einen realen Hintergrund. Auch die beiden wirkungslosen, aber sehr propagandaträchtigen Versuche des Bordflugzeuges von I-25, mittels Brandbomben Waldbrände in Oregon auszulösen sind zu berücksichtigen.

Amerikanische Quellen sind ja durchaus der Ansicht, dass es ein großer Fehler der japanischen Kriegsmarine war, in den Anfangsmonaten nicht die U-Boot-Flotte konzentriert im Berein Hawaii und US-Westküste einzusetzen und dabei aggressiver sowohl mit Artillerie als auch Bordflugzeugen gegen Küstenziele zu operieren. Zudem war in dieser Phase hier die beste Gelegenheit, Nachschub nach Hawaii ebenso abzufangen wie die zur Reparatur zum Festland zurücklaufenden Schiffe der US-Navy.

Das vielleicht prekärste Detail dieser Einsätze war aber wohl die versehentliche Versenkung des sowjetischen U-Bootes L-16 durch I-25 auf dem Rückmarsch am 11. Oktober 1942. Wäre dies damals bekannt geworden, hätte es wohl gravierende diplomatische Konsequenzen gehabt. Die USA übten ja heftigen Druck auf die Sowjetunion aus, sie gegen Japan zu unterstützen während andererseits die Japaner peinlich darauf bedacht waren, jeden Verstoß gegen die Bestimmungen diese Vertrages zu vermeiden.
 
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