Tib. Gabinius schrieb:
Tacitus waren die Christen als existierende Sekte bekannt, dies bedeutet nicht, dass er ihre Lehren als Quellen, also als faktischen Hintergrund wählte oder gar einfach hinnahm. Vielmehr berichtet Tacitus über fremde Religionen mit einem gewissen befremden und dem Versuch sie mit der staatsrömischen zu Vergleichen (s. Germania)
Ist es wirklich eher unwahrscheinlich, dass er die grundlegenden Züge des Christentums und des Lebens ihres Heilands nicht kannte? Fast allen Christen wird es schwerer fallen wenigstens 7 der 12 Apostel mit Namen zu nennen, aber jeder wird dir den Mann nennen können, der seine Hände glaubte in Unschuld zu waschen. Er gehört für mich zu den ganz wesentlichen Eckpfeilern der Jesusgeschichte. Das zum einen.
Zum anderen, wenn Tacitus etwa 70 Jahre nach der Hinrichtung von Jesus, Informationen über die Christen und Jesus suchte, wo sollte er dazu am leichtesten Informationen erhalten - wenn nicht mehr und minder direkt von den Christen seiner Generation?
Welchen Grund hätten die Römer gehabt, Jesus zu memorisieren? Hätten die Römer das Verschwinden seiner Leiche und die Gerüchte, er sei wiederauferstanden, damals ernst genommen? Hätte es sie sogar beunruhigt? Oder hätten sie das ganze als Grabraub und Aberglaube rasch abgetan und sich bedeuternen Problemen zugewendet als einer verschwundenen Judenleiche?
Wie steht es mit den strenggläubigen Juden, die das Geschehen rund um Golgatha verfolgten? Hätten sie Interesse daran gehabt, dass der Person Jesus über seinen Tod hinaus irgendwelche Aufmerksamkeit geschenkt wird? Oder hofften sie nicht vielmehr, dass mit seinem Tod die Sache ausgestanden sei?
Aber vielleicht hat ja doch jemand der damaligen Zeitgenossen, der kein Christ war, eine Aktennotiz verfasst, und wenn es nur eine Liste war mit den Namen aller durch Pilatus Hingerichteten.
Ist Tacitus in Jerusalem gewesen, um dort 70 Jahre alte Akten einzusehen, um den Hintergründen der Christenverfolgung unter Nero auf die Spur zu kommen? Oder wurde jeder zum Tode verurteilte in den röm. Provinzen namentlich nach Rom gemeldet und dort aktenkundig gemacht? Oder war der Jesusfall doch damals derart bemerkenswert für die Römer, dass sie eine ihm gewidmete Aktennotiz nach Rom sandten?
Aber selbst wenn, war dieses Detail der Namen von Opfer und Richter für Tacitus bei der Schilderung der Christenverfolgung unter nero für ihn derart wichtig, dass er sich überhaupt die Mühe machen würde in Jerusalem (oder Rom oder sonstwo) die Akten zu studieren, nur um die Wahrheit der "Geschichte der Christen" zu überprüfen?
Und wer sollte sich von den Römern nach 70 Jahren außer Akten an den Namen Jesus erinnern können - abgesehen von den Christen?
Meines Erachtens spricht mehr dafür, dass Tacitus hier von Hörensagen schreibt und dieses Hörensagen - egal über wie viele Ecken - direkt von zeitgenössischen Christen stammt. Die Christen waren doch sehr en vouge, sonst hätte sich der Glaube nicht - trotz Christenverfolgung - so rasch ausbreiten können.
Tib. Gabinius schrieb:
Es wird ihm [Flavius Josephus] unterstellt er habe sich entfernt, in der Tat schrieb er aber eine Verteidigungsschrift der Juden und eine jüdische Geschichte, zudem verwehrte er sich Zeit seines Lebens der Vorwürfe. Zumindest er selbst sah sich somit als reiner und eindeutiger Jude.
Seine Glaubwürdigkeit wird selten angezweifelt, viel eher gibt es immer wieder den Verdacht, dass einzelne Textpassagen manipuliert wurden, um sie besser auszuschmücken und man muß ihn unter dem Dach seiner jüdischen Wurzeln lesen, sprich, manches umschreibt er mit einer gewissen Tendenz.
Das ändert jedoch nichts an der erstmal reinen Existenz der Testimonium Flavianum, nur an ihrer inhaltlichen Präzision. Bis wir ein Originalskript finden, und das ist unwahrscheinlich, werden wir nicht klären ob Jesu nur eine Zeile bekam oder eine ganze "Seite".
Da stimme ich dir weitesgehend zu! Prinzipiell würde ich aber keinem einzigen antiken Historiker derart über den Weg trauen wie du in diesem Fall. Immerhin schreibt er auch über die frühe Geschichte der Juden. Dass er sich da (nahezu) vollständig auf jüdische Glaubensbücher stützt und nicht auf andere historische Quellen, würde heute niemand als seriös bezeichnen. Beginnt nicht genau so die Verquickung von Geschichte und Mythos?
Tib. Gabinius schrieb:
Das beweist zunächst mal die historische Person Jesus und bestimmte biographische Eckpunkte die in der biblischen Überlieferung ebenfalls angesprochen werden. Dies beweist nichts in Sachen Wundertätigkeit oder Glaubenslehre.
Zudem klingt die Frage so, als hätten wir diese beiden Beweise / Textstellen eingeworfen.
Du hattest nach solchen gefragt, wenn ich mich recht erinnere, sie als Beweis angefordert um nicht nur mit der Bibel da zu stehen.
Du hast völlig recht. ich wollte nur nicht weiter die Diskussion verlängern, inwieweit die zitierten Quellen die Bibel validieren oder nicht, weil das m.E. im Kern die Diskussion nicht mehr weiterbringt. Ich habe ja selbst längst erwähnt, dass ich die historische Figur Jesus nicht anzweifle, sondern es sogar "für mehr als wahrscheinlich" halte, dass er tatsächlich gelebt und gepredigt hat.
Tib. Gabinius schrieb:
Er [Flavius Josephus] steht den Christen scheinbar (!) recht offen gegenüber und nicht verschlossen, gleichzeitig ist seine Position als Jude aber ebenfalls deutlich dargelegt.
Besagte diskutierte Textstellen sind vielleicht von späteren christlichen Kopierern ausgebaut worden um sie für christliche Legitimierung zu nutzen, klar ist dies jedoch nicht, so dass hier eine Aussage zur Stellung Josephus auch nur unter Vorbehalt interpretiert werden kann.
Der Eindruck wurde mir auch vermittelt, siehe hierzu:
http://www.bechhaus.de/jcbeleg.html (3. Punkt ist über FJ)
Mein Resümee: Die Motivation von Nichtchristen 70 jahre nach seinem Verschwinden, über Jesus zu schreiben, war das Befassen mit den zeitgenössischen Christen, von denen höchst wahrscheinlich kein einziger mehr den bereits vor 70 Jahren verstorbenen Jesus leibhaftig kannte.
Weiter: Weder Flavius Josephus noch Tacitus nennen auch nur andeutungsweise ihre Quellen. Es bleibt also spekulativ, woher sie 70 Jahre nach dem Fall Jesus Christus ihre Informationen haben. Die naheliegenste Quelle wäre für mich nach wievor gewesen, die "Störenfriede" selber zu fragen, die die ganze Unruhe um diesen Jesus doch erst angezettelt haben.
Und hätten Jesus' Jünger nach seinem Tode nicht derart energisch mit ihrer Missionsarbeit begonnen und so rasant im ganzen Mittelmeerraum das Christentum verbreitet, will ich hier behaupten, hätte es für seinen Namen nicht einmal zu einer einzigen Fußnotiz in irgendwelchen Büchern gereicht - weder bei Tacitus, noch bei Josephus Flavius, noch sonst irgendwo.