Mythos Wilhelm Heidkamp?

Stephan2

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In der dt. wiki findet sich folgende Darstellung:

Wilhelm Heidkamp (* 22. Januar 1883 in Herkenrath; † Oktober 1931 in Untereschbach) war ein deutscher Unteroffizier in der Kaiserlichen Marine.
Nach der Schule lernte Heidkamp den Beruf des Maschinenschlossers. Mit 19 Jahren trat er 1902 in die Kaiserliche Marine ein. Dort diente er auf mehreren Schiffen als Pumpmeister.
Ab 1912 gehörte Heidkamp zur Besatzung des Großen Kreuzers SMS Seydlitz, auf dem er auch am 24. Januar 1915 am Gefecht auf der Doggerbank teilnahm. Nachdem die Seydlitz um 10.40 Uhr vom britischen Schlachtkreuzer HMS Lion einen 34,3-cm-Treffer in den achteren Geschützturm erhalten hatte und dabei insgesamt 6000 kg Treibladungspulver explodiert waren, ergriff Heidkamp die mittlerweile rotglühenden Räder der Flutventile und flutete die Munitionskammern der hinteren Türme. Dadurch verhinderte er die Explosion der dortigen Bereitschaftsmunition und die nahezu sichere Vernichtung des Schiffs.
Nach seiner Genesung diente Heidkamp weiterhin auf der Seydlitz bis zu ihrer Selbstversenkung in Scapa Flow am 21. Juni 1919. Danach kam Heidkamp in britische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1920 nach Deutschland zurückkehrte.
Da er wegen seiner Kriegsverletzungen nicht mehr als Schlosser arbeiten konnte, übernahm er den Gemischtwarenladen seines Vaters in Untereschbach. Heidkamp war verheiratet und hatte vier Kinder.

Diese Darstellung klingt mir zu sehr nach Superman.

1) Wenn die Räder der Flutventile rotglühend waren, müssen dass auch alle anderen metallischen Beschläge, insbesondere Spindeln, Übertragungsgestänge etc. gewesen sein. Mit Schmierung war dann wohl nichts mehr. Die mechanische Funktion in diesem Zustand scheint doch mehr als zweifelhaft zu sein. Vom Wegschmelzen oder Weichwerden von Nichteisen-Bauteilen, mal ganz abgesehen.

2) Eine Umdrehung dürfte mit Sicherheit nicht genügt haben, aber lt. wiki öffnete H. sogar mehrere Ventile, dabei dürfte er mit seinen Händen schon am ersten rotglühenden Ventil festgebacken sein.

3) Trotzdem war er später wieder so kriegsverwendungsfähig, dass er weiter Dienst auf Seydlitz leisten konnte und sogar bei den ausgedünnten Besatzungen, die in die Internierung nach Scapa Flow gingen, dabei gewesen sein soll.

Die Darstellung eines W. Heidkamp, der im Alleingang die Seydlitz vor der Zerstörung rettete, findet sich leider in zahlreichen Darstellungen, bspw. in Michael Epkenhans Skagerrakschlacht in der Fußnote auf Seite 239.

Im dort erwähnten Band 3 "Der Krieg in der Nordsee" werden auf den Seiten 211 und 212 die Ereignisse bei allem Pathos im Vergleich zu wiki fast nüchten dargestellt:
Während dieser Augenblicke atemloser Spannung war der I. Offizier, Korvettenkapitän Hagedorn, mit dem Feuerwerker Müller und dem Pumpenmeister Hering in die Abteilung III vorgedrungen und erreichte trotz giftiger Gase und unerträglicher Hitze die Flutventile. Diese wurden geöffnet. Seewasser rauschte in die glühenden Munitionskammern und so wurde das Schlimmste verhütet.
Jedoch liefen durch Lüftungskanäle in den Geschosskammern, welche durch Gasdruck oder Hitze zerstört waren, auch benachbarte Räume voll.

Demnach haben also 3 Mann die Flutventile geöffnet. Es fällt auf, dass der Name Heidkamp nicht dabei ist.

Das kann natürlich auch ein Schreibfehler sein. Laut dem Overather Mitteilungsblatt vom 30. Juli 2004 ist mit Hering Heidkamp gemeint.

Der Kölner Stadt-Anzeiger vom 11.02.2008 berichtet allerdings ganz im Tenor von wiki - und mit wenig Sachkenntnis - unter der Überschrift "Nach dem Tode zum Helden erklärt" über Heidkamp.

Unter Berufung auf den Heimatforscher Willi Fritzen wird dort über die Einvernahme Heidkamps durch die Propagandamaschinerie des III. Reiches berichtet - was dann zu der Namensgebung des Zerstörers Z21 der Kriegsmarine führen sollte.

Kann vielleicht jemand eine Angaben dazu machen, dass Heidkamp der Pumpenmeister Hering war? Gibt es noch weitere Informationen zu Wilhelm Heidkamp, insbesondere zu seiner Vita nach dem Doggerbankgefecht?
 
Für die Schilderung "rotglühend" sind wohl Zweifel angebracht, wie Du das auch plausibel darstellst.

Ausweislich Koop/Schmolke sind die Pumpenmeister Hering und Heidkamp an der Flutung beteiligt gewesen, neben den zwei weiteren Personen. Die 6 Tonnen Pulver sind abgebrannt, so dass vermutlich in den Ganatenräumen im Bereich Abteilung III darunter die Gasschwaden hingen und auch eine unerträgliche Hitze geherrscht haben muss.

Analog zum Koop-Schmolke habe ich das mal hier dargestellt:
http://www.geschichtsforum.de/489285-post56.html
 
"Rotglühend" ist bestimmt eine "literarische Freiheit" da sich dann die Spindel des Ventils so aususgedehnt hätte, dass sie nicht mehr zu drehen wäre. Aber irgendeine Teilnahme seinerseits an der Aktion würde ich schon annehmen. Man war damals viel zu eifersüchtig in solchen Sachen um so eine Ehrung zuzulassen wenn sie völlig aus der Luft gegriffen wäre. Viele ehemalige Kameraden waren in den 30.ern ja noch im Dienst. Aber dass man sie etwas ausgeschmückt hat, sei dahin gestellt.

Ziel der Benennung der Zerstörern der Kriegsmarine nach verdienten Unteroffizieren war es ja gerade Eigeninitiative und Kampfgeist zu fördern. Ein anderer war z.B. Hermann Künne, der bei dem britischen Raid gegen Ostende und Zeebrügge einen höheren britischen Offizier mit seinem Bordmesser* tötete.

*(In englischsprachigen Texten wird ein Cutlass erwähnt, also ein Entermesser, ich nehme aber an es war wohl ein gewöhnliches Matrosenmesser).
 
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Ausweislich Koop/Schmolke sind die Pumpenmeister Hering und Heidkamp an der Flutung beteiligt gewesen, neben den zwei weiteren Personen. ...

Danke für die schnelle Antwort silesia.
Könntest Du bitte nachschauen, worauf Koop/Schmolke ihre Aussage stützen?

Dass in der offiziellen Darstellung ein Teilnehmer "vergessen" worden ist, wäre ja bemerkenswert.
 
Danke für die schnelle Antwort silesia.
Könntest Du bitte nachschauen, worauf Koop/Schmolke ihre Aussage stützen?

Dass in der offiziellen Darstellung ein Teilnehmer "vergessen" worden ist, wäre ja bemerkenswert.

Dafür gibt es keinen Erläuterung bei Koop/Schmolke. Allerdings verwendet man Material inkl. Fotos, die darauf schließen lassen, dass es sich um die Akte zu dem Ereignis handeln muss.

Fehler im "Marinearchiv" nichts eigentlich nichts Besonderes, die Bücher sind voll davon. Im Band "Nordsee III" habe ich nachgesehen, Auflage 1923. Mit großer Wahrscheinlichkeit gab es weitere Auflagen, auch die roten Halblederbände. Hier könnte der Fehler berichtigt worden sein, wenn es einer war.
 
Zunächst einmal vielen Dank fürs Nachsehen silesia.

Das

Dafür gibt es keinen Erläuterung bei Koop/Schmolke. Allerdings verwendet man Material inkl. Fotos, die darauf schließen lassen, dass es sich um die Akte zu dem Ereignis handeln muss...

ist allerdings nur das Prinzip Hoffnung und nicht unbedingt ein Beweis für den "vierten" Mann. Genausogut läßt sich vermuten, dass Koop/Schmolke einfach eine Vereinigungsmenge von allen in Frage kommenden Personen bildeten und sich so die Mühe weiterer Nachforschungen ersparten. Ich habe das Buch nicht, angesichts solcher Rezensionen, und zumindest die von Maxim Kämmerer scheint nicht mit der heißen Nadel gestrickt zu sein, bin ich auch nicht bereit, nennenswerte Beträge zu "investieren".

Ich habe mich noch ein bißchen mit dem wiki-Artikel über Heidkamp beschäftigt, und bin darüber auf folgenden Artikel in der Rheinsch-Bergischen Zeitung, von Montag, dem 24. Januar 1938 über den Doggerbanktag der Seydlitzkameradschaft in Untereschbach gestoßen.

Der Ablauf am 22. und 23. Januar weicht doch etwas von der Darstellung des Heimatforschers ab. Am Samstag fand im Saale Clemens-Schmidt ein Begrüssungsabend mit allem was damals so dazu gehörte statt. Am Sonntagmorgen um 09:30, also am nächsten Tag und nicht anschließend, erfolgte dann der gemeinsame Marsch zum Friedhof in Immekeppel.

Im letzten Absatz der zweiten Spalte erfährt man übrigens, dass Heidkamp früher Kameradschaftsführer der Kriegskameradschaf Untereschbach war - etwas ungewöhnlich für jemanden, der sein "Geheimnis" mit ins Grab genommen haben soll.

Rechts unten, auf der Ausgabe vom 25. Januar 1937, findet sich der Bericht "Ein Held unserer Heimat wurde geehrt" - unter Teilnahme der Seydlitzkameradschaft. Dabei wird auch ein Bericht vom 12. Januar 1937 - Ein Held aus unserer Heimat erwähnt. Leider ist die optische Qualität ziemlich schlecht - der Artikel zitiert wohl einen Nachruf auf Heidkamp und berichtet von den Ereignissen auf der Seydlitz.
 
Aufklärung kann ohnehin nur ein Weg ins Bundesarchiv mit Einblick in die Akten verschaffen.(*)

Ein weiterer Band, "Warship in Profile 14" zur Seydlitz, spricht übrigens nur von "einigen Assistenten". Die Doggerbank mit dem Blücher-Verlust und der Beinahe-Katastrophe um Seydlitz schafften es dann auch in den Untersuchungsausschuss nach 1919.


P.S. Koop/Schmolke sind gut brauchbare technische Darstellungen. Auf solche A.-Rezensionen würde ich nichts geben, ohnehin beim "B-Schiff". Auch der Band ist ordentlich gemacht. Da gehen doch stets die Wogen hoch, wenn sich Leute damit Jahrzehnte hobbymäßig beschäftig haben.
Die Fotos vom Schaden müssen jedenfalls aus den Schiffsakten stammen.

(*)
RM 3/22613 : Pläne, Bilder und Berichte zu Gefechtsbeschädigungen auf den Schiffen "Regensburg", "Stralsund", "König", "Danzig", "Thetis", "Emden", "Straßburg", "Goeben", "Blücher", "Seydlitz", "Derfflinger", ... [Zeitraum: 1914/1915]
 
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Möglicherweise liegt hier die Quelle der Darstellung:

"Just like the 24th January, 1915. On that occasion the whole of the charges in the turret were ignited in turn and went up in a huge sheet of flame. The assistant flooding officer, C.P.O. Heidkamp, managed to flood the magazine. The air was laden with poisonous fumes, the flouding valve wheels were red-hot and burnt the flesh off his hands as he gripped them, but he carried out the Commander's order and thereby saved the ship from blowing up."

Schilderung von Otto Looks, später am Skagerrak Leitender Ingenieur auf "Seydlitz", Naval Review 1922 (!), Band 2, S. 307ff. (*) Das scheint wortgetreu von den Heftautoren wie Otto Mielke oder Busch (bzw. sein Pseudonym "Wilhelm Wolfslast") übernommen worden zu sein.

Damit ist die Geschichte jedenfalls vor der NS-Propaganda entstanden, auch noch vor der Publikation von Marinearchiv Nordsee Band III, 1923. Um so interessanter ist die abweichende Darstellung im Marinearchiv, da die Publikation im Naval Review bekannt gewesen sein muss.

(*) offenbar die englisch übersetzte Wiedergabe der Schilderung von Looks in Manteys populärem Gedenkband "Auf See unbesiegt", erschienen 1921 (Band 1, S. 151), ebenfalls vor dem Marinearchiv.
http://books.google.de/books?id=XYo...&ved=0CDMQ6AEwAQ#v=onepage&q=heidkamp&f=false
https://portal.dnb.de/opac.htm?meth...Id=eberhard+von+mantey&any&currentPosition=18

Damit kann durchaus eine Namensverwechselung von Looks nach dem Krieg vorliegen (Hering/Heidkamp), bzw. liegt hier der Ursprung der heroischen Darstellung.
 
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P.S. Koop/Schmolke sind gut brauchbare technische Darstellungen. Auf solche A.-Rezensionen würde ich nichts geben, ohnehin beim "B-Schiff". Auch der Band ist ordentlich gemacht. Da gehen doch stets die Wogen hoch, wenn sich Leute damit Jahrzehnte hobbymäßig beschäftig haben.
Die Fotos vom Schaden müssen jedenfalls aus den Schiffsakten stammen.
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Sorry silesia, aber ich glaube in diesem Punkt kommen wir nicht zusammen. Entscheidend für eine Rezension ist meines Erachtens ihr Inhalt und nicht der Ort der Veröffentlichung oder ob der Verfasser sich hobby- oder berufsmäßig mit dem Thema befasst. Es gibt zahllose "Amateure", die so manchen "Experten" alt aussehen lassen.

Und die Bewertung für Koop/Schmolke kann ich leider auch nicht teilen. Sie haben zweifelsfrei viel produziert - aber der Inhalt ist dabei wohl das ein- oder andere Mal zu kurz gekommen.

Beispiel1:
Das angehängte Bild zeigt lt. John Asmussen die Scharnhorst nach dem ersten Minentreffer beim Kanaldurchbruch 1942, aufgenommen vom schweren Kreuzer Prinz Eugen. Das klingt plausibel!

Das gleiche Bild soll sich bei Koop/Schmolke auf Seite 156 im Band "Die Schlachtschiffe der Scharnhorst-Klasse", Bernard & Graefe, 1991 wiederfinden, dort aber mit der Unterschrift "Die SCHARNHORST in der Ostsee, gesehen von einem Zerstörer oder Kanonenboot."

Man kann dem Wasser zwar nicht ansehen, ob es sich um Kanal oder Ostsee handelt, aber dass das Schiff im Vordergrund weder ein Zerstörer (mit 15cm - Doppelturm) noch eines der ex-niederländischen Kanonenboote K1 - K3 (12 cm Doppelturm) ist, kann man schon erkennen.

Ein Wellenbrecher mit Knick und Geschützrohre, die bis zu den Ankerspills reichen, sprechen für einen schweren Kreuzer (Hipperklasse od. PE) als Standort des Fotografen.

Weitere Beispiele finden sich u.a. in den Rezensionen von Dirk Nottelmann.

Aber zurück zu Heidkamp. Zunächst einmal herzlichen Dank für die interessanten Links. Ich werde wohl noch ein bißchen recherchieren, die bisher angeführten Berichte sind ja, nicht zuletzt a. G. der dichterischen Freiheiten, die m. E. in Lebensläufen und Sachberichten nichts verloren haben, keineswegs glaubhafter als die Darstellung im Admiralstabswerk.
 

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Streiche "Hering", setze "Heidkamp"

Lt. Todesanzeige in der Rheinisch-Bergischen Zeitung vom Mittwoch den 7. Oktober 1931 verstarb Wilhelm Heidkamp am Montag, den 05. Oktober 1931 um 21:00 Uhr nach kurzer schwerer Krankheit.

Als Auszeichnungen werden das eiserne Kreuz I. und II. Klasse aufgeführt. In den "Vorschlägen zur Verleihung des Eisernen Kreuzes I. u. II. Klasse"* des Kommandos der Hochseestreitkräfte vom 1. Februar 1915 finden sich der Feuerwerker "Müller, Franz" und der Obermaschinistenmaat u. zweite Pumpenmeister "Heitkamp", das "t" ist wohl ein Tipfehler. Beide werden mit inhaltlich gleicher Begründung zur Auszeichnung vorgeschlagen:

Ist unter hoher eigener Lebensgefahr in das gasverseuchte und qualmerfüllte Zwischendeck eingedrungen, um die brennende Munitionskammer unter Wasser zu setzen. Hat sich dabei an den glühenden Handrädern Brandwunden an beiden Händen zugezogen.

Der "Hering" im Admiralstabswerk ist also wohl ein "Heidkamp".

*Dank gebührt Herrn Stuart Haller für die kurzfristige Auflösung der Thematik Hering - Heidkamp und Herrn Bernd Langensiepen für die unkomplizierte Ermöglichung der Einsichtnahme in die Vorschlagsliste.
 
@stephan2

Besten Dank für die Klärung, und natürlich schließe ich mich dem Dank an die Herren Haller und Langensiepen an.:winke:
 
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