Mythos vom "Flugzeugträger Tschechoslowakei"

silesia

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Das Scheitern der Ostpakt-Gespräche zum Beitritt von Deutschland führte 1935 schließlich zum separaten Beistandsvertrag zwischen der CSR und der Sowjetunion (unter formellen Anschluss an den französisch-sowjetischen Beistandsvertrag). Damit ergab sich eine Vertragsachse Paris-Prag-Moskau, wobei es nicht zum Abschluß einer Militärkonvention kam, weder zwischen Prag und Moskau noch zwischen Moskau und Paris.

Das Deutsche Reich versuchte mit allen diplomatischen Mitteln, gegen diesen Vertrag zu opponieren, in entsprechender Weise, wie man sich zuvor gegen den Ostpakt und die damit vermutlich verbundene Anerkennung der Ostgrenzen gestellt hat. Auslöser des Interesses der CSR an den Bündnisabsprachen war insbesondere der überraschende deutsch-polnische Nichtangriffsvertrag vom Januar 1934, der die Außendiplomatie 1934/35 in Bewegung brachte. Sowohl in Richtung Polen wie Deutschland als auch Ungarn befürchtete die CSR Gebietsansprüche. Polens Beziehungen zu Frankreich waren bereits 1934 durch den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt irritiert worden.

Nach Abschluß des Vertragsgeflechts Paris-Prag-Moskau setzte eine heftige Kampagne des Dritten Reichs gegen den auf Deutschland gerichteten "Flugzeugträger Tschecho-Slowakei" ein, die mehrere Jahre bis zur Sudetenkrise und zur Besetzung der Rest-Tschechei anhielt. Ursprung der Kampagne war Görings Luftwaffe, deren Enttarnung umgekehrt seit Februar 1935 lief. Von Hitler, Goebbels Propaganda und dem Außenministerium wurde die Kampagne übernommen und 1935-1938 stetig wiederholt. Vom AA angeforderte Belege hierfür konnte die Luftwaffe nicht liefern.

Beweise für beachtliche französische oder sowjetische Flugplätze bzw. Flugzeuge in wesentlicher Zahl wurden m.W. nie gefunden. Revisionistische Literatur übernimmt den Mythos bis heute und begründet damit das angebliche Schutzinteresse des Dritten Reiches, als "Vorstufe" der Sudetenkrise.

Hinsichtlich Frankreich (das abgeblich 1938 insgesamt 4 Staffeln nach einem OKH-Bericht vom März 1939 geschickt haben soll) ist dabei unlogisch, dass hier überhaupt eine neue geographische Bedrohungslage entstanden sein soll. Die sowjetische Luftstreitmacht wurde 1936 zwar auf über 5000 Flugzeuge eingeschätzt, für diese waren aber weder Flugplätze in der CSR vorhanden, noch wurde deren Bau begonnen noch wäre die enge rückwärtige Staffelung von Flugzeugmassen in dem "Schlauch" CSR problemlos bzw. militärisch gefahrlos möglich gewesen. Tatsächlich war die SU wohl nicht einmal in der Lage, die von der CSR bis 1938 bestellten Flugzeuglieferungen (insgesamt ca. 400 seit 1935) zu erfüllen.

Gibt es Literatur, die sich mit dieser außen- und innenpolitischen Kampagne des Dritten Reiches näher beschäftigt hat? War sie möglicherweise ursprünglich als Argument für die Aufrüstung der Luftwaffe gedacht und wurde sie später für die Sudeten-Problematik instrumentalisiert? Oder ist die "Beiwerk" des nationalsozialistischen Gegensatzes zur Sowjetunion 1933-1939 und des damit verbundenen Propaganda-Krieges?
 
Das Scheitern der Ostpakt-Flugzeuglieferungen (insgesamt ca. 400 seit 1935) zu erfüllen.

Gibt es Literatur, die sich mit dieser außen- und innenpolitischen Kampagne des Dritten Reiches näher beschäftigt hat? War sie möglicherweise ursprünglich als Argument für die Aufrüstung der Luftwaffe gedacht und wurde sie später für die Sudeten-Problematik instrumentalisiert? Oder ist die "Beiwerk" des nationalsozialistischen Gegensatzes zur Sowjetunion 1933-1939 und des damit verbundenen Propaganda-Krieges?

Der Begriff "Flugzeugträger" oder "Flugzeugmutterschiff Tschechoslowakei" geht wohl auf den zeitweiligen franz. Luftfarthminster Cot zurück. Zumindest hat dies Rippentrop in Nürnberg noch so dargestellt.
 
Der Begriff "Flugzeugträger" oder "Flugzeugmutterschiff Tschechoslowakei" geht wohl auf den zeitweiligen franz. Luftfarthminster Cot zurück. Zumindest hat dies Rippentrop in Nürnberg noch so dargestellt.

Cot hat das ("Flugzeugträger") vermutlich auch nur von der deutschen Propaganda übernommen, Bericht Prinz von Hessen in ADAP D II Nr. 415 vom September 1938. Der Luftaufmarsch in der CSR solle im Kriegsfall der Vernichtung der deutschen Industrie dienen. Der Begriff schwirrte da aber schon drei Jahre durch die Gegend und wurde von Cot in einem Aufsatz 1939 wiederholt, VfZ 3/1997, S. 481. Bezüglich der Polenplanungen vermerkte Halder, der wohl ebenfalls vom "Flugzeugträger" beeindruckt war, in einem Vortrag vor Stabsoffizieren dessen "Beseitigung". Ihm müßte eigentlich der OKH-Bericht geläufig gewesen sein, dass es den Flugzeugträger CSR nie gab.

Andere mögliche Erklärung: die Propaganda sollte in Richtung "Präventivschlag" beim Heer wirken, das "Fall Grün" gegenüber nicht so recht willig eingestellt war. Entweder hat das Halder so geschluckt und geglaubt, oder er hat bei seinem Motivationsvortrag gegen Polen die Zuhörer getäuscht.
 
Soweit ersichtlich, tauchen die ersten Gerüchte fast ein Jahr vor dem Prag-Moskau-Pakt von der Abwehrdienststelle Prag, Bericht an Abwehrzentrale Berlin vom 5.7.1934, auf (Gerücht über militärische Zusammenarbeit). Dann geht es Schlag auf Schlag.

Schulenburg berichtet an das Außenamt im November 1934 von einer "roten Flugbasis" in der CSR. Daraufhin fühlte sich Abwehramt Ende Dezember 1934 gemüßigt, eine Vortragsnotiz an RWM über "Einsatzmöglichkeiten der Roten Luftwaffe gegen Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Tschecho-Slowakei" zu erstellen. Ende März 1935 sprach Hitler mit Eden und betonte, die CSR sei ein verlängerter Arm Rußlands und solle in eine sowjetische "Basis für Luftoperationen" verwandelt werden. Im Mai 1935 setzte schließlich der Völkische Beobachter eine Kampagne auf:
- landende (!) sowjetische Militärflugzeuge auf Flugplätzen der CSR
- der berüchtigte "russische Korridor" (an die deutsche Grenze) werde wieder aktuell
- CSR als russischer "Lufthafen", "Flugzeugmutterschiff" und "Luftflottenbasis".


Später ebte die Presse- und Diplomatenkampange wieder ab, erstaunlicherweise im Sommer 1935 zunächst nach dem dt.-britischen Flottenvertrag. Pfaff (Die Sowjetunion und die Verteidigung der Tschechoslowakei) bringt das zur These, dass die Wurzeln dieses Mythos (zu der Zeit existierte kein Militärabkommen SU-CSR, eingerichtet wurde gerade eine erste zivile Luftverbindung Moskau-Prag) eigentlich auf Großbritannien und seine Beziehung zum Deutschen Reich zielte.

Demnach hätte sich das Gerücht später verselbständigt oder wurde für andere Aspekte aufgewärmt.
 
So
- landende (!) sowjetische Militärflugzeuge auf Flugplätzen der CSR
- der berüchtigte "russische Korridor" (an die deutsche Grenze) werde wieder aktuell
- CSR als russischer "Lufthafen", "Flugzeugmutterschiff" und "Luftflottenbasis".

Demnach hätte sich das Gerücht später verselbständigt oder wurde für andere Aspekte aufgewärmt.

OT: Sehr ähnlich waren die Mediensprüch im Frühsommer des Jahres 1968, "Pfahl im Fleisch des Ostblocks" usw.
Bis die Panzer durch Prag rollten...
 
Beim Durchsuchen der ADAP gefunden,
Serie D II, Nr. 293, Der Gesandte in Prag vom 16.7.1938:

"Wie ich zuverlässig erfahre, hat eine der nächsten Umgebung des Staatspräsidenten Benesch nahestehende Persönlichkeit kürzlich folgende Äußerung getan:

1. Am 21. Mai seien 2.000 russische Flugzeuge startbereit gewesen.
2. In der Tschechoslowakei befänden sich zur Zeit 400 russische Flugzeuge, deren Besatzungen in die tschechoslowakische Armee aufgenommen worden seien.
3. Im Kriegsfall soll das sudetendeutsche Gebiet verwüstet und die Wälder in Brand gesteckt werden.
4. Prag solle geräumt werden bis auf 250.000 Personen, die in Luftschutzkellern Schutz zu finden vermöchten.

Ich gebe diese Mitteilungen, um deren Weiterleitung an die Kriegsministerium ich bitten möchte, mit allem Vorbehalt wieder.
gez. Eisenlohr"


Außenpolitik auf Basis von Gerüchten, die Überflugrechte mit Rumänien waren nicht geregelt, Flugplätze für 2.000 Flugzeuge überhaupt nicht vorhanden, die Zahl 400 betrifft Flugzeuge für die tschech. Luftwaffe, die in der SU seit Jahren bestellt waren und nie in dieser Stückzahl geliefert worden sind.
 
Und noch ein Nachtrag, der einen kleinen Bruch (Beruhigung) in der deutschen Pressekampagne gegen die Tschechoslowakei beleuchtet und zugleich auf die "Flugzeugträger-Theorie" seit 1935 anspielt:

Weisung des Propagandaministeriums vom 6.3.1937 an die deutsche Presse, Vorsatz:

"Die Tschechoslowakei soll zunächst nicht mehr als Herd des Kommunismus und als kommunistisches Ausstrahlungszentrum für Mitteleuropa gekennzeichnet werden. Das bedeutet aber nicht, dass man nicht schreiben kann die Tschechoslowakei sei die Verbündete der Sowjetunion. Nicht geschrieben aber werden soll von einer bevorstehenden Bolschewisierung der Tschechoslowakei."

Das zeigt sehr schön den Organisationsgrad der Kampagne.
 
Ein weiterer Hinweis findet sich noch in der Reichstagsrede Hitlers, die zeitgleich zum Einmarsch in das Rheinland und dem Bruch des Locarno-Paktes gehalten wurde. Hier wird das Paktsystem der CSR als einer der Gründe bezeichnet.

Der Locarno-Vertrag gebe Frankreich die Möglichkeit, seine "Grenze mit Erz, Beton und Waffen zu armieren", während "Deutschland die Aufrechterhaltung einer vollkommenen Wehrlosigkeit im Westen aufgebürdet" worden sei. Durch das frz.-sowjetische Abkommen werde "über den Umweg der Tschechoslowakei, die ein gleiches Abkommen mit rußland getroffen hat, die bedrohliche militärische Macht eines Riesenreiches nach Mitteleuropa hereingeführt worden. Dieses widerspreche dem Buchstaben und dem Sinn des Geistes des Locarno-Paktes.


So wird also der "Flugzeugträger" selbst für den Einmarsch ins Rheinland und den Bruch des Locarno-Paktes herangezogen.

Giro: Die Remilitarisierung des rheinlandes 1936.
 
Cot hat das ("Flugzeugträger") vermutlich auch nur von der deutschen Propaganda übernommen, Bericht Prinz von Hessen in ADAP D II Nr. 415 vom September 1938. Der Luftaufmarsch in der CSR solle im Kriegsfall der Vernichtung der deutschen Industrie dienen. Der Begriff schwirrte da aber schon drei Jahre durch die Gegend und wurde von Cot in einem Aufsatz 1939 wiederholt, VfZ 3/1997, S. 481. Bezüglich der Polenplanungen vermerkte Halder, der wohl ebenfalls vom "Flugzeugträger" beeindruckt war, in einem Vortrag vor Stabsoffizieren dessen "Beseitigung". Ihm müßte eigentlich der OKH-Bericht geläufig gewesen sein, dass es den Flugzeugträger CSR nie gab.

Wenn Cot dies einfach nur unreflektiert übernommen hätte, wie hier dargestellt, müsste man ihm zumindest politische Fahrlässigkeit vorhalten, da er als erfahrener Politiker durchaus hätte verstehen müssen, welche politische Wirkung damit direkt oder indirekt verbunden war. Die alternative Interpretation wäre, dass Cot dies durchaus analog so sah.

Und wenn Halder den OKH Bericht kannte, so ist es ja nicht außergewöhnlich, wenn er mit dessen Schlussfolgerungen keineswegs einverstanden war. Darin lag ja kein kognitiver Imperativ…

Grüße



Vitruv
 
Wenn Cot dies einfach nur unreflektiert übernommen hätte, wie hier dargestellt, müsste man ihm zumindest politische Fahrlässigkeit vorhalten, da er als erfahrener Politiker durchaus hätte verstehen müssen, welche politische Wirkung damit direkt oder indirekt verbunden war. Die alternative Interpretation wäre, dass Cot dies durchaus analog so sah.

Das (unreflektierte Übernahme oder analoge, zeitgleiche Gedanken) würde aber aber zum gleichen Ergebnis bezgl. der Veröffentlichung führen, auf die Prinz von Hessen hier anspielt: politische Fahrlässigkeit, da ihm die Wirkungen hätten bekannt sein müssen.

Es ist aber gut möglich, dass die permanente Propaganda solche Überlegungen der deutschen Seite stimuliert hat. Ich würde ihm nicht unterstellen, dass er es unreflektiert übernommen hat.
 
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